Interview mit der Antirep-Aktivistin Detlef Georgia Schulze Rechtstheorie im Praxis-Text
Politik
Antirep-Aktivistin und Rechtstheoretikerin Detlef Georgia Schulze soll sich nach dem deutschen Vereinsgesetz strafbar gemacht haben.
Mehr Artikel
23. Oktober 2024
2
0
5 min.
Drucken
Korrektur
Antwort: Wenn es tatsächlich ein Strafbefehl oder eine Anklage wegen meiner Archiv-Spiegelung gewesen wäre, wäre es nicht überraschend gewesen: Die hatte ja ein Impressum mit Namen; ich hatte eine Pressemitteilung dazu verschickt und auch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg informiert. Dass da etwas nachkommt war einkalkuliert, wenn nicht sogar beabsichtigt.
In dem Strafbefehl wird mir aber kurioserweise nicht vorgeworfen, für meine eigene Archiv-Spiegelung verantwortlich zu sein, sondern für die unter der Adresse: linksunten.tachanka.org. Das war ich aber nicht – auch wenn ich begrüsse, dass es mehrere Archiv-Spiegelungen gibt.
Frage: Steht der Strafbefehl vlt im Zusammenhang mit dem Kienert-/Radio Dreyeckland-Prozess? Du bist ja auch an diesem Verfahren beteiligt gewesen…
Antwort: Ja, ich war als Zeuge/in geladen und hatte nach korrekter Darstellung im RDL-Urteil des Landgerichts Karlsruhe Folgendes ausgesagt: „Bei zeugenschaftlicher Vernehmung von S. (im Folgenden: S.), gegen den/die von der Staatsanwaltschaft Berlin gesondert wegen des Vorwurfs, eine Spiegelseite des ‚linksunten Archivs' erstellt zu haben, ermittelt wird, gab diese/r an, am 25.08.2017 ziemlich früh von dem Verbot mitbekommen zu haben. S. sei dazu fähig gewesen, die Software ‚HTTrack' zur Spiegelung der Webseite anzuwenden und habe auch ein politisches Interesse daran gehabt. Die Frage des ‚ob' wolle er jedoch – unter Berufung auf sein Auskunftsverweigerungsrecht aus § 55 StPO – nicht beantworten.“
Insofern wäre noch naheliegend gewesen, dass mir die ursprünglich Archiv-Veröffentlichung unter der Adresse linksunten.archive.indymedia.org vorgeworfen wird – aber auch darum geht es in dem Strafbefehl nicht…
Angemerkt sei noch, dass bei HTTrack nicht um meine Spiegelung des Archivs ging (die war eh einfach), sondern darum, ob sich LeserInnen die linksunten-Daten noch am Vormittag des Verbotstages von der linksunten-Website auf den eigenen Rechner runterladen – und später dann für eine Archiv-Veröffentlichung verwenden – konnten.
Frage: Wie bewertest du den Strafbefehl juristisch und auch politisch?
Antwort: Juristisch ist der Strafbefehl ein Witz. In meinem Einspruch, den ich gegen den Strafbefehl eingelegt habe, schreibe ich: „Es stellt sich die Frage, ob der Strafbefehls-Antrag der Staatsanwaltschaft ein Produkt einer allzu wein- oder bierselig geratenen Geburtstags- oder Jubiläumsfeier in der Staatsschutz-Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft ist.“
Politisch kann daraus wohl geschlussfolgert werden, dass der Staat die linke Szene nicht mehr ernst nimmt (womit er ja – angesichts unserer Schwachbrüstigkeit – nicht ganz Unrecht hat…), und nicht gerade seine qualifiziertesten Leute dafür abstellt, solche Verfahren zu bearbeiten. – Es war auch schon im Radio Dreyeckland-Prozess zu sehen, dass Staatsanwalt Graulich recht lustige Vorstellungen davon hatte, wie Computer und das Internet funktionieren…
Frage: Glaubst du, dass die BMI-Verbotsverfügung doch noch juristisch geprüft werden könnte?
Antwort: „Könnte“ – ja. Ob es tatsächlich gemacht wird: eher nein. – Würde mir ein ernstzunehmender Vorwurf wegen meiner tatsächlichen Archiv-Veröffentlichung gemacht, würde ich auch zu dem grundlegenden Problem (dem linksunten-Verbot) noch mal etwas schreiben – ob sich die Gerichte dann davon überzeugen lassen, steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt.
Frage: Und was würdest du dann schreiben?
Antwort: In etwa das, was wir schon im Sommer des vergangenen für de.indymedia besprochen hatten (dazu, das genauer auszuarbeiten, bin ich noch nicht gekommen). Vielleicht sollten wir das hier Anhängen.
Frage: Ja, das können wir machen. – Aber warum arbeitest Du es jetzt nicht aus und reichst es, wo doch nun den Strafbefehl erhalten hast?
Antwort: Weil jedes Gericht sagen wird, dass die – komplizierte – Frage, ob das linksunten-Verbot rechtmässig war und ob es darauf jetzt für Strafverfahren noch ankommt, dahinstehen kann, wenn die angeklagte Person (also ich) nicht wegen einer eigenen Spiegelung des linksunten-Archivs, sondern einer fremden angeklagt ist; wenn schon das Tatdatum (im Strafbefehl: 1. Februar 2020; das Archiv unter der Adresse linksunten.tachanka.org wurde aber bereits am 16. Januar 2020 veröffentlicht) falsch ist und wenn der Strafbefehl noch einige andere Merkwürdigkeiten aufweist.
Frage: Wie beurteilst du allgemein die Forderungen nach Verboten von Medien und Parteien? Vor kurzem wurde ja viel über ein Verbot der AfD diskutiert. Bei einer 30%-Partei in einigen Bundesländern für die „bürgerlich Demokratie“ eine kitzlige Sache, oder?
Antwort: Das Verbot einer Partei mit der Stärke der AfD wäre sicherlich schwieriger durchzusetzen, als der BRD-Staat in den 50er- und 60er Jahren das KPD-Verbot durchsetzen konnte – die KPD war in der Nachkriegszeit von Anfang an nur eine ca. 5 %-Partei und schon auf dem absteigenden Ast, als die strafrechtliche KommunistInnen-Verfolgung einsetzte. Als das Verbot erfolgte, gab es dann kaum noch etwas zu verbieten… Abgesehen von der Durchsetzbarkeits-Frage stellt sich die Frage, ob es überhaupt eine taugliche antifaschistische oder anti-rechtspopulistische Strategie ist, den Antifaschismus oder den Anti-Rechtspopulismus an den deutsch-bürgerlichen Staat zu delegieren.
Frage: Danke für deine bisherigen Antworten. Eine letzte Frage: Ich weiss, du magst keine prognostischen Zukunftsfragen, aber trotzdem versuche ich es. Hast du irgendeine Idee, was man gegen die von dir erwähnte „linke Schwachbrüstigkeit“ tun kann – oder tun sollte?
Antwort: Lenin lesen und drüber nachdenken, statt rummoralisieren.