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Gründe für die Rechtsentwicklung

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Die Entwicklung nach rechts muss im Kontext gesehen werden Gründe für die Rechtsentwicklung

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Politik

Auf welche Entwicklungen antwortet die Rechtsbewegung? Und wie begründen ihre Anhänger ihre Anhängerschaft? Nicht zuletzt jene, die sich einmal als links, bürgerlich oder liberal eingeordnet hatten.

PEGIDA „Weihnachtssingen“ in Dresden am 16.12.2018 auf dem Theaterplatz. Transparent «Dresdner Christen grüssen die PEGIDA».
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PEGIDA „Weihnachtssingen“ in Dresden am 16.12.2018 auf dem Theaterplatz. Transparent «Dresdner Christen grüssen die PEGIDA». Foto: Derbrauni (CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 28. Februar 2020
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Die Motive sind unterschiedlich und betreffen auch sehr unterschiedliche Lebensbereiche. Eine grundsätzliche Kritik betrifft das «System». Auf Facebook schreibt ein junger Schweizer: «Der Vertrauensverlust in den Staat darf nicht verwundern. Die Legislative und die Exekutive handeln immer eigenmächtiger und oft gegen den Willen des Souveräns. Die Stimme des Volkes wird ignoriert. Wir stimmen ab, und der Bundesrat oder die kantonalen Regierungen tun es trotzdem. Beispiele sind EU, Einwanderung, Gebührenerhöhungen, etc. Es gibt genug davon. Vertrauen schafft man durch Zuverlässigkeit und Stetigkeit. Und genau das haben wir nicht mehr.»

Das wird von Experten bestätigt. Zum 25. Jahrestag der Wiedervereinigung hat Peter M. Huber, Richter am Bundesverfassungsgericht, vor einer «zunehmenden Selbstreferenzialität des politischen Systems in Deutschland» gewarnt. Das Wahlrecht, die Ausgestaltung der Politikfinanzierung, das Fehlen direkter Demokratie auf Bundesebene und die Organisationsstrukturen der politischen Parteien verstärkten die Sprachlosigkeit zwischen Bürgern und Politik. Dazu passt der Befund einer Untersuchung an den Universitäten von Zürich und Basel, dass die Schweizer Parteien «einheitlicher und disziplinierter» geworden sind. Zugenommen habe der Fraktionszwang: Parlamentarier, die nicht auf Parteilinie abstimmen, würden mit disziplinarischen Massnahmen zurechtgewiesen.

So nimmt die Politikverdrossenheit vor allem unter jungen Menschen dramatisch zu. Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung glauben über 60 Prozent aller Befragten, dass sie «keinen Einfluss darauf haben, was die Regierung macht». «Europa ist ein Projekt der Mächtigen», heisst es in einem Tweet. «Ob Euro oder Osterweiterung – die Menschen wurden nicht gefragt. Das ging gut in Zeiten der Prosperität. In der Krise erweist sich Europa als hohl und schwach.» Im Internet ist vor allem die Kritik an der EU-Bürokratie massiv. «Unsere Politlandschaft verkommt zu einem Kindergarten. Kein Anstand, kein Stolz, kein Herzblut und kein Engagement für die Sache; es wird nur noch um Macht- und Geldwillen geboxt. Ich weiss nicht, wie es den anderen geht, aber mir hängt diese Art von Politik zum Hals raus.» Bemängelt wird, dass die «Oberen», die «Mächtigen», diejenigen, «die sich für gescheiter halten», die «Elite», die Bedürfnisse des «Volkes» nicht mehr ernst nehmen. Als ein Beispiel wird das Buch Eure Heimat ist unser Albtraum angeführt – herausgegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah.

Folgt man den beiden Autorinnen, dann ist «Heimat» etwas Ausschliessendes, etwas «Völkisches». «Von uns aus können wir den Heimatbegriff gerne den Rechten überlassen.» Das ist dreist gegenüber allen, denen Heimat wichtig ist, und überdies dumm. Dazu passt die Forderung des Bildungsexperten Thomas Strothotte, dass nicht nur Flüchtlingskinder aus dem Nahen Osten Deutsch lernen sollten, sondern deutsche Kinder im Gegenzug Arabisch: «Wir würden damit anerkennen, ein Einwanderungsland und eine mehrsprachige Gesellschaft zu sein.» Sibel Arslan ist die erste Kurdin im Nationalrat und gesteht sogleich: «Ich glaube, als Schweizerin fühle ich mich nicht.» Ein Kollege im Schweizer Rat gratuliert ihr auf Türkisch.

Die NZZ berichtet am 7.8.2019 aus Essen: «Die Stadt hat einen Strukturwandel erlebt, von dem sie sich nicht erholt hat.“ Nach der sukzessiven Erosion des Bergbaus in den 1960er-Jahren verlor Essen fast 200 000 Einwohner. DIE Arbeitslosenquote liegt gegenwärtig bei 10 Prozent. „Essens Stadtkern wird von heruntergekommenen Bauten aus den 1960er-Jahren dominiert. Im ausserhalb gelegenen Stadtteil Altendorf reihen sich Wettbüros an Shisha-Bars. Ein junger Polizist sagt während einer Streifenfahrt durch Altendorf: ‹Hier ist nicht mehr viel deutsch.›» Am11.9.2016 heisst es auf Facebook: «Die Menschen haben es satt, dass ihre Heimat verwahrlost. Sie haben es satt, sich Schuldgefühle einimpfen zu lassen. Sie haben es satt, sich von Politik und Medien ihre Alltagserfahrungen ausreden zu lassen. Sie haben den Rassismus der Antirassisten und die Intoleranz der Toleranten satt. Sie haben es satt, dass ihre Nationalkulturen abgeräumt werden.» In Duisburg sagt ein ehemaliger Stahlkocher: «Ich bin deutsch, bin deutsch aufgewachsen und möchte auch deutsch bleiben.

Ich möchte auch im Wesentlichen mit meiner deutschen Familie, meinen deutschen Bekannten und meinen deutschen Freunden zusammen sein und nicht weiter erleben, wie meine Wohngegend muslimisch wird, arabisch oder was auch immer, jedenfalls nicht mehr deutsch ist.» Das muss man gewiss nicht teilen, aber wohl ernst nehmen, da immer mehr so denken und fühlen. Vertraute Lebenswelten von vielen Menschen haben sich in den letzten Jahren zum Teil demografisch so sehr verändert, dass das einem Umsturz gleicht; die Betroffenen sprechen inzwischen von Spiessrutenlauf, «Verbannung in der eigenen Stadt» oder «Muslimzoo». Darüber kann sich multikulturell erheben, wer selbst im grossbürgerlichen Vorort wohnt; doch wer das nicht ernst nimmt, es zum Schaden der Betroffenen auch noch ironisiert oder kleinredet, leitet Wasser auf die Mühlen der Rechten.

Heftiger wird die Kritik an der doppelten Moral der «Mächtigen». Harvey Weinstein zum Beispiel, der keine Frauen respektieren kann, ständig übergriffig ist, aber in Parka und Pudelmütze für Frauenrechte demonstriert und einen Lehrstuhl zu Ehren der Frauenrechtlerin Gloria Steinem finanziert. Oder Siemens-Chef Kaeser, der in Deutschland Werke schliesst und dafür in den USA investiert. Oder die Bosse der Deutschen Bank: «Chefs lassen sich Anzüge schneidern – während Tausende entlassen werden.» «Der Anstand ist im Arsch», heisst es auf Twitter. Oder die Süddeutsche am 7.2.2017: «Dass Volkswagen-Manager ‹nur noch› maximal zehn Millionen verdienen sollen, meinen sie in Wolfsburg völlig ernst. Und das sagt eigentlich alles.» Oder: Als Familienministerin propagierte die Sozialdemokratin Manuela Schwesig die öffentliche Ganztagsschule; ihren Sohn hingegen schickt sie auf eine Privatschule.

Der Sohn der einstigen Regierungschefin von Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, besucht ein Gymnasium, obwohl seine Mutter sich stets für die demokratischere Gemeinschaftsschule eingesetzt hatte. Oder: Nach einem eintägigen Privatbesuch liess sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier per Flugzeug nach Berlin abholen: für 80 Kilometer. Oder: Altkanzler Gerhard Schröder erhält in diesem Jahr 561 000 Euro aus der Staatskasse für ein Büro in Berlin. Im Tagesspiegel heisst es am 16.8.2017 zum Air-Berlin-Chef Mehdorn: «Weshalb hat er die Insolvenz nicht verhindert, als er noch Geschäftsführer war? Weshalb hat er das Hauptbahnhofsdach an beiden Seiten beschnippelt und das Untergeschoss optisch und lärmmässig verunstaltet? Weshalb hat er den BER nicht eröffnet? Weshalb hat er die Berliner S-Bahn versaut? Weshalb hat er die DB-Bahnqualität vermiest? Hat der Mann jemals was Sinnvolles gemacht, ausser sich selbst auf Kosten der Steuerzahler die Taschen vollgestopft?» Ein Magdeburger Taxifahrer vor dem Zeitungskiosk am Bahnhof fragt: «Wie erklärt man das jemanden, der 40 bis 50 Jahre im Niedriglohnsektor regelmässig und hart gearbeitet hat und nun von seiner kleinen Rente nicht mal leben kann?».

Sein Schwiegervater muss mit 73 noch zusätzlich Zeitungen austragen. «Wenn er dann frühmorgens nach Hause kommt, geht meine Schwiegermutter in einem Imbiss aushelfen.» „Der Bürger bezahlt Steuern, und er bekommt vom Staat etwas dafür“, notiert Titus Gebel in der NZZ vom 1o.12. 2o19: „Sicherheit, Vorsorge, Schutz von Freiheit und Leben. wenn er plötzlich sieht, dass er nur noch zahlt, ohne dafür das versprochene zu erhalten, beginnt er an den Institutionen zu zweifeln.“ Und zu den Folgen der sog. Flüchtlingskrise: „Die Verkäuferin fragt sich, was genau ihre schuld sein soll und ob die Neuankömmlinge tatsächlich Wirtschaft und Rente stabilisieren. nach ihrer Beobachtung arbeiten viele nicht, sondern beziehen Sozialleistungen. sie hat zeitlebens in die sozialen Sicherungssysteme einbezahlt und kann sich nun leicht ausrechnen, dass bei einer immer grösseren Zahl von Nutzniessern, die nicht einbezahlen, für sie am Ende weniger übrig bleibt.“ Solche Ängste und Bedenken ignorieren die Politiker, mit absehbaren Folgen der Rechtsentwicklung.

«Als Angela Merkel sagte, ‹wir schaffen das›, könnten viele der befragten Menschen gedacht haben, ‹aber ich schaffe das nicht›», heisst es in der schon erwähnten Untersuchung des Progressiven Zentrums Berlin. «Denn die Menschen sehen sich selbst als gesellschaftliche Abstiegskandidaten.» Die Studie zeigt, dass oftmals die konkreten Lebensumstände Grund für den Unmut und die Zukunftsängste sind. Es gehe um alltägliche Sorgen: Der Bus fährt nicht mehr, der Lohn ist zu knapp, die Miete zu hoch. «Es herrscht ein Gefühl des Verlassenseins. Ein Gefühl, vom Staat im Stich gelassen worden zu sein.»

Die Menschen empört auch, dass Geld in ihrer Optik für «Unsinn» verschwendet wird, statt damit Bedürftige zu unterstützen. So in Hannover, wo die Stadtverwaltung auf den Velostreifen in einer teuren Aktion bei den Fahrrädern die «männlichen» Querverstrebungen übermalen lässt, weil sie angeblich sexistisch sind; Damenfahrräder sind das offensichtlich nicht. Die vom Steuerzahler finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft hat das Forschungsprojekt «Das Anna und ihr Hund. Weibliche Rufnamen im Neutrum. Soziopragmatische vs. semantische Genuszuweisung in Dialekten des Deutschen und Luxemburgischen» 2018 mit 71 000 Euro unterstützt. Seit 2015 flossen 500 000 Euro in das Vorhaben der Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Das berichtet die Junge Freiheit.

Nübling kassierte auch zum Thema «Transgressive Selbstbenennungspraktiken: Differenzmarkierung durch freien Rufnamenwechsel in Schweden» rund 108 000 Euro an Fördermitteln. An der theologischen Fakultät der Universität in Köln widmet sich Saskia Wendel dem Projekt «Leib Christi – Gendersensible Rekonstruktion einer theologischen Metapher». Hierfür trieb sie 2018 rund 98 000 Euro an Fördermitteln auf, seit 2013 erhielt die katholische Theologin 582 000 Euro. Ist die Vernunft inzwischen auf der Rechten angekommen? Angesichts restriktiver Sprachregeln im Zürcher Parlament spricht die SVP von Zürichs «Genderpolizei» und hat damit nicht ganz unrecht, wie die NZZ am 5.7.2019 anmerkt. Parlamentarier sollten ihre Vorstösse so formulieren dürfen, wie sie wollen, solange sie keine Gesetze verletzen. «Das Büro des Gemeinderats sollte ihnen keine weiblichen Endungen aufzwingen.»

Es gibt schliesslich «Sinngründe» für die Rechtsentwicklung. Wenn Zukunftsentwürfe und damit Orientierungen fehlen, rücken die Menschen nach rechts und suchen Halt in Althergebrachtem. Das war schon immer so. Die Menschen wollen an dem festhalten, was ihnen noch vertraut ist. Ein Beispiel ist das brandenburgische Hirschfeld im Elbe-Elster-Kreis. Dort wählten am 1. September 2019 mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten die AfD. Bei genauer Betrachtung entfallen dafür sämtliche Gründe, die allgemeinhin für die Präferenz der AfD genannt werden. Hirschfeld hat keine Flüchtlinge, keine Asylbewerber, auch kein Problem mit Arbeitslosigkeit oder sozialer Not.

Der Ort wird zum Beispiel vom Tagesspiegel so beschrieben: «Wer das Dorf ein Wochenende lang besucht, ist überrascht von seinem Erscheinungsbild. Den gepflegten Grundstücken, den bunten, makellosen Häuserfassaden, überall aufwändig dekorierte Vorgärten mit Schaukeln und Steinbrunnen und vielen kleinen Windmühlen.» Niemand fühlt sich hier abgehängt, diskriminiert, «von der Politik verlassen». Die Infrastruktur ist intakt, es gibt zureichend Verkehrswege und -anbindungen, Kindertagesstätte, Schule, Apotheke, Ärztehaus usw. Was also ist es? Offenbar die Angst vor unkontrollierter Veränderung. Ein Ortsansässiger: «Überfremdungsangst. Die Furcht, bald endgültig von Muslimen, Dunkelhäutigen oder allem irgendwie Nichtdeutschen überrannt zu werden.» Analytisch besehen ist das eine diffuse Angst, für die Betroffenen allerdings scheint sie sehr konkret zu sein. Das bestätigen auch viele Gespräche und Interviews. Dagegen gilt die AfD mit ihrer Ideologie als Garant der Bewahrenden.

Die rechten Gruppierungen und Parteien bieten geschlossene und stringente Weltbilder an, die zwar zumeist als Zeitdiagnose überholt sind, aber den Vorteil haben, einfaches und verständliches Rüstzeug für die Bewältigung des Alltags zu sein. Auch in diesem Sinn sind Rechte eben Kompensationsverbände für die Menschen. Die Entwicklung nach rechts muss im Kontext gesehen werden, mit der zunehmenden Komplexität und Intransparenz der Gesellschaft überfordert zu sein; sie ist ein Mittel der «Realitätsreduktion». Das belegt auch eine Studie des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.

Walter Hollstein

Auszug aus dem Buch "Das Gären im Volksbauch. Warum die Rechte immer stärker wird". NZZ Libro, Basel 2019. 208 S. ca. 25.00 SFr. ISBN: 978-3-03810-477-3