Hollandes Rede in Versailles vor dem versammelten Parlament und dem Senat (Oberhaus) vom 16. November 2015, begann mit dem Satz: "Frankreich befindet sich im Krieg", der noch dazu "gnadenlos" geführt werde. Er kündigte dort bis zum Ende seiner Regierungszeit 2017 weitere 5000 neue Stellen bei Polizei und Gendarmerie an sowie den Verzicht auf die geplanten Kürzungen der Truppenstärke der französischen Armee, auch wenn dadurch finanziell die versprochene Einhaltung des europäischen Stabilitätspakts von maximal 3 Prozent Haushaltsdefizit nicht eingehalten werde: "Der Sicherheitspakt ist wichtiger als der Stabilitätspakt", so Hollande. Da jubelte etwa die Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen vom Front National, sie sei "sehr glücklich", dass Hollande "eine gute Anzahl ihrer Vorschläge übernommen habe." [1]
Gegenbeispiele wie weggewischt
Dass ein Staat auf Terroranschläge dieser Dimension auch ganz anders reagieren kann, wurde von der Regierung und den herrschenden Medien, vor allem den tagsüber überall laufenden Nachrichtensendern BFM/TV oder I-Tele, deren Einfluss auf die generelle Bewusstseinszerstörung immens ist, geradezu denunziert: Sogenannte "Terror-Experten" auf solchen Sendern meinten etwa, Spanien habe nach den ungefähr gleich schlimmen Anschlägen in Vorortzügen Madrids, bei denen 2004 191 Menschen ums Leben kamen, "kapituliert", "den Krieg verloren" oder dort hätten die Terroristen "Erfolg" gehabt.Was war dort wirklich passiert? Bei kurz darauffolgenden Wahlen hatte Kandidat Zapatero den Rückzug der spanischen Truppen aus dem Irak versprochen und sein Versprechen auch eingehalten. Und? Worin lag die Niederlage? Darin, dass es seither in Spanien keinen Terroranschlag mehr gab?
Vor kurzem hatte Justin Trudeau die Wahlen in Kanada mit dem Versprechen gewonnen, die kanadischen Kampfflugzeuge vom Syrien-Einsatz gegen den "Islamischen Staat" abzuziehen. Menschen in vielen Ländern haben den Bombenkrieg inzwischen satt. Trudeau hat bisher jedoch sein Versprechen nicht umgesetzt. [2] Und an die kämpferische Haltung Norwegens nach den Terroranschlägen von Anders Behring Breivik aus dem Jahre 2011, die 77 Tote kosteten, mit der offenen Gesellschaft einfach weiterzumachen, erinnerte in Frankreich nach den Pariser Anschlägen sowieso niemand.
Die innere Front: Von "Vigipirate" zu "Sentinelle"
Frankreichs Armee hatte 2014 eine Gesamtstärke von 222.000 Soldaten (nur wenige Soldatinnen in Verwaltungsstellen), dazu kamen 100.000 Uniformierte der Gendarmerie, die dem Militär zugehörig sind. 7800 dieser Soldaten waren Ende 2014 im Ausland stationiert, 3000 davon in Mali. [3] Heute hat das französische Heer unmittelbar operationelle Kampftruppen in einer Grösse von 66.000 Soldaten, die sowohl im Inland wie im Ausland eingesetzt werden können. Es bedurfte keines Notstandsregimes, um die französische Armee im Innern einzusetzen. Seit 1978 gibt es den "Plan Vigipirate" (Antiterror-Plan "Wachsamkeit gegen Piraten"), der nach den Anschlägen algerischer Islamisten 1995 formell wurde. Er begründete je nach Einsatzstufe des Plans eine massive militärische Präsenz mit sichtbarem MG auf Bahnhöfen, U-Bahnstationen und öffentlichen Plätzen.Er wird heute in "Sentinelle" (Schildwache) umgetauft und bedeutet den Einsatz von 10.000 Soldaten im Innern, den es zuletzt nach den Anschlägen gegen "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt im Januar 2015 bereits gab. Damals kamen konkrete Militärwachen vor potentiell bedrohten Einrichtungen der jüdischen Gemeinde, aber auch vor Moscheen hinzu. Bereits im Januar und noch viel mehr heute wird die praktische Effizienz dieser Militärpräsenz sogar von Sicherheitsleuten infrage gestellt: Ein Soldat vor einer sensiblen Einrichtung, so die Bedenken, ersetze nur ein Ziel durch ein anderes. Deshalb wird von Seiten des französischen Verteidigungsministeriums verstärkt daran gedacht, Soldatengruppen nicht als starre Wachen einzusetzen, sondern in permanenter Bewegung zu halten.
Seit Januar sind bereits insgesamt 73.000 Soldaten einander ablösend im "Sentinelle" zum Einsatz gekommen, also die gesamte operationelle Kampftruppe, die deshalb 2016 auf 77.000 erhöht werden soll. Die 10.000 im Inland eingesetzten Soldaten sollen auch maximal nur auf 7000 reduziert werden können. Damit soll zu einer ständigen Militärpräsenz ganz unabhängig von einer akuten Bedrohungslage übergegangen werden. Es gibt insgesamt militärstrategische Überlegungen, nach denen der Wechsel von einer statt auf Landesverteidigungsarmee auf Auslandseinsätze zugeschnitten Berufsarmee doch wieder zweigeteilt werden soll, aber nicht mit einer Abteilung Verteidigungsarmee nach aussen, sondern mit einer speziellen Ausbildung für Militäreinsätze im Innern. [4] Die sinnlose Bombenstrategie in Syrien
Seit September 2015 gab es nach einer Reihe von Aufklärungsflügen bisher vier Bombenangriffe auf den IS in Syrien - Frankreichs zynische Antwort auf die Flüchtlingskrise. [5] Nun wird seit dem 14. November 2015 weitaus intensiver bombardiert. Derzeit sind 12 französische Flugzeuge im Einsatz, darunter 10 Jagdbomber (Rafale und Mirage 2000), die in den ersten beiden Tagen bereits zwischen 20 und 30 Bomben auf Ziele in Rakka abwarfen. Hollande kündigte bei seiner Versailler Rede an, den Flugzeugträger "Charles-de-Gaulle" ins östliche Mittelmeer zu schicken, mit weiteren 24 Bombern. An realen militärischen Erfolgen wird das gar nichts bringen.
Bereits jetzt gibt es 20 bis 30 Militärschläge pro Tag auf den IS in Syrien und im Irak durch die US-geführte Koalition. Die französischen Kampfbomber können zudem nur feste Ziele wie etwa Gebäude anvisieren. Für bewegliche Ziele sind sie nicht zu gebrauchen, dafür werden die Jagdhubschrauber "Tiger" benötigt. Doch die sind bei den derzeitigen zahlreichen Militäreinsätzen der französischen Armee in der afrikanischen Sahelzone gebunden. Frankreichs Armee hat keine panzerbrechenden Flugzeuge - wie die US-amerikanischen A-10 - und auch keine mit Raketen bewaffneten Drohnen. Trotz der eigenen Aufklärungsflüge sind sie in Syrien auf Informationen der viel länger vor Ort präsenten US-Armee angewiesen.
Der IS hat sich längst auf die Bombardierung durch die Koalition eingestellt, fährt nicht mehr in Pick-Up-Konvois oder mit in Mossul erbeuteten US-amerikanischen Panzern herum, begrenzt die eigene Kommunikation und mischt sich in der Stadt Rakka unter die Bevölkerung. "Die Feinde sind inmitten der zivilen Bevölkerung. Und es gibt niemandem auf dem Boden, um sie exakt zu bezeichnen. Es ist so schwer, überhaupt Ziele zu finden", meint ein französischer Kommentator, Jean-Claude Allard, fast schon verzweifelt. [6]
Der IS machte sich über seinen Radiosender Al-Bajan schon am Sonntag, 14. November, lustig, die angeblich laut französischen Angaben zerstörten Waffen- und Ausbildungslager des IS seien längst geräumt, die französischen Jets hätten nur leere Stellungen getroffen. Der Angabe darf man jedoch auch nicht trauen. [7] Jetzt werden vom französischen Militär kurze und gezielte Einsätze spezieller Kampftruppen am Boden erwogen, wie sie die US-Armee schon längst durchführt.
Dieser militärische Symbolismus in Zusammenhang mit Hollandes Kriegsgeschrei hat aber praktisch fatale Auswirkungen: Der IS richtet seine Aufmerksamkeit auf Frankreich, auch wegen der früheren Kolonialgeschichte, und tendiert fast mehr zu Anschlägen in Frankreich als in anderen Ländern der Kriegskoalition, die USA mit inbegriffen. Denn Obama sperrt sich noch immer gegen eine massive Bodenoffensive, die in Frankreich von manchen bürgerlichen Blättern vehement eingefordert wird. [8] Die französische Armee kann das aber selbst nicht stemmen, sie ist längst an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt und müsste "gezwungenermassen eine Reihe anderer Operationen", ob im Inland oder in den Sahel-Ländern, "stoppen, um die Front in Syrien zu stärken", so Armeeoberst Michel Goya. [9]