Ihr seid Aktivist:innen des Kollektivs Food Not Bombs, das seit über 20 Jahren in Łódź aktiv ist. Warum engagiert ihr euch zusätzlich in der Hilfe für Refugees?
Food Not Bombs Łódź: Die Geflüchtetenkrise, die sich seit dem letzten Sommer in Polen abspielt, und ihr Ausmass bedeuten, dass wir als Kollektiv, das sich der Hilfe für Menschen in Not verschrieben hat, ihr nicht gleichgültig gegenüberstehen können. Wir sprechen nicht nur über die durch den Krieg in der Ukraine verursachte Krise, sondern auch über eine riesige humanitäre Krise an der polnisch-weissrussischen Grenze; über Menschen, die als illegale Migrant:innen bezeichnet werden und die auf eine Weise behandelt werden, wie niemand im Europa des 21. Jahrhunderts behandelt werden sollte; über Menschen, die ihre Gesundheit und oft auch ihr Leben in einem Land verlieren, das sich nicht im Krieg befindet, sondern nur deshalb, weil die Migrationspolitik dieses Landes keine andere Lösung für sie hat, als sie im Winter im Wald zurückzulassen, wo sie möglicherweise sterben. Niemandem sollte eine solche Situation gleichgültig sein, auch uns nicht.
Wie viele Personen sind an der Geflüchtetenhilfe beteiligt, und wie helft ihr konkret?
Die überwiegende Mehrheit des Kollektivs ist an der Hilfe beteiligt, die zum grössten Teil der lokalen anarchistischen Föderation entstammen. Die Hilfe, die wir leisten, hat verschiedene Dimensionen. Eine grosse Gruppe konzentriert sich auf direkte Hilfe z. B. im Wald nahe der polnisch-weissrussischen Grenze, wo sie Kleidung zum Wechseln bereitstellt, warme Jacken, Schlafsäcke, Lebensmittel, Notfallrationen mit einem Campingkocher, Medikamente und Matten, auf denen man die Nacht besser überstehen kann als auf dem nackten Boden. Es handelt sich um eine Reihe von Aktivitäten, die es den Geflüchteten ermöglichen, sich aus ihren oft nassen Kleidern zu befreien und zu essen, und wir können ihnen den weiteren Weg weisen.Ausserdem kümmern wir uns um Geflüchtete, die in Internierungslagern untergebracht sind, wo die Lebensbedingungen schlechter sind als in Gefängnissen. Hier besteht unsere Hilfe in Gesprächen, die traumatisierte Menschen brauchen; wir helfen auch bei der Übersetzung von Dokumenten über ihren aktuellen Aufenthaltsstatus, die sie in der Regel auf Polnisch erhalten; wir unterstützen sie bei der Suche nach Anwält:innen. Ausserdem schicken wir ihnen Pakete mit grundlegenden Dingen, d. h. Wechselkleidung, Schuhe, Jacken usw., da sie in den Internierungslagern oft in den Kleidern ankommen, die sie bereits im Wald trugen; wir schicken Lebensmittel, die oft fehlen, Handys (nur erlaubt ohne Kamera) oder Handyguthaben, damit sie ihre Familien und Anwält:innen kontaktieren können.
Was die ukrainische Grenze betrifft, so wurde eine Informationskampagne in ukrainischer Sprache gestartet, in der über Ausgabestellen für kostenlose warme Mahlzeiten informiert wird. Ausserdem geben wir derzeit sehr viel mehr Mahlzeiten aus, da allein in Łódź, wo wir aktiv sind, 200.000 Migrant:innen aus der Ukraine angekommen sind und die Unterbringung nicht für alle von ihnen erfolgreich verlaufen ist. Wir helfen auch in einer zentralen Anlaufstelle, die an dem Ort, an dem wir die Mahlzeiten zubereiten, eröffnet wurde – wir teilen mit den Anwohner:innen die erhaltenen Lebensmittelspenden und versorgen die Bedürftigen mit Kleidung. Einige von uns fahren auch in die Ukraine und bringen Geflüchtete nach Polen, die es aus verschiedenen Gründen noch nicht geschafft haben, das Land zu verlassen.
Das Ziel unseres Kollektivs war und ist es, Menschen zu helfen, deren Lebenssituation besonders schlimm und deren Lebensbedingungen extrem prekär sind, und die Hilfe für Geflüchtete ist eine natürliche Ausweitung dieser Hilfe auf andere Menschen, die sie dringend benötigen.
Habt ihr auch eine FNB-Küche an der polnisch-weissrussischen Grenze organisiert, um Geflüchtete zu unterstützen, oder habt ihr euch dort eher auf andere Formen der Hilfe konzentriert?
An der polnisch-weissrussischen Grenze gibt es keinen Platz für gemeinsames Kochen und die Ausgabe von Mahlzeiten. Der Grund dafür sind die unmenschlichen und unverständlichen Gesetze, die die polnische Regierung diesem Gebiet auferlegt hat – angefangen von der Einrichtung einer „Sperrzone“, d. h. einer Zone, die ausser der Polizei und der Armee niemand betreten darf, über die Kriminalisierung der humanitären Hilfe bis hin zur realen Bedrohung der Gesundheit und des Lebens der Geflüchteten, die sich verstecken müssen, um nicht zum x-ten Mal auf die weissrussische Seite der Grenze überstellt zu werden.
Unter diesen Bedingungen ist die Bereitstellung humanitärer Hilfe jeglicher Art grundsätzlich sehr schwierig oder sogar gefährlich für die Aktivist:innen selbst. Wir sprechen hier von Einsätzen in Waldgebieten, oft nachts, oft in einem Gebiet, das gemäss staatlicher Direktiven für jede:n ausser der Armee für „gesperrt“ erklärt wurde und in dem sich viele Geflüchtete befinden, die grundlegende Hilfe benötigen.
Hier konzentriert sich unsere Hilfe auf die direkte Unterstützung, d. h. wir versuchen, möglichst leise und unauffällig den Ort zu erreichen, an dem sich die hilfesuchende Gruppe versteckt. Dort überprüfen wir den Gesundheitszustand der Menschen: Häufig sind Wunden nach Schlägen durch Grenzsoldat:innen, verrenkte oder gebrochene Gliedmassen, entstanden beim nächtlichen Blindflug durch den Wald, Erfrierungen, Unterkühlung, extreme Austrocknung, Lebensmittelvergiftung durch das Trinken von Wasser aus Pfützen. Wir stellen benötigte Medikamente, warme Kleidung, energiereiche Lebensmittel und eine warme Mahlzeit bereit, die, wenn die aktuelle Situation es zulässt und die Anwesenheit der Aktivist:innen die Lage der Menschen nicht bedroht, auf einem Campingkocher aufgewärmt und sofort mit heissem süssem Tee serviert wird. Dann müssen sich die Aktivist:innen schnell und unauffällig entfernen, damit ihre Anwesenheit nicht die Aufmerksamkeit der Armee, der Polizei und der Grenzschutztruppen [Wojska Ochrony Pogranicza, WOT – Anm. moku] auf sich zieht, die in der Gegend patrouillieren.
Unterscheidet sich die Hilfe für Geflüchtete an der polnisch-weissrussischen Grenze von der Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine? Wenn ja, auf welche Weise?
Die Hilfe an der Grenze zur Ukraine steht in diametralem Gegensatz zu der an der polnisch-weissrussischen Grenze. Bei der Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine ist zunächst festzuhalten, dass es sich um legale Hilfe handelt, was von Anfang an ihren Charakter bestimmt. Die Aktionen der Aktivist:innen konzentrieren sich hier auf die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, die äusserst hilfsbereit ist.
Die Hilfsaktivitäten decken daher ein breites Spektrum ab, angefangen vom Transport von Menschen von der Grenze nach Polen über die Unterbringung in Privatwohnungen, die Beschaffung von notwendigem Hausrat, Lebensmitteln und ggf. Kleidung sowie die Erledigung rechtlicher Formalitäten bis hin zur Hilfe in zentralen Koordinationsstellen, an denen Lebensmittel und Kleidung bereitgestellt werden. Hinzu kommt die Hilfe beim Transport von Menschen aus der Ukraine selbst, die aufgrund ihrer schlechten finanziellen Situation das kriegsgebeutelte Land nicht eigenständig verlassen konnten.
Unter völlig anderen Bedingungen finden die Hilfsaktivitäten an der Grenze zu Weissrussland statt. Obwohl die Leistung humanitärer Hilfe (theoretisch) nicht kriminalisiert ist und das polnische Recht sogar die Unterlassung von Erster Hilfe im Bedarfsfall als Straftat ansieht, gilt dies laut der polnischen Regierung unverständlicherweise nicht für Migrant:innen, die über Weissrussland nach Polen kommen. In den allermeisten Fällen, und das muss betont werden, handelt es sich auch bei ihnen um Menschen, die vor einem Krieg oder vor bewaffneten Auseinandersetzungen in ihrem Land fliehen, und zwar nicht wegen eines gerade erst ausgebrochenen Krieges, wie es in der Ukraine der Fall ist. Wir sprechen hier von einem Krieg, der seit zehn Jahren andauert (wie im Fall der Geflüchteten aus dem Jemen), von bewaffneten Konflikten, bei denen ganze Dörfer in Brand gesteckt werden und die Flüchtenden oft die einzigen Überlebenden sind (wie z. B. bei den Geflüchteten aus dem Kongo), oder zum Beispiel davon, dass sie in einem ständigen Gefühl der Bedrohung leben und keine Möglichkeit haben, für sich selbst zu sorgen, weil sie formal immer noch kein eigenes Land haben (diese Situation bezieht sich auf die Lage der irakischen Kurd:innen, denen meist auch das Recht auf Asyl in Polen verweigert wird).
Die Ursachen für diese Situation lassen sich bis zu den Ursprüngen der kapitalistischen Ideologie zurückverfolgen, die in ihren Grundsätzen von der Ausbeutung der weniger privilegierten Länder durch die privilegierteren und von der Vorherrschaft der „weissen Rasse“ ausgeht. Auf dieser Ideologie beruhen die kognitiven Gewohnheiten und Reaktionsweisen auf das Unglück dieser Staaten und ethnischen Gruppen, das aus dieser Situation der Ausbeutung resultiert. Die Normalisierung ihres Unglücks erlaubt es den privilegierten Ländern folglich, nicht einmal eine Teilverantwortung für deren Schicksal zu übernehmen.
Das ist auch die Perspektive, die die polnische Regierung eingenommen hat, die zugelassen hat, dass kranke, leidende und hungernde Menschen im Wald sich selbst überlassen werden oder, um das „Problem“ loszuwerden, in endloser Wiederholung auf die belarussische Seite zurückgeschickt werden. Die Situation eskaliert, es gibt neue gesetzliche Richtlinien, und wir sind an einem Punkt angelangt, an dem Pushbacks, die bisher illegal waren, zu einem legalen Verfahren werden, auch für Kinder, an denen es unter den ankommenden Geflüchteten ebenfalls nicht mangelt.
Unter diesen Bedingungen ist die Bereitstellung humanitärer Hilfe jeglicher Art grundsätzlich sehr schwierig oder sogar gefährlich für die Aktivist:innen selbst. Wir sprechen hier von Einsätzen in Waldgebieten, oft nachts, oft in einem Gebiet, das gemäss staatlicher Direktiven für jede:n ausser der Armee für „gesperrt“ erklärt wurde und in dem sich viele Geflüchtete befinden, die grundlegende Hilfe benötigen. Hinzu kommt medizinische Hilfe im weitesten Sinne, da ein längerer Aufenthalt im Wald während des Herbstes und Winters oft ihre Gesundheit ernsthaft beeinträchtigt oder sogar direkt ihr Leben bedroht.
Die Aktivist:innen leisten jedoch nicht nur direkte Hilfe in Form von Versorgung mit den notwendigsten Dingen: Ebenso blockieren sie oft den Abtransport von Menschen, die von Grenzschützer:innen illegal aus Krankenhäusern abgeholt werden; sie unterzeichnen Vollmachten, die notwendig sind, damit ein:e bestimmte:r Geflüchtete:r einen Asylantrag stellen kann, und übernehmen somit in gewisser Weise die Verantwortung für das weitere Schicksal einer:s Refugee, indem sie gemeinsam mit Abgeordneten formale Anfragen zu ihrem:seinem Status und Aufenthaltsort stellen (denn unabhängig von der Einleitung eines Asylverfahrens „verschwinden“ Migrant:innen oft unter ungeklärten Umständen aus dem polnischen Hoheitsgebiet, um sich auf der belarussischen Seite wiederzufinden).
Es handelt sich also um eine umfassende, äusserst engagierte und anstrengende Hilfe, die es erforderlich macht, dass wir gleichzeitig in vielen Bereichen tätig werden und uns ständig Kenntnisse aneignen. Dazu zählen nicht nur juristische Kenntnisse, da es immer noch einen Mangel an Anwält:innen für die Geflüchteten an der polnisch-weissrussischen Grenze gibt, sondern auch praktische Kenntnisse, die es ermöglichen, die Bedürftigen wirksamer zu erreichen, um nicht versehentlich die Aufmerksamkeit von Armee, Polizei oder WOT auf sich zu ziehen.
Die Hilfe ist finanziell äusserst prekär, da sie in der Öffentlichkeit nicht so gut ankommt und Nichtregierungsorganisationen, die sie ursprünglich koordiniert und mitfinanziert haben, mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine alle ihre Ressourcen an diese Grenze verlagert haben. Daher stehen die Aktivist:innen, die die Hilfe fortsetzen wollen, oft vor der Qual der Wahl und können nicht ein solches Mass an Versorgung bieten, dass jede Person, die in Polen ein Asylverfahren durchläuft (das oft bis zu einem Jahr dauert), zumindest Kleidung zum Wechseln und einen Vorrat an Tütensuppen und Keksen hätte.
Die Hilfe an der polnisch-weissrussischen Grenze kann ganz allgemein als ein ständiger Kampf gegen das System beschrieben werden, das versucht, diese Hilfe in zunehmendem Masse zu verhindern und zu kriminalisieren. Es handelt sich um eine Hilfeleistung, die zwar sehr kräftezehrend und körperlich und geistig anstrengend ist, aber dennoch nicht ausreicht.
Ihr organisiert FNB kontinuierlich, indem ihr jede Woche Essen für Bedürftige kocht und verteilt, ausserdem helft ihr Geflüchteten aus der Ukraine und an der polnisch-weissrussischen Grenze. Wie schafft ihr es, so viele Aktivitäten parallel am Laufen zu halten?
Was die Aktivist:innen aus Łódź angeht, so handelt es sich um annähernd dieselbe kleine Gruppe von Personen, die aus der Łódź Anarchist Federation hervorgegangen ist und die gleichzeitig im Rahmen von FNB, der breiteren Aktivitäten der Föderation, der Arbeit für den Mieter:innen-Verein [siehe GWR 458 – Anm. moku] und der Hilfe für Geflüchtete an beiden Grenzen aktiv ist.
Die Aufgabenüberlastung ist in unserer Gruppe inzwischen chronisch. Abgesehen von einer Reihe von Standardaktivitäten innerhalb dieser Kollektive binden die Grenzaktivitäten, ob an der Grenze zur Ukraine oder zu Weissrussland, die Aktivist:innen in einer konstanten und konstant intensiven Weise ein. Natürlich teilen wir als Kollektiv die Aufgaben unter uns auf, aber eine Reihe davon erfordert Zusammenarbeit. Egal, ob es um Aktivitäten „vor Ort“, z. B. an der Grenze oder Ad-hoc-Hilfe, geht, die Zahl der Migrant:innen nimmt ständig zu, und somit wird die Liste der zu befriedigenden Grundbedürfnisse auch immer länger. Unser regelmässiger Witz lautet: „Bist du erschöpft? Geflüchtete haben es schwerer“. Aber die Wahrheit ist, dass man, solange die Geflüchtetenkrise andauert und ein ständiges Eingreifen erfordert, nicht auf diese Hilfe verzichten kann, wenn man einmal aktiv geworden ist, weil man weiss, dass man die Situation zumindest einiger Menschen verändern kann.
Abgesehen von den Aktivitäten an den Grenzen machen wir natürlich nicht bei den alltäglichen Aktivitäten halt, denn diese Art von Aktivitäten kann man nicht hoch genug einschätzen, und Hilfe und Engagement werden überall gleichermassen benötigt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es viel zu tun gibt, und zwar auf verschiedenen Ebenen, aber wir sind ein Kollektiv von engagierten Menschen, die versuchen, sich verschiedenen Situationen und Herausforderungen zu stellen.
Welche Kriegserfahrungen teilen die Geflüchteten aus der Ukraine euch mit? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede seht ihr zwischen den Erfahrungen der ukrainischen Geflüchteten und denjenigen an der polnisch-weissrussischen Grenze?
Was die Erfahrungen von Geflüchteten betrifft, so ist ihr gemeinsamer Nenner der Krieg mit all seinen Folgen. Dazu gehören der totale oder partielle Verlust von Besitz; die Erfahrung der Kriegshandlungen (Explosionen, Zerstörung, Tod) im Herkunftsland; die Notwendigkeit, das Herkunftsland zu verlassen und eine neue Heimat zu suchen. Diese Erlebnisse sind extrem traumatisierend, und die betroffenen Menschen müssen auf vielen Ebenen betreut werden.
Hier endet leider die Übereinstimmung der Erfahrungen. Wir sind weit davon entfernt, das Leid von irgendjemandem zu bewerten, aber es ist unmöglich abzustreiten, dass die Erfahrung der Geflüchteten, die aus Weissrussland in unser Land kommen, leider mit vielen zusätzlichen Traumata angereichert ist: Traumata, die vermieden werden könnten, wenn die Pol:innen, und vor allem die polnische Regierung, die Geflüchteten gleichberechtigt behandeln würden, als Menschen, die eine ähnliche Betreuung benötigen. All die Geschichten, die man von Migrant:innen an dieser Grenze hört, sind so traumatisch, dass es schwer zu glauben ist, dass so etwas in einem europäischen Land im 21. Jahrhundert passieren kann, und vielleicht stellt ein Teil der Bevölkerung deshalb ihren Wahrheitsgehalt in Frage – dann müssen wir uns nicht der kollektiven Verantwortung für den Albtraum stellen, der sich vor unseren Augen abspielt.
Geflüchtete, die aus Weissrussland nach Polen kommen, wurden auf der Flucht oft von der Mafia entführt, wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihres Engagements in ihrem Herkunftsland inhaftiert, wiederholt von weissrussischen Grenzsoldaten verprügelt und sowohl von polnischen als auch von weissrussischen Grenzschützer:innen um alles gebracht, was sie mitnehmen konnten. Wenn wir sie im Wald treffen, haben sie oft schwere Verletzungen, sie leiden an Unterkühlung, haben tagelang nur gegessen, was sie im Wald finden konnten, und Wasser aus Pfützen oder Flüssen getrunken. Sie haben oft Fieber und schwere Lebensmittelvergiftungen. Leider häufen sich auch die Berichte über Vergewaltigungen. Es gibt Menschen, die ihre Angehörigen im Wald begraben haben, die es nicht geschafft haben, unter so schwierigen Bedingungen zu überleben.
Die Jemenit:innen, mit denen wir während der Waldhilfsaktion zu tun hatten, berichteten uns, dass sie selbst nach Einleitung eines Asylverfahrens, in dem sich die polnische Regierung bereits um sie kümmern sollte, 15 Tage lang in einer unterirdischen Zelle festgehalten wurden, ohne sich waschen oder auch nur die Kleidung wechseln zu können, ohne dass ihnen mitgeteilt wurde, wann sie endlich freigelassen würden. Nicht selten wandern ganze Familien aus, oft mit kleinen Kindern, die an einer im Irak weitverbreiteten, aber nur in Europa behandelbaren Herzkrankheit leiden. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen mit schweren Krankheiten, Lungenentzündung, Diabetes, sogar Menschen im Rollstuhl im Wald auftauchen.
Diese Geflüchteten, die abwertend als „illegale Einwanderer:innen“ bezeichnet werden, bekommen jedoch keine Hilfe mehr. Sie werden nicht mit Pierogis und heisser Suppe empfangen, sie werden nicht auf Privathaushalte verteilt. Ausserdem riskiert man, wenn man sie aus dem Wald herausholt, der Schleuserei beschuldigt zu werden, Teil einer Gruppe des organisierten Verbrechens zu sein. Wenn die Refugees Glück haben, können sie Polen unbemerkt durchqueren und landen in Deutschland, Frankreich oder einem anderen europäischen Land mit einer etwas günstigeren Politik gegenüber Migrant:innen. Oft sind sie jedoch in einem solchen psychischen und physischen Zustand, dass sie nicht in der Lage sind, ihren bisherigen Weg fortzusetzen, sodass sie versuchen, in Polen Asyl zu beantragen – aber hier, wie man sich denken kann, endet die Reihe der Traumata, die sie erlebt haben, nicht.
Theoretisch sollte laut Gesetz jede:r Geflüchtete, die:der in Polen Asyl beantragt, auch ein faires Asylverfahren erhalten, was in der Praxis natürlich nicht der Fall ist. Wenn es einer Person gelingt, in unserem Land in das Asylverfahren einzutreten, sieht sie sich mit einer Reihe von Anhörungen konfrontiert, bei denen der Wahrheitsgehalt ihrer Geschichte immer wieder infrage gestellt wird, und schliesslich mit einem langen, bis zu einem Jahr dauernden Aufenthalt in einem Internierungslager mit katastrophalen Bedingungen: Die Fläche pro Person beträgt etwa zwei Quadratmeter, es gibt keine Aktivitäten, keine Bücher, keinen Zugang zu Kulturangeboten, der Internetzugang ist streng begrenzt auf eine halbe Stunde pro Woche, es gibt keine Kleidung, keine grundlegenden Hygieneartikel, und die Lebensmittelrationen sind nicht ausreichend.
Man könnte meinen, dass das Ende des Aufenthalts in diesem Zentrum gleichbedeutend ist mit einem Happy End und der Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen, aber leider ist dem nicht so – oft ist das Endergebnis eine Abschiebungsentscheidung. Weil es an Anwält:innen sowie am Zugang zu Informationen über kostenlosen Rechtsbeistand und zu Dokumenten über die aktuelle Situation in polnischer Sprache fehlt, hat die Person nicht einmal die Mittel, um für sich selbst zu kämpfen.
All die Traumata, die im Herkunftsland, dann in Weissrussland und Polen erlebt wurden, das Fehlen einer elementaren psychologischen Betreuung und eine allgemein gewalttätige Atmosphäre in den Zentren, die von Grenzschützer-:innen „betreut“ werden, sind der Regeneration und den Versuchen, den Status quo zu ändern, nicht förderlich. Das ist der Effekt, auf den der gesamte Prozess der „Assimilierung von Migrant:innen“ von der polnisch-weissrussischen Grenze ausgerichtet ist.
Welche Rolle spielt der Antimilitarismus in eurer Aktivität als FNB? Was haltet ihr von der Idee, Waffen an die ukrainische Seite zu liefern?
Nicht nur die in Łódź ansässige, auch die weltweite Food-Not-Bombs-Bewegung hat sich von Anfang an gegen den Krieg als solchen ausgesprochen. Sie geht davon aus, dass jeder Krieg enorme soziale Schäden verursacht und das Leben Tausender von Menschen beeinträchtigt, die nicht direkt an den Kriegsaktivitäten beteiligt sind, aber unter den schlimmsten Folgen in Form von Hunger, Zerstörung von Eigentum und sogar Lebensgefahr leiden. Ein Krieg kostet auch enorm viel Geld, das für bereits unterfinanzierte und ausgegrenzte Gruppen von Menschen ausgegeben werden könnte, die zudem die Auswirkungen eines Krieges am stärksten zu spüren bekommen werden. Die Unterstützung von Kriegen durch die Bereitstellung von Waffen ist immer eine Finanzierung von Gewalt und Zerstörung.
Aber in dieser sensiblen Frage des Krieges in der Ukraine, mit der wir uns ständig beschäftigen, versuchen wir persönlich, in anderen Bereichen zu arbeiten, in denen Hilfe geleistet werden kann. Damit nehmen wir die Position ein, um die die ukrainischen Anarchist:innen selbst gebeten haben, indem sie sagten, dass einige von ihnen kämpfen und sich bewaffnen wollen und einige von ihnen nicht im Namen von Grenzen und Staatlichkeit sterben wollen. Sie bitten uns, keine dieser Haltungen zu verurteilen.
Warum hat sich die polnische Gemeinschaft so sehr für die Geflüchteten aus der Ukraine engagiert? Warum war diese Hilfe für die Geflüchteten an der polnisch-weissrussischen Grenze anders?
Einerseits ist es eine Form, das Trauma der fehlenden Hilfe an der polnisch-weissrussischen Grenze und aller sich daraus ergebenden Konsequenzen zu kompensieren, d. h. der eigenen stillschweigenden Zustimmung zu menschlichem Leid oder gar Tod, denn nach dem Beschluss der Regierung sind sowohl die Hilfe an dieser Grenze als auch für die Geflüchteten selbst illegal. Die Unfähigkeit zu handeln, zusammen mit der riesigen Anzahl von Videos, die Geflüchtete und ihre Familien oft in den sozialen Medien posten und damit um Hilfe schreien, schafft ein Gefühl der Notwendigkeit zu handeln.
Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine gibt es jetzt eine Gelegenheit, diese Notwendigkeit nicht nur in einer sicheren Umgebung zu kanalisieren, sondern auch in einer Aura grosser gesellschaftlicher Zustimmung für solche Aktionen. Diese Aktionen sind auch äusserst medienwirksam, und wer prahlt nicht gerne damit, dass sie:er hilft – dagegen ist objektiv nichts einzuwenden, solange mehr dahintersteckt als der Wunsch nach Applaus. Weil die Hilfsaktivitäten medienwirksam sind, erreichen sie Menschen, die sich vielleicht gar nicht engagieren würden, aber die sich ermutigt denen anschliessen, die bereits helfen. Es ist ein relativ erstaunliches Phänomen: Wenn es darum geht, die Pol:innen zum gemeinsamen Handeln zu mobilisieren, auch wenn die geleistete Hilfe ein wenig chaotisch sein mag, war und ist die Gesellschaft in der Lage, gemeinsam viel zu tun, und das ist wirklich ermutigend.
Hinzu kommt, dass die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine geografisch unsere nächsten „Nachbar:innen“ sind. Es handelt sich auch um eine Gruppe, die uns kulturell nahesteht, sodass die Projektion – die Identifikation mit ihrer Situation – einfacher möglich ist und infolgedessen auch die Empathie und die Bereitschaft zum Handeln. Leider gilt diese Situation nicht für nicht-weisse Ukrainer:innen. Wir hören oft von Situationen, in denen für dunkelhäutige Student:innen, die vor dem Krieg fliehen, kein Transport von der Grenze aus zur Verfügung steht, oder dass Menschen, die sich ursprünglich entschlossen haben, Geflüchteten ihre Unterkunft anzubieten, das Angebot zurückziehen, wenn sie herausfinden, dass es sich nicht um eine weisse Frau, vorzugsweise mit einem kleinen Kind an ihrer Seite, handelt.
Wir selbst fragen uns oft, warum die Gesellschaft Geflüchtete unterteilt und so eifrig bemüht ist, einigen Gruppen zu helfen, während sie die Erfahrungen und das Leid anderer herabwürdigt und sie sogar entmenschlicht, wie es in der rechtsnationalen Rhetorik der Fall ist, wo sie als „Elemente hybrider Kriegsführung“ oder „Putins lebende Munition“ bezeichnet werden. Überraschenderweise würde es niemand wagen, diesen Begriff in Bezug auf Geflüchtete aus der Ukraine zu verwenden, die von Wladimir Putins Aktionen noch direkter betroffen sind.
Die Gründe für diese Situation liegen unseres Erachtens im unverblümt geäusserten Rassismus, der sich in einer offenen Abneigung gegen Menschen mit einer anderen als der weissen Hautfarbe zeigt, sowie im versteckten, von Medienberichten unterschwellig transportierten Rassismus. Dadurch entsteht eine allgemeine stillschweigende gesellschaftliche Überzeugung, dass die:der andere gleichbedeutend mit der:dem Fremden und die:der Fremde gleichbedeutend mit einer:m potenziellen Bedroher:in ist. Eine andere Hautfarbe, ein anderer kultureller Hintergrund, eine andere Sprache, ein entferntes Herkunftsland – all das erleichtert es den Menschen, sich von dem Leid, das diese Geflüchteten in unserem Land erfahren, völlig zu distanzieren. Diese Kluft zwischen „uns“ und „den Fremden“ wird einfach erzeugt, hat jedoch dramatische Folgen. Danke für das Gespräch, und ich wünsche euch viel Kraft für eure Aktivitäten!