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Was tun gegen den Rechtsruck! Aber wie?

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"Breite Bündnisse gegen den Rechtsruck" Was tun gegen den Rechtsruck! Aber wie?

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Politik

Es ist begrüssenswert, dass es in den letzten Wochen nach dem Bekanntwerden des „Masterplan Remigration“ von Sellner, Neue Rechte, AfD, WerteUnion, CDU, Millionären und Aristokraten Hunderttausende von Menschen gegen AfD und Faschismus auf die Strasse gegangen sind.

Antifa-Demo in Washington am 20. Januar 2017.
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Antifa-Demo in Washington am 20. Januar 2017. Foto: Johnny Silvercloud (CC-BY-SA 2.0 cropped)

Datum 20. Februar 2024
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Trotzdem können Antifaschist:innen mit diesem Stand der Dinge nicht zufrieden sein.[1]

Auch wenn die marxistische und antifaschistische Linke derzeit so schwach ist, dass sie keine nennenswerte Alternative in die Stadtteile und Betriebe oder auf die Strasse bekommt, ist es doch wenigstens erforderlich, während des Aufbaus der derzeitigen Bündnisse und auch in den Aktionen laut und deutlich Kritik und weiterreichende Vorstellungen einzubringen, die inhaltlich klar über ein „Alle gegen die AfD!“ hinausreichen.

Man kann nicht kritiklos mit Leuten gemeinsam gegen die AfD-Remigrationspläne auf die Strasse gehen, die im Unterschied zur AfD davon nicht nur reden, sondern sie ankündigen und vor allem die Macht haben, sie auch praktisch durchzusetzen: „Wir müssen endlich im grossen Stil abschieben!“ (Olaf Scholz, Oktober 2023) – das bedeutet reale und unter Umständen tödliche Gefahr für alle, die künftig von der deutsch unterstützen europäischen Politik des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) betroffen sein werden.

„Willkommenszentren“ in Afrika (bereits Otto Schily, SPD), „Abschiebungen Hunderttausender Migrant:innen nach Ruanda“ (Ministerpräsident Sunak, Grossbritannien), „Musterstädte in Nordafrika“ (Sellner, AfD, CDU und WerteUnion im Potsdamer Geheimtreffen) – wo ist denn da der grundsätzliche Unterschied? In der angeblichen „Rechtstaatlichkeit“ der Umsetzung solch menschenverachtender Vorhaben? Das kündigt die AfD wie zum Hohn auch an!

Man kann nicht kritiklos mit Leuten gegen Faschismus auf die Strasse gehen, die Bandera-verherrlichende Nazis in der Ukraine bewaffnen, die dafür wie zum Beispiel Scholz und Pistorius bei Rheinmetall in Unterlüss die nächste Munitionsfabrik für die NATO-Osterweiterung in der Ukraine in Auftrag geben und gleichzeitig über die dortige Zwangsarbeit von Tausenden bis 1945 schweigen – eine Zwangsarbeit, an die vor Ort in Unterlüss bis heute niemand erinnert werden will[2], und wo vor drei Jahren die ersten Ansätze einer Erinnerungsarbeit[3] daran innerhalb von Stunden gewaltsam zerstört wurden.

Man kann nicht kritiklos mit Leuten gemeinsam für "Rechtstaatlichkeit" auf die Strasse gehen, die den zionistischen Völkermord in Gaza für „rechtstaatlich" erklären, ihn im Sinne einer ominösen „deutschen Staatsräson“ politisch decken, ihn bewaffnen und finanzieren, die einerseits bei jeder Gelegenheit feierlich und wie Baerbock gar unter Tränen erklären „Nie wieder ist Jetzt“ – und zugleich und mit der ausdrücklichen Begründung dieses „Nie wieder!“ Kriegsverbrechen mitverantworten. „Nie wieder“ kann nur bedeuten „Nie wieder ist Jetzt, gegen niemanden und nirgends!“ – oder es bedeutet nichts.

Man kann nicht kritiklos mit Leuten gemeinsam auf die Strasse gehen, deren Politik der vergangenen Jahrzehnte zu einer gigantischen sozialen Ungleichheit geführt hat, der jetzt den Aufstieg der AfD und ihre Demagogie ermöglicht. Es ist dieser Nährboden der Ungleichheit, der es AfD, CDU möglich macht, sich derzeit problemlos als „Anwalt der kleinen Leute“ aufzuspielen und zugleich gegen Streiks hetzt, eine Erhöhung des Mindestlohns ablehnt, die Renten kürzen will und Gewerkschaften als Feinde oder allenfalls notwendiges Übel betrachtet.[4] SPD und GRÜNE waren mit Agenda-Politik und dem darauffolgenden Sozialabbau sogar die Geburtshelfer einer Lage, von der heute die AfD profitiert.

Man kann nicht kritiklos gemeinsam mit Leuten auf die Strasse gehen, die die Aufklärung von faschistischen Mordserien und Massakern wie NSU und Hanau nach Kräften behindert haben und sogar möglicherweise mitverantwortlich dafür sind: der ehemalige Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt Frank-Walter Steinmeier, Hessens Ex-Innenminister Bouffier, Rhein, Beuth usw. Die Aufklärung dieser faschistischen Verbrechen erfolgte im Wesentlichen durch die Recherchearbeit nichtstaatlicher Gruppen und gegen bis heute andauernden staatlichen Widerstand, während der ehemalige Verfassungsschutzpräsident Maassen, heute mit seiner WerteUnion gern zur Zusammenarbeit auch mit der faschistischen AfD in Thüringen bereit und zur Zeit der NSU-Morde den Grundstein seiner späteren Karriere legte. Die Offenlegung der Rolle eines hessischen Verfassungsschutzmitarbeiters bei der Ermordung von Halit Yozgat durch den NSU in Kassel widerspricht angeblich bis heute dem „Staatswohl Hessens“. [5]

Man kann nicht kritiklos gemeinsam mit Leuten gegen die Leugner der anbrechenden Klimakatastrophe auf die Strasse gehen, die ihrerseits - zB. in der Mobilitätspolitik – einfach weiter wie bisher machen, gegen das Urteil des Bundesverfassungsgesetzes von 2021 das Klimaschutzgesetz entkernen und damit gegen das Verfassungsgebot der Nachhaltigkeit verstossen. Die gesellschaftlichen Konsequenzen, die diese Politik schlimmstenfalls schon in wenigen Jahrzehnten haben kann, werden dann nur noch mit schärfster, wahrscheinlich faschistischer Repression unter Kontrolle zu halten sein, Massenfluchten Überlebenswilliger und militärischen Konflikten aller Art unter Kontrolle zu halten sein.

Ich finde: die Frage der "breiten Bündnisse" muss offen, respektvoll, aber konfrontativ in unseren eigenen Reihen diskutiert werden.

Solche Bündnisse müssen einen erkennbaren antifaschistischen politischen Kern haben, der von uns nicht zur Disposition gestellt werden darf.

In solchen Bündnissen sollten wir uns dem Schwur von Buchenwald verpflichtet fühlen: „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“[6]

Wir wissen, was die gesellschaftlichen Wurzeln des Nazismus in letzter Instanz waren: die Herrschaft des Monopolkapitals, des deutschen Imperialismus, des Kapitalismus. An seiner gesellschaftlichen Macht hat sich nichts geändert. Wir wissen, dass die beiden Sätze des Schwurs nicht voneinander getrennt werden können. Für eine solche Welt des Friedens und der Freiheit einzutreten, heisst deshalb, für eine Welt zu kämpfen, in der Faschismus strukturell nicht mehr möglich sein wird – eine Welt nach dem notwendigen Bruch mit Imperialismus und Kapitalismus.

Damit aber können wir noch nicht einmal anfangen, wenn wir es nicht wenigstens laut sagen.

Jedes Mal, wenn wir in Bündnissen ohne solche inhaltlichen Mindestbedingungen kooperieren, verändert das für alle anderen und auch in uns selbst etwas zum Falschen und Unklaren, nährt Illusionen und Opportunismus. Wir stärken damit objektiv genau das, was wir bekämpfen wollen.

Wie gesagt: es kann ja sein, dass wir derzeit keine Alternative organisieren können. Aber dann müssen wir wenigstens da, wo die Menschen sind, mit denen wir demonstrieren, laut sagen, was ist.

Wenn wir noch nicht einmal das tun erklären wir uns für überflüssig.

Hans Christoph Stoodt