Scheint mittlerweile in “Friedenszeiten”, also zwischen jenen Eskalationen, die es ins hiesige Fernsehen schaffen, der Konsens zu sein, einfach gar nichts mehr zu Israel oder Palästina zu sagen, kocht nun auch wieder der Irrsinn in diversen Lagern hoch. Die beiden einseitigen Positionen, die rechte Israelkritik und die israelsolidarische Verteidigung jedweden Bombardements teilen allerdings mehr Argumentationsformen, als den beiden Seiten bewusst sein dürfte.
Alle sind gegen mich! Die Medienverschwörung
Sogenannte “israelsolidarische” Deppen teilen mit einigen ihrer Gegner mehr, als sie und manch anderer sich denken mag. Eine der gemeinsamen Argumentationsformen betrifft die Berichterstattung über den Konflikt. Rechte, die meinen, ihren Antisemitismus durch eine Projektion in den Nahen Osten kaschieren zu können, sehen die Berichterstattung gerne als “gelenkt” durch die jüdische Weltpresse an. Alle Medienerzeugnisse seien gesteuert, von der Ostküste aus, oder von sonstwo. Vertrauen könne man nur irgendwelchen Blogs oder der eigenen aus tausenden Kilometern Entfernung zusammengezimmerten Einschätzung.Die Pro-israelischen Gegenparts teilen die Auffassung. Bei ihnen ist es der universelle Antisemitismus, der die Medienberichterstattung von links bis rechts bestimmt. Jeder, der etwa Videos der bei einem israelischen Bombardement gestorbenen Zivilisten postet, tut dies eigentlich nur, um seinen Judenhass zu verbergen. Der “rot-braune” Mob, wie sie gerne in Anwendung der guten alten Totalitarismustheorie sagen, nutze Kritik an Israel (die im übrigen schon bei Tatsachenmeldungen anfängt) zu nichts anderem, als um seinen Antisemitismus zu kaschieren.
Teufel und Ratten: Die Diabolisierung des Gegners
Ebenfalls einig sind sich beide Positionen in der Diabolisierung des Gegners. Israel ist für die einen eben kein “normaler” bürgerlicher Staat, der genauso schlecht ist wie eben alle anderen bürgerlichen Staaten, sondern der Hort des Bösen. Israel handelt nicht aus seinem Interesse als Staat heraus, sondern weil es eben “böse” ist. Die “zionistischen Teufel” tun, was sie tun, weil sie Blut wollen, nicht weil da eben ein imperialistischer Staat existiert, der dasselbe tut, was auch andere imperialistische Staaten tun.Auf der anderen Seite werden die Palästinenser, manchmal auch gleich die “Araber”, zum Schurken schlechthin erklärt. Man muss die “Ratten” ausräuchern und freut sich über jeden Airstrike. Der palästinensischen Bewegung wird kollektiv abgesprochen gegen irgendeine Unterdrückung zu kämpfen, denn Israel tut überhaupt nichts, was man bekämpfen müsste. “Die sollten sich eigentlich freuen, ist doch auch gut für die Palästinenser, wenn Israel die Hamas platt macht”, schreibt ein Poster. Die Palästinenser handeln grundsätzlich nur aus Judenhass, so der Mythos.
Beide Seiten sind sich darin einig, dass der jeweils “eigene” Akteur in der Region, die IDF auf der einen, Hamas und islamischer Jihad auf der anderen Seite, total super sind. Der Gegner wir mit “bürgerlicher Kälte” (Adorno) als zu lösendes Problem begriffen. Die einen bejubeln jeden Airstrike als Erfolg im Kampf gegen den Antisemitismus und wissen zu toten Kindern nicht mehr zu sagen, als dass diejenigen, die jetzt darauf rumhacken, das sowieso nur tun, weil sie Juden hassen. Die anderen freuen sich über jeden toten Israeli und streben an, im Kampf um den Bodycount die IDF einzuholen.
Lösung – Scheissegal
Der Dehumanisierung des Gegners entspricht ein Desinteresse an tatsächlichen Lösungsansätzen. Bringt man in die Diskussion ein, dass es doch gar nicht so schwierig sei, sich zu positionieren, man könne doch mit der israelischen und palästinensischen Linken gemeinsam zugleich gegen Antisemitismus und Rassismus wie gegen Okkupation, Belagerung und Unterdrückung kämpfen, hat man es sich mit beiden Fraktionen verscherzt. Abgesehen davon, dass die “israelsolidarische Richtung” die israelische Linke oft für “selbsthassende Juden” hält (ein besonders hübscher Vorwurf, wird er wie so oft von grade mal 16 Jahre alten zutiefst deutschen Antifa-Kartoffeln ausgesprochen), meinen beide Seiten, das sei “unrealistisch”.Denn: Beide sehen ihre jeweiligen Lieblinge als die einzigen Garanten für den Schutz des von ihnen als gefährdet eingestuften Volkes. Ohne die Widerstandskraft der Hamas hätte Israel die Palästinenser längst ausgelöscht, sagen die einen. Ohne eine rechte Regierung, die mit harter Hand gegen die “Terroristen” vorgeht, wären die Juden längst ins Meer getrieben worden, sagen die anderen.
Im Endeffekt werden beide damit zu Advokaten der ewigen Fortsetzung des immer wiederkehrenden Zyklus wechselseitiger Angriffe. Denn auf Seiten der Palästinenser ist klar: Solange die Hamas der tragende hegemoniale Arm des Widerstands ist, wird keine politische Idee entwickelt werden können, die auch Menschen in Israel erreicht. Und solange das nicht der Fall ist, solange die politischen Kräfteverhältnisse sich innerhalb Israels nicht verschieben, gibt es für die Palästinenser auch keine Möglichkeit zu gewinnen, es sei denn man hegt die völlig verrückte Hoffnung auf einen militärischen Sieg gegen eine der stärksten Armeen der Welt. Umgekehrt wird auch innerhalb Israels genau das, was die Rechte als Monstranz vor sich herträgt, nämlich “Sicherheit für die eigene Bevölkerung vor Terror” durch die permanente militärische Eskalation nicht zu erreichen sein. Die, die Hamas oder israelische Regierung samt militärisch-industriellem Komplex unterstützen, wollen im wesentlichen nur eines, ob sie es wissen oder nicht: Die Aufrechterhaltung des Status Quo.
Der Feind meines Feindes ist mein Freund
Weil sich beide Seiten schon für einen der reaktionären Konfliktakteure entschieden haben, fällt es ihnen auch nicht schwer, gleich noch die Freunde des jeweiligen Freundes mit ins Boot zu holen. Bei den Israel-Fans sind es vor allem die USA, deren Fahnen sie gerne und bei jeder Gelegenheit schwenken, so kritisch sie auch ansonsten gegen Nationalstaaten sein mögen. Denn die USA sind in ihren Augen der Garant des Bestehens des freiesten aller Staaten im Nahen Osten, und der Fetischisierung Israels muss eben auch eine des grossen Bruders entsprechen. (Einige wenige tragen dann konsequenterweise auch gleich die Deutschland-Fahne mit sich rum, denn auch die BRD schickt ja hin und wieder ein U-Boot zur Verteidigung gegen die Bösewichte. Die meisten lassen das aber, wohl nicht aus inhaltlichen, sondern aus Gründen fehlender Hipness von Schwarz-Rot-Gold).Die Pro-Hamas-Fraktion schert sich auch wenig darum, wer mit im Boot sitzt. Der Iran, krude Salafisten, europäische Neonazis – was soll's, es geht um die gute Sache.
Seien, wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche
Gerade in der Debatte um Israel und Palästina bedarf es eines Perspektivenwechsel. Erstens sollte es möglich werden, unterschiedliche Positionen zu diskutieren, ohne sich gegenseitig zu beschimpfen und diffamieren. Zum anderen aber gibt es keinen Grund, inhaltliche Positionen, die wir zu vergleichbaren Konflikten haben, aufzugeben. Wir würde auch in anderen Regionen weder Antisemiten oder Islamisten supporten, noch eine rechte Regierung eines bürgerlich-kapitalistischen Staates abfeiern und einem hochgerüsteten Militärapparat glückauf beim Bombardieren wünschen.Insofern ist uns scheissegal, wer es realistisch findet oder nicht: Mit der palästinensischen und israelischen Linken gegen Antisemitismus, Rassismus, Okkupation und Unterdrückung. Auch wenn das schwer ist: Denn zur Diskursmatrix beider Seiten gehört es, diejenigen, die sich Zweifel erlauben, in die jeweils andere Ecke zu stellen.