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Tarifabschluss der IG BCE: Dauerhafte Lohnsenkung vereinbart!

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Dauerhafte Lohnsenkung vereinbart! Tarifabschluss der IG BCE

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Politik

In Deutschland stehen alle solidarisch zusammen. Aber Arbeitskämpfe dürfen sein – wo kämen wir sonst hin mit unserer freiheitlichen Wirtschaft?

Hauptgebäude der Industriegewerkschaft Bergbau und Chemie (IG BCE) am Königsworther in Hannover.
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Hauptgebäude der Industriegewerkschaft Bergbau und Chemie (IG BCE) am Königsworther in Hannover. Foto: Bernd Schwabe in Hannover (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 1. November 2022
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„Mission erfüllt“ titelt die IG BCE zum Ergebnis der aktuellen Tarifverhandlungen und rechnet auch gleich ihr Ergebnis mit Blick auf die unteren Lohngruppen schön: bis zu 15,6 Prozent gibt es mehr! Gross nachrechnen will in dieser Situation offenbar niemand, die Medien übernehmen unkritisch diese Meldungen, die FAZ z.B. bringt die zweistellige Zahl gleich in der Überschrift ihres Berichts.

Passend dazu ihr Kommentar, der voll des Lobes ist: „So funktioniert Partnerschaft“ (FAZ, 19.10.22). Erinnert wird daran, dass die Tarifparteien der Chemieindustrie sowieso nicht „durch Krawall und Arbeitskämpfe“ auffallen, aber der neue Abschluss liefere jetzt geradezu „Lehrmaterial darüber, wie gute Sozialpartnerschaft funktioniert“.

Schauen wir also mal genauer hin, welche Lehren man diesem Abschluss entnehmen kann.

Die Tarifrunde – die Gewerkschaft kämpft

Die DGB-Gewerkschaft IG BCE und der Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) haben sich Anfang Oktober auf ein neues Tarifpaket für die 580.000 Beschäftigten der Chemie- und Pharmabranche geeinigt. Ursprünglich sollte die Tarifrunde im Frühjahr stattfinden, wurde wegen des Krieges in der Ukraine dann – bei Vereinbarung einer Einmalzahlung von 1.400 € – auf den Herbst verschoben.

Der Krieg hat das Leben in Deutschland nicht billiger gemacht und die Arbeit nicht weniger. So bestand aller Grund für eine Arbeitervertretung, hier mit Forderungen nachzulegen. Doch „Heisser Herbst“ war nicht. Recht besehen ist es nämlich ein mickriges Ergebnis, was die FAZ auch beiläufig in ihrem Lob ausplaudert: „Die sogenannte tabellenwirksame Tariferhöhung bleibt mit 6,5 % bis Mitte 2024 zwar ein sichtbares Stück hinter der aktuellen Teuerung zurück. Das hilft aber den Betrieben bei der Standort- und Arbeitsplatzsicherung...“ (FAZ)

So ist es. Der Abschluss orientiert sich nicht an den Notwendigkeiten der Gewerkschaftsmitglieder, sondern an der Wirtschaftslage der Unternehmen. Die haben, wie Preiserhöhungen auf breiter Front und ausgeschüttete Dividenden zeigen, die Lage bislang weidlich ausgenutzt. Aber die Sicherheit, dass sie weiterhin erfolgreich agieren, darf nicht durch Lohnerhöhungen gefährdet werden.

Wenn die Gewerkschaft jetzt von einer erfüllten Mission spricht, dann sollte man also schon mal fragen, in welcher Mission sie unterwegs war:

„Man hätte nicht weniger als die 'Quadratur des Kreises' angestrebt, also eine schnelle, spürbare und deutliche Entlastung für die Beschäftigten und eine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte, die aber die Unternehmen der Chemiebranche nicht überfordert, sagte er.“ (IG BCE-Verhandlungsführer Ralf Sikorski)

Was hier als Quadratur des Kreises gekennzeichnet wird, ist der Widerspruch jeder Gewerkschaft: Sie gibt es, weil der Lohn oder das Entgelt, wie es heute im Gewerkschaftsdeutsch heisst, einen Kostenfaktor für die Unternehmen darstellt, der den Gewinn, um den es im Unternehmen geht, begrenzt, womit er von vornherein als eine prekäre Grösse rangiert. Beschäftigung oder Arbeitsplätze gibt es nämlich nur dann, wenn sich das für das Unternehmen lohnt. Deshalb orientiert sich der Lohn nicht an dem, was Arbeiter und Angestellte zum Leben brauchen, sondern an dem, was sich das Unternehmen die Beschäftigung von Arbeitskräften kosten lassen will.

Um dennoch über die Runden zu kommen, braucht es den Zusammenschluss der Arbeiter und Angestellten und deren Drohung mit Arbeitsverweigerung; nur so ist es möglich, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Arbeitnehmer müssen demjenigen Schaden androhen oder auch bereiten, von dem sie abhängig sind. Und aus dieser Abhängigkeit will sich eine gewerkschaftliche Interessenvertretung nicht befreien, sondern behandelt sie als ihre Geschäftsgrundlage: Auf der Basis handelt sie die jeweiligen Bedingungen beim Ankauf der Ware Arbeitskraft aus.

In diesem Widerspruch bewegt sich eine Gewerkschaft. Davon will aber eine IG BCE nichts wissen, wenn sie von der Quadratur des Kreises spricht. Aus der Abhängigkeit der Arbeitnehmer von der Kalkulation des Unternehmens macht sie eine Partnerschaft:

„In dieser historischen Ausnahmesituation mit ungekannten Inflationsraten und drohender Rezession haben die Tarifparteien Verantwortung für die Beschäftigten, den Industriestandort und die Binnennachfrage zugleich übernommen“, lobte IG BCE-Chef Michael Vassiliadis das Ergebnis. (Ebenda)

Den Gegensatz vereinbar zu machen ist eben das Ziel dieser Gewerkschaft, die in ihrer Tarifauseinandersetzung die Löhne explizit als eine Bedrohung für den Erfolg der Unternehmen betrachtet, die deshalb nicht „zu hoch“ ausfallen sollen. Gleichwohl müssen natürlich auch die Mitglieder mit ihrem niedrigen Lohn über die Runden kommen, schliesslich werden sie ja gebraucht. Am Ende auch dafür, um die Produkte, die sie zwar herstellen, die ihnen aber nicht gehören, zu kaufen. Denn all die schönen Waren, Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen müssen ja auch gewinnbringend versilbert werden.

So erscheinen die Arbeitskräfte gleich doppelt. Als Lohnabhängige müssen sie billig sein – wie würde der „Industriestandort“ sonst in der Welt dastehen –, als Käufer sollen sie möglichst über einige „Kaufkraft“ verfügen. Und so sorgt sich die Gewerkschaft selbst da, wo sie das Auskommen ihrer Mitglieder im Visier hat, nicht nur darum, sondern um den Erfolg der Unternehmen – und um den Erfolg Deutschlands als globale Wirtschaftsmacht sowieso. Das bedeutet allerdings für die so vertretenen nichts Gutes.

Das Ergebnis – die Gewerkschaft gibt Frieden

Weil die Gewerkschaft mit ihrem aktuellen Abschluss den widerstreitenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gerecht werden wollte, umfasst das Ergebnis auch mehrere Komponenten: „Das verhandelte Entlastungspaket sieht als tarifliches Inflationsgeld steuerfreie Sonderzahlungen in zwei Tranchen von jeweils 1500 Euro pro Kopf vor, die spätestens im Januar 2023 und im Januar 2024 fällig werden. Ebenfalls jeweils zum Januar 2023 und 2024 greifen zudem tabellenwirksame Entgelterhöhungen von je 3,25 Prozent, in der Summe also 6,5 Prozent.

Letztere gelten auch für die Auszubildenden, die zusätzlich je 500 Euro Sonderzahlungen in zwei Tranchen erhalten (insgesamt 1000 Euro). Die Tariferhöhungen können aus wirtschaftlichen Gründen mittels Betriebsvereinbarung um bis zu drei Monate verschoben werden, für die Sonderzahlungen gilt dies nicht.“ (IG BCE)

Die Sonderzahlungen sind nicht der Gewerkschaft eingefallen, sondern das Ergebnis eines politischen Beschlusses. Er zielt darauf, sie davon abzuhalten, Forderungen in Höhe der Inflation zu stellen. Dazu hatte ja Kanzler Scholz im Sommer dieses Jahres eigens die „Sozialpartner“ ins Kanzleramt geladen. Die Regierung wollte mit einer neuen konzertierte Aktion „auf die steigenden Preise reagieren und verhindern, dass steigende Löhne die Inflation weiter antreiben“ .

Angestrebt wird so im Endeffekt eine dauerhafte Lohnsenkung. Denn wenn die Preise weiter steigen – und die Unternehmen erhöhen sie ständig mehr oder weniger –, dann wird das Geld, das die Arbeitnehmer verdienen, immer weniger wert.

Die politische Vorgabe hat sich denn auch die IG BCE mit den Sonderzahlungen 2023 und 2024 zu eigen gemacht. Dass diese Sonderzahlungen ohne die üblichen Abzüge von Steuern und Sozialabgaben erfolgen können, soll sie besonders attraktiv für Arbeitgeber und Arbeitnehmer machen; den ersteren werden Kosten erspart, letztere erhalten so mehr Geld, das aber später auch nicht in die Rentenberechnung einfliesst und natürlich nicht die Basis für die nächsten prozentualen Erhöhungen darstellt.

Das Geld soll kurzfristig „akute Energiepreissprünge“ abfedern, erhebt also gar nicht den Anspruch, einen Ausgleich für die ständig stattfindenden Preissteigerungen zu bilden, sondern soll sie erträglich machen. Dass es sich hier um „akute“ und nicht etwa dauerhafte Preissteigerungen handelt, ist dabei eine Erfindung der IG BCE. Zudem könnte eine Gewerkschaft wissen, dass Preise nicht von sich aus in die Höhe „springen“, sondern von Unternehmen kalkuliert und gemacht werden.

Weil auch Sonderzahlungen für Unternehmen Kosten sind, so die Logik der Gewerkschaft, kann sie selbst natürlich keinen weiteren Forderungen stellen und einen Ausgleich für die ständig steigenden Preisen verlangen. Entsprechend mickrig fallen daher die dauerhaften Lohnfestlegungen aus. Sind schon in diesem Jahr die Löhne nicht „tabellenwirksam“, wie die Gewerkschaft es nennt, erhöht worden, obgleich die Preise um ca. 10% gestiegen sind, so erhalten die Beschäftigten auch im nächsten Jahr bloss 3,25% mehr, obgleich eine Inflationsrate von 7-8% vorhergesagt wird.

Und selbst wenn die Inflationsrate sinkt, sinken nicht die Preise, sondern sie steigen etwas weniger. Und das wird auch allen Prognosen zufolge 2024 der Fall sein, für dieses Jahr ist also ebenfalls eine weitere Lohnsenkung fest vereinbart. So ist es kein Geheimnis, dass sich bei aller gewerkschaftlichen Rechnerei die Schere zwischen Löhnen und Preisen weiter öffnen wird, somit die Verarmung der Beschäftigten der Chemie- und Pharmaindustrie ein Posten ist, mit dem Wirtschaftsführer fest kalkulieren können.

Kein Wunder, dass dieser Abschluss in einer Öffentlichkeit, die den Dienstkräften der Nation solidarische Verzichtsbereitschaft in (Vor-)Kriegszeiten predigt, als vorbildlich für andere Branchen gefeiert wird! Schon vor dem ersten Weltkrieg hatten die Gewerkschaften ihren „Burgfrieden“ mit der Nation geschlossen und zur Kriegsbereitschaft beigetragen, sie wissen eben, was ihre patriotische Pflicht ist, die regelmässig auf Kosten ihrer Mitglieder geht.

Suitbert Cechura