Ralph Suikat gründete in den 90ern mit Partnern ein IT-Unternehmen, dessen Anteile er 2016 abstiess. Seitdem engagiert sich der Mittelständler als „ethischer Investor“, der mit seinen Investitionen nicht nur mehr Geld verdienen, sondern auch „positive Effekte auf Gesellschaft und Umwelt“ erzielen will, um einem „fairen und nachhaltigen Wirtschaftssystem“ näherzukommen, wie die Süddeutsche Zeitung berichtete. Der Impact-Investor hält etwa Beteiligungen an der Supermarktkette Veganz und dem Ladesäulen-Hersteller Numbat.[3] Zudem plädiert Suikat für höhere Reichensteuern. Seine Initiative Taxmenow fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, sowie höhere Erbschafts- und Kapitalertragssteuern. Mehrfach beklagte der Unternehmer die zunehmende soziale Spaltung in der Bundesrepublik, die durch Steuerpolitik korrigiert werden solle.
Populistische „Realpolitik“
Was der Mittelständler Suikat aber nicht fordert, sind höhere Steuern für den Mittelstand. Bei der eingangs erwähnten Pressekonferenz hat der Schatzmeister des BSW laut Süddeutscher Zeitung betont, dass es nicht darum gehe, „den Mittelstand zusätzlich zu belasten“, da dieser „im Vergleich zu Grosskonzernen“ unter unfairen Steuerbedingungen leide. Der BSW scheint wirtschaftspolitisch tatsächlich auf die Mittel- und Kleinbourgeoisie abzuzielen, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in einem ersten Resümee, da Wagenknecht sich öffentlich als „Retterin des Mittelstandes“ präsentiere. So komme der Begriff „Vermögenssteuer“ im Manifest des BSW gar nicht vor, obwohl dessen Führerin sich hierfür mehrmals ausgesprochen habe.[4]Der Verband der Familienunternehmer wehrt sich vehement gegen höhere Vermögenssteuern, was Wagenknecht schon in der Gründungsphase ihres Querfrontprojekts zum Aufweichen ihrer Umverteilungspläne nötigte, wie die FAZ aufmerksam registrierte. Es gehe „nicht um eine Vermögenssteuer, die den Mittelstand belastet, sondern um diejenigen, die hunderte Millionen besitzen oder sogar Milliarden“, rechtfertigte sich die kleinlaute Populistin, die mit einer solch eng begrenzten Vermögenssteuer kaum die für die gesamtgesellschaftliche Umverteilung notwendigen Summen aufbringen könnte.
Familienunternehmer – da war doch was? Mitglieder dieser Mittelstandsvereinigung standen schon 2013 im Verdacht, der AfD „im grossen Stil Geld“ zugeschanzt zu haben, wie SPON berichtete.[5] Wagenknecht wirbt somit um dieselbe für reaktionäre Ideologien besonders empfängliche Schicht der Wirtschaft,[6] wie die in grossen Teilen rechtsextremistische Alternative für Deutschland. Dieser geldgeilen, auf Deutschland fokussierten und für Ressentiments besonders empfänglichen Klientel, die – ungleich den Funktionseliten der exportabhängigen Grosskonzerne – sich um Deutschlands Auslandsimage einen Dreck schert, muss man als anständige Populistin halt entgegenkommen.
Somit muss Wagenknecht nicht nur bei der Hetze gegen Ausländer, Flüchtlinge und Arbeitslose (siehe Wagenknechts rechte Hegemonie) die AfD kopieren, sondern auch bei der Wirtschafts- und Steuerpolitik,[7] um die vermögenden Sozialdarwinisten, die im Verdacht stehen, die Anschubfinanzierung der AfD geleistet zu haben, nicht zu verprellen. Die populistische Sache mit den höheren Reichensteuern wird dann halt hintangestellt, während die Agenda 2010, die in den Hartz-IV-Arbeitsgesetzen kulminierte, von BSW-Leuten wie dem Europawahl-Spitzenkandidaten Thomas Geisel wieder gelobt wird.[8]
Heise und „Nachdenkseiten“
Ein weiterer Familienunternehmer, der offenbar ein Herz für solch einen AfD-kompatiblen Populismus hat, ist der Herr Heise vom Heise-Verlag. Der grösste IT-Verlag Deutschlands unterhält das Online-Magazin Telepolis, das 2021 von einer Querfront-Seilschaft aus dem Umfeld Wagenknechts übernommen wurde, um die ehemalige alternative Nische zu einem Querfrontorgan umzuformen. Da wird dann Werbung für Russland gemacht,[9] die Souveränität der Bundesrepublik angezweifelt,[10] Querdenker werden nach Querdenker-Morden vom Vorwurf des Terrorismus freigesprochen,[11] rechte Hetzer wie Boris Palmer in Schutz genommen,[12] oder die USA für den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine verantwortlich gemacht[13] – man ist offen für nahezu alles, was der putintreue, präfaschistische Wahn in der Krise so produziert.Bei Telepolis findet sich auch ein peinliches Interview mit einem einflussreichen und gut situierten Unterstützer Sahra Wagenknechts, mit Albrecht Müller,[14] dem Besitzer der sogenannten „Nachdenkseiten“. Bei solchen Interviews handelt es sich gewissermassen um ideologisch inzestuöse Selbstgespräche, bei denen die Querfront sich selbst interviewt. Die sogenannten „Nachdenkseiten“ des sozialdemokratischen Fossils Müller sind längst zu dem wichtigsten Querfrontorgan Deutschlands verkommen,[15] das faktisch als Propagandainstrument Wagenknechts fungiert. Hier liess sich die AfD-konforme Populistin schon im Februar 2023 etwa fragen, ob es nicht an der Zeit wäre, mit der AfD auch offen zusammenzuarbeiten.[16]
Anhand der sogenannten „Nachdenkseiten“ lässt sich gewissermassen der reaktionäre Verfall der krisenblinden keynesianischen Altsozialdemokratie nachvollziehen. Herr Müller ist zwar kein Mittelständler oder Unternehmer, doch kann der langjährige Regierungsmitarbeiter und Bundestagsabgeordnete als Vertreter der arrivierten Oberschicht charakterisiert werden – einer ignoranten Oberschicht, die sich reaktionäre, verschwörungstheoretische Hobbys wie die Nachdenkseiten leisten kann, in denen immer wieder Narrative der Neuen Rechten gepflegt werden. Herr Müller glaubt etwa, dass die BRD ein nicht voll souveräner „Vasall“ der USA sei[17] – einfach deswegen, weil die Bundesregierung nicht die prorussische Politik verfolgt, die Herr Müller, der im querfrontüblichen Grössenwahn sich wohl als die Verkörperung des deutschen Staatsinteresses imaginiert, für einzig richtig hält.[18]
Freitag und Berliner Zeitung
Neben diesen offenen Querfrontmedien lassen sich noch zwei wichtige wagenknechtfreundliche Multiplikatoren nennen, die gewissermassen „querfrontoffen“ sind: Die Berliner Zeitung und Der Freitag. In diesen im progressiven Spektrum verorteten Medien finden sich immer wieder in linke Rhetorik verpackte Narrative der Neuen Rechten, während bei innerlinken Auseinandersetzungen mit der Querfront für gewöhnlich die Anhängerschaft und die Sichtweise des national-sozialen Wagenknecht-Lagers die publizistische Oberhand behält.[19] Während der Auseinandersetzungen im Umfeld der Berliner „Friedensdemo“ Wagenknechts im Februar 2023, an der schon Faschisten teilnahmen,[20] wurde den Narrativen der Querfront in beiden Medien breiter Raum verschafft. Wagenknechtler konnten sich als Opfer linker Hetze inszenieren,[21] während die national-soziale Populistin, die gemeinsam mit Sezessions-Autoren auf der Bühne auftrat, als Realpolitikerin gelobt wurde.[22]Neben Texten, wie sie für linksliberale oder sozialdemokratische Medien üblich sind, finden sich in beiden Zeitungen auch reaktionäre, mitunter faschistoide Beiträge, in denen etwa Genderpolemiken[23] und rechte Anti-Antifa Narrative[24] verbreitet werden, oder als Migrationskritik getarnte Xenophobie propagiert wird.[25] Es gibt keine eindeutige Grenze nach rechts, die Übergänge sind fliessend: Das gewissermassen homöopathisch verabreichte faschistoide Gift führt zu Gewöhnungseffekten, es gerinnt zur Normalität.
Die Funktion dieses ideologischen Transmissionsriemens, der rechtes Gedankengut in die Linke hineinträgt, wird ganz konkret an dem „Migrationskritiker“ und Freitag-Autor Hannes Hofbauer[26] deutlich. Hofbauer veröffentlichte in seinem Promedia Verlag – in dem auch der Verschwörungsideologe Ernst Wolff verlegt wird, der Kontakte zur AfD unterhält – eine pseudolinke „Migrationskritik“, in der Flucht als Ausbeutungsinstrument dargestellt wird. Die rechte Masche, Ausländerhass als Migrationskritik zu verpacken, da Fluchtbewegungen angeblich nur „dem Kapital nützen“, fand auch Widerhall in der Linken: linksdümmliche Youtuber propagierten[27] diesen Unsinn und diskutierten[28] ernsthaft darüber. Selbst in der Zeitschrift Konkret, wo nach dem Tod Gremlizas auch mal Werbung für die Nachdenkseiten zu finden ist, wurde dieses Querfront-Ideologem verbreitet, das verzweifelte Fluchtbewegungen zum Kapitalisteninteresse verzerrt.
Erben und Mittelständler
Bei den Besitzern beider Medien, die solch eine querfrontoffene Blattline verfolgen, könnte es sich schlicht um Überzeugungstäter handeln. Die Berliner Zeitung ist Eigentum des mittelständischen IT-Unternehmerpaars Holger und Silke Friedrich, die das defizitäre Blatt 2019 erworben haben. Ihre Einstellung zur Kritik und Meinungsfreiheit trat während der Orbanaffäre in der Berliner Zeitung im Oktober 2022 zutage,[29] als die Eigentümer ihren Kulturchef degradierten, nachdem dieser in einem harmlosen Tweet bemerkte, dass er es „nicht für sinnvoll“ halte, den autoritären Rechtspopulisten Victor Orban „zu Gesprächen einzuladen“.Zuvor hatte Herr Friedrich – gemeinsam mit dem Herausgeber des rechten Cicero – eine längere Plauderei mit dem ungarischen Regierungschef und Erfinder der „illiberalen Demokratie“ abgehalten. Nachdem das Ehepaar Friedrich den Querulanten vom Kulturressort abgestraft hatte, liess es seinen Chefredakteur eine barock anmutende Lobeshymne verfassen, in der das Gespräch der Leserschaft als ein Akt der Zivilcourage und der Meinungsfreiheit verkauft wurde (wozu hat man schliesslich seine Chefredakteure?).[30]
Der steinreiche Freitag-Eigentümer und Verlegererbe Jakob Augstein hatte sein populistisches Erweckungserlebnis bereits als SPON-Kolumnist gehabt. Damals, als er bei Spiegel-Online den publizistischen Linksausleger spielte, entdeckte Augsteins seine Faszination für den AfD-Führer Alexander Gauland, nachdem dieser eine Paraphrase einer gegen „Globalisten“ gerichteten Hitler-Rede in der FAZ unterbringen konnte.[31] Der schwerreiche Verlegererbe Jakob Augstein, der seine Zeit als Journalist und Verleger verbringt, fand die modernisierte NS-Rhetorik Gaulands „mutig“, nicht nur „böse, sondern klug“.[32]
Gaulands NS-Kritik an den internationalen Eliten empfand das deutsche Elitenkind, das sich eine eigene Wochenzeitung hält, irgendwie zutreffend: „Man muss ihm zugestehen, dass er die Schwerkräfte richtig beschrieben hat, die an den westlichen Gesellschaften zerren“. Für den damaligen SPON-Kolumnisten Augstein schien sich diese NS-Logik, die Gegenüberstellung aus „Globalisten“ und „einfachen Menschen“, zu bestätigen.
Kleinbourgeoisie als gemeinsamer Nenner
Somit scheint es nur konsequent, wenn national-sozialen Querfrontnarrativen und BSW-Leuten im „linken“ Freitag und in der Berliner Zeitung immer mal wieder breiter Raum eingeräumt wird. Die Eigentümer dieser Medien, die früher auf den Begriff der Kleinbourgeoisie gebracht wurden, glauben schlicht an den populistischen Unsinn einer AfD-light. Und insofern hat auch die Linke in der Bundesrepublik ein Problem, da etliche Medien und Multiplikatoren in deren publizistischem Umfeld von reichen, weissen Mittelständlern, von vermögenden Erben und Oberschichtsangehörigen kontrolliert werden, die zumindest Sympathien für Wagenknechts national-soziale Demagogie hegen und der Querfront medialen Flankenschutz gewähren.Mit dem Mittelstand, mit der Kleinbourgeoisie spricht die Querfront dieselben Schichten innerhalb der kapitalistischen Funktionseliten an, wie die AfD. Die Gross- und Exportindustrie der Bundesrepublik, die zwangsläufig global denkt, verhält sich nach wie vor ablehnend gegenüber diesen faschistischen und/oder präfaschistischen Kräften[33] – auch wenn ihre Position aufgrund des aufkommenden Protektionismus zunehmend schwächer wird. Vielen Mittelständlern, Kleinunternehmern und auf den anämischen deutschen Binnenmarkt fokussierten Unternehmern sind solche absatzfördernden Rücksichtnahmen auf die öffentliche Meinung des Auslands fremd, weshalb diese Schichten innerhalb der kapitalistischen Funktionseliten[34] zuerst zum Faschismus überlaufen.
Es wäre aber verkehrt, die einflussreichen deutschen Querfront-Freunde mit den Förderern des Faschismus innerhalb der Funktionseliten gleichzusetzen, die dies mitunter schlicht aus ideologischer Überzeugung tun.[35] Ein anderer Beweggrund scheint bei der zur Querfront tendierenden Kleinbourgeoisie dominant: Es ist die Ahnung der Systemkrise des Kapitals, ohne die Einsicht in dessen überlebensnotwendige Überwindung gewinnen zu wollen – weil mensch sich halt obenauf wähnt. Die Systemkrise macht längst auch dem Mittelstand und der Oberschicht Angst, doch populistische Schlangenölverkäufer, die man sich gerne hält, verdrängen den unangenehmen Gedanken an die notwendige Systemtransformation.
Dem eingangs erwähnten Schatzmeister des BSW scheint zum Beispiel die Hetze gegen Flüchtlinge unangenehm zu sein, die Frau Wagenknecht praktizieren muss, um als populistische Grösse wahrgenommen zu werden. Gegenüber dem Spiegel bemerkte Herr Suikat nur, dass Migration „behutsam eingesetzt“ werden müsse.[36] Das ist eine sehr behutsame Umschreibung einer sehr hässlichen Sache. Wenn Wagenknecht etwa fordert, dass Flüchtlinge abgeschoben werden sollen, um deren Asylverfahren „natürlich auch in Afrika“ abzuwickeln,[37] dann muss man auch zur Kenntnis nehmen, was dort mit Flüchtlingen geschieht – wenn sie etwa in Tunesien von Polizeikräften in der Wüste ausgesetzt werden.[38] Darauf – auf Massenmord an einer „überflüssigen“ Menschheit – taumelt der Spätkapitalismus in seiner Agonie zu. Nur dessen emanzipatorische Überwindung könnte diesen Absturz in die Barbarei noch verhindern.