Die Eurosur-Technik Hightech gegen Asyl
Politik
Mit Satellitenaufklärung, Drohnen und Sensoren wehrt die EU an ihren Mittelmeerküsten künftig Flüchtlinge aus dem globalen Süden ab. Das Ziel: Asylsuchende sollen erst gar keine Anträge stellen und wenn, dann nur in dem Land, in dem sie ankommen.
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7. Dezember 2014
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In der Europäischen Union haben im Jahr 2013 rund 435.000 Flüchtlinge Antrag auf Asyl gestellt, darunter ein Drittel Frauen. Von den Hilfesuchenden im Jahr 2013 kamen mit 50.000 die meisten aus Syrien, 41.000 aus Russland und 26.000 aus Afghanistan. Wie viele Menschen in den südlichen und östlichen Anrainerstaaten des Mittelmeeres auf eine Chance warten, in die EU zu gelangen, weiss niemand.
Die europäischen Staaten haben sich in der Genfer Flüchtlingskonvention, einer völkerrechtlichen Vereinbarung aus dem Jahr 1951, zum Schutz von Flüchtlingen verpflichtet. Doch die EU will sie möglichst von Europa fernhalten. Dazu leistet sie humanitäre Hilfe, die dafür sorgt, dass Flüchtlingslager in den Kriegs- und Krisengebieten unterstützt werden. Ausserdem gibt sie Geld an die Transitstaaten, um die Migranten und Migrantinnen bereits dort abzufangen.
2013 ging das Europäische Grenzkontrollsystem (European Border Surveillance System, Eurosur) in Betrieb. Mit 244 Millionen Euro in den kommenden sechs Jahren sollen Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer geortet werden – aus der Luft und aus dem All, mit Drohnen, hochauflösenden Kameras und Offshore-Sensoren. Rettung aus Seenot ist hingegen keine Kernaufgabe dieses Systems, auch wenn das Europaparlament die europäische Grenzschutzagentur Frontex neuerdings dazu verpflichtet. Schätzungen zufolge sind seit 1988 mehr als 20.000 Menschen entlang der EU-Grenzen, insbesondere auf dem Meer, ums Leben gekommen.
Immer wieder werden Schutzsuchende an den EU-Aussengrenzen abgewiesen und Flüchtlinge durch die griechische, italienische oder spanische Küstenwache abgeschoben – ohne Prüfung der Fluchtgründe, all das völkerrechtswidrig. Auch die vom Europäischen Gerichtshof 2012 für illegal erklärten „Push-backs“, also das Zurückdrängen von Booten, bevor sie die europäische Küste erreichen, kommen weiterhin vor. Noch weiter gehen „Pull-backs“: Die Eurosur-Technik erlaubt, die Schiffe mit Flüchtlingen schon direkt nach dem Ablegen zu identifizieren. Künftig könnte die Küstenwache des Startlandes sie gleich abfangen und wieder an Land bringen, ohne dass sie je eine Chance auf ein Asylverfahren erhalten. Das erste derartige Abkommen wird derzeit ausgerechnet mit Libyen ausgearbeitet, das weder die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat noch Flüchtlingen Schutz bietet.
Haben Flüchtlinge trotz aller Widrigkeiten die Grenze in die EU überwunden, können sie im Ankunftsland Asyl beantragen. Lange wurden ihre Rechte in den verschiedenen EU-Staaten uneinheitlich ausgelegt; erst seit 1999 ist die EU für das Asyl- und Flüchtlingsrecht zuständig. In Richtlinien und Verordnungen ist inzwischen geregelt, welche sozialen Mindestleistungen Flüchtlinge während des Verfahrens erhalten müssen und welche Rechte sie besitzen, nach welchen Kriterien sie als Flüchtling anerkannt werden und worauf sie danach Anspruch haben. Allerdings haben die Staaten einen grossen Spielraum, wie sie diese Regelungen umsetzen. Zudem: Die neuen europaweiten Standards dürfen nicht mehr kosten als die bisherigen und nicht zu mehr Asylanträgen führen.
Das Problem in der EU aber heisst „Dublin“. Das gleichnamige Übereinkommen von 1990 erklärt denjenigen Mitgliedstaat für die Prüfung der Asylanträge zuständig, in dem sich die Schutzsuchenden zuerst aufhielten. Dies stellt besonders für die südlichen EU-Staaten einen wirtschaftlichen Anreiz dar, möglichst wenig Flüchtlinge ankommen zu lassen. Eine gerechtere Verteilung der Lasten durch Aufnahmequoten oder einen Ausgleichsfonds ist nicht abzusehen, schon gar nicht eine Neuregelung des Systems. Deutschland wehrt zusammen mit anderen europäischen Regierungen eine Neuregelung der Dublin-Verordnung im Europäischen Rat vehement ab. Flüchtlinge und Migranten sollen auch in Zukunft in den EU-Ländern bleiben, in denen sie ankommen – falls sie überhaupt ankommen.
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