Auf der einen Seite Russland, Iran, China und Hisbollah, die das Assad-Regime unterstützen; auf der anderen Seite ein ganzer Haufen unterschiedlicher Interessen, Rivalitäten und potenzieller Konflikte: die Türkei, die Golfstaaten, Frankreich, Grossbritannien, die USA, Deutschland, Jordanien, Ägypten, um nur die Hauptspieler zu nennen, die die verschiedenen „Rebellengruppen" und „Fraktionen" manipulieren. Zudem kommen noch al-Qaida im Irak, die Kurden und die verschiedenen palästinensischen Gruppierungen hinzu. Die Interventionen all dieser grossen und kleinen imperialistischen Gangster bringen für die lokale Bevölkerung nur Unheil und für die Region noch mehr Instabilität.
Das Regime klammert sich an der Macht
Schon seit Monaten sagen verschiedene „Experten“ den Sturz des Assad-Regimes voraus. Wir sind keine Militärexperten und können uns nicht auf lokale Quellen stützen, aber niemand kann mit Bestimmtheit sagen, dass der Sturz Assads unmittelbar bevorsteht. Am 6. Januar hielt Assad in Damaszener Opernhaus eine Rede, die als „Friedensplan" gepriesen wurde, in Wirklichkeit aber ein Aufruf an sein Militär war, den Krieg noch intensiver zu führen. Assad scheint entschlossen zu sein, um jeden Preis an der Macht festzuhalten, auch wenn er eine Politik der „verbrannten Erde“ praktizieren muss. Zwar gerät er immer mehr unter Druck; doch je wahrscheinlicher sein Sturz erscheint, desto stärker werden jene Kräfte und Gruppen in seine Arme getrieben, die befürchten müssen, dass eine Übernahme der Macht durch die Rebellen, unter denen die sunnitischen Fundamentalisten beträchtlich an Einfluss gewonnen haben, zu Pogromen gegen sie führen wird - die Alawiten, Christen, Drusen, Schiiten.Was von den Protesten, die vor 18 Monaten ausgebrochen waren, übrig geblieben ist, ist zerschlagen worden. Assads Militär scheint im Allgemeinen die Kontrolle über den dicht-bevölkerten Südwesten, auch über die wichtigste Nord-Süd-Verbindung und die Mittelmeerküste zu haben. Zwar hat die Opposition einige Basen erobert, doch kontrolliert das syrische Militär weiterhin Stützpunkte im ganzen Land, von denen aus es mit seinen Hubschraubern und Kampfflugzeugen die von den Rebellen kontrollierten Gebiete angreifen kann, so dass es kaum zu Geländegewinnen für die Rebellen kommt.
Ein anderer Aspekt der Rede Assads, der sich nicht an seine Truppen wandte, war das Angebot an die syrischen Kurden, ihre Stellung zu stärken, um sich so ihrer Unterstützung gegen seine eigenen Feinde zu sichern. Aber der Hauptunterstützer des Regimes ist und bleibt weiterhin Russland, das trotz einiger diplomatischer Seitenhiebe gegen seinen Schützling (die vom Westen aufgebauscht wurden) auf absehbare Zeit weiterhin voll und ganz hinter dem Regime steht. Genau wie der Iran muss es sich unbedingt an ihm festhalten, und dazu muss es schweres Geschütz aufgefahren. Wie The Guardian am 24.12.12 berichtete, werden die ausgeklügelten Raketenabwehrsysteme, die sich in Syrien befinden, von russischen Militärberatern und Mannschaften bedient, was die Durchführung einer vom Westen aufgezwungenen „Flugverbotszone" und die allgemeine Lage noch komplizierter macht.
Diese Abwehrmassnahmen wurden nach dem israelischen Militärschlag gegen den Atommeiler in Al-Kibar im Jahre 2007 und noch einmal zu Beginn des ursprünglichen Volksaufstandes in Syrien im März 2011 verstärkt: "Die Luftverteidigungsstreitkräfte umfassen zwei Divisionen und ca. 50.000 Soldaten, doppelt so viel wie Gaddafis Truppen, mit Tausenden von Flugabwehrkanonen und mehr als 130 Flugabwehrraketenbatterien". Die Stationierung von russischen S-300 Langstreckenraketen wurde in Betracht gezogen, aber noch nicht bestätigt. Russland unterhält seinen grössten elektronischen Horchposten ausserhalb des eigenen Territoriums in Latakia und hält einen Marinestützpunkt in Tartus am Mittelmeer. Der russische Imperialismus wird das gegenwärtige syrische Regime und die von ihm gelieferten Anlagen nicht so schnell aufgeben.
Anders als in Libyen war Deutschland schnell zum Eingreifen und zur Stationierung von Patriot-Raketen und Bedienmannschaften an der türkischen Grenze bereit. Ihm folgten die USA, die Niederländer und die Norweger unter dem Schirm der NATO. Die NATO versteckt sich hinter dem Vorwand, sein Mitglied, die Türkei, die selbst immer aggressiver auftritt, zu beschützen.
Somit werden amerikanische und europäische Kräfte, mit all den Differenzen unter ihnen selbst, direkt in eine Konfrontation nicht nur mit syrischen Kräften, sondern auch mit iranischen und russischen Interessen verwickelt, deren respekteinflössende Militärkräfte Ersteren Rückendeckung geben. Deutschland verficht zunehmend seine eigenen imperialistischen Ambitionen, auch wenn es damit Russland vor den Kopf stösst. Auch zwischen Grossbritannien, Frankreich, die bei der Förderung der Oppositionskräfte an vorderster Front stehen, und den USA, scheint es Rivalitäten zu geben, die in diplomatischen Kreisen ihren Ausdruck finden, wobei die Letztgenannten nun, wo das Problem der „Fiskalklippe“ zeitweise aufgeschoben worden ist und die neuen Chefs des Aussenministeriums und der Sicherheitsdienste von der Obama-Clique in ihre Ämter eingeführt worden sind, eine freiere Hand haben.
Die Ernennung Chuck Hagels zum Pentagonchef und die Beförderung des „Terrorismus-Beraters" John Brennan an die Spitze der CIA verheisst nicht nur eine Zunahme der geheimen Operationen, verstärkte Einsätze der "Spezialkräfte" und Drohnen gegen „Bodentruppen". Diese Personalien verheissen auch nichts Gutes für Israel. Hagel wurde von den Republikanern beschuldigt, gegenüber dem Iran zu nachgiebig zu sein und Israel nicht entschlossen genug zu verteidigen. Und Israel selbst? Die Destabilisierung Syriens ist das Letzte, was es will. Es plant nunmehr den Ausbau seiner Grenzanlagen auf den Golan-Höhen, um die Dschihadisten fernzuhalten, die in immer grösserer Zahl nach Syrien strömen. Auch die jüngste Annäherung zwischen den ägyptischen und iranischen Geheimdiensten erfüllt neben Israel auch die Vereinigten Staaten mit Sorge.
Grossbritannien treibt seine imperialistischen Interessen voran
Neben Frankreich spielt Grossbritannien eine führende Rolle in der Anti-Assad-Front. Um die diskreditierte Opposition des Syrischen Nationalrates wiederaufzubauen und im unmittelbaren Anschluss an eine Konferenz in Doha, Katar, wurden Ende November in London eine Reihe von Treffen zwischen verschiedenen Regierungsabteilungen mit Beteiligung von Militärs aus Frankreich, Jordanien, Türkei, Katar und den USA abgehalten, um eine allgemeine Strategie auszuarbeiten und den syrischen „Revolutionären" bei ihrer Reorganisierung zu helfen. (1) Offiziellen Angaben zufolge hat allein Grossbritannien den Rebellen seit Oktober 2012 Hilfe im Umfang von 57 Millionen Pfund Sterling geliefert.Dies beinhaltet natürlich nicht die gewaltigen Summen, die für Untergrundaktivitäten, Logistik und heimliche Provisionen ausgegeben wurden. Die britische Armee hat unter der Leitung von General David Richards Notfallpläne zur Unterstützung der syrischen Rebellen von der See und aus der Luft erstellt, aber in Anbetracht der o.g. Schwierigkeiten würde dies zu einer beträchtlichen Vergrösserung der Kalamitäten führen. Eines steht allerdings fest: Viele der aus Afghanistan abgezogenen britischen Soldaten werden in der Golf-Region stationiert, um die britischen Stützpunkte und Marinebasen in Bahrain und die Kräfte in Katar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu verstärken.
Auch mit Jordanien hat Grossbritannien „enge taktische Beziehungen gebildet". Und obgleich es amtlicherseits eine Menge Geheimniskrämerei um die Frage gibt, gibt es keinen Zweifel an der wachsenden Unterstützung Grossbritanniens für die Muslimbruderschaft, die in der syrischen Opposition und in der ganzen Region (nicht zuletzt in Ägypten) sehr umtriebig ist. Grossbritannien hat zusammen mit anderen westlichen Protagonisten das Thema eines möglichen Chemiewaffeneinsatzes durch Syrien in den Medien hochgespielt, um sich ein mögliches Motiv für ein direktes Eingreifen zu verschaffen. Aber selbst wenn es zur Intervention kommt, würde dies zu einem noch blutigeren Fiasko führen.
Die syrische Opposition
Die alte syrische Opposition des Syrischen Nationalrates mit ihrem langjährigen Exildasein und ihren Verbindungen zur CIA und zum US-State-Department hatte ihre Glaubwürdigkeit völlig verloren. Die neue Opposition, der „Syrische Nationalrat der oppositionellen und revolutionären Kräfte", wird jetzt als „legitimer Repräsentant des syrischen Volkes" anerkannt. Die im letzten November auf einer Konferenz in Doha gebildete und am 12. Dezember auf einem Treffen in Marokko konsolidierte, neue Gangsterbande, die das Netzwerk der Freien Syrischen Armee ins Abseits drängte und die seitdem von mehr als hundert Ländern anerkannt wurde, spiegelt viele Probleme der gegenwärtigen Lage wider, einschliesslich der Fraktionskämpfe zwischen den Grossmächten Frankreich, Grossbritannien, den USA und Deutschland und der Tatsache, dass Syrien eine begehrte, strategische Region ist.Der umstrittenste Aspekt der neuen Opposition sind ihre fundamentalistischen Anleihen, die wieder mal deutlich machen, dass der Westen mit dem Feuer des „heiligen Krieges" spielt. Die Opposition selbst spiegelt den Charakter ihrer Herren in Saudi-Arabien, Katar und den anderen Golfstaaten wider, wo sunnitische Führer radikale, auf religiösen Auffassungen fussende Ideologien propagieren und schon seit geraumer Zeit Ressentiments gegen den Westen verbreiten. Diese Regimes, die genauso autokratisch und bösartig sind wie Assad, haben keine Zeit für den „Demokratisierungsprozess", den die USA ihnen aufzwingen wollen. Dies stellt eine weitere Spaltung unter den so genannten „Freunden Syriens" dar.
Al-Qaida ist tot, lang lebe al-Qaida
Von überall her strömen Dschihadisten nach Syrien; sie gehören meist verschiedenen, untereinander verfeindeten Fraktionen aus unterschiedlichen Ländern an. Einige sind von den Nachrichtendiensten der USA und Grossbritanniens, andere von den Golfstaaten eingeschleust worden, eine Menge handelt auf eigene Faust; sie kommen aus Ländern wie Libyen, Tunesien, dem Balkan, Saudi-Arabien, Ägypten und dem Irak. Die brutalste, bestorganisierte und wirkungsvollste Gruppe ist die Jahbar al-Nusra. Diese Truppe wurde vom US-State-Department am 10. Dezember als „ausländische terroristische Organisation" bezeichnet. Trotz Zusagen gegenüber den USA, mit diesen Leuten zu brechen, „wird die Koordination der Kampfhandlungen vor Ort fortgesetzt. Deshalb stand der stellvertretende Aussenminister der USA in Marrakesch isoliert da, als er al-Nusra als eine terroristische Organisation bezeichnete. Die Vertreter Grossbritanniens und Frankreichs schwiegen, genauso wie die EU." (The Guardian, 18.12.2012).Wir haben das letzte Zitat wegen der deutlichen Spaltungen erwähnt, die es zwischen diesen Ländern und den USA aufzeigt. Der Führer der neuen syrischen Opposition, Muaz al-Khatib, hat gar die USA über die Verdienste von al-Nusra und die Tugenden des Märtyrertums belehrt. Auch die Muslimbruderschaft hat die US-Entscheidung als „falsch und überstürzt" verurteilt. Al-Nusra, die die Kämpfe in Aleppo und in den Vororten von Damaskus sowie die Erstürmung der Scheich-Suleiman-Basis im Norden an vorderster Front angeführt hatte, gehört zur Phalanx der al-Qaida. Sie hat wahllos alle Nicht-Sunniten, Militärs oder Zivilisten, zu ihrem Ziel auserkoren.
In Syrien zeichnet sich ein Abkommen der Sunniten mit ihnen ab, das von der Muslimbruderschaft und den Salafisten bis auf Weiteres mit getragen wird. Die Golfstaaten unterstützen, mit Grossbritannien und Frankreich als stillschweigende Partner, alle drei. Man ging seit langem davon aus, dass al-Qaida im Irak, die expandierende sunnitische Terroristenorganisation, sich in Syrien einmischen würde. Und nun hat sie es getan und steht an vorderster Front. Der Führer von al-Nusra, Abu Du'a, ist gleichzeitig der Emir von al-Qaida im Irak.
Düstere Aussichten
Wir haben noch nicht die Kurden erwähnt, die ebenfalls eine Hauptrolle auf dem imperialistischen Schachbrett in und um Syrien spielen. Genau wie al-Qaida aus dem Irak nach Syrien gekommen ist, so bilden nun irakische Kurden syrische Kurden für Kampfhandlungen aus. Dies allein eröffnet die Aussicht auf einen breiteren Konflikt mit sektiererischen Streitigkeiten, Pogromen und ethnischen Konflikten unter Menschen, die bislang friedlich nebeneinander gelebt hatten. Die Arbeiterklasse existiert zuhauf in dieser Region, doch sie ist zu schwach und durch diesen Konflikt, der - weit entfernt davon, eine „Revolution“ zu sein - ein blutiger imperialistischer Krieg ist, weiter geschwächt worden. Zehntausende Tote, Hunderttausende Verletzte und Traumatisierte, möglicherweise Millionen Flüchtlinge und unzählige Menschen, die wegen des Hungers und der mangelhaften medizinischen Hilfe sterben.Je mehr unmittelbare Erfolge die „Rebellen" erzielen, desto mehr fallen sie übereinander her: Plünderungen in Aleppo zum Beispiel, Anschläge und gegenseitiges Morden wegen der Beute. Während das Regime seine Form von Tod und Verderben verbreitet, hat sich die Opposition mit ihren eigenen Gräueltaten, Enthauptungen und Massaker schadlos gehalten. Dieses imperialistische Schreckgespenst als „Revolution" zu bezeichnen, wie es die Socialist Workers Party (SWP) getan hat, ist obszön, aber es ist nicht das erste Mal, dass solche Gruppen den islamistischen Fundamentalismus für die eigenen Ziele unterstützt haben – genauso wie die britische Regierung.