Gegen das Gerede vom Westsplaining
Das ist besonders wichtig, weil sich spätestens seit Beginn des russischen Angriffes auf die Ukraine der Begriff Westsplaining auch in Teilen der ausserparlamentarischen Linken eingebürgert hat. Er wird häufig als Vorwurf gegen die Menschen und Organisationen benutzt, die auch nach dem 22. Februar 2022 weiterhin sämtliche bestehenden Militärbündnisse, also auch die Nato, ablehnen und die sich weigern, sich im Krieg zwischen der Ukraine und Russland auf die Seite eines Staates zu stellen.Ihnen wird mit dem Vorwurf des Westsplaining unterstellt, nur auf ihre eigenen Befindlichkeiten zu schauen und die Positionen und Ängste vieler Menschen in Osteuropa zu ignorieren. Dabei handelt es sich aber um die Ethnisierung politischer Positionen, was grundsätzlich abzulehnen ist. Eine Gegnerschaft zu allen bestehenden Militärbündnissen auch der Nato hat nichts mit westlichen Befindlichkeiten zu tun. Es ist vielmehr eine unverzichtbare Position, für eine universalistische Linke, die noch den Anspruch hat, gegen jeden Staat und jede Nation zu kämpfen. Eine solche Position ist immer wieder mit unterschiedlichen Begründungen von linken Gruppen aufgegeben wurde, wenn sie Realpolitik machen wollen. Das ist altbekannt.
In den 1990er Jahren konnte man beobachten, wie die Grünen ihre Friedenspositionen samt ihrer Symbole in Zeitlupe entsorgten. Wer dabei nicht mitmachen wollte, hat die Partei verlassen. Wenn man heute einen Anton Hofreiter hört, der sich mit der FDP-Frau Agnes Strack-Zimmermann an militaristischer Rhetorik gegen Russland übertrifft, kann man gar nicht mehr glauben, dass genau die Grüne Partei mal den Austritt aus der Nato im Programm hatte und zivilen Ungehorsam gegen Krieg und Militarismus propagiert hatte. Um diese Veränderungen zu erklären, braucht man nun wirklich keine Verweise auf West- oder Ostsplaining. Vielmehr konnte man schon länger zur Kenntnis nehmen, dass die Grünen heute die Interessenvertreter einer besonders aggressiven Fraktion des deutschen Kapitals vertreten.
Gegen alle Querfronten, ob für den kapitalistischen Krieg oder den kapitalistischen Frieden
Auch Gruppen und Medien, die sich vor 25 Jahren noch klar gegen die Entwicklung der Oliv-Grünen zur Partei des modernen Militarismus positioniert haben, verlieren den linken Kompas und sind ihrerseits nicht davor gefeit, in eine ähnliche Entwicklung zu gehen. Heute findet man eine regelrechte Heldenberichterstattung neuerdings in einst linken heute linksliberalen Zeitungen. So wurde kürzlich in der Jungle Word recht unkritisch ein Mann gewürdigt, der sich als angebliche Linker entschlossen hatte, für die Ukraine zu kämpfen.Nur bleibt unklar, was der gewürdigte Ire Finbar Cafferkey mit einer linken Position zu tun hatte. Im Artikel gibt es dafür wenig Belege. Eher das Gegenteil. Denn auch den Autor des Artikels beschlich ein leichtes Unbehagen, dass der gerade als Linker gelabelte Cafferkey im "rechtskatholischen Bataillon Bratstwo (Bruderschaft)" kämpfte. Das hat der Autor noch sehr vorsichtig ausgedrückt. Manche sprechen von ukrainischen Ultranationalisten und extremen Rechte.
Eine solche Zusammenarbeit von angeblich Linken mit solchen Gruppen wird häufig Querfront genannt und stösst in der Jungle World eigentlich immer wieder auf berechtigte Kritik. Nur die Querfront gegen Russland wird merkwürdigerweise von dieser Kritik ausgenommen und damit entschuldigt, dass die Rechten in der Ukraine besser für den Kampf gegen Russland vorbereitet seien. Kein Wunder, dass dann manche in Asow und Co. auch keine Faschisten mehr sehen wollen. Dagegen sollten Linke die Parole setzen: Gegen jede Querfront, ob für den imperialistischen Frieden oder den imperialistischen Krieg.
Antimilitarist*innen in Osteuropa
Es ist ein Verdienst der Prager Aktionswoche, diese Position überhaupt wieder an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Es ist auch eine Kampfansage an die Vertreter*innen der Weststplaining-These, die den Menschen in Osteuropa unterstellen, dass sie aus ihrer geopolitischen Lage für einen besonders aggressiven Kurs gegen Russland eintreten. Dabei verschweigen sie, dass auch in Osteuropa Gruppen und Einzelpersonen mit einer klar antimilitaristischen Position agieren. Sie werden oft auch von der Westlinken zu wenig wahrgenommen und sie sind auch immer wieder Repression in ihren Ländern ausgesetzt.Das war auch bei der Konferenz in Prag zu sehen. Ein schon im Februar gemieteter Raum wurde kurz vor Konferenzbeginn gekündigt, so dass kurzfristig neue Räumlichkeiten gesucht werden mussten. Die wurden dann am Rande von Prag gefunden. Diese erzwungene Ortsverschiebung haben nicht alle Antimilitarist*innen rechtzeitig mitbekommen. So kann man sagen, dass die staatliche Repression auch direkt Einfluss auf die Konferenzgestaltung hatte. Auch die oben genannte Demonstration in der Prager Innenstadt wurde kurzfristig abgesagt, auch weil die Organisator*innen mit der Suche nach neuen Räumlichkeiten für die Konferenz beschäftigt waren.
Wer will, kann hierin ein Zeichen für die Schwäche der konsequenten Antimilitarist*innen sehen. Aber man kann auch positiv konstatieren, dass hier auch zahlreiche osteuropäische Gruppen zusammenkamen, die sich an entschieden antimilitaristischen Positionen orientieren. Dazu gehören Gruppen wie Antipolitika vom Balkan, die tschechisch-anarchistische Bewegung, aber auch Gruppen aus Bulgarien der Ukraine und Russland. Dass sich viele Gruppen aus osteuropäischen Ländern gegen Krieg und Militarismus positionieren, ist eine wichtige Erkenntnis, die in den meisten Medien ignoriert wird. In der Tradition der Zimmerwalder Linken vor mehr als 100 Jahren. Dabei müsste die Parole lauten: „Gegen alle Querfronten, ob für den kapitalistischen Krieg oder den den kapitalistischen Frieden“. Das war auch die Parole der Aktionswoche in Prag.
Hier zeigt sich, wie notwendig eine antimilitaristische Bewegung ist, die sich auf keine Seite im Krieg stellt und die an Traditionen der linken Arbeiter*innenbewegung anknüpft. So heisst es im Aufruf zur antimilitaristischen Aktionswoche:
„Die zwischenstaatlichen Kriege, die in den letzten Jahren eskaliert sind, bringen die Menschheit der Möglichkeit eines weiteren Weltkriegs näher. Millionen von Menschen werden bereits in Kriegen geopfert und die Situation wird sich verschlimmern, wenn es keine angemessene Reaktion gibt. Deshalb versuchen wir im Geiste des proletarischen Internationalismus und des revolutionären Defätismus, Einzelpersonen und Gruppen aus verschiedenen Teilen der Welt die Möglichkeit zu geben, sich zu treffen, zusammenzuschliessen und ihre gemeinsamen Anstrengungen zu koordinieren.“
Aus dem Aufruf zur antimilitaristischen Aktionswoche
Dort wird auf den revolutionären Defätismus verwiesen, der besagt, dass man sich in einem Krieg zwischen zwei kapitalistischen Staaten oder Staatenblöcken auf keine Seite stellt, sondern für die Niederlage aller Seiten kämpft. Diese Position hatte sich die Zimmerwalder Linke erarbeitet, ein Bündnis von Organisationen des linken Flügels der Arbeiter*innenbewegung, die es ablehnten, sich im 1. Weltkrieg auf einer Seite zu stehen. Die in der Zimmerwalder Linken organisierten Gruppen wandten sich gegen die Unterstützung der Kriegskredite und des Burgfriedens, den die SPD und andere sozialdemokratische Parteien zu Beginn des ersten Weltkriegs propagiert hatten.Allerdings sind die Positionen des Organisationskomitees der Prager Aktionswochen zu Zimmerwald etwas widersprüchlich. Einige Vertreter*innen äusserten sich dazu im Transmitter, einer Zeitung, die vom Freien Sendekombinat in Hamburg herausgegeben wird. Es war eines der wenigen Medien, welches die antimilitaristische Aktionswoche überhaupt erwähnte. Dort distanziertem sich die Interviewten von der Zimmerwalder Konferenz, die sie als sozialdemokratisches Manöver bezeichnen. Mit dieser Einschätzung haben sie weitgehend recht. Dass sich 1916 aus der Kritik an den Halbheiten der Zimmerwalder Konferenz die Zimmerwalder Linke entstand, wird in dem Interview aber nur in wenigen Sätzen erwähnt. Dabei entwickelte die Zimmerwalder Linke ihr Konzept des revolutionären Defätismus gerade in Auseinandersetzung und Abgrenzung zur Zimmerwalder Konferenz.
Hier wären sicher noch weitere Diskussionen erforderlich. Die wichtigste Frage aber ist: War die Prager Aktionswochen trotz aller organisatorischen Probleme ein einmaliger Kraftakt? Oder werden die daran beteiligten Gruppen in ihren Ländern weiterarbeiten und versuchen ihre Basis zu vergrössern? Das aber wäre nötig in einer Zeit, in der die kapitalistischen Staaten und Blöcke so offen wie lange nicht auf einen globalen Krieg zusteuern. Bisher sind es in vielen Ländern oft rechte Gruppen, die aus nationalistischen Gründen bestimmte Kriegen ablehnen, wie Teile der AfD in Deutschland.
Nötig wäre aber tatsächlich eine länderübergreifende linke Bewegung, die auch den Zusammenhang von Krieg und Kapitalismus deutlich macht, die sich gegen jede Querfront sowohl für den kapitalistischen Krieg wie den kapitalistischen Frieden wendet. War Prag der Beginn einer solchen Bewegung? Das ist die alles entscheidende Frage. Der erste Schritt müsste dann sein, die Aktionswoche kritisch aufzuarbeiten und dabei die eigenen Fehler und Schwächen in den Mittelpunkt zu rücken.