Der erste Verlierer: die Ukraine
Wenn der Präsident der Ukraine Selenskij seine Bevölkerung für ihren Kampfesmut lobt und sie auffordert, Molotow-Cocktails zu basteln, dann soll offenbar der Kampfeswille fehlende Mittel ersetzen. Molotow-Cocktails gegen gepanzerte Fahrzeuge einzusetzen erfordert viel Mut und die Bereitschaft zur Selbstaufgabe. Der Vergleich der Mittel lässt ziemlich sicher erahnen, wie die Auseinandersetzung ausgeht. Er wird viele Opfer auf Seiten der Ukrainer kosten.Die Ukraine ist allerdings nicht auf diese einfachen Mittel angewiesen, schliesslich hat die Nato das Land mit militärischen Mitteln vollgestopft, vor allem Panzer brechende Waffen und Stinger-Raketen zur Luftabwehr. Wenn dennoch der Präsident ständig die Nato auffordert, in den Krieg einzugreifen, dann wird daran deutlich, dass er sich selbst mit der Aufrüstung durch die Nato der Gewalt des russischen Militärs nicht gewachsen sieht. Aufgeben will er dennoch nicht und benutzt wie alle Feldherren seine Bevölkerung als Schutzschild für seine militärische und politische Führung. Jeder Tag des Widerstandes gegen die russische Übermacht kostet Menschenleben und führt zur weiteren Zerstörung des Landes. Dass der Krieg am Laufen bleibt, dafür sorgen die Waffenlieferungen der Nato.
Der zweite Verlierer: Russland
Russland verfügt über eine der Ukraine überlegene Militärmacht. Sie hat das Ziel, den politischen Willen der Ukraine zu brechen, sich der NATO anzuschliessen. Und sie soll verhindern, dass die Ukraine zum Aufmarschgebiet des westlichen Kriegsbündnisses gegenüber Russland wird. Mit dem Krieg gegen die Ukraine ist Russland aber bereits mit einer Armee konfrontiert, die durch die Nato hochgerüstet und trainiert worden ist. Das relativiert die eigenen Kräfte und lässt den Krieg zu einer langwierigen Angelegenheit werden. Aber selbst wenn Russland die Ukraine niederringt, gewinnt es keinen Bundesgenossen, sondern erobert ein zerstörtes Land, wozu auch die Verteidigungsmassnahmen wie Sprengung von Brücken zur Behinderung des russischen Vormarsches beitragen.Statt an der eigenen russischen Grenze steht dann die hochgerüstete NATO nicht mehr nur vorübergehend an den neuen Grenzen, sondern inzwischen dauerhaft und mit steigenden Potenzen - denn schliesslich hat sich nicht nur Deutschland zu einer enormen Aufrüstung entschlossen, sondern alle NATO-Mitglieder Osteuropas. Die Sicherung des neuen Einflussbereichs erfordert erhebliche Mittel, zumal die Bevölkerung durch den Krieg alles andere als loyal zu den neuen Herrschern stehen wird. Gefordert ist ein Besatzungsregime, das vor allem Kosten verursacht. Und das bei einem gleichzeitigen Wirtschaftskrieg durch den Westen, der die ökonomischen Grundlagen des russischen Staates angreift und reichlich Schäden anrichtet.
Der Gewinner: die NATO
Dass die NATO Kriegspartei ist, daraus wird in der Öffentlichkeit kein Geheimnis gemacht. Und das, laut Verteidigungsexperten der Bundeswehr-Hochschule Hamburg Stefan Bayer (tagesschau 24, 14.3.2022), auf vier Ebenen: Diplomatie, Öffentlichkeit, Wirtschaft und Militär.Auf diplomatischer Ebene wird der russischen Regierung die Unnachgiebigkeit der NATO präsentiert. Das Bündnis weiss die Öffentlichkeit hinter sich in Form der blau-gelben Fähnchenschwenker. Sicherheitshalber wurde aber auch die Berichterstattung des Gegners ausgeschaltet, während die eigenen Medien sich selber gleichgeschaltet haben.
Mit den umfangreichen Wirtschaftssanktionen hat die NATO Russland direkt angegriffen und zielt auf die Untergrabung der russischen Ökonomie. Russland soll sich seine Militärmacht wirtschaftlich nicht mehr leisten können und auf den Status eines abhängigen Rohstofflieferanten reduziert werden. Mit Waffenlieferungen an die Ukraine hält die NATO den Konflikt am Kochen, ohne selber Schaden zu nehmen. Den Versuchen osteuropäischer Ministerpräsidenten, die Nato direkt in das Kriegsgeschehen einzubeziehen, erteilt die Führungsmacht USA bislang die Absage. Die NATO benutzt die Ukraine für die Schädigung Russlands – und nimmt dafür dort Tod und Zerstörung in Kauf. Das Bündnis präsentiert sich dabei ausgerechnet als „Friedensmacht“: Mit überlegenem Gewaltapparat unbotmässige Staaten bestrafen oder mit Krieg überziehen, wenn sie gegen die westliche „Sicherheitsordnung“ verstossen.
Auf diese Art und Weise verteidigt sie eine „Ordnung“, die für ernsthafte Konkurrenten keinen Platz lässt. Das erfordert regelmässig militärische Einsätze - wie in Afghanistan, dem Irak oder in Syrien. Dabei muss sie noch nicht einmal als Sieger in der Schlacht erscheinen, hinterlassen doch ihre Kriegseinsätze zerstörte Länder, die ohne Hilfe des Westens nicht auf die Beine kommen können; und so entweder als „failed states“ sich selbst in ihrer Bedeutungslosigkeit überlassen bleiben oder sich dem Westen unterordnen. In der Ukraine will die NATO mit ihrer massiven militärischen Unterstützung Russland ein „zweites Afghanistan“ bereiten. Eine direkte Konfrontation steht nicht auf der Tagesordnung – noch nicht. Denn vielleicht ist der Ukraine-Krieg für Russland ein solches Desaster, dass es weiter entscheidend geschwächt wird.
Gewinner Nr. 2: der geeinte Westen
Der Westen umfasst nicht nur die NATO und erstreckt sich bis weit in den Osten, nach Japan und Australien, die alle in den Wirtschaftskrieg mit Russland einbezogen sind. Mit der Konfrontation gegenüber Russland hat die Führungsmacht USA auch ihre Alliierten auf Linie gebracht wie die europäischen Führungsmächte, die versucht haben, mit einer strategischen Partnerschaft zu Russland dieses für sich zu instrumentalisieren, um ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen. Versuche wie das Normandie-Format, das eine Regelung des Ukraine-Konflikts ohne die USA bewerkstelligen wollte, wurden konterkariert und sind vom Tisch; ebenso die Nutzung billiger und zuverlässiger Energielieferungen durch die Gaspipeline Nordstream 2.Gleichzeitig dürfen die europäischen Partner und vor allem Deutschland die Hauptlast der Wirtschaftssanktionen tragen. Das begeistert natürlich hiesige Politiker weniger. Der Plan, die Europäische Union militärisch von der Weltmacht zu emanzipieren und ihr ökonomisch noch mehr Konkurrenz zu machen, ist daher nicht vom Tisch. Da passt das 100 Milliarden Euro-Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung bestens hinein: Begründet mit der „Bedrohung“ aus dem Osten, zukunftsfähig im Hinblick auf die verschärfte Konkurrenz Deutschlands und Europas gegenüber den US-Amerikanern. Aktuell bleibt erst einmal aber nichts weiter übrig, als sich hinter ihnen einzureihen.
Doch nicht nur die verbündeten Staaten sollen durch die Weltmacht Nr. 1 auf Linie gebracht werden. Alle Staaten bekommen die Frage vorgelegt, wie sie es mit den wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland halten. Daran entscheidet sich, wer für oder gegen das mächtigste Bündnis der Welt antreten will. Neutralität ist nicht zugelassen, das bekommt zurzeit China zu spüren. Staaten wie die Schweiz oder Finnland haben bereits begriffen, dass Neutralität heutzutage nur als Parteinahme für den Westen zugelassen ist. Andere Nationen, die bislang auf der Feindesliste standen wie der Iran oder Venezuela, werden zeitweilig von der Liste der „Schurkenstaaten“ genommen, wenn sie sich als billige Rohstofflieferanten in den Dienst der USA stellen. So geht Friedenspolitik.