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Rechtsruck: Faschismus und Antifaschismus nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

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Das Ergebnis eines seit Jahren beobachtbaren Rechtsrucks Faschismus und Antifaschismus nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

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Politik

Obwohl sich alle bürgerlichen Parteien nach Kräften bemüht haben, den Beweis anzutreten: man muss nicht unbedingt AfD wählen, man kann auch schwarz, gelb, grün oder orange wählen, um eine rassistische und militaristische Politik voranzutreiben, haben in den beiden Bundesländern je ein Drittel der Wählenden, erwachsene und mündige Menschen, dennoch AfD gewählt.

Wahlplakat des rechtsextremistischen Landesverbands
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Wahlplakat des rechtsextremistischen Landesverbands "AfD Thüringen" im thüringischen Mödlareuth zur EU-Wahl 2024. Foto: PantheraLeo1359531 (CC-BY 4.0 cropped)

Datum 4. September 2024
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Also eine Partei, in der es nicht nur völkische und rassistische Nazis gibt, sondern die, sogar nach Einschätzung des staatlichen Geheimdienstes „Verfassungsschutz“ in Thüringen, als Ganzes extrem rechts zu verorten ist, und an deren Spitze der mehrfach verurteilte Nazi Björn Höcke steht.

Das war keine „Protest“- oder „Denkzettel“-Wahl. Das ist weithin die Überzeugung der Wählenden, wie zB. in der Wahlnacht der Erklärbär der ARD an Indizien festmachen konnte: in Thüringen und Sachsen halten grosse Gruppen der Bevölkerung die AfD in folgenden Punkten für die kompetenteste Partei: soziale Sicherheit, Migration, innere Sicherheit, Kriminalitätsbekämpfung, Frieden. Dass Höcke ein gerichtsnotorisch festgestellter Nazi ist, kann jede:r wissen. Wer dennoch AfD wählt, will einen Nazi wählen.

Das ist das Ergebnis eines seit Jahren beobachtbaren rasanten Rechtsrucks, zu dem es natürlich nicht, wie oben formuliert, trotz der sich beschleunigenden Anpassungsversuche nach rechts in allen Parteien gekommen ist, sondern erstens, weil die soziale Ungleichheit und Unsicherheit, das Ergebnis der jahrzehntelangen Politik genau dieser Parteien, weiter zunimmt, und zweitens, weil diese Parteien durch ihre opportunistische Rechtsverschiebung in Theorie und Praxis den demagogischen Politikangeboten der faschistischen AfD auch noch scheinbare Plausibilität und vor allem: Legitimität verliehen haben. Man kann nicht erst ankündigen, man wolle „endlich im grossen Stil abschieben“ (Olaf Scholz) und anschliessend glaubwürdig der migrant:innenfeindlichen und rassistischen Hetze der AfD entgegentreten. Das war Schmierseife auf der steilen Rutschbahn nach rechts.

Dass es auf diese Weise nun dazu kommt, dass einhundert Jahre nach dem nicht zuletzt in Thüringen beginnenden Aufstieg der NSDAP zur Regierung erneut Faschist:innen dort nach der Macht greifen können, ist deshalb kein Wunder. Das fällt nicht vom Himmel.

Die Dramatik an diesem Vorgang besteht auch darin, dass er die entscheidenden Probleme der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland und weit darüber hinaus verdeckt: Klimakatastrophe, Weltkriegsgefahr, soziale Ungleichheit bis hin zur globalen Entwicklungs-Apartheid.

Faschismus ist Ausdruck der maximal brutalen, terroristischen Form der Machtausübung der herrschenden Klasse in imperialistischen Gesellschaften. Praktisch alle Staaten der Erde sind heute im imperialistischen Stadium der Entwicklung des Kapitalismus angekommen, auch wenn sie im imperialistischen Weltsystem ein sich ständig veränderndes Abhängigkeits- und Über- / Unterordnungsverhältnis darstellen. Der Übergang zum Faschismus ist in jedem dieser Staaten möglich und immer fliessend. Das ist auch in Deutschland so, einem der mächtigsten imperialistischen Staaten.

So sehr das stimmt, so abstrakt ist es auch nur richtig.

Die Konkretion der faschistischen Entwicklung heute besteht im breit angelegten Versuch, die oben genannten anstehenden zentralen Probleme nicht zu lösen, sondern ihre Lösung zu verschieben – im letzten Endes profitgetriebenen Interesse der möglichst langen Aufrechterhaltung der herrschenden, der kapitalistischen / imperialistischen Verhältnisse. Er ist das Ergebnis einer „Weiter so!“-Politik aller Facetten der bürgerlichen Gesellschaft, besonders natürlich ihrer ökonomischen Struktur und klassengesellschaftlichen Machtverhältnisse.

Denn die mögliche, denkbare, umsetzbare Lösung der genannten zentralen Probleme und ihres inneren Zusammenhangs miteinander liegt jenseits der Systemgrenze.

Das kann man natürlich bestreiten, und es wird bestritten. Die FDP zB wird nicht müde, in geradezu religiösem Eifer die „Technologieoffenheit“ irgendeiner künftigen technisch-wirtschaftlichen Entwicklung als Lösungsstrategie zur Verhinderung der beginnenden Klimakatastrophe anzurufen. Dem entspricht auf gemässigt linker und reformistischer Seite die Hoffnung, man könne den Herrschenden im Prozess einer „Transformation“ irgendwie die Macht unterm Hintern wegstiebitzen, ohne, dass sie es merken und sich entsprechend wehren.

Mögen alle, die wirklich ernsthaft glauben, auch diesseits eines Umsturzes der kapitalistischen Unordnung und ihres Staats seien die Klimakatastrophe, der nächste imperialistische Krieg, die gigantische globale Ungleichheit zu verhindern oder umzukehren, nun bitte möglichst schnell den Beweis dafür antreten! Die Zeit drängt, auch wenn Friedrich Merz ernsthaft glaubt, man habe ja noch zwanzig Jahre Zeit, zB. das Problem der Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 irgendwie in den Griff zu bekommen. Alle anderen ahnen: zB. das drohende Abreissen des Golfstroms mit seinen desaströsen Folgen für ganz Europa kann dem um Jahre zuvorkommen.

Für alle, die nicht so denken wie der CDU-Vorsitzende wird es Zeit, sich zusammenzusetzen und darüber zu beraten, wie auch jetzt noch Klimakrise, Kriegsgefahr und Ungleichheit an der Wurzel packend, also radikal, beseitigt werden können.

Aus dieser Perspektive wird deutlich, was Faschismus und Antifaschismus in seiner aktuellen Konkretion ist. Faschismus, das ist auch, aber nicht im Kern die AfD. Sondern das ist die drohende und wahrscheinliche politische Form, die in den Abgrund führende gesellschaftliche Ordnung und Entwicklung mit den Mitteln gesellschaftlicher Bewusstseins-Formierung und offener Gewalt bis zum allerletztmöglichen Augenblick so zu verteidigen, wie sie ist. Und das wird sicher nicht die Aufgabe der AfD sein.

Dennoch: Antifaschismus ist heute natürlich auch Kampf gegen die AfD. Aber er ist im Kern viel grundsätzlicher. Er muss die die Auseinandersetzung mit der drohenden Gefahr sein, dass die notwendige Lösung der grundlegenden gesellschaftlichen Probleme im Ernstfall mit faschistischer Gewalt verhindert werden könnte. Er ist die Anstrengung, das zu verhindern - was gerade nicht heisst, den Bestand der bürgerlichen Ordnung zu verteidigen, sondern mit daran zu arbeiten, der herrschenden Klasse die Möglichkeit der faschistischen Option zu entreissen.

Die fatale Rolle der AfD besteht deshalb nicht nur in ihrem unverhohlenen Anschluss an völkisch-nazifaschistische Formen und Inhalte des Antikommunismus, Antisemitismus, des Hasses auf alle Linken und migrantischen „Nichtdeutschen“, in ihrer gewaltbereiten Form des Auftretens. Sie besteht, viel schlimmer, im Verdecken, in der Ablenkung der Aufmerksamkeit auf die eigentlichen Wurzeln einer drohenden faschistischen Entwicklung.

Das haben nicht zuletzt die, wie man jetzt sieht, leider weitgehend folgenlosen obwohl begrüssenswerten riesigen Demonstrationen gegen die AfD im Frühjahr 2024 gezeigt. „Alle gemeinsam gegen den Faschismus!“ zusammen mit CDU, FDP, Grünen- und SPD-Führung sowie den Unternehmerverbänden – das hat, wie leider absehbar, nicht funktioniert.

Letztlich kann eine faschistische Entwicklung nur durch die Beseitigung ihrer gesellschaftlichen Wurzeln verhindert werden. Alle, die sich dem Ziel einer Gesellschaft des Antifaschismus, Antimilitarismus, Antikapitalismus und Antiimperialismus verpflichtet sehen, sind aufgerufen, jede:r an der eigenen Stelle und so gemeinsam wie möglich am Ausreissen dieser Wurzeln zu arbeiten, letztlich also an der Beseitigung des Kapitalismus. Dabei ist auch, aber insgesamt nicht an entscheidender Stelle, die AfD der Feind: alle Kräfte, die den Fortbestand des Kapitalismus – Imperialismus als Möglichkeit oder gar Ziel vertreten, werden letztlich eine faschistische Entwicklung zu- oder wegschauend ermöglichen oder ihr sogar aktiv den Weg bereiten.

Wer, was heute leicht geschehen kann, die antifaschistische, antikapitalistische, antimilitaristische und antiimperialistische Orientierung verliert, rutscht schnell ohne Kompass nach rechts. Aber in dieser Richtung darf es keinen Schritt weiter zurück gehen.

„Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
(Buchenwald, 11. April 1945)

Hans Christoph Stoodt