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Kurdistan: Kritische Fragen zu Öcalans Erklärung zur Auflösung der PKK

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Was bleibt vom demokratischen Konföderalimus? Kurdistan: Kritische Fragen zu Öcalans Erklärung zur Auflösung der PKK

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Politik

Überwiegend positiv wird der Aufruf zur Auflösung der Kurdischen Arbeiter*innenpartei (PKK) durch dessen Mitbegründer und Langzeitvorsitzenden Abdullah Öcalan vor allem von konservativen und linksliberalen deutschsprachigen Medien aufgenommen.

Demonstration für die Freilassung des kurdischen Politikers Abdullah Öcalan auf der Øster Søgade in Kopenhagen, Februar 2022.
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Demonstration für die Freilassung des kurdischen Politikers Abdullah Öcalan auf der Øster Søgade in Kopenhagen, Februar 2022. Foto: Leif Jørgensen (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 3. März 2025
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Endlich wieder ein bewaffneter Konflikt weniger, so lautet der Tenor und die Einschätzung. In linken Medien wie nd und junge Welt wird immerhin daran erinnert, dass ein bewaffneter Konflikt nicht dadurch zu Ende ist, wenn eine Seite einseitig die Waffen streckt. Diese Einwürfe sind um so bedeutender, als in der Türkei die Repression gegen linke Politiker*innen, die progressive Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und kritische Medien unvermindert fortgesetzt wird.

Die kurdischen Organisationen sind dabei besonders im Visier des repressiven türkischen Staates. Verantwortlich dafür ist seit Jahren die ultrarechte türkische Regierung Erdogan-Bahçeli. Es ist die Koalition aus der islamistischen AKP und der faschistischen MHP, bekannt auch als Graue Wölfe. Es muss daher befremden, wenn Öcalan in seiner Erklärung den MHP-Vorsitzenden und den türkischen Präsidenten mit folgenden Worten würdigt:

„Der Aufruf von Herrn Devlet Bahçeli, zusammen mit dem vom Herrn Präsidenten geäusserten Willen und den positiven Reaktionen der anderen politischen Parteien auf den bekannten Aufruf, hat ein Umfeld geschaffen, in dem ich einen Aufruf zur Niederlegung der Waffen mache, und ich übernehme die historische Verantwortung für diesen Aufruf.“

Damit bezieht sich Öcalan auf Bahçelis Erklärung vor einigen Monaten, Öcalan solle im türkischen Parlament reden und die Auflösung der PKK erklären. Danach stellte sich Erdogan hinter die Erklärung seines rechten Koalitionspartners. Das sorgte schon damals für Aufsehen, weil die faschistische MHP eine besonders antikurdische Agenda hat und für den Terror gegen die demokratische Bewegung verantwortlich ist. Aber es ist natürlich eine Taktik, dass ein Ultrarechter jetzt angeblich für die Versöhnung mit der kurdischen Bewegung eintritt. Wäre ein solcher Aufruf von linken Politiker*innen gestartet worden, wären sie nicht nur von AKP und MHP diffamiert worden.
Ihnen hätte auch Haft und Ausschluss aus dem Parlament gedroht. Nun kann man argumentieren, es ist doch nur eine Höflichkeitsfloskel, dass Öcalan den türkischen Präsidenten und den türkischen MHP-Vorsitzenden ausdrücklich in seinem Statement würdigt. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Denn in seiner Erklärung hat Öcalan getan, was die türkischen Rechten verlangen, nur nicht im türkischen Parlament sondern noch immer isoliert auf seiner Gefängnisinsel.

Wo bleibt hier der demokratische Konföderalismus?

Der Kern von Öcalans Erklärung lautet: „Wie es jede moderne Gemeinschaft und Partei, deren Existenz nicht gewaltsam beendet wurde, freiwillig tun würde, beruft euren Kongress ein und trefft eine Entscheidung: Alle Gruppen müssen ihre Waffen niederlegen – und die PKK muss sich auflösen. (…)“. Da stellt sich schon die Frage, was bleibt vom Demokratischen Konföderalismus, wenn weiterhin ein Mann, also Öcalan entscheiden kann, seine Anhänger*innen sollen einen Kongress einberufen, aber die Entscheidung steht schon fest: die PKK muss aufgelöst werden.

Ein solches Vorgehen erinnert sehr stark an das Prozedere autoritärer linker Parteien, in denen eine kleine Gruppe oder nur eine Person letztlich alles entscheiden. Lange Zeit haben Kritiker*innen der PKK dieser Organisation vorgeworfen, auch eine solche autoritäre Struktur zu haben. Dagegen haben in den letzten 20 Jahren viele Linke darauf verwiesen, dass Öcalan nach seiner Inhaftierung diese Strukturen selber kritisiert und mit dem Demokratischen Föderalismus eine Alternative geschaffen zu haben. Nicht mehr eine kleine Clique oder eine allmächtige Führungsfigur sondern gesellschaftliche Räte sollten entscheiden. Dass hätte doch bedeutet, dass nicht Öcalan und auch nicht einzelne Führungsgremien sondern die Mitglieder über die Auflösung der PKK hätten entscheiden müssen.

Es war schon auffallend, dass Öcalan nach Bahçelis Erklärung nicht auf dieses Prinzip des Demokratischen Föderalismus verwies und gefordert hat, dass eine gesellschaftliche Diskussion über die Perspektive der kurdischen Bewegung und darin auch der PKK geführt werden muss. Dass hätte bedeutet, dass die staatliche Repression gegen diese Organisationen hätte beendet werden müssen. Am Ende einer solchen gesellschaftlichen Diskussion hätte dann eine Neuausrichtung der PKK oder auch dessen Auflösung stehen können. Das wäre Demokratischer Konföderalismus in der Praxis. Die Erklärung Öcalan ist aber das exakte Gegenteil. Hier soll ein Kongress nur die Entscheidungen des „grossen Vorsitzenden abnicken.

Keine Führungsstrukturen ausserhalb Öcalans

Hier rächt sich, dass die PKK alle internen Kritiker*innen kaltstellte, die nach Öcalans Verhaftung forderten, dass ein neuer Parteivorstand aus Genoss*innen gewählt werden sollte, die nicht inhaftiert sind. Sie argumentierten damals, dass es unmöglich sei, wenn die Politik der PKK von einer Person abhängt, die vollständig in den Händen des Feindes, des türkischen Staats ist. Öcalan wurde schliesslich von den türkischen Repressionsbehörden isoliert, über lange Zeit hatte er keinen Kontakt zu Personen ausserhalb seiner Haft. Auch danach gelangte von Öcalan nur nach draussen, was der türkische Staat erlaubte.

Die Initiative der PKK-internen Kritiker*innen wurden in der PKK als Misstrauen gegen Öcalan interpretiert und bekämpft. Die Kritiker*innen wurden parteiintern kaltgestellt und diffamiert. Wenn sie in kurdischen Organisationen arbeiteten, wurden sie ausgeschlossen. Veranstaltungen mit ihnen auch in Deutschland wurden von der PKK und ihren Anhänger*innen massiv bekämpft.

Dabei zeigt sich jetzt, wie recht sie mit ihrer Kritik hatten. Es ging nicht um Misstrauen gegen Öcalan, aber sehr wohl um die Frage, wieso eine revolutionäre Organisation von einer Person geführt werden soll, die vollständig in den Händen des Feinds ist, mit der keine Diskussion möglich ist. Es stellt sich auch die Frage, wieso die kurdische Bewegung nicht den Demokratischen Konföderalismus in die Praxis umsetzte und eben kein Machtzentrum in Imrali mehr duldete.

Öcalans Erklärung und vor allem das Prozedere sollte auf jeden Fall Anlass sein, diese Diskussion in der kurdischen Bewegung und ihren weltweiten Unterstützer*innen jetzt unbedingt zu führen. Für viele von ihnen war doch gerade der Demokratische Konföderalismus der Grund, sich mit der kurdischen Bewegung solidarisch zu erklären. Es gab in den letzten Jahren in vielen Ländern zahlreiche Veranstaltungen und Kongresse, die sich mit der konkreten Ausgestaltung des demokratischen Konföderalismus beschäftigten. Nun stellt sich die Frage, wie es damit in der kurdischen Bewegung weitergeht. Denn Öcalan hat mit seiner Erklärung nicht nur in der Praxis dagegen verstossen.

In der Erklärung kommt der Demokratische Konföderalismus nicht vor. Es irritiert, dass Öcalan darauf verweist, dass die PKK „im Schatten der Erfahrungen des realen Sozialismus und des Kalten Kriegs auf der ganzen Welt“ entstanden ist und der Zusammenbruch des realen Sozialismus „zu einer Schwächung der grundlegenden Bedeutung der PKK“ geführt hat. Dabei hat sich Öcalan in seinen Schriften nach seiner Inhaftierung, die zur Herausbildung des Konzepts des Demokratischen Föderalismus führten, ausführlich mit der Niederlage des Nominalsozialismus beschäftigte und sein Konzept als eine Antwort auf dessen Fehlern und Mängeln formuliert.

Auch Menschen in aller Welt beschäftigten sich mit dem Konzept des Demokratischen Föderalismus, weil sie darin eine Alternative zu den autoritären Formen des Sozialismus sahen und sehen. Es ist zu hoffen, dass auch nach Öcalans Erklärung die Diskussion weitergeht und dabei auch die internen Strukturen der kurdischen Bewegung nicht von der Kritik ausgespart wird.

Peter Nowak