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Hände weg von Vio.Me

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Griechenlands berühmteste Seifenfabrik braucht internationale Unterstützung Hände weg von Vio.Me

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Politik

Der seit 2011 von den Arbeiter_innen besetzten und seit 2013 in Selbstverwaltung betriebenen Fabrik Vio.Me droht seit längerer Zeit die Zwangsversteigerung.

Arbeiter in der selbstverwalteten Fabrik Viomechaniki in Thessaloniki.
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Arbeiter in der selbstverwalteten Fabrik Viomechaniki in Thessaloniki. Foto: viome.org

Datum 11. Januar 2016
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Am 3. Dezember 2015, dem Tag des nun schon zweiten Generalstreiks innerhalb der letzten drei Wochen, zog eine der drei Generalstreikdemonstrationen Thessaloníkis zum Gerichtsgebäude, um die für den Morgen angesetzte Versteigerung der Fabrikanlagen zu verhindern. Die gut 500 Demonstrant_innen standen am Haupteingang des Gerichts starken MAT-Sondereinsatzkommandos der Polizei gegenüber. Nach Stunden des Wartens wurde schliesslich "auf Grund der Teilnahme der Anwaltsvereinigung am Generalstreik" die Vertagung der Zwangsversteigerung bekanntgegeben.

Schon am 26. November 2015 war es gut 250 Aktivist_innen mit der Blockade des Gerichtsgebäudes in Thessaloníki gelungen, den ersten Versteigerungstermin abzuwenden. Eine weitere Aktion fand am 10. Dezember statt.

Du hältst den Betrieb am Laufen!

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass kapitalistische Krisen ausser vielfachem Leid auch die Emanzipation der von der Krise betroffenen Arbeiter_innen beinhalten kann, ist die besetzte Fabrik Viomichanikí Metallevtikí (Vio.Me) in Thessaloníki. Vio.Me wurde 1982 als eine von drei Tochterfirmen des Unternehmens Philkeram & Johnson gegründet, das Keramik-Kacheln produzierte. Die Firma stellte chemische Baumaterialien wie Fugenkleber her und belieferte Baufirmen in Griechenland und dem benachbarten Ausland.

Im Mai 2011 stellten die damaligen Eigentümer, die Familie Filíppou, die Lohnzahlungen ein, verschuldeten den Betrieb und machten sich schliesslich aus dem Staub. Um die Demontage der Produktionsanlagen zu verhindern und die Zahlung der ausstehenden Löhne zu erzwingen, besetzten die Arbeiter_innen die Fabrik. Da ihre Lohnforderungen ignoriert wurden und die üblichen Wege - Gerichtsverfahren, Investorensuche - die der Kapitalismus für diesen Fall bereit hält, ohne Erfolg blieben, beschlossen sie nach langen Diskussionen u.a. mit Arbeitern der seit 2001 besetzten und selbstverwaltet produzierenden Ziegelfabrik Zanon aus Argentinien, die Produktion in die eigene Hand zu nehmen.

Im Februar 2013 schliesslich feierten tausende Menschen mit einem grossen Solidaritätskonzert die Wiedereröffnung der Fabrik. Seit April 2013 produziert Vio.Me mit Hilfe selbstorganisierter Strukturen Thessaloníkis umweltfreundliche Wasch- und Reinigungsmittel. Die Produkte werden in sozialen Zentren, anarchistischen Treffpunkten, besetzten Häusern und auf informellen Märkten vertrieben und inzwischen auch an solidarische Gruppen und Organisationen ins europäische Ausland geliefert.

Sie können in Deutschland über verschiedene FAU-Syndikate oder das Griechenland Solidaritätskomitee Köln (GSKK) bestellt werden (1).

Ziel ist auch, mittels des Produkts und der selbstverwalteten Produktion und Verteilung die Vision einer selbst organisierten Gesellschaft zu vermitteln. Alle Gespräche mit staatlichen Behörden sind trotz der mehrfach wechselnden Regierungen seit 2011 gescheitert.

Auch die von der KKE dominierte Gewerkschaftsfront Pame und der Gewerkschaftsdachverband GSEE verweigern die Unterstützung der Fabrik in Selbstverwaltung, da "Arbeiterselbstverwaltung nicht auf der Tagesordnung" stehe. Trotzdem machen die Arbeiter_innen weiter und kämpfen für das Ziel eines selbstbestimmten Lebens.

Internationaler Unterstützerkreis

Ein informeller Zusammenschluss aus Kollektivbetrieben, Basisgewerkschaften, politischen Gruppen, Netzwerken und Einzelpersonen aus verschiedenen europäischen Ländern versucht den Kampf der Vio.Me-Arbeiter_innen solidarisch zu unterstützen.

Das Beispiel der selbstverwalteten Fabrik in Thessaloníki soll europaweit noch bekannter gemacht werden. Darüber hinaus soll es auch andere Arbeiter_innen ermutigen, sich nicht dem Krisendiktat der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfond (IWF) zu beugen, sondern Widerstand zu leisten und sich selbstorganisierten, emanzipatorischen Initiativen anzuschliessen.

Vio.Me zeigt, dass es eine Alternative jenseits von Austerität, Nationalismus und sozialer Zertrümmerung gibt - die Solidarität sozialer Bewegungen und die Selbstorganisierung von unten.

Desweiteren versucht der Unterstützerkreis Druck auf die griechische Syriza-Anel-Regierung auszuüben, da die Gefahr einer Räumung des Projekts immer - und gerade jetzt durch die angestrebte Zwangsversteigerung des Betriebsgeländes akut - besteht:

Direkte Aktion gegen Zwangsversteigerung der Fabrikanlagen

Mit der Übernahme der Fabrik durch die ehemaligen Angestellten und der Umwandlung der Produktion, hin zu biologisch abbaubaren Wasch- und Reinigungsmitteln, mit der Produktion unter Arbeiterkontrolle und der Vollversammlung der Arbeiter_innen als höchstes Entscheidungsgremium, und mit der täglich erlebbaren gegenseitigen Hilfe der verschiedensten Initiativen in Griechenland und der Unterstützung der internationalen Solidaritätsbewegung, ist es den Vio.Me-Arbeiter_innen seit nunmehr zweieinhalb Jahren gelungen ihr ökonomisches Überleben zu sichern. Gleichzeitig jedoch, und das ist der Grund für die andauernden Angriffe, stellt das Projekt die kapitalistischen Besitzverhältnisse und damit das Überleben des Systems an sich in Frage.

Durch die nun angesetzte Zwangsversteigerung des Betriebsgeländes will der Insolvenzverwalter die Forderungen der Gläubiger des insolventen Mutterkonzerns Philkeram & Johnson eintreiben, um dessen Schulden bei verschiedenen Banken, beim griechischen Staat und bei privaten Gläubigern zu begleichen. Die Alteigentümer der Familie Filíppou hatten 2011 die bis dahin erfolgreiche Fabrik für Baumaterialien in die Insolvenz getrieben.

Schon seit Anfang Oktober 2015 hatten die Arbeiter_innen zur Verhinderung der drohenden Zwangsversteigerung und einer internationalen Aktionswoche vom 17.11. bis 24.11.2015 aufgerufen.

Am 24. November fand eine grosse Demonstration in Thessaloniki statt, an der sich verschiedenste politische Initiativen, soziale Zentren, besetzte Häuser und Gewerkschafter_innen beteiligten. Mit dabei waren entlassene Beschäftigte der lokalen Tageszeitung "Angeliofóros", die seit zwei Jahren gegen die Schliessung und für die Wiedereröffnung ihres Werkes kämpfenden Arbeiter_innen von Coca-Cola, Aktivist_innen der Karawane der Solidarität und eine Delegation der gegen den geplanten Goldabbau auf Chalkidikí kämpfenden Bevölkerung.

"Von Vio.Me bis Chalkidikí, Krieg den Bossen auf der ganzen Welt", oder "Die Solidarität ist die Waffe der Völker, Krieg dem Krieg der Bosse", waren zwei der gerufenen Parolen. Am 25. November hatte im Gewerkschaftshaus von Thessaloniki eine landesweite Versammlung zur Vorbereitung der Blockade-Aktion im Gerichtssaal stattgefunden.

Mit der erfolgreichen Blockade der gut 250 Aktivist_innen am folgenden Morgen konnte die angestrebte Zwangsversteigerung der selbstverwalteten Fabrik vorerst verhindert werden. Entschlossene Vio.Me-Arbeiter_innen und Aktivist_innen aus den Solidaritätsgruppen hatten sich teils in Ketten vor dem Gerichtssaal postiert und diesen dicht gemacht. Auch beim nächsten Termin am 3. Dezember waren gut 500 Demonstrant_innen vor das Gerichtsgebäude gezogen. Weitere direkte Aktionen sind angekündigt.

"Wir haben es geschafft die Zwangsversteigerung zu verhindern, weil wir geschlossen wie eine geballte Faust sind. (...) Wir werden die Fabrik nicht verlassen. Die haben unser Leben zerstört und wir haben alleine gekämpft, um wieder auf die Beine zu kommen. Wir werden es niemandem erlauben unser Leben erneut zu zerstören", betonte Mákis Anagnóstou, einer der Vio.Me-Sprecher.

Von der Syriza-Anel-Regierung erwarten die Arbeiter_innen nichts mehr. In ihrer Erklärung zum Zwangsversteigerungstermin stellen sie klar: "Vio.Me gegenüber stehen Staat und Kapital, die in den letzten Jahren Millionen Menschen in Griechenland in Armut und Elend gestürzt haben, die Tausende in den Selbstmord getrieben haben, die Grenzzäune am Evros (Grenzfluss zur Türkei) hochziehen und den Kampf der Bevölkerung Chalkidikís gegen den Goldabbau mit Gewalt niederschlagen; die parastaatliche faschistische Kräfte dulden, oder besser ausgedrückt anleiten, und die Ermordung von Antifaschisten und Einwanderern und Angriffe auf alle, die nicht ins faschistische Weltbild passen, erlauben."

Seit dem ersten Syriza-Wahlsieg am 25. Januar 2015 hatten die Vio.Me-Arbeiter vergeblich einen Termin im zuständigen Ministerium gefordert. Syriza war vor den Wahlen eine der Organisationen im Unterstützerkreis von Vio.Me und auch der jetzige Ministerpräsident Alexis Tsípras hatte persönlich seine Unterstützung für die Fabrik in Arbeiterhand zugesagt. Weder Syriza noch Tsípras wollen jetzt, nach ihrer Wiederwahl im September, noch etwas davon wissen. Während das Wirtschaftsministerium eisern schweigt, verweist Tsípras inzwischen lapidar auf die "Unabhängigkeit der Justiz". Dabei sei jedes Urteil und jede mögliche Lösung des Konflikts "eine klare politische Entscheidung", so die Vio.Me-Arbeiter_innen in einer Presseerklärung. Laut den Veröffentlichungen des Gerichts handelt es sich um insgesamt 14 Grundstücke der insolventen Philkeram&Johnson, die versteigert werden sollen. Die Fläche der Tochtergesellschaft, die besetzte Fabrik Vio.Me, "macht nur ca. 1/7 der Fläche aus, die unkompliziert vom Rest des Betriebsgeländes abtrennbar" sei. Dass die Anspannung auf Seiten der Arbeiter_innen und ihrer Familien immer mehr ansteigt, ist klar, "da es sich nach vier Jahren des Kampfes inzwischen um eine Frage des Überlebens" handelt. Den Alteigentümern der Familie Filíppou wurden im Übrigen vom Staat in der Vergangenheit Teile der Betriebsflächen umsonst übertragen; "als staatliche Anerkennung für die soziale Leistung durch die Schaffung von Arbeitsplätzen".

Generalstreik am 3. Dezember - Syriza streikt mit

Zum zweiten Mal in nur drei Wochen wurde Griechenland am 3. Dezember durch einen Generalstreik lahmgelegt. Wie beim ersten Generalstreik am 12. November ging insbesondere im öffentlichen Sektor nichts mehr. Behörden, Schulen und Universitäten blieben geschlossen, der öffentliche Nahverkehr stand über Stunden still, Züge und Schiffe fuhren den ganzen Tag nicht und etliche Flüge fielen aus. Um berichten zu können, hatten die Mediengewerkschaften ihren Ausstand einen Tag vorverlegt.

Im öffentlichen Gesundheitswesen wurde sogar zwei Tage lang in Notdiensten gearbeitet. Ärzt_innen und Pfleger_innen der staatlichen Krankenhäuser hatten die Arbeit schon am Mittwoch niedergelegt. Hier fehlen nach offiziellen Angaben rund 20.000 Pfleger_innen und mehr als 6.000 Ärzt_innen. Ging es beim letzten Generalstreik am 12. November gegen die inzwischen von der Syriza-Anel-Regierungskoalition verabschiedete Freigabe von Zwangsversteigerungen von Wohnungen ihrer überschuldeten Besitzer_innen, so wurde am 3. Dezember vor allem gegen die anstehenden Verschlechterungen im Rentensystem gestreikt. Zwar sind die Details mit den Gläubigern von EZB, IWF und EU-Kommission noch nicht ausgehandelt, die zentralen Achsen jedoch stehen bereits fest.

Eine allgemeinverbindliche Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, die erneute Senkung der Mindestrente auf dann 365 Euro und die Zusammenlegung aller Rentenkassen in eine zentrale Kasse, bei Angleichung der Renten auf niedrigstem Niveau, scheinen beschlossene Sache zu sein. Die Regierungspartei Syriza hatte wie schon im November auch diesmal zur Teilnahme am Streik aufgerufen. "Regierung und Partei sind verschiedene Dinge", ausserdem dürfe man nicht vergessen, dass "die Verhandlungen mit den Gläubigern um die Details" fortgesetzt würden, so Syriza-Parlamentarier Chrístos Mántas. "Schämt euch!" waren die Rufe der Streikenden, die diese Syriza-Taktik als Versuch der Vereinnahmung werteten.

Ralf Drei, Thessaloníkis
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 405, Januar 2016, www.graswurzel.net