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Rede von Klaus Jünschke zum 80. Geburtstag von Lutz Taufer

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Lutz wird 80 Rede von Klaus Jünschke zum 80. Geburtstag von Lutz Taufer

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Politik

Lutz und ich studierten in Mannheim Psychologie. Unklar, wann genau wir uns kennenlernten. Beate, die Schwester von Lutz, fing vor ihm mit dem Psychologiestudium an.

Datum 4. September 2024
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Mannheim war eine junge Universität, erst 1967 war aus der staatlichen Wirtschaftshochschule die Universität Mannheim geworden. Entsprechend klein war der SDS. Ich hatte schon bei der Bundeswehr einen kennengelernt, der mir vom SDS berichtete. Als ich im Sommersemester 1968 mit dem Studium anfing, gab es auf den ersten Treffen des SDS Rückblicke auf die Bemühungen die Auslieferung der Bildzeitung in Esslingen zu verhindern.

Bundesweit gab es solche Aktionen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11. April 1968. Als wir im Sommer 1968 versuchten im Schlosshof (die Universität war im Schloss) die erste Vereidigung von Soldaten nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze zu verhindern, waren wir 28, die von der Polizei in eine grosse Ausnüchterungszelle ins nahe Polizeipräsidium bis zum Ende der Veranstaltung eingesperrt wurden.

Monate später gab es gegen jeden einzelnen eine Gerichtsverhandlung, die mit einer kleinen Geldstrafe endete. Unvergesslich ist die 1.Mai-Kundgebung 1968 bei der damalige SDS Bundesvorsitzende Karl-Dietrich Wolff die auf dem Messplatz Versammelten aufforderte zur Universität zu ziehen. Der Demonstrationszug von mehreren Tausend Arbeitern und Studenten nahm die ganze Breite Strasse ein. Immer wieder wurde skandiert „Ich streike, Du streikst, wir streiken, alle streiken. Generalstreik, Generalstreik, Generalstreik.“

Es ist nicht gelungen, daraus eine feste Zusammenarbeit zu entwickeln. In den folgenden Jahren haben wir mehrmals die Griechen und die Spanier unterstützt, wenn sie mit ihren Demonstrationen die Abschaffung der Diktaturen in Griechenland und Spanien forderten. Den Comisiones Obreras haben wir geholfen an Wochenende in Hörsälen Versammlungen abzuhalten. Was Folter bedeutet hat uns ein spanischer Maler geschildert, den Beate Taufer und ihre WG-Mitbewohnerinnen vom Urlaub auf Ibiza nach Mannheim brachten.

Die NPD war damals in sechs Landtagen eingezogen und in Baden-Württemberg hatte sie mit bei den Landtagswahlen im April 1968 mit 9,8% ihr höchstes Wahlergebnis. Ich erinnere mich an unsere Versuche den Mannheimer Rosengarten zu blockieren, wo die NPD Grossveranstaltungen abhielt. In der damaligen Zeit erlebten alle, die auf der Strasse mit roten Fahnen demonstrierten, dass ihnen normale Bürger empfahlen „Geht doch nach drüben, wenn es Euch hier nicht passt“ oder auch ganz unverblümt „Unter Hitler wärt ihr vergast worden“.

Die meisten Demonstrationen in den 60er Jahren waren Proteste gegen den Krieg der USA in Vietnam. Mannheim war eine Garnisonsstadt mit vielen Kasernen, Barracks. Das war auch damals Hauptthema der Ostermärsche. „Keine Mark und keinen Mann, für den Krieg in Vietnam.“ Später wurden solche pazifistischen Parolen von „Sieg im Volkskrieg“ und „USA SA SS“ abgelöst.

In Erinnerung sind mir auch Aktivitäten für ein Jugendzentrum in der Stadt. Als im Nationaltheater das Hippiestück „Tut was ihr wollt“ Premiere hatten, besetzten wir die Bühne und thematisierten das Fehlen eines Jugendzentrums in der Stadt. Mit Schülerinnen und Schüler vom Aktionszentrum unabhängiger sozialistischer Schüler (AUSS) machen wir einen Arbeitskreis im ASTA. Meiner Erinnerung nach kam Hans-Jürgen Krahl aus Frankfurt zwei Mal nach Mannheim um unseren kleinen SDS zu unterstützen. Ich habe ihn milde lächelnd über unsere kleine Gruppe in Erinnerung. Als sich in den Fakultäten Rote Zellen und Basisgruppen bildeten, initiierten wir vom SDS in Mannheim die Basisgruppe Politische Psychologie.

Bundesweite Aufmerksamkeit bekam Dieter Duhm mit seiner Diplomarbeit „Angst im Kapitalismus“. Wir hatten als Psychologiestudenten das Interesse uns mit den eigenen Problemen auseinandersetzen. Mit einem Psychologen aus Heidelberg machten wir eine Selbsterfahrungsgruppe, die sich regelmässig in einer unserer Wohngemeinschaften traf. Individuell experimentierten wir mit LSD. Einer von uns, der davon zu oft und zu viel konsumierte, hat sich im Badezimmer der elterlichen Wohnung erhängt. Als wir 1970 von der Gründung des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK)in Heidelberg hörten, haben sich die meisten von uns auf den Weg nach Heidelberg gemacht, um sich das mal anzusehen. Wir machten uns damals Gedanken, wie eine revolutionäre Berufspraxis nach dem Ende des Studiums aussehen könnte. Das SPK schien eine Antwort zu sein. „Aus der Krankheit eine Waffe machen.“ Das Herrschaftsverhältnis in der Arzt-Patient-Beziehung zu überwinden, aufzulösen, war attraktiv.

Margit Schiller, die damals Psychologie in Heidelberg studierte, hat in ihren Erinnerungen anschaulich festgehalten, was das SPK damals für uns bedeutet hat:

„Ich schrieb mich sofort für Einzelgespräche ein, die im SPK ‚Einzelagitationen' hiessen. In den Sitzungen hatte ich ein grosses Bedürfnis, erst einmal über mich, meine Lebensgeschichte, meine Unsicherheiten, Ängste und meine Suche nach etwas anderem zu sprechen. Anfangs ging ich ausschliesslich deshalb mehrmals die Woche ins SPK Dabei wurde mir klar, dass meine Einsamkeit und Traurigkeit, die vielen Probleme, die ich mit mir selbst hatte, nicht mein persönliches und unentrinnbares Schicksal waren…Nach wenigen Wochen fühlte ich mich im SPK zuhause.

Ich nahm an mehreren Arbeitskreisen teil, schrieb mit Anderen Flugblätter, vervielfältigte sie auf der kleinen Maschine, fühlt mich wohl und arbeitete voller Energie mit. Auf dem alten Plattenspieler liessen wir immer wieder „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ von der Gruppe ‚Ton, Steine, Scherben' laufen und singen aus Leibeskräften den Text mit, der zu dieser Zeit unser Lebensgefühl ausdrückte. Es war immer was los. Kleine oder grössere Gruppen diskutierten hitzig über aktuelle Ereignisse, die Lage in der Welt, über Bücher oder persönliche Fragen, Protestaktionen oder Demonstrationen wurden vorbereitet.“

Am 12.2.1970 gegründet gab das SPK schon eineinhalb Jahr später, im Juli 1971 seine Selbstauflösung bekannt. Alle Bemühungen an der Universität institutionalisiert zu werden, waren gescheitert. Einer Delegation des SPK hat der damalige Kultusminister Hahn erklärt: „Das SPK ist Wildwuchs, der beseitigt werden muss.“

Um den Apartheidstaat Südafrika mit Strom zu versorgen, sollte in der portugiesischen Kolonie Mosambik der Staudamm Cabora Bassa gebaut werden. Um das voranzubringen fand in Heidelberg eine Geberkonferenz statt, an der auch Mc Namara teilnahm, früher Kriegsminister der USA, damals Weltbankpräsident. Die Protestdemonstration am 19. Juni 1970 wurde von der Polizei zusammengeknüppelt, aber sie stiessen auf Widerstnad. An den Strassenschlachten beteiligten sich auch viele Aktivisten aus dem SPK. Sechs Tage später wurde der Heidelberger SDS verboten. Die Militanz der Cabora Bassa Demonstration liess Mitglieder der RAF nach Heidelberg reisen. Aber die Organisatoren der Demo waren längst auf dem Partei-Aufbau-Trip und hatten kein Interesse an Stadt-Guerilla. Aber durch ihren Aufenthalt in Heidelberg wurden Andreas Baader und Gudrun Ensslin auf das SPK aufmerksam.

In einer nicht unsolidarischen Kritik an der RAF schrieb die Theologin Dorothee Sölle 1972: „Gerade wo sie keine Massenbasis hat, da braucht sie als Aktion von vorläufig einzeln Kämpfenden, eine grössere strategische Rationalität.“

Die sogenannte Mai-Offensive der RAF mit ihren Bomben gegen US-Militärs, Polizei, einen Ermittlungsrichter und die Zentrale des Springer-Verlags führte im Frühjahr 1972 zur Verhaftung fast aller damaligen Mitglieder der RAF.

Was hätte eine grössere strategische Rationalität sein können? Vielleicht die Orientierung an Beate Klarsfeld, die im März 1971 mit ihrem Mann vergeblich versuchte Kurt Lischka, den Gestapo-Chef von Paris, nach Frankreich zu entführen? Wie hätte sich die Geschichte der RAF und der Bundesrepublik entwickeln können, wenn die RAF einige der im Braunbuch der DDR aufgelisteten Nazi-Massenmörder in die Nachbarländer der Bundesrepublik gebracht hätte, wo sie gesucht wurden? Es wäre auf jeden Fall eine angemessene Reaktion auf „unter Hitler hätte man euch vergast“ gewesen.

Karl-Heinz Roth fragte sich in seinem Text über „Die historische Bedeutung der RAF“ warum die antiautoritäre Protestbewegung und die daraus entstandene Stadtguerilla auseinander gingen. Die Erfahrungen in der Stadtteilarbeit im Märkischen Viertel und die Solidarität mit den aus den geschlossenen Heimen abgehauenen Fürsorgezöglingen führten zum Beispiel nicht zu Geldverteilungen aus den Bankenteignungen in den Obdachlosenasylen. Er fragt „Warum ist das Motto. Dem Volke dienen, von der RAF so wenig konkret und so abstrakt antiimperialistisch eingelöst worden?“

Lutz und ich und eine Reihe anderer ehemaliger aus der RAF sind Überlebende einer Geschichte in der viele gestorben sind. Aus dem Sozialistischen Patientenkollektiv waren das Siegfried Hausner, Elisabeth von Dyck und Gerhard Müller, der zum Kronzeugen wurde.

Klaus Jünschke