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Das Attentat gegen Charlie Hebdo, Pegida und die Presse

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Islamismus, Fremdenhass und Nationalismus Das Attentat gegen Charlie Hebdo, Pegida und die Presse

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Politik

Es ist verfehlt, den Fundamentalismus des Islam auf eine besondere Eigenschaft dieser Religion zurückführen zu wollen und sich dazu in das Studium des Koran und der arabischen Geistesgeschichte zu stürzen.

Blick auf das 11. Arrondissement in Paris nach dem Attentat auf «Charlie Hebdo» am 7. Januar 2015.
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Blick auf das 11. Arrondissement in Paris nach dem Attentat auf «Charlie Hebdo» am 7. Januar 2015. Foto: Thierry Caro (CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 8. Januar 2015
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Für sich genommen ist jede Religion fundamentalistisch: ein moralischer Wahn, der sehr apodiktisch von sich behauptet, theoretisch wahr und praktisch wirksam zu sein. Jede Religion aber lässt sich auch in so gut wie jede politische Herrschaft eingemeinden und sich zur moralischen, gut und böse sortierenden Instanz beliebiger gesellschaftlicher und ökonomischer Verhältnisse machen. In Sachen Verstandesverachtung, Grössenwahn und Anpassungsfähigkeit bleiben sich die Weltreligionen nichts schuldig.

Wenn sich die Gläubigen in aller Gottergebenheit entschieden haben, dass das Leben unter der frevelhaften Staatsführung nicht mehr auszuhalten ist und Schicksalsergebenheit jetzt Sünde wäre, werden sie zur politischen Partei und planen den Aufstand. Sie hetzen das gute Volk gegen die Staatsmacht auf und werben für das wahre islamische Leben. Bei ihren Bemühungen um das Volk, dessen Anstand sie der Heimat wiedergeben wollen, müssen sie allerdings feststellen, dass die ungläubigen Teufel, die sie aus dem Amt jagen wollen, die stärkste Stütze ihrer Macht im gottlosen Leben des Volkes haben. Die Islamisten sehen sich vor der Aufgabe, einen von oben nach unten verrottenden Volkskörper zu heilen. Der Machtkampf, den sie anzetteln, richtet sich daher nur zur Hälfte gegen die Staatsmacht – zur anderen richtet er sich mit gezieltem und ungezieltem Terror gegen den sündigen Alltag. Letztes Ziel war das Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Paris.

Jürgen Elsässer und Pegida fühlen sich ein weiteres mal bestätigt in ihrem Urteil über den Islam: Er passt nicht in die westliche Wertegemeinschaft und ist gefährlich “für uns”: “Der Terror in Paris zeigt, wie Recht Pegida hat” [1]. Dem religiösen Programm zur Säuberung eines dekadenten Westens setzen sie ein nationalistisches Programm entgegen.

Pegida weiss darum, dass diese Gesellschaft eine ständige Gewalt notwendig hat und sie treten für diese Gewalt ein: “7. PEGIDA ist FÜR die Aufstockung der Mittel für die Polizei und GEGEN den Stellenabbau bei selbiger!” Fest entschlossen für “unser Volk” einzustehen, werden sie Anhänger der staatlichen Gewalt um Unternehmer und Prolet, Vermieter und Mieter etc. alle unter der staatlichen Herrschaft zu halten und so endlich echte Gemeinschaft herzustellen.

Wer sich so Grundsätzlich für eine Gesellschaft ausspricht, die schon nach innen nur mit Gewalt auskommt, weiss auch um ihre ständige Bedrohung von aussen: “8. PEGIDA ist FÜR die Ausschöpfung und Umsetzung der vorhandenen Gesetze zum Thema Asyl und Abschiebung”. Gerade die Betonung der Gewaltfreiheit von Pegida ist als ihr Bekenntnis zur Demokratie zu verstehen: Pegida sieht sich nicht in der Rolle selbst die Gewalt auszuüben, sondern weiss sich an den Staat zu wenden: Dieser soll für Pegida endlich “das Volk” richtig vertreten und die volksfremden Elemente nach allen Regeln der demokratischen Kunst loswerden. Pegida kann zurecht davon ausgehen, dass auch ihre Gegner Abschiebungen kaum als Akt der Gewalt, weil staatlich legitimiert, erkennen. Selbst Gegner der heutigen Asylpolitik können unterscheiden zwischen “Wirtschafts-” und “Kriegsflüchtlingen”, und damit zwischen solchen, gegen deren Einreise gewalt legitim ist, und solche, gegen welche sie es nach deren Moral nicht ist.

Diese demokratischen Methoden zur Entsorgung volksfremden Menschenmaterials sieht Pegida noch lange nicht ausgereizt. Als gute Bürger fordern sie den Staat zum Handeln auf: “9. PEGIDA ist FÜR eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten!”. Im vollen Bewusstsein, dass die meisten Bürger der BRD ihren patriotischen Standpunkt teilen, wollen sie nicht weniger, sondern mehr Mitbestimmung: “14. PEGIDA ist FÜR die Einführung von Bürgerentscheidungen nach dem Vorbild der Schweiz!”

Gerade weil Pegida sich selbst als Vertreter dieser bürgerlichen Werte versteht, können sie auch ganz ohne Heuchelei gegen jede Form des Extremismus auftreten: “18. PEGIDA ist GEGEN Radikalismus egal ob religiös oder politisch motiviert!” Pegida tritt eben nicht für den Faschismus, sondern für den Nationalismus ein – eine Tugend, die der gemeine Demokrat allemal genau so zu schätzen weiss. Deswegen waren auf den Demonstrationen gegen Pegida nicht zu letzt auch diese Plakate zu finden: “Wenn ihr das Volk seid, sind wir Volker”.

Eine Linke, welche in Pegida immer nur den rassistischen Mob, ”angestachelt von Rechtspopulisten und Neonazis” [2] erkennen will, verharmlost diese Gesellschaft: Ausgerechnet Neonazis, die geächteten Aussenseiter dieser Gesellschaft, sollen Verantwortlich sein für den Rassismus dieser Bewegung und nicht deren nationalistischer Normalvollzug.

Der religiöse Fundamentalismus ist ein Programm gegen den imperialistischen Westen und für die Umma. Diese Gläubigen sehen ausgerechnet in einer fremden Abweichung von einem Leben voller religiöser Demut den Grund für ihre Beschädigung. Pegida ist eine Bewegung von unten, welche für ihre miese Lage nicht die über sie eingerichtete Herrschaft, sondern ausgerechnet deren mangelhafte Gewalt gegen fremdes Menschenmaterial verantwortlich macht.

Die Presse weiss nun zu Berichten, dass den Bürgern einer Gesellschaft, welche auf so hohen Idealen basiert wie “Meinungsfreiheit”, “Pluralismus” und “Toleranz” [3] gar nicht so richtig zu trauen ist. Diese vermutet nun nicht einen “Aufstand der Anständigen” [4] gegen die Terroristen, wie sie ihn gegen Pegida fordert, sondern wissen anderes zu Berichten:

“Wenn Islamophobie und extreme Ansichten bald in Europa den Diskurs über den Islam, Migrationspolitik und Nahost-Politik bestimmen, wird es richtig gefährlich.” Die bürgerliche Presse weiss eben, dass sich das Gedankengut eines normalen Deutschen von jenem eines Pegida-Anhängers gar nicht so grundsätzlich unterscheidet.

Die Verteidigung dieser Gesellschaft, so weiss SPON, erfordert nun die Übernahme der rechten Positionen: “François Hollande spürt den heissen Atem seiner FN-Verfolgerin Marine Le Pen im Nacken. Er wird sich jetzt bald wohl nicht anders zu wehren wissen, als im Kampf gegen den Terror den starken Mann zu machen.” Zwar wollen nur die Extremisten den “Kampf der Kulturen”, jedoch: “Leider wächst mit jedem neuen Anschlag die Gefahr, dass sie ihn bekommen.”

Die bürgerliche Presse bestätigt so selbst, dass sich ihr Patriotismus nicht unterscheidet vom dem Nationalismus der Pegidas: Die Politisierung des braven Bürgers und seine Unterscheidung in “die” und “wir” ist die Grundlage für die Beurteilung eines Attentates wie jenem in Paris gegen "Charlie Hebdo". Mit diesem falschen Urteil über “uns” ausgerüstet, ist es tatsächlich kein Wunder, wenn Pegida zulauf erhält, und SPON selbst weiss keine andere Handlungsweise für den französischen Präsidenten, als dieser Logik zu folgen.

Eine Kritik von Pegida kann sinnvollerweise also nur in einer Kritik des Nationalismus bestehen. Dieser bietet die Grundlage für diese Bewegung. Denn der Nationalismus ist keinesweg nur bei Pegida zu finden – er ist die durchgesetzte Politisierung der Bürger dieser Gesellschaft. Pegida richtig kritisieren heisst diese Gesellschaft zu kritisieren und die eigene Gefolgschaft aufkündigen.

Berthold Beimler