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Rumänien: Die soziale Reproduktion des Kapitals durch ein Übergangsprogramm im Wohnungswesen unterbrechen

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Von der schöpferischen Zerstörung des Kapitalismus zur destruktiven Kreativität Rumänien: Die soziale Reproduktion des Kapitals durch ein Übergangsprogramm im Wohnungswesen unterbrechen

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Politik

Die soziale Reproduktion des Staatssozialismus in Rumänien wurde teilweise durch die Produktion von drei Millionen Sozialwohnungen in einem gemischten Wohnungssektor ermöglicht, der die sozialistische Industrialisierung, Urbanisierung und Modernisierung unterstützte.

Bukarest, November 2023.
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Bukarest, November 2023. Foto: Lewak

Datum 6. Dezember 2024
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Es überrascht daher nicht, dass der Übergang zu einem marktorientierten Wohnungssektor eine der wichtigsten Säulen bei der Etablierung des Kapitalismus in Rumänien war. Heute sollten wir diese Entwicklung umkehren, indem wir die soziale Reproduktion des Kapitalismus durch die Wohnungspolitik unterbrechen. Dies kann durch die Umsetzung der Forderungen eines Übergangsprogramms geschehen, das mit einem zukünftigen sozialistischen Wohnungssystem vereinbar ist, das wir uns jetzt als integralen Bestandteil einer Alternative zum Kapitalismus vorstellen können, wie Enikő Vincze argumentiert.

Mein Artikel basiert auf einer Studie über die Umwandlung ehemaliger Industriestandorte in Immobilienentwicklungsgebiete in Rumänien. Wir haben diese Prozesse untersucht, um die Klassenbildung und Reurbanisierung nach dem Abbau der staatssozialistischen Wirtschafts- und Sozialstrukturen zu verstehen. Das gemeinsame Buch, das aus dieser Forschung hervorging, theoretisierte die Immobilienentwicklung an der Schnittstelle von Deindustrialisierung und Finanzialisierung, die durch die Privatisierung erleichtert wurde, während sie sich in der ungleichen kapitalistischen Weltordnung des 21. Jahrhunderts (Vincze et al., 2024). Mein Artikel untersucht diese Prozesse als Bestandteile der destruktiven Kreativität des Kapitalismus.

Der Artikel erkennt die zentrale Rolle des Wohnungswesens innerhalb eines politischen Wirtschaftsregimes an und hebt seine Bedeutung für die wirtschaftliche Produktion und die soziale Reproduktion hervor. Das Wohnungswesen ist eine Infrastruktur, die die Kapitalakkumulation erleichtert und ein Grundbedürfnis der Arbeitskräfte befriedigt. Darüber hinaus ist es ein Mittel, durch das das Kapital und der es unterstützende Staat neue Wege für Investitionen und Märkte schaffen und gleichzeitig potenziell antikapitalistische Handlungsfähigkeit fördern. Ich plädiere dafür, die soziale Reproduktion der destruktiven Kreativität des Kapitalismus durch ein Übergangsprogramm innerhalb des Wohnungssystems zu unterbrechen.

Von der schöpferischen Zerstörung des Kapitalismus zur destruktiven Kreativität

Ich schlage vor, von dem von Joseph Schumpeter in seinem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (1942) geprägten Begriff der schöpferischen Zerstörung zum Begriff der destruktiven Kreativität überzugehen, um zu betonen, dass die industriellen Veränderungen, die die Wirtschaftsstruktur innerhalb des Kapitalismus kontinuierlich revolutionierten, systematisch das Alte zerstörten und eine neue Struktur schufen.

Mit Bezug auf das letztgenannte Konzept kann die ursprüngliche Perspektive von Karl Marx und Friedrich Engels (1848) wieder aufgenommen werden, die feststellten, dass die Bourgeoisie stets versucht, die kapitalistische Epidemie der Überproduktion durch die erzwungene Zerstörung von Produktivkräften, die Eroberung neuer Märkte und die verstärkte Ausbeutung bestehender Märkte zu bekämpfen.

Destruktivität ist nicht nur ein ‚normaler' Preis der Wirtschaftstätigkeit, wie Schumpeter behauptete, sondern vielmehr ein endemisches Merkmal des Kapitalismus, das den Prozess der Akkumulation durch Enteignung erleichtert (Harvey, 2004). Meiner Interpretation nach bezieht sich das Konzept der destruktiven Kreativität des Kapitalismus auf Fälle, in denen, wie im Fall des sozialistischen Mittel- und Osteuropas, nichtkapitalistische Geografien und Wirtschaftssektoren im Streben nach Profitmaximierung zerstört wurden, um durch räumliche Fixierung und Kapitalumschichtungen neue Investitionsmöglichkeiten zu schaffen.

In unserem Forschungsprojekt „Klassenbildung und Reurbanisierung durch Immobilienentwicklung an der östlichen Peripherie des globalen Kapitalismus“ (2020-2023) haben wir festgestellt, dass in Rumänien insbesondere seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre, als die Privatisierung aller ehemals staatlichen Fabriken abgeschlossen war, die Deindustrialisierung und der anschliessende Abriss alter Industrieanlagen zu erheblichen Leerständen geführt haben, die als Standorte für neue Immobilienprojekte genutzt werden konnten. Diese Transformation ist ein Beispiel für die zerstörerische Kreativität des Kapitalismus.

In der Nähe der Stadtzentren gelegen und mit städtischen Versorgungseinrichtungen ausgestattet, spielten die ehemaligen Industrieplattformen eine wichtige Rolle bei der Wiederbelebung der regionalen Städte, die durch wirtschaftliches Wachstum und eine starke Nachfrage nach neuen Bauplätzen gekennzeichnet waren.

Vor dem Abriss konnten alte Industriegebäude für produktive und nicht produktive Aktivitäten vermietet werden. Gleichzeitig konnten die Grundstücke nach dem Abriss der alten Gebäude auf dem Gelände als Sicherheit für Bankkredite der neuen privaten Eigentümer dienen. Ihre Unternehmensschulden konnten in Vermögenswerte umgewandelt werden, wodurch die Gläubiger zu Anteilseignern des verschuldeten Unternehmens wurden. Darüber hinaus bot der Abriss die Möglichkeit, die Nutzung des Geländes von Industrie in Wohn- oder Mischnutzung umzuwandeln, in Übereinstimmung mit den sich entwickelnden städtebaulichen Vorschriften.

Nach der Umwidmung für neue Immobilienprojekte wurden die Grundstücke/Gebäude einer ehemaligen Industrieplattform zu neuen Quellen der Kapitalakkumulation. Da die neuen Immobilienprojekte über Hypotheken oder andere Darlehen verkauft werden konnten, erwirtschafteten die ehemaligen Industrieplattformen auch Gewinne für Kreditinstitute und Einzelpersonen/Unternehmen, die in Immobilien investierten oder Aktionäre von börsennotierten Unternehmen wurden.

Die oben beschriebenen Veränderungen sind Symbole einer umfassenden Zerstörung, d.h. der Zerschlagung des staatssozialistischen Regimes und der Errichtung des Kapitalismus auf seinen Trümmern. Diese Entwicklung basierte auf der Ersetzung des gesellschaftlichen Eigentums an Produktionsmitteln, der zentralen Planung, des gemischten Wohnungswesens und der in der produktiven Wirtschaft tätigen Arbeiter*innenklasse durch Privateigentum in allen Wirtschaftssektoren, einem auf Wettbewerb basierenden Wachstum, einem vom Markt dominierten Wohnungswesen und einer Mittelschicht, die die dienstleistungs- und konsumorientierte Wirtschaft stützt. Parallel zur fortschreitenden Immobilienentwicklung wurde ehemals öffentliches Land in den Dienst einer profitablen ‚Stadterneuerung' gestellt und als Infrastruktur für den Immobilien-/Finanzkomplex (Aalbers, 2013) und den sekundären Kapitalkreislauf genutzt. All diese radikalen Veränderungen sind Ausdruck der zerstörerischen Kreativität des Kapitalismus.

Die soziale Reproduktion des Staatssozialismus und des Kapitalismus durch den Wohnungsbau

Der Wohnungsbau spielte eine zentrale Rolle in der sozialen Reproduktion sowohl des Staatssozialismus als auch des Kapitalismus und in der politischen und wirtschaftlichen Transformation Rumäniens in den letzten Jahrzehnten. Die soziale Reproduktion des Staatssozialismus in Rumänien wurde unter anderem durch die Produktion von drei Millionen Sozialwohnungen in einem gemischten Wohnungsbausystem ermöglicht (Vincze, 2022), das die sozialistische Industrialisierung, Urbanisierung und Modernisierung unterstützte. Rechtlich und in der Praxis garantierte das staatssozialistische gemischte Wohnungssystem Wohnraum in Privateigentum (30% auf nationaler Ebene und 50-60% in den Städten), aber dieses Privateigentum unterlag strenger staatlicher Kontrolle. Der Bau von Sozialwohnungen als wirtschaftliche Produktion war in einer zentralisierten Planwirtschaft und durch einen Verhandlungsprozess zwischen lokalen Akteur*innen (einschliesslich Arbeiter*innenkollektiven und Gemeinderäten) und dem Zentralstaat möglich.

Darüber hinaus wurde dies durch den von den Arbeiter*innen geschaffenen Mehrwert ermöglicht, der in den Staatshaushalt floss und nach einem zentralisierten Plan verteilt wurde, um eine ausgewogene territoriale und wirtschaftliche Entwicklung zu gewährleisten und öffentliche Güter und Dienstleistungen für alle zugänglich zu machen. Ermöglicht wurde dies auch durch eine Reihe gemeinnütziger Finanzinstitutionen und ein Preissystem, das die Preise im Planungsprozess festlegte und die Kaufkraft der Arbeiter*innen berücksichtigte. Im Gegensatz dazu war die Schaffung und Verteilung von Sozialwohnungen ein Bestandteil der produktiven Wirtschaft und ein Instrument der sozialen Reproduktion, das die wirtschaftliche Produktion aufrechterhielt.

Die umfassende Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbestands und der drastische Rückgang des Neubaus von Sozialwohnungen sind zu einem Eckpfeiler bei der Schaffung und Ausweitung eines Systems geworden, in dem Wohnraum hauptsächlich über den Markt zugänglich ist, was seine Hyper-Kommodifizierung und Finanzialisierung und letztlich die soziale Reproduktion des Kapitalismus erleichtert.

Letztere hängt von der Aneignung des von der arbeitenden Bevölkerung geschaffenen Mehrwerts durch das Kapital ab. Die Aufrechterhaltung des ausbeuterischen Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit wird durch das Streben des Kapitals nach Akkumulation in verschiedenen Wirtschaftssektoren, einschliesslich des Wohnungswesens, vorangetrieben und durch die Notwendigkeit der Arbeitskräfte, zu überleben, d.h. einen Arbeitsplatz und eine Wohnung zu haben, unterstützt.

Während die Arbeitskraft in der produktiven Wirtschaft vom Kapital ausgebeutet wird, müssen die Arbeitnehmer oft einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens, manchmal mehr als 30-40%, für den Erwerb von Wohnraum auf dem Markt aufwenden. Da weder die Arbeitgeber noch der Staat den Arbeitnehmern Wohnraum zur Verfügung stellen, sind sie gezwungen, die Kosten des Tauschwerts von Wohnraum zu tragen, einschliesslich der Profite institutioneller Bauträger, Investor*innen und Vermieter*innen. Darüber hinaus stellt die materielle Produktion von Wohnraum im Kapitalismus eine produktive wirtschaftliche Tätigkeit dar, bei der die Eigentümer der Produktionsmittel die Arbeitskraft ausbeuten.

Im finanzialisierten Kapitalismus geht das Wohnen über seine physische Existenz hinaus: Das Immobilienkapital ist mit dem Finanzkapital verflochten, nicht nur durch die Notwendigkeit, die materielle Produktion zu finanzieren und das Wohnen zu kommerzialisieren, sondern auch durch den Handel als Anlageklasse auf den Finanzmärkten über Hypothekensysteme, ausbeuterische Mietverhältnisse oder Börsenspekulationen.

Die soziale Reproduktion des Kapitalismus durch ein Übergangsprogramm stören

Der Übergang von einem gemischten zu einem marktorientierten Wohnungssystem war einer der Hauptpfeiler der Unterbrechung der sozialen Reproduktion des Staatssozialismus. Heute sollten wir dies umkehren, indem wir die soziale Reproduktion des Kapitalismus durch wohnungspolitische Massnahmen unterbrechen. Dies kann durch die Umsetzung der Forderungen eines Übergangsprogramms (Trotzki, 1938) erreicht werden, das mit einem zukünftigen sozialistischen Wohnungssystem vereinbar ist, das wir uns heute als Teil einer Alternative zum Kapitalismus vorstellen können. Die Wohnbewegungen können und müssen eine wichtige Rolle bei der Konzeption dieses Systems spielen.

Sie spielen eine wichtige Rolle in den antikapitalistischen Kämpfen, indem sie das Klassenbewusstsein und die Solidarität zwischen den verschiedenen Arbeiter*innenklassen stärken und sie in die Lage versetzen, aufzudecken, wie die Ausbeutung nicht nur am Arbeitsplatz funktioniert, sondern auch im Wohnungssektor für all jene, die auf den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind und nur begrenzten Zugang zu Wohnraum auf dem Markt haben.

Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen unserer in Cluj-Napoca ansässigen Bewegung Căși sociale ACUM!/Sozialer Wohnungsbau JETZT! Elemente eines solchen Übergangsprogramms: Anerkennung von Wohnen als Verfassungsrecht; deutliche Erhöhung des Anteils von Sozialwohnungen auf bis zu 50% des gesamten Wohnungsbestandes; Gründung von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und gemeinnützigen Finanzinstituten zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus; Enteignung von 25 % der von institutionellen Bauträgern errichteten Wohnungen, beginnend mit der Bebauung ehemaliger Industriegelände; Gründung öffentlicher Mieter*innenvereinigungen, um die demokratische Verwaltung der Sozialwohnungen zu gewährleisten und sie vor dem Verkauf zu schützen; Begrenzung der Mietkosten auf 10 % des Einkommens der Mieter*innen; Regulierung des Wohnungsmarktes und Schutz der Haushalte vor Überlastung durch Wohnkosten.

Indem sie anerkennen, dass der Kapitalismus die Krise der Bezahlbarkeit von Wohnraum verursacht hat und dass sie nicht innerhalb des Kapitalismus gelöst werden kann, könnten die Wohnraumbewegungen die ‚verwandtschaftlichen Beziehungen' zwischen der Ausbeutung auf dem Wohnungsmarkt und auf dem Arbeitsmarkt sowie zwischen wirtschaftlicher Produktion und sozialer Reproduktion aufdecken, die den globalen Kapitalismus stützen. Sie könnten Verbindungen zwischen verschiedenen Kämpfen von Arbeiter*innen herstellen, einschliesslich derer, die in Lohnarbeit und informell beschäftigt sind, der unbezahlten Hausangestellten und der Reservearmee der Arbeit, die alle unter verschiedenen Formen von Wohnungsverlust und -entzug leiden, wie z.B. hohe Mieten, Hypotheken- oder Wohnungskosten, unangemessene Wohnbedingungen oder schlechte informelle Unterkünfte.

Die soziale Reproduktion des Kapitalismus kann vor allem durch die Enteignung der institutionellen Bauträger und Vermieter*innen oder durch die Vergesellschaftung grosser Wohnungsbestände unterbrochen werden, um den Wohnraum dem Einfluss des Marktes zu entziehen; durch die Kontrolle und Regulierung der Wohnungsmärkte; und durch die Demokratisierung des Finanzsystems, um sicherzustellen, dass die Mittel entsprechend den Wohnbedürfnissen der Arbeiter*innen und nicht nach der Logik der Rentabilität investiert werden.

Enikő Vincze

Zuerst erschienen auf berlinergazette.de.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.