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Russland: Putins Bizeps

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Auseinandersetzung mit dem russischen Imperialismus Russland: Putins Bizeps

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Politik

Wenn der Feind deines Feindes zum Freund wird, oder wie gross ist Putins Bizeps eigentlich wirklich?

Vladimir Putin am 22. Oktober 2015 in Moskau.
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Vladimir Putin am 22. Oktober 2015 in Moskau. Foto: Kremlin.ru (CC BY 4.0 cropped)

Datum 17. Dezember 2015
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Ja, auch wir waren entzückt. Wofür der ein oder andere von uns jahrelang in ranzigen McFits zwischen braungebrannten, schreienden Menschen die Eisen durch die Gegend geworfen hat, scheint diesem Mann in die Wiege gelegt worden zu sein: Putin überzeugt durch stabilen Bizeps und eine wohlgeformte Brust. Ausserdem reitet er auf Bären, was wohl unsere kühnsten Kindheitsfantasien bei weitem übertrifft.

Auch wir können nicht bestreiten, dass das Vorgehen Russlands heute in einigen Situationen antiimperialistisch wirkt. Spätestens der saftige Arschtritt, den Putin unserem Busenfreund Recep Tayyip kürzlich verpasste, entlockte uns allen ein zufriedenes Lächeln.

Dieses Lächeln ist uns allerdings in den vergangenen Wochen immer wieder beim Anblick der diversesten Diskussionen vergangen, in denen Putin und Russland als grosse Retter stilisiert wurden. Sollte Putin tatsächlich derjenige sein, in den wir unsere Hoffnung auf Besserung im Nahen Osten legen sollten? Ist Russland aufgrund der Unterstützung antiimperialistischer Staaten gleich auch an sich antiimperialistisch? Ist Russland sogar „nicht so“ kapitalistisch wie die anderen Länder? Und unterstützt Russland den antiimperialistischen Kampf aus Solidarität oder wie manche sogar sagen aus „moralischer Pflicht“? Bei den Diskussionen rund um diese Fragen ist uns in der Vergangenheit dermassen oft der Booster in den Rachen geschossen, dass es Zeit wird einen kurzen Blick auf die russische Ökonomie zu werfen, bevor euch der Genosse Wladimir Iljitsch Lenin auch die letzten Flausen aus den dieser Tage in Glühwein eingeweichten Köpfchen treiben wird.

Die russische Ökonomie

Die Forbes-Liste des vergangenen Jahres zeigt, dass es in Russland im Jahr 2014 110 Milliardäre gab, deren Privatbesitz bei weit über 300 Milliarden US Dollar lag. Dabei beträgt das durchschnittliche Einkommen nur rund 630 US Dollar pro Monat. Und das gilt wohlgemerkt nur für Zentralrussland.

Der Global Wealth Report der Schweizer Bank Credit Suisse aus dem Jahr 2013 belegt, dass die Kluft zwischen der breiten Masse der Bevölkerung und den Superreichen In Russland so tief ist wie in keinem anderen grossen Land der Welt. 35 Prozent des gesamten Reichtums des Landes befinden sich demnach in den Händen von 0,00008 Prozent der Bevölkerung. Das sind 110 von 143 Millionen Menschen. Zudem beträgt der sogenannte Gini Koeffizient zur statistischen Ermittlung von Ungleichheit für Russland 41,7.Da sieht's sogar in bella Germania mit 27 noch relativ rosig aus.

Da sich nun einige Menschen am Köpfchen kratzen werden und sich fragen, ob der stabil gebaute Aladdin-Flaschengeist mit dem durchaus beneidenswerten Ringelbart jetzt einen auf Wirtschaftsanalytiker macht, mal ne kurze Erklärung was es denn überhaupt mit diesem Gini (Dschinni)- Koeffizienten auf sich hat:

Der Gini-Koeffizient ordnet die Verteilung der Einkommen basierend auf der Lorenzkurve zwischen 0 und 1, wobei 0 totaler Gleichheit entspricht, d.h. alle Bürger haben dasselbe Einkommen. Je näher an eins (oder 0 bis 100, je nach Skalierung) der Koeffizient rückt, desto ungleicher sind Einkommen verteilt, also desto weniger Individuen halten immer grössere Anteile des gesamten Nationaleinkommens.

Natürlich verlassen wir uns aber nicht nur auf die Zahlen von irgendwelchen dahergelaufenen bürgerlichen Statistikern, sondern holen aus zur Theorie-Schelle. Theorie? Der erste Reflex wird nun sein, panisch das rote X am Bildrand zu suchen und 4-20 Kekse zur Beruhigung zu futtern. Aber versprochen, wir machen's kurz und vielleicht könnt ihr ja sogar noch was lernen.

Wir sollten uns also flux Lenins Kennzeichen des Imperialismus in Erinnerung rufen um eine Analyse des russischen Staates vornehmen zu können:

Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine dermassen hohe Entwicklung erreicht hat, dass sie Monopole schafft, die eine zentrale Rolle im Wirtschaftsleben spielen.

Das die russischen Monopole existieren, kann ohne jeden Zweifel behauptet werden. Die Konzentration der Produktion war in der Sowjetunion auf einer sehr hohen Entwicklungsstufe und wurde natürlich übernommen. Es dauerte nicht hunderte von Jahren um im heutigen Russland Monopole entstehen zu lassen — Russland hat die bereits stark konzentrierte sozialistische Wirtschaft geerbt und ihr wieder Privateigentum an Produktionsmitteln übergestülpt.

Ökonomische Studien zeigen klar, dass die russische Wirtschaft hochkonzentriert ist. In vielen Bereichen höher als die USA oder Deutschland. Stark monopolisiert sind die meisten Bereiche der russischen Wirtschaft. Darunter die Energieversorgung, der Transport aber auch die Lebensmittelproduktion.

Nehmen wir uns nochmal die Forbes-Liste zur Brust, sehen wir, dass unter den grössten Monopolen der Welt auch 28 russische stehen. Darunter auf Rang 4 das weltweit grösste Erdgas-Förderunternehmen Gasprom, das nebenbei hinter den russischen Streitkräften der grösste Arbeitgeber des Landes ist. Auf Platz 69 folgt Mineralöl-Riese Lukoil. Der Staat hat grossen Anteil an diesen Monopolen, hält an Gaspromaktien eine Majorität von 50%+1. Der Rest liegt in den Händen von Privatpersonen und Investoren aus dem Ausland.

Wir haben es in Russland also mit einem monopolistischem, stark konzentriertem Kapital zu tun.

Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf Basis des Finanzkapitals

Die Sberbank, grösste Finanzinstitution Russlands und internationale Finanzgruppe, belegt in der Forbes-Liste Platz 91 als eine der grössten Banken der Welt. Es existieren ausserdem Banken, die praktisch mit einem Monopol in enger Verbindung stehen oder ihm sogar angehören. Hierzu gehört unter anderem die Gasprom-Bank.

Die Verschmelzung des Bankenkapitals zum Finanzkapital ist also längst vollzogen. Die Finanziers stehen nicht wie in früheren Stadien des Kapitalismus in der Ecke und vergeben Kredite an die Industrie-Magnaten. Heute verfügen die Magnaten selbst über Banken, weshalb sie heute gemeinhin als Oligarchen bezeichnet werden.

So unter anderem Michail Dmitrijewitsch Prochorov. Der Finanzoligarch war von 2000-2001 Vorsitzender der ROSBank. Gleichzeitig war er bis 2008 Hauptaktionär und Geschäftsführer von „Norilski Nickel“, ergreift also erheblichen Profit aus der Gewinnung des Nickels. Forbes taxierte sein Vermögen im Jahr 2009 auf 9,5 Milliarden Dollar. Damit war er der reichste Russe und belegte Rang 40 in der weltweiten Rangliste der Milliardäre. Fast alle Biografien der russischen Oligarchen sehen ähnlich aus.

Nebenbei umfasst die Forbes-Liste nicht alle Superreichen des Landes. Ausgenommen sind Personen, die Schlüsselfunktionen in der Regierung innehaben, allen voran unseren stabilen Kumpel Wladimir. Sein Privatvermögen wird auf 40 bis 70 Milliarden US Dollar geschätzt. Allein die öffentlich vorgeführte Armbanduhrenkollektion hat einen geschätzten Wert von über 250.000 US Dollar.

Aber nun genug der Uhren: Beuten die russischen Oligarchen die Arbeiterklasse nun aus oder nicht? Wenn dem so wäre, wären sie nur eine kleine, unbedeutende Schicht. Aber wo kommen dann die vielen Milliarden auf den Konten dieser Herren her? Wenn doch, dann stellen eben sie die Klasse der Bourgeoisie in Russland dar, mit all der Scheisse die daraus entsteht: Ausbeutung, Elend und Krieg.

Der Kapitalexport gewinnt im Unterschied zum Warenexport besonders an Bedeutung

Das Russland Kapital exportiert sollte wohl auch denjenigen klar sein, deren Kopf nach 42 Folgen Weihnachtsmann & Co. KG schon etwas eingeweicht ist. In den 90ern fand zunächst eine recht unkontrollierte Flucht des Kapitals in Richtung Westen statt um dieses in westlichen Banken zu sichern. Allerdings hat sich dieser Kapitalfluss seit den 2000ern deutlich verringert. Das Volumen der Investitionen und russischen Monopole im Ausland hat sich deutlich vergrössert und betrug im Jahr 2011 rund 360 Milliarden US Dollar. Das sind ein knackiges Drittel des BIP Russlands und 18-Mal mehr als im Jahr 2000.

Es geht um neue Ressourcen, in die russische Kapitalisten im Ausland ihr Geld stecken, um riesige Profite in Ländern mit billigen Arbeitskräften und Ressourcen zu erzielen.

Die russische Bourgeoisie beutet allerdings nicht nur ihre eigene Arbeiterklasse aus, sondern auch die der Länder, deren Gastarbeiter massenhaft in Russland unter desaströsen Arbeitsbedingungen schuften müssen. Ein aktuelles Beispiel für diese massenhafte Ausbeutung sind die Bauarbeiten für die Olympischen Winterspiele in Sotschi im Jahr 2014.

50 Milliarden US Dollar liess sich Russland die wohl teuersten Spiele in der olympischen Geschichte kosten. Liftanlagen, Hotels, fünf Eisstadien und ein pompöses Olympiastadion — hochgezogen aus dem Nichts und auf den Schultern von zehntausenden Wanderarbeitern, die der Traum von einem guten Lohn angelockt hatte. Sie kamen aus Usbekistan, Tatschikistan oder Kirgistan, um in Russland zu arbeiten und Geld an die Familien in der Heimat zu schicken. Stattdessen gab es in vielen Fällen keine Arbeitsverträge, keinen Lohn und als Sahnehäubchen wurden auch noch die Pässe der Gastarbeiter konfisziert.

4. und 5. Es bilden sich internationale Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich aufteilen und die territoriale Aufteilung der Welt unter den kapitalistischen Grossmächten ist beendet.

Punkt 4 und 5 zur Charakterisierung des russischen Imperialismus klammern wir an dieser Stelle aus, da sie die Analyse der gesamten Welt umfassen, nicht die eines einzelnen Landes.

Russland und sein Militär

Von grosser Bedeutung ist die Militärstärke Russlands. Natürlich ist die militärische Kraft heute nicht mehr vergleichbar mit der Stärke der Sowjetunion. Dennoch zählt Russland zu den stärksten Militärmächten und hat hinter den USA und China die höchsten Militärausgaben weltweit.

Trotzdem kommen wir natürlich nicht umhin zu registrieren, dass Russland bislang eine eher verhaltene Politik führt. Es unterstützt antiimperialistische Nationen und kann aus diesem Grund nicht mit den USA oder der NATO und ihren aggressiven Angriffen gegen mehrere Völker der Welt auf eine Stufe gestellt werden. Es ist also nicht falsch, diese in diesem Punkt antiimperialistisch wirkenden Handlungen Russlands zu unterstützen. Als Kommunisten haben wir deutlich andere Probleme und es liegt uns fern, wie bürgerliche Moralisten nach der Selbstlosigkeit Russlands zu fragen. Natürlich geht es der russischen Bourgeoisie aber um ihre eigenen Interessen.

Aber! und jetzt kommt ein grosses Aber also spitzt die Öhrchen:

Russland ist und bleibt ein imperialistisches Land mit gewaltiger Ausbeutung und einer klar erkennbaren Diktatur der Bourgeoisie. Ein Land mit eigenen Faschisten, einer ausgebeuteten Arbeiterklasse, mit wenigen Superreichen, die über alles herrschen und deren Sprecher Wladimir Putin ist.

Diese russische Bourgeoisie beutet nicht nur ihre eigene Arbeiterklasse aus, sondern auch die der ärmeren Länder, deren Gastarbeiter massenhaft in Russland unter desaströsen Arbeitsbedingungen schuften müssen. Sieht so ein gar nicht so ein „gutes kapitalistisches Land“ aus, das man unterstützen sollte?

Während der ein oder andere Wirrkopf dieser Tage seine Liebeserklärung ans heutige Russland in die Tasten kloppt, setzte Putin auf diese neu entfachte Liebe zum Anlass des 100. Jahrestags des ersten Weltkriegs einen dicken Braunbär-Haufen und bezeichnete die Oktoberrevolution als „Verrat an den nationalen Interessen.“ Eine ziemlich miese Lasche für all diejenigen, die täglich vor ihrem heiss geliebten Putin-Starschnitt den Knicks machen.

Also nochmal: Ja, der Feind unserer Feinde kann manchmal etwas Gutes tun. Ja, er kann, wie es Russland in seiner Aussenpolitik gerade tut, antiimperialistisch wirken. Dennoch bleibt Russland ein imperialistisches Land mit einem klar erkennbaren, aggressiven Kapitalismus. Wer sich Marxist-Leninist nennt, der muss sich der Komplexität dieser Vorgänge bewusst sein. Es ist völlig unnötig, dass heutige Russland für seine teilweise antiimperialistische Politik zum Retter zu erheben. Unsere Solidarität sollte vielmehr den russischen Kommunisten und der russischen Arbeiterklasse gelten. Verpisst euch mit diesem Revisionismus — denn nur über seine Leiche wird eine neue Arbeiterbewegung auferstehen.

C. Stahl / lcm