Jürgen Lloyd von der Marx-Engels-Stiftung analysierte die Funktion von Banderisten und ukrainischen Neonazis für den westlichen Imperialismus, aber ebenso einen »hilflosen Antifaschismus«, der sich als zunehmend blind gegenüber dem Monopolkapital als Träger des Faschismus erweist. Den Abschluss bildete eine Talkrunde über ukrainische Faschisten und die Bandera-Lobby als Scharfmacher für den dritten Weltkrieg, u.a. mit Jörg Kronauer, Redakteur von German Foreign Policy. In diesem Band sind alle Vorträge der Konferenz sowie ein Grusswort des ukrainisch-chilenischen Journalisten Oleg Jasinskij dokumentiert, aber auch Gespräche mit den Referenten sowie jW-Artikel, die im Zeitraum von 2022 bis 2024 zum Bandera-Komplex erschienen sind. Für diesen Band wurde ein umfangreicher Endnotenapparat mit vielen bisher unbekannten (Primär-) Quellen erstellt.“ So heisst es in der Ankündigung des Verlags.
Thomas Hacker, Rezensent des Kongress-Bandes in der aktuellen „antifa“, liefert eine Art Teil-Verriss des Buches. Dabei hat er es auch auf eine Einordnung zum Thema durch Jürgen Lloyd abgesehen: „Lloyd kommt nach einigen theoretischen Verrenkungen zu dem Schluss, in der Ukraine handele es sich um eine ‚faschistische Herrschaftsform' (laut Witt-Stahl sogar ‚hinter dem schönen Schein eines jüdischen Präsidenten'). Daraus folgert er dann, dass der Überfall (gemeint ist: der russische Angriff auf die Ukraine) ein antifaschistischer und ‚ein gerechter Krieg ist, ein Krieg, bei dem die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Bevölkerung das Interesse haben, dass er siegreich verläuft.'“(antifa, Januar/Februar 2025, S. 33).
Die Empörung, die Hacker damit zu erreichen versucht, soll erstens auf der Lloyd unterstellten bruchlosen Übernahme der Rechtfertigung des Krieges durch Putin im Februar 2022 erreicht werden (angeblicher antifaschistischer und gerechter Krieg zur „denazifikazia“ der Ukraine und nicht der imperialistischen, geopolitischen usw. Interessen der Russischen Föderation), zweitens durch die Verbindung dieser Haltung Lloyds mit einem Zitat von Witt-Stahl, die im erst hier hergestellten Kontext den Text Lloyds, die Herausgeberin Witt-Stahl und den gesamten Kongress als antisemitisches Machwerk denunzieren soll, natürlich, wie so oft, ohne dass das ausdrücklich so gesagt wird. Eine Wertung des Ukraine-Kriegs als „gerechter Krieg“, als „antifaschistischer Krieg“ durch Lloyd wäre sehr erstaunlich und würde eine Kehrtwende des Autors in der Frage bedeuten. Denn im Jahr, vor dem der Bandera-Kongress in Berlin stattfand, organisierte Lloyd gemeinsam mit anderen einen Kongress der Marx-Engels-Stiftung zur Frage des Ukraine-Kriegs[2], in dem er, bis heute nachlesbar, das genaue Gegenteil von dem sagte, was ihm hier nachgesagt wird.
Nun könnte Lloyd seine Ansicht natürlich zwischen Juli 2022 und Oktober 2023 geändert haben. Das Gegenteil aber ist der Fall. Die gesamte Darstellung der Position Lloyds durch Rezensent Thomas Hacker kracht wie ein Kartenhaus in sich zusammen, wenn man liest, was Lloyd tatsächlich geschrieben hat – und wohl davon ausging, dass die Leser:innen seine Behauptungen nicht am Original überprüfen werden.
In einem Exkurs seines Referats beim Ukraine-Kongress im Oktober 2023 schreibt Lloyd wörtlich:
„Exkurs: Ist Russlands Krieg antifaschistisch?
Hier sei die Frage eingeschoben, ob sich aus der Feststellung, der Faschismus in der Ukraine leite sich aus dem Entschluss der NATO ab, ohne Kompromisse auf eine Niederlage der Russischen Föderation hinzuarbeiten, folgern lässt, dass die Militäroffensive Russlands als »antifaschistischer Krieg« gerechtfertigt ist. Es hat Sinn, hier zu differenzieren zwischen dem Faschismusverständnis, welches Grundlage eines wirksamen Kampfs gegen die Faschismusgefahr sein sollte und diesem Beitrag zugrunde liegt, und einer wohl in Russland verbreiteten Verwendung der Bezeichnung »Faschismus«.Letztere ist offensichtlich durch die tiefgreifenden historischen Erfahrungen geprägt, Objekt eines Vernichtungskrieges gewesen zu sein und die 900 Tage währende Belagerung Leningrads erlitten zu haben. Daraus erschliesst sich eine Verwendung des Faschismusbegriffs für alles, was droht, vergleichbares Geschehen zu zeitigen. Es steht ausser Frage, dass die reale Erfahrung mit dem Krieg der Hitlerfaschisten von grosser Bedeutung für das Geschichtsverständnis in Russland ist. Dies ist zu berücksichtigen und nicht mit Verweis auf ein anderes, analytisch begründetes Faschismusverständnis zu ignorieren.
Der angemessene Respekt für die historischen Erfahrungen ist jedoch kein Grund, die Arbeit an begründeten Einsichten und zutreffender Erkenntnis der objektiven Wirklichkeit aufzugeben und systematische Begriffe in subjektiver Beliebigkeit aufzulösen. Stattdessen ist an dem Verständnis festzuhalten, dass ein antifaschistischer Krieg ein gerechter Krieg ist, ein Krieg, bei dem die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Bevölkerung das Interesse haben, dass er siegreich verläuft.
Der Kampf der Republikaner und Internationalen Brigaden im Spanischen Krieg hatte sicherlich diesen Charakter. Aber war der Krieg der Westmächte, der Krieg Grossbritanniens und der USA gegen das »Dritte Reich« auch ein antifaschistischer Krieg? Das war er bis 1941 nicht. Erst als die sozialistische Sowjetunion hineingezogen wurde, bekam er diesen Charakter. Der ausschlaggebende Unterschied lässt sich an den erwartbaren Ergebnissen des Sieges über den Feind ausmachen. Der Sieg der Sowjetunion bedeutete für Deutschland die Chance auf die antifaschistisch-demokratische Zukunft eines friedlichen und im Kreis anderer Staaten gleichberechtigten Landes. Ein Sieg der imperialistischen Westmachte ohne Beteiligung der Sowjetunion hätte die Zerstückelung, koloniale Unterdrückung und Ausbeutung Deutschlands zur Folge gehabt – die entsprechenden Planungen existierten bereits. Ein imperialistischer Staat kann, auch wenn er sich nur verteidigt, keinen antifaschistischen Krieg führen. Und zwar deshalb nicht, weil er nicht der Staat einer Klasse ist, die an einer freien, demokratischen, antifaschistischen Entwicklung anderer Lander interessiert sein kann.
Der Krieg, den die Russische Föderation führt, ist ein Verteidigungskrieg, aber der eines imperialistischen – wenn auch im Vergleich zu den USA schwächeren und weniger aggressiven – Landes. Die antifaschistische Bewegung und die Friedenskräfte in allen Ländern haben ein vitales Interesse daran, dass dieser Verteidigungskrieg nicht verloren wird. Sie haben aber keinen Grund, irgendeinen Fortschritt davon zu erhoffen, wenn er von Russland gewonnen würde. Für das Friedenslager hier in Deutschland kann das nur bedeuten: Das Interesse (erst recht das Interesse der Menschen in der Ukraine und in Russland) kann nur auf Waffenstillstand und Verhandlungen gerichtet sein. Die Aufgabe der Friedenskräfte in Deutschland besteht darin, den Kriegshetzern, die genau das nicht zulassen wollen, in den Arm zu fallen.“[3]
Jeder des Lesens fähige Mensch kann demzufolge sehen: Lloyd sagte und schreibt genau das Gegenteil dessen, was ihm Hacker anhängen möchte.
Entweder gehört Hacker nicht zu den Lesekundigen. Davon ist nicht auszugehen. Dann aber will er offenbar seine Leser:innen belügen, dass sich die Balken biegen. Und zwar, absehbar, vielleicht sogar so beabsichtigt, mit massiven möglichen Folgen für Lloyd, vielleicht auch den ganzen Kongress 2023 und den Veröffentlichung des Kongress-Bandes: die Rechtfertigung eines Angriffskriegs ist ein Straftatbestand – und im Deutschland der „Zeitenwende“, der „Staatsräson“ und der Redaktion der „antifa“ kann es zu drastischen Konsequenzen führen, wenn man sich nachsagen lassen muss, man habe einen Angriffskrieg gutgeheissen (solange er nicht, wie zB. 1999 in Jugoslawien, von Deutschland mit unterstützt und als „Verteidigungskrieg“ etikettiert wird). Diese möglichen Konsequenzen müssen Thomas Hacker bewusst sein – andernfalls sollte er von journalistischer Arbeit lieber die Finger lassen.
Das Problem aber ist nicht Thomas Hacker. Es ist die aktuelle Verfassung der VVN-BdA, in deren Namen Redaktion und Bundesausschuss einen solch verlogenen wie staatsfrommen Text zur Veröffentlichung kommen lassen und bei der Gelegenheit durch die sekundäre Kombination mit dem Zitat Susann Witt-Stahls (siehe oben) vor allem sie, aber auch Lloyd nicht nur als „Putin-Versteher“ denunzieren, sondern passend zum allgegenwärtigen Zeitgeist der Staatsräson, auch noch ins Licht eines „Antisemiten“ schieben wollen.
Schon im Fall der Broschüre des Lucius Teidelbaum zur Frage des Verhältnis von Antifaschismus und Friedensbewegung waren „antideutsche“ Untertöne und das implizite Plädoyer für einen bürgerlich-liberalen VVN-BdA-Antifaschismus jenseits einer historisch-materialistischen Faschismusanalyse unüberhörbar, wie an anderer Stelle gezeigt wurde.[4]
Die „antifa“-Redaktion, zu der auch jW-Mitarbeiter Andreas Siegmund-Schultze, der „junge Enthusiast“[5], gehört, lässt das zu, der Bundesausschuss der VVN-BdA toleriert es, offenbar einschliesslich der Methode, einem rezensierten Autoren lügnerisch in den Mund zu legen, was dieser niemals gesagt oder geschrieben hat.
Sich so zu verhalten tritt die Anliegen des Friedens und des Antifaschismus mit Füssen. Es wird Zeit, dass die Mitglieder der VVN-BdA diesem Treiben ein Ende setzen.