UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Kolonie Griechenland? – Ein historischer Vergleich

2427

Ein historischer Vergleich Kolonie Griechenland?

earth-europe-677583-70

Politik

Immer wieder tauchte in den vergangenen Tagen in Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen in Griechenland der Begriff „Kolonie“ auf.

Fest in den Weltmarkt eingebunden. Handelsschiffe warten in Port Said auf Einfahrt in den Suezkanal.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Fest in den Weltmarkt eingebunden. Handelsschiffe warten in Port Said auf Einfahrt in den Suezkanal. Foto: Old (PD)

Datum 24. Juli 2015
1
0
Lesezeit5 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Manche sind der Ansicht, das sei eine zu drastische Beschreibung der griechischen Zustände. „Kolonie“, das war doch mit Kanonenbooten, Nilpferdpeitschen und Tropenhelmen… – Aber stimmt der Einwand? Oder gibt es in Griechenland doch Entwicklungen, die Erscheinungsformen des historischen Kolonialismus vergleichbar sind? Wir haben ein Blick ins Geschichte-Buch gewagt.

Während der vergangenen Jahrhunderte gab es eine Vielzahl höchst unterschiedlicher Vorgänge, die mit dem Begriff der „Kolonialisierung“ beschrieben wurden. Von der simplen Gewinnung von Brachland für die Landwirtschaft über die Etablierung von Siedlungen auf zuvor für diese Siedler unbekanntem Territorium bis hin zur genozidalen Besetzung ganzer Kontinente reicht die Palette. Der heutige Sprachgebrauch des Begriffs „Kolonie“ ist vor allem von den Ereignissen rund um die koloniale Aufteilung Afrikas, dem so genannten „Scramble for Africa“ geprägt. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die wichtigsten europäischen Mächte, sich afrikanische Länder und Territorien unter den Nagel zur reissen. Dies geschah in Konkurrenz zueinander – im Zweifelsfall aber auch in Zusammenarbeit zu gegenseitigem Nutzen. Und so konnte man sich auf Kolonialkonferenzen auch relativ problemlos die Aufteilung eines ganzen Kontinentes untereinander ausmachen. Wenn es gegen die zu Kolonisierenden ging, war man sich trotz aller Konkurrenz recht schnell einig.

Missionare und Kanonenboote

Viele spätere Kolonien entstanden lehrbuchartig: europäische Missionen leisteten ideologische Vorarbeit, ein paar Händler, Unternehmer und Abenteurer waren auch unterwegs. Forschungsexpeditionen interessierten sich für die „unerforschten“ Riesengebiete Afrikas – und stellten ihr Wissen ohne Not in den Dienst der späteren kolonialen Erschliessung. Sobald sich hier oder

da Widerstand gegen diese ersten Eindringlinge und deren in der Regel herrisches und respektloses Auftreten regte – auch die subjektiv wohlmeinenden Religionsvertreter machten ja nichts anderes, als indigene Kulturen zu zerstören – rief man die eigenen Mutterländer zu Hilfe. Und die schickten dann endlich die materiellen Grundlagen für die Etablierung von Kolonien: Soldaten, Waffen, Kriegsschiffe.

Aktiengesellschaften und Staatsanleihen

Zugegeben: ein derartiges Szenario ist in Südeuropa weit und breit nicht zu sehen. Doch diese „klassische“ Form der Kolonisierung ist nur eine von vielen. Konkret handelt es sich dabei um die Kolonisierung von Territorien, die zuvor noch nicht in den Weltmarkt integriert waren. Werfen wir also nun einen Blick auf ein weiteres Beispiel. Ein entscheidender Meilenstein beim beginnenden „Scramble for Africa“ war die Unterwerfung Ägyptens unter britische Herrschaft. Das Land am Nil war Mitte des 19. Jahrhunderts bereits in vielerlei Hinsicht in den Weltmarkt integriert. Der mit dem US-amerikanischen Bürgerkrieg einhergehende Anstieg der Weltmarktpreise für Baumwolle etwa bescherte ägyptischen Baumwollproduzenten Mitte der 1860er Jahre einen sprunghaften Anstieg ihrer Exporte. Mit dem Verfall der Preise nach dem Ende des US-Bürgerkriegs begann der Niedergang der ägyptischen Volkswirtschaft.

Denn zur selben Zeit wurde auch an einem internationalen Megabauprojekt gearbeitet. Unter der Leitung einer französisch dominierten Aktiengesellschaft und nach den Plänen des französischen Diplomaten Ferdinand de Lesseps entstand der Suezkanal. Genau dieses Monument des modernen Handelskapitalismus sollte Ägypten endgültig in die koloniale Abhängigkeit manövrieren. Beim Bau des Kanals verschuldete sich Ägypten so stark, dass es trotz Verkaufs seiner Anteile an dem Projekt und der Ausgabe immer neuer Staatsanleihen 1875 vor dem Bankrott stand. Doch die internationalen Geldgeber hatten bereits

die Lösung parat. Eine neue Regierung, die den europäischen Gläubigerbanken genehm war, wurde eingesetzt, und diese hatte ein simples Programm: „Sanierung der Staatseinnahmen und Sicherstellung von Verzinsung und Tilgung gegen Herabsetzung des Zinssatzes auf 5 % mit Aufsicht durch eine internationale Schuldenkommission unter gemeinsamem englisch-französischem Vorsitz.“ (Zit. nach Wolfgang Reinhard, Kleine Geschichte des Kolonialismus, Stuttgart 1996). Klingt irgendwie vertraut, oder? Aber es kommt noch besser: die Regierung leitete den Grossteil ihrer Einnahmen in die Schuldentilgung; gleichzeitig erhöhte sie Steuern und bezahlte ihre Staatsbeamten nicht mehr oder entliess diese gleich. Zur „Unterstützung“ der Europa-hörigen Regierung wurden Beamte und „Berater“ nach Ägypten geschickt, die bald auf allen Verwaltungsebenen des Landes zu finden waren und schliesslich die gesamten wirtschaftspolitischen Aktivitäten Ägyptens kontrollierten. Selbstverständlich mussten neue Gesetzesentwürfe den Gläubiger-Vertretern vorgelegt werden.

London schickt Soldaten

Angesichts dieses Souveränitätsverlust konnte Widerstand nicht ausbleiben. Unter dem Offizier Ahmad Urabi Pascha entstand Ende der 1870er Jahre eine Bewegung, die rasch an Einfluss gewann. Urabi gelangte bis an die Spitze des Staates und wurde im Sommer 1882 ägyptischer Premierminister. Seine Aufrufe zum Widerstand gegen die Europäer blieben nicht unbeantwortet. Im September 1882 beschossen britische Kriegsschiffe Alexandria. Vorwand für die militärische Intervention war ein Anschlag der

Widerstandsbewegung in der Stadt. Bis heute ist in der kolonialhistorischen Literatur zu lesen, dass Urabi die ÄgypterInnen zu „fremdenfeindlichen Exzessen“ aufgewiegelt habe. Dass es sich um den verzweifelten Kampf einer durch die Bedienung der Schuldenlast und die Bevormundung durch europäische Verwalter bedrängten Bevölkerung handelte, liest man selten. Die Antwort der Gläubigerstaaten auf den militanten Widerstand fiel jedenfalls eindeutig aus. Kurz nach den Ereignissen in Alexandria landeten bereits britische Truppenverbände in Ägypten. Urabi wurde vertrieben, Ägypten besetzt und unter britische Kolonialverwaltung gestellt.

Und Griechenland?

Das historische Beispiel sollte die Frage beantworten, ob das Wort „Kolonie“ auch ohne Flaggenhissen auf exotischen Stränden angebracht ist. Freilich wiederholt sich Geschichte nicht 1:1, aber manche Entwicklungen unterscheiden sich in ihren Grundzügen von historischen Ereignissen nicht wesentlich. Angesichts dessen, dass sich die gesellschaftlichen Strukturen und die grundlegende Funktionsweise des kapitalistischen Weltsystems seit dem 19. Jahrhundert nicht wesentlich verändert haben, ist das auch nicht weiter verwunderlich.

Vergleicht man die Geschichte der Koloniewerdung Ägyptens mit den aktuellen Entwicklungen in Griechenland, so ist man in Athen derzeit eifrig mit dem Verkauf der Suezkanalaktien beschäftigt. Die europäischen „Berater“ und Beamten packen bereits ihre Koffer mit Reiseziel Athen. Wie es weitergeht kann man freilich nicht mehr in den Geschichtsbüchern nachlesen. Doch wie die Herrschenden auf entschlossenen Widerstand reagieren, blieb im Verlauf der Geschichte auch immer gleich.

Karl Schmal / lcm