Zur kritischen Einschätzung eines sozialdemokratischen Projekts Hoffnungsschimmer SYRIZA?
Politik
Seit dem 29. Dezember vergangenen Jahres steht fest: Griechenland steht wieder einmal vor Neuwahlen. Zuvor verfehlte die derzeitige Regierung der konservativ-neoliberalen Nea Demokratia (ND) und der sozialdemokratischen PASOK unter dem Ministerpräsidenten Andonis Samaras (ND) bei der Wahl zum griechischen Staatspräsidenten mit ihrem Kandidaten in drei Anläufen die notwendige 2/3 Mehrheit, wodurch nach der griechischen Verfassung das Parlament aufgelöst und Neuwahlen anberaumt werden müssen.
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25. Januar 2014
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Korrektur
SYRIZA war ein 2004 durch den eurokommunistischen Synaspismos ins Leben gerufenes Parteienbündnis, in dem neben der bereits genannten eine Vielzahl kleinerer Parteien und Gruppierungen – auch aus dem trotzkistischen und sogar maoistischen Spektrum – koexistierten. Die formale Umwandlung dieses Wahlbündnisses in eine Partei 2012 und die damit verbundene Aufgabe oder zumindest weitestgehende Einschränkung der Autonomie der in SYRIZA organisierten Parteien und Gruppen, erfolgte nicht zuletzt aus wahlstrategischen Gründen. Der politische Kurs war dahingegen innerparteilich immer umstritten, wenngleich die in SYRIZA organisierten Gruppen vor allem eines einte: Die Ablehnung der von der Troika implementierten und der von den technokratischen und korrupten griechischen politischen Eliten umgesetzten Memoranda.
Alexis Tsipras – der international bekannteste Politiker aus den Reihen von SYRIZA und ehemaliges Mitglied des Synaspismos – gehört zu jenem realpolitischen Flügel der Partei, der zwar in radikaler Rhetorik gegen die Auflagen der Troika und die internationalen Finanzmärkte wettert, innerparteilich jedoch für einen Kurs steht, der sich mit dem bestehenden internationalen und nationalen System bereits arrangiert hat. D'Accord mit der Mehrheit seiner Partei vertritt dieser u.a. nicht einen Austritt aus der Europäischen Union, was mit einer grundlegenden Ablehnung der Memoranda zu hoher Wahrscheinlichkeit die einzige plausible Option darstellen würde (der sogenannte „Grexit”), sondern die soziale Transformation der EU unter Mitwirkung seiner Partei – eine Art Marsch durch die Institutionen neu aufgelegt. Was mit einer solchen Position einhergehen muss ist klar: Es wird keine radikale Veränderung geben, sondern eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse im Bestehenden. Ein Schuldenschnitt wird angestrebt – die Memoranda werden nicht aufgekündigt, sondern neu verhandelt.
Ebenso ist klar, dass, wer die griechische Oligarchie und die diversen Familiendynastien aus Medien, Wirtschaft und Politik, die seit den 70er Jahren das gesellschaftliche und politische Feld der sogenannten „Neuen Demokratie” dominieren, unangetastet lassen will, sich früher oder später mit diesen arrangieren und deren Bedürfnisse partiell in seine Agenda integrieren muss. Den Aufstieg eines Wahlbündnisses aus mobilisierungsschwachen Kleinstparteien zur zweitstärksten Kraft des Landes lediglich aus der Unzufriedenheit der Bevölkerung zu erklären, greift hier zu kurz; eine so rasante Entwicklung ist überhaupt nicht zu denken ohne die zumindest teilweise Rückendeckung durch Teile der nationalen und internationalen Eliten. Genau diese Arrangements meint Tsipras, wenn er im Rahmen der Vorstellung des Wahlprogramms von Thessaloniki im September 2014 davon sprach, dass jenes nicht das repräsentieren wird, was SYRIZA eigentlich wolle, sondern das, was realpolitisch machbar sei.
Fakt ist, dass ein Wahlerfolg von SYRIZA die bislang unterlegenen politischen Kräfte im Ringen um die Verteilung der Krisenlasten in der politischen Arena der EU stärken wird, d.h. vor allem den europäischen Süden. Es ist so gesehen nicht unrealistisch davon auszugehen, dass ein Erfolg der griechischen Linkspartei Impulse für andere, inhaltlich ähnlich aufgestellte politische Kräfte des europäischen Südens, wie etwa Podemos in Spanien, bedeuten kann. Und auch für die Bevölkerung Griechenlands bedeutet eine sozialdemokratisierte Krisenverwaltungspolitik zunächst einmal die dringend notwendige Linderung der durch die neoliberalen Austeritätsmassnahmen verursachten sozialen Not.
Allerdings sollten die Gefahren einer möglichen Regierungsübernahme SYRIZAs unter den oben benannten Vorzeichen ebenso wenig aus dem Auge verloren werden: Der Aufstieg SYRIZAs bedeutet eine links verkleidete Rehabilitierung der Hoffnung auf eine „gerechtere” etatistische Krisenverwaltung und lenkt damit den Unmut, der sich in den vergangenen Jahren durchaus auch radikal und unversöhnlich in ausserparlamentarischen Bewegungen geäussert hatte, erneut in parlamentarische Bahnen. Wenn die angeblich bewegungsorientierte Interventionistische Linke (iL) etwa davon schreibt, dass „auch die revolutionäre Leidenschaft der antiautoritären Revolte, die im Herbst letzten Jahres den Hungerstreik des anarchistischen Gefangenen Nikos Romanos massenhaft unterstützte” Teil des Zeitgeistes ist, der die Wahl SYRIZAs zur kommenden Regierungspartei ermöglichen wird, dann hat sie insoweit Recht, dass es jener erfolgreich gelungen ist, die ausserparlamentarische Proteste für sich zu vereinnahmen und politisches Kapital daraus zu schlagen. Dies bedeutet aber nicht eine Stärkung, sondern eine Schwächung ausserparlamentarischer Bewegungen und Initiativen; nicht zuletzt, weil diese medial durch den Protagonismus SYRIZAs weitestgehend unsichtbar gemacht werden.
Vor diesem Hintergrund erscheint es nur konsequent, dass sozialdemokratische Parteien und Verbände europaweit Hoffnungen in SYRIZA setzen, sind und bleiben für diese ausserparlamentarische soziale Bewegungen doch lediglich potentiell rekrutierbares Stimmvieh. Für jenen bewegungsorientierten und antiautoritären Teil der Linken, der zumindest perspektivisch mit der etatistischer Krisenverwaltungspolitik – sei sie neoliberal oder sozialdemokratisch – brechen und eine wie auch immer geartete sozialistische Perspektive entwickeln will, ist eine Hoffnung auf SYRIZA dahingegen im Grunde genommen masochistisch.
Sollte SYRIZA am Wochenende stärkste politische Kraft werden und eine kommende Regierungskoalition anführen, wird diese sich einem massiven Druck ausgesetzt sehen. Einerseits muss die Partei die Erwartungen gegenüber ihrer Wählerschaft erfüllen, die nach einer jahrelangen Durststrecke eine Anhebung des Lebensstandards durch Umverteilung zugunsten breiter Bevölkerungsteile erwartet. Andererseits stehen diese Erwartungen im Konflikt mit der weiteren Einbindung Griechenlands in die EU und den Arrangements mit den griechischen und internationalen Eliten. Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg der von SYRIZA verfolgten Politik ist also, wie souverän die verschiedenen an die Partei herangetragenen Interessen von dieser vermittelt werden können.
Angesichts der Tatsache, dass eine Milderung der Austeritätspolitik nicht ohne eine Arbeit gegen die Interessen der internationalen Partner in der EU und die nationale Bourgeoisie zu machen sind, gleicht dieser Versuch einem Drahtseilakt. Mit der zunehmenden Identifikation linker Politik mit der Agenda SYRIZAs und einer einhergehenden Schwächung ausserparlamentarischer Bewegungen besteht im Falle eines Versagens der sozialdemokratischen Krisenverwaltung oder gar eines Einknickens unter dem Druck der Troika die Gefahr, dass eine linken Perspektive in der griechischen Gesellschaft nachhaltig diskreditiert wird. Andererseits kann ein Scheitern SYRIZAs an den Erwartungen der etablierten griechischen Eliten dazu führen, dass eine offenere, auch materielle Unterstützung für reaktionäre Optionen der Krisenverwaltung zunehmend interessant werden; eine Polarisierung der politischen Arena wäre die Folge. In beiden Fällen stünde einer Stärkung reaktionärer Kräfte und Bewegungen, z.B. der bereits in den Startlöchern stehenden neo-nazistischen Goldenen Morgenröte, nichts mehr im Wege.