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Commons erobern Barcelona

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Während der Krise reift eine neue Generation zur politischen Kraft Commons erobern Barcelona

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Politik

Bei den jüngsten Kommunalwahlen in Spanien ist einmal mehr deutlich geworden: In den Jahren der Krise ist eine neue politische Generation erwachsen geworden.

Die Proteste in Spanien nehmen kein Ende.
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Die Proteste in Spanien nehmen kein Ende. Foto: Daniel López García (CC BY 2.0 cropped)

Datum 15. Juni 2015
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Statt sich in Wellen der Empörung zu erschöpfen, ist sie längst den steinigen Weg angetreten, echte Veränderungen herbeizuführen. Die Demokratie- und Medienforscherin Mayo Fuster Morell teilt drei Lektionen.

Städte sind der Startpunkt für grössere politische Veränderungen. Das ist die grosse Einsicht der jüngsten Kommunalwahlen in Spanien. Jedenfalls motivieren die Wahlergebnisse viele Graswurzelbewegungen dazu, auch die nationalen Wahlen in diesem Jahr zu gewinnen. Oder sogar eine südeuropäische Koalition gegen die Sparpolitik zu gründen.

Was hat diese Aufbruchsstimung verursacht? Bei den Kommunalwahlen Ende Mai hat die Bürgerplattform Barcelona in common gewonnen. Ahora Madrid (Madrit jetzt) – eine weitere Bürgerbewegung, die dem Commons-Ethos verbunden ist – wurde zur entscheidenden Kraft für die Regierung in Madrid. Das sind nur zwei von vielen Überraschungen, die es bei den Kommunalwahlen in Spanien gegeben hat.

Die Volkspartei und die Sozialistische Partei bleiben weiterhin die Hauptparteien seit der Transformation zur Demokratie des Landes Ende der 1970er Jahre, aber wie üblich hat die Macht der Politik einen erheblichen Schlag abbekommen. Das Zwei-Parteien-System fiel von 65% auf auf 52% Wahlbeteiligung bei den letzten Wahlen vor vier Jahren.

Gegen Zwangsräumungen

Nur fünf Jahre nach dem Eintreten der Indignados und der Bewegung 15-M für „echte Demokratie jetzt!“ in Opposition zu Politikern „die uns nicht repräsentieren“ und der „Diktatur der Märkte“, ist der Einfluss dieser Bewegung so offensichtlich, dass man ihn nicht mehr leugnen kann.

Die Kandidatenlisten der Kommunalwahlen werden von Akteuren der sozialen Bewegungen bevölkert. Um einen Vorgeschmack zu geben: Ada Colau, eine Direct-Action-Anti-Zwangsräumung-Aktivistin und Hausbesetzerin, wird die nächste Bürgermeisterin von Barcelona. Ein Witz der Geschichte: Eine Aktivistin gegen die Räumung von Häusern, „räumt“ das Rathaus.

In Anbetracht der Bewegungsbahn der politischen Führungspersonen,könnte man auch sagen: der Kreislauf begann mit der Anti-Globalisierungsbewegung (der Ursprung von Colau oder Pablo Iglesias, Anführer von Podemos/Yes we can), welche es aber auch schafften jene Generation zu mobilisieren, die für die Demokratie in Spanien gegen das Franco-Regime kämpfte.

Dies sind auch die Wurzeln von Manuela Carmena von „Ahora Madrid“, eine Richterin im Ruhestand und wahrscheinlich die neue Bürgermeisterin von Madrid.

Crowdfunding, Crowdsourcing, Nachbarschaftsvereinigungen

Ein zentrales Anliegen der neuen Volksvertretungen sind Pläne, die Bürger vor dem Ersticken durch die Sparpolitik zu retten, genauso wie die Einführung eines Grundeinkommens und eine Kontrolle der voranschreitenden Privatisierung des öffentlichen Dienstes.

Darüber hinaus: Die Einführung eines ethischen Codes, um Politiker in Bezug auf Transparenz und der Abschaffung politisch Privilegierter zu regulieren und die Verpflichtung von Bürgerinitiativen zu unterstützen.

In organisatorischer Hinsicht ist die Bewegung sehr faszinierend. In weniger als einem Jahr haben einfache Bürger, welche sich zusammengeschlossen haben, wichtige Positionen im politischen System einnehmen können ohne dabei politische, wirtschaftliche, rechtliche oder journalistische Kontakte zu haben. Ein Sieg für David über Goliath!

Sie vereinten verschiedene Mittel wie Crowdsourcing, Online-Wahlen, Nachbarschaftsvereinigungen und Crowdfunding (siehe dazu: Innovation aus Spanien). Ausserdem schaffte man es über ein eigenes Fernsehprogramm Popularität zu gewinnen, wie im Falle des Podemos-Vorsitzenden Pablo Iglesias.

Dabei vereint er eine gehörige Portion Durchhaltevermögen, üppige Medienkompetenz und mit einer Prise Penetranz” (Der Freitag), wenn “er Tag für Tag im Fernsehen, für die Zeitungen und über Twitter den Kopf hinhält für seine Partei”.

Wie soll es nun weitergehen? Zuerst Barcelona und dann Manhattan? Tatsächlich gibt es Leute, die darauf hinarbeiten. Eine Delegation von Aktivisten aus NYC hat die spanischen Aktivisten während ihrer Kampagne besucht, um von ihnen zu lernen und ihre Erfahrung in ihre eigenen Städte zu bringen. Es gibt einige Lektionen zu lernen. Ich werde ein paar nennen, in der Hoffnung, zu inspirieren und einen ähnlichen Prozess in anderen Städten auszulösen.

Drei Lektionen

1. Der CC-Effekt: Grösstenteils reagierte diese Bewegung wie Lessing 2008. Es wandelte sich von „Creative Commons“ zu „Change Congress“.

Im Fokus stehen nicht mehr spezifische Teilaspekte der Politik, die sich mit intellektuellem Eigentum und Internet beschäftigen, sondern die Auffassung: um diese Freiheiten zu verteidigen, muss man das gesamte politische System ändern. Im Zuge dessen wurde die freie Kultur zu einer inspirierenden Organisationsform um politischen Protest zu organisieren.

2. Wikipedias “hidden innovation”-Modell: Selbst wenn es grosse Organisationsinnovationen gibt, sollte der Diskurs einfach oder streng sein. Mako Hill erforschte warum Wikipedia in der Lage war, 2001 sehr erfolgreich zu werden, obwohl andere Ansätze eine Online-Enzyklopädie zu gründen, nicht funktionierten. Er kam zu dem Schluss, dass Wikipedia ein verständlicheres Konzept hatte.

Ähnlich könnte man auch hier argumentieren. Der Diskurs, der in der Lage ist tiefgreifende Veränderungen in Spanien zu bewirken, ist nicht avantgardistisch oder innovativ, sondern populär, zugänglich für jedermann, verbunden mit den grundlegenden Bedürfnissen der Basis.

3. Top and Down: Dieser organisatorische Prozess ist weder Top Down noch Bottom Up, sondern “Top and Down”. Vielleicht etwas präziser: “A visually recognizable top working for a distributed down.” Dies basiert auf starken Führungspersönlichkeiten, aber auch auf einer gemeinschaftlich und frei kooperierenden Basis.

Ein Schlüsselkonzept ist der „Overflow“. Dabei geht es um die Kapazität während des Prozesses die Kontrolle zu verlieren. Kreativer Aktionismus ohne die Kontrolle der Partei scheint ein relevanter Aspekt für den Erfolg dieser Prozesse zu sein.

Offen bleibt, wer Teil der Partei ist und wer nicht. Trotzdem haben Anführer starke Präsenz und werden zum Schlüsselsymbol für den Prozess. Fernsehen und Führung ist immer noch der Schlüssel, um mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Die Glaubwürdigkeit politischer Anführer wird über Kommunikation und soziales Engagement gebildet.

Kandidaturen, die von Frauen geführt werden – unabhängig von deren Alter – sind eher dazu in der Lage, die Zustimmung zu erhöhen, indem sie Veränderung übermitteln und einen demokratischeren Führungsstil haben. Wie Ada Colau, Barcelonas nächste Bürgermeisterin, in einem YouTube-Video singt: “geführt dem Volk zu gehorchen”.

Die sind nur einige Einblicke in den derzeitigen Aufbegehrungsprozess des Volkes in Spanien. Es wird mehr kommen. 2015 ist das Jahr der Veränderung und so wird es weitergehen.

Mayo Fuster Morell

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.