Als bekannt wurde, dass der erste Zisternenlaster mit sauberem Wasser nach Cipreses unterwegs war, wussten die Anwohner*innen, die wegen der Verseuchung des lokalen Grundwassers Alarm geschlagen hatten, dass die Regierung sie endlich ernst nahm. Die Behörden hatten entschieden, das Bergdorf per Lastwagen mit Trinkwasser zu beliefern, nachdem in Laborproben von lokalem Quellwasser Rückstände des Fungizids Chlorothalonil in alarmierenden Mengen gefunden worden waren. Die Ergebnisse lagen um das bis zu 200-Fache über den zulässigen Höchstwerten für dieses Pestizid, das in der costa-ricanischen Landwirtschaft regelmässig zum Einsatz kommt, in Europa aber verboten ist, weil es Grundwasser kontaminiert und bei Menschen vermutlich krebserregend wirkt.
Das geschah am Samstag, 22. Oktober 2022, zwei Tage nachdem das costa-ricanische Gesundheitsministerium die über 5000 Nutzer*innen der Wasserversorgung von Cipreses angewiesen hatte, das Wasser aus dieser Quelle weder zum Trinken noch zur Zubereitung von Speisen zu verwenden. Als der Wasserlaster den Ortseingang morgens um 8.50 Uhr erreichte, wurde er von Mitgliedern der lokalen Umweltinitiative EcoCipreses freudig empfangen, war er doch das Symbol dafür, dass in der Sache endlich etwas ging – acht Jahre nachdem sich eine Anwohnerin erstmals besorgt gezeigt hatte. Gleichzeitig war den Aktivist*innen sehr wohl bewusst, dass das Problem kaum auf die eigene Stadt begrenzt war.
Diese Befürchtungen bestätigten sich weniger als zwei Wochen später. Die Behörden hatten die Möglichkeit geprüft, Cipreses an die vom Nachbardorf Santa Rosa genutzten Wasserquellen anzuschliessen. Doch dann ergaben Laboranalysen, dass die meisten dieser Quellen ebenfalls mit Chlorothalonil kontaminiert waren. Am 4. November erliess das Gesundheitsministerium eine weitere Anordnung und sperrte fünf der Quellen in Santa Rosa. Bei späteren Analysen wurde die Kontamination einer weiteren Quelle des Ortes festgestellt, deren Nutzung für die Bevölkerung im März 2023 deshalb ebenfalls gesperrt wurde.
Nach Ansicht von José Sánchez, dem Vorsitzenden der für die Wasserversorgung von Santa Rosa zuständigen Behörde, ist das Problem in Cipreses und Santa Rosa wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Beide Gemeinden liegen in der landwirtschaftlich geprägten Region im Norden der Provinz Cartago, in der Nähe der Hauptstadt San José, wo die Landwirt*innen seit Jahrzehnten grosse Mengen an Chlorothalonil versprühen. In diesem Gebiet an den fruchtbaren Hängen des Vulkans Irazú im zentralen Hochland Costa Ricas werden 80% der nationalen Gemüseproduktion erzeugt, insgesamt leben dort Zehntausende von Menschen.
«Die Notlage einer gesamten Region»
«Es ist zu erwarten, dass mit weiteren Laboranalysen immer mehr verseuchte Quellen in der gesamten Region zutage treten werden, denn die landwirtschaftliche Produktion und die Bodenbeschaffenheit sind überall gleich.», Das sagte uns Sánchez im März, nur wenige Tage nachdem er die Nachricht erhalten hatte, dass eine weitere Trinkwasserquelle in Santa Rosa geschlossen werden musste. «Dann ist es nicht mehr allein das Problem eines Dorfes, sondern die Notlage einer gesamten Region.»Niemand weiss, wie viele Menschen in Costa Rica wie lange diesen Schadstoffen ausgesetzt waren. Die Behörden in Costa Rica haben die Trinkwasserquellen nie systematisch auf Chlorothalonil - eines der am häufigsten verwendeten Fungizide im Land - untersucht. Darüber hinaus fehlen den nationalen Behörden die technischen Mittel, um auf Chlorothalonil-Metaboliten zu testen. Dabei handelt es sich um Stoffe, die beim Abbau von Chlorothalonil in der Umwelt entstehen, das Grundwasser verschmutzen und die Gesundheit gefährden können. Solche Abbauprodukte hatten das Trinkwasser von Cipreses und Santa Rosa verunreinigt.
Diese Kontamination wäre wohl nie entdeckt worden, wenn nicht eine Gruppe von Anwohner*innen einen Verdacht geäussert und Analysen gefordert hätte. Und wenn nicht Fachleute des Regionalen Instituts für Studien über toxische Substanzen (Iret) der Nationalen Universität von Costa Rica sich bereit erklärt hätten, das Wasser kostenlos zu untersuchen.
«Wir vertrauten einfach auf die staatlichen Analysen der Wasserqualität, die zweimal im Jahr durchgeführt werden, und hätten uns nie vorstellen können, dass so etwas passieren kann», sagt Sánchez.
Das bedeutet, dass niemand weiss, wie viele Menschen in Costa Rica wie lange diesen Schadstoffen ausgesetzt waren.
Sánchez ist nicht der Einzige, der befürchtet, dass die Kontamination viel weiter verbreitet sein könnte als bisher festgestellt wurde. Im April veröffentlichten das Gesundheits- und das Umweltministerium von Costa Rica einen gemeinsamen Bericht über die Situation in Cipreses und Santa Rosa. Darin wird festgestellt, dass in der landwirtschaftlichen Region, die diese Gemeinden unmittelbar umgibt, rund 65 000 Menschen auf eine ähnliche Wasserversorgung angewiesen sind.
Viele dieser Wasserversorgungen, so der Bericht weiter, hätten «die gleichen Rahmenbedingungen», da die Landwirtschaft so nahe an den Wasserquellen betrieben werde, dass sie «die Wasserqualität beeinträchtigt» und «die Quellen höchstwahrscheinlich durch den Einsatz von chemischen Produkten kontaminiert» seien. Der Bericht schloss mit der Empfehlung, ein nationales Verbot der Verwendung von Chlorothalonil zu erlassen.
Doch einstweilen versprühen die Landwirt*innen in dieser Region, in der fast alle von der Produktion von Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln oder Kohl leben, weiterhin grosszügig Chlorothalonil auf ihren Feldern. Und obwohl dieses Pestizid mittlerweile in der Europäischen Union (EU), Grossbritannien und der Schweiz aufgrund der Risiken für das Trinkwasser und die Gesundheit verboten ist, verkaufen europäische Unternehmen weiterhin grosse Mengen Chlorothalonil in Costa Rica.
Gemäss Zolldaten, die Unearthed (die Investigativeinheit von Greenpeace Grossbritannien) und Public Eye gemeinsam analysiert haben, entfielen 26% der zwischen 2020 und 2022 in Costa Rica eingeführten Gesamtmenge an Chlorothalonil auf Syngenta. Damit ist der Basler Konzern die Nummer 1 auf diesem Markt.
Andere europäische Unternehmen, darunter der deutsche BASF-Konzern, verkaufen ebenfalls Produkte auf der Basis von Chlorothalonil in Costa Rica, obschon ihr Einsatz in der EU verboten ist. Einige Chlorothalonil-Produkte wurden sogar direkt aus der EU in Costa Rica eingeführt. Gemäss den Zolldaten haben Italien, Belgien, Dänemark und Grossbritannien das Pestizid nach Costa Rica exportiert, obschon dessen Verwendung auf den eigenen Feldern 2019 verboten worden war.
Syngenta wollte unsere Fragen nicht beantworten und diese Befunde nicht kommentieren. Ein Sprecher von BASF sagte: «Wir sind darüber informiert, dass Rückstände von Chlorothalonil in den Wassersystemen in Cipreses festgestellt wurden. Wir sind sehr besorgt über solche Berichte.» Man sei jedoch davon überzeugt, dass die eigenen Produkte sicher sind, «wenn sie korrekt verwendet werden, indem die Anweisungen auf dem Etikett und die Sicherheitsrichtlinien befolgt werden», fügte der Sprecher hinzu. «Als zusätzliche Sicherheit evaluieren wir freiwillig alle Produktanwendungen, die potenzielle Gesundheitsrisiken bergen, und heissen sie nur gut, wenn die Evaluationen die Sicherheit der Landwirt*innen unter den lokalen Anwendungsbedingungen bestätigen. Unsere Mitarbeitenden leben und arbeiten in den Ländern, in denen wir unsere Produkte verkaufen, und sie sind mit den Landwirt*innen vor Ort auf den Feldern.»
Es ist nun mehr als acht Monate her, dass die Zisternenlaster damit begonnen haben, Wasser nach Cipreses zu fahren, und eine Lösung ist noch immer nicht in Sicht. Weil für den Anschluss an das Leitungsnetz aktuell keine Bewilligungen mehr erteilt werden, dürfen im Dorf derzeit keine Neubauten erstellt werden. Bis Mitte Juni hatten die staatlichen Behörden bereits umgerechnet 200'000 US-Dollar für die Lieferungen per Lastwagen ausgegeben.
Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass es eine einfache oder schnelle Lösung gibt. Die Erfahrungen in den europäischen Ländern, in denen die Verwendung des Stoffes inzwischen verboten ist, zeigen, dass die Abbauprodukte von Chlorothalonil in der Umwelt sehr schlecht abbaubar sind und das Grundwasser wahrscheinlich über viele Jahre hinweg erheblich beeinträchtigen werden. Die Technologien, mit denen sich diese Schadstoffe aus dem Trinkwasser entfernen lassen, sind sehr teuer.
«In der gesamten Region müssen viel mehr Analysen durchgeführt werden», sagt Clemens Ruepert, Chemiker und Forscher am Universitätsinstitut Iret, der mit seinen Untersuchungen die Kontamination in Cipreses belegte und die Intervention der nationalen Behörden auslöste. «Aber wir müssen die Ressourcen dafür finden und die möglichen Lösungswege bedenken. Jedenfalls ist es weder haltbar, die Bevölkerung jeden Tag über Lastwagen mit Trinkwasser zu versorgen, noch sie weiter dem Risiko durch das Leitungswasser auszusetzen. Gleichzeitig müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Erholung der natürlichen Quellen herbeiführen können. Aber das ist sehr komplex. Die Menschen hier trinken Wasser, das Abbauprodukte bestimmter Pestizide enthält, die in dieser Region häufig zum Einsatz kommen. Daran besteht für uns kein Zweifel», betont Ruepert.
«Unser täglich Brot»
«Es ist wie eine Droge», sagt der Landwirt Óscar Ruiz über das Chlorothalonil, das er weiterhin auf seine Karotten- und Kartoffelpflanzen sprüht.Viele der geschätzt 9400 Einwohner*innen in Cipreses und Santa Rosa trinken trotz der Anordnung des Gesundheitsministeriums weiterhin Leitungswasser, aber Ruiz gehört nicht dazu. Seit Oktober nutzt er das Trinkwasser, das die Zisternenwagen nach Cipreses fahren.
«Es tötet die Pilze einfach zu gut», erklärt der Landwirt. Das Fungizid wirke und sei zudem erschwinglich. Deshalb werde es oft in höheren Dosierungen und häufiger eingesetzt als von den Herstellern empfohlen. In den letzten Jahren, so versichert er, seien die Mengen jedoch reduziert worden, da sich viele mit Agraringenieur*innen berieten, welche die Pestizidindustrie selbst stellt; diese ist mit ihren riesigen Plakatwänden am Rand der Landstrasse in der ländlichen Gegend um Cipreses nicht zu übersehen.
In dieser Region gehören Daconil und Bravonil zu den bekanntesten Chlorothalonil-Marken, beide stammen von Syngenta. Sie verkaufen sich sehr gut, insbesondere im Norden der Provinz Cartago. Eine Flasche Bravonil kostet im Laden 14000 Colones (25 US-Dollar). «Ich verkaufe sehr viel davon», sagt der Verkäufer, bei dem wir eine Flasche kaufen.
Chlorothalonil war zwischen 2012 und 2020 das am vierthäufigsten verwendete Pestizid in Costa Rica. Dies geht aus Daten hervor, die Elídier Vargas zusammengestellt hat. Vargas forscht über den Einsatz von Agrochemikalien und ist der Autor von Studien, die vom Lokalbüro des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen finanziert wurden. Sie zeigen, dass das zentralamerikanische Land, das als «grünstes Land weltweit» bekannt ist, gleichzeitig zu den Ländern gehört, die weltweit am meisten Fungizide pro Hektar einsetzen.
In der Region rund um den Irazú-Vulkan ist Chlorothalonil «unser täglich Brot», erklärt Ismael Serrano, Landwirt in Cipreses und Besitzer eines Unternehmens, das Karotten exportiert. Serrano war bis vor neun Jahren Vorsitzender der Behörde, die für die Wasserversorgung von Cipreses zuständig ist. Er beschuldigt ihren aktuellen Vorstand, die Verseuchung der Wasserversorgung zuzulassen. Und er wirft ihr vor, dass sie die Grundstücke rund um die Quellen nicht aufgekauft habe, sodass heute nur wenige Meter von der Quelle entfernt Gemüse angebaut wird, obwohl das Gesetz dafür einen Mindestabstand von 200 Metern verlangt. Der Unternehmer versichert, dass ihm schon immer klar gewesen sei, dass die Klagen keine Launen irgendwelcher Aktivist*innen sind.
«Sie hatten Recht. Inzwischen liegen Beweise vor, dass das Trinkwasser Chlorothalonil-Rückstände aufweist, und in anderen Ländern wurden Studien veröffentlicht über die schwerwiegenden Auswirkungen, die diese Rückstände auf die Gesundheit haben», erklärt uns Serrano in seiner Fabrik. Serrano weiss, wovon er spricht: «Vor einer Woche verlor ich einen 45-jährigen Angestellten, der an Magenkrebs starb, und jetzt erhielt sein Vater dieselbe Diagnose.»
«Du lebst mit der Angst»
Die potenziellen Gesundheitsrisiken haben bei einigen Anwohner*innen Bedenken hinsichtlich der Nebenwirkungen einer Substanz geweckt, die sie seit Jahrzehnten ohne Kontrolle oder Einschränkungen verwenden. «Du lebst mit der Angst und fragst dich oft, wann etwas Seltsames mit deinem Körper passieren wird», sagt Óscar Ruiz, obwohl er und sein Sohn Jordi ihre Karottenfelder immer von Hand und ohne Schutzausrüstung mit Chlorothalonil besprüht haben.Ein Stück weiter, in Santa Rosa, treffen wir den 70-jährigen Leonel Sánchez, der gerade auf dem Weg ist, um Trinkwasser aus einem Lastwagen zu holen. Seine Frau hat Krebs, und sein Sohn leidet an Nierenversagen. Deshalb wollen sie «nicht riskieren, verseuchtes Wasser zu trinken», sagt der Landwirt im Ruhestand, der früher selbst Chlorothalonil verwendete und immer sorglos Leitungswasser trank. Aber jetzt beherzigt er die Warnungen. «Wir haben auf unseren Höfen immer grosse Mengen an Agrochemikalien verwendet, und niemand hat uns jemals davor gewarnt», sagt er.
Ärzt*innen in Costa Rica, die mit uns sprachen, sagten, dass das Land über die Krebsraten im Allgemeinen und die durch Pestizide verursachten Schäden im Besonderen kaum Statistiken führt, und dass es unmöglich ist, zu sagen, ob die in der Umgebung von Cipreses verwendeten Pestizide mit den beobachteten Krankheiten in Verbindung stehen. Die Folgen dieser Exposition für die Gesundheit seien bisher nicht untersucht worden, sagt etwa die Epidemiologin Rebeca Alvarado, die für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln erforscht. In Costa Rica würden die Gesundheitsfolgen von Agrochemikalien nur bei akuten Vergiftungen erfasst, jedoch gebe es kaum Daten zu Langzeitschäden in Form von chronischen Erkrankungen. Es gebe internationale Fachliteratur, in der die Substanz mit Problemen wie Asthma, Krebs und Schädigungen der Niere und der Prostata sowie der weiblichen Fortpflanzungsorgane in Verbindung gebracht wird. «Und wir wissen, dass es aus Chlorothalonil abgeleitete Substanzen gibt, die im Wasser zu finden sind. Doch für Costa Rica lässt sich kein kausaler Zusammenhang mit solchen Erkrankungen nachweisen. Eines ist jedoch sicher: Die Menschen nehmen Rückstände von Substanzen zu sich, deren gesundheitsschädigende Wirkung in anderen Ländern als erwiesen gilt», so Rebeca Alvarado.
Die für die Wasserversorgung von Cipreses zuständige Behörde anerkennt jedoch nicht, dass das Leitungswasser für die Einwohner*innen ein Gesundheitsrisiko darstellt. Anders als ihre Schwesterbehörde im benachbarten Santa Rosa akzeptiert sie nicht einmal die Aussage, dass ihr Wasser kontaminiert sei. Als das Gesundheitsministerium im Oktober den Präsidenten der Behörde von Cipreses, Virgilio Ulloa, angewiesen hatte, die Quellen für die Nutzung als Trinkwasser zu schliessen, hatte dieser gegenüber den Medien erklärt, dass die Wasserversorgung weiterhin normal funktioniere, dass «niemand hier daran gestorben» sei und dass die Menschen «über ihr Gemüse mehr Gift» konsumierten als über das Trinkwasser.
In einem über zweistündigen Gespräch mit uns stellt Ulloa die Qualifikation des Universitätsinstituts Iret, das mit seinen Analysen die Wasserverschmutzung aufgedeckt hat, in Frage. Dabei hatte just seine Behörde das Institut mit einigen Analysen beauftragt. Er behauptet, das Labor des Instituts sei nicht akkreditiert, um Proben auf Rückstände von Chlorothalonil zu untersuchen, zudem habe das Institut unter dem Druck von lokalen Aktivist*innen gestanden. «Es war unser Fehler, den Feind mit der Durchführung der Analysen zu beauftragen», sagt Ulloa – im Übrigen ein Landwirt aus der Region und ein glühender Verfechter des Einsatzes von Pestiziden. Während des Interviews trägt er eine Mütze mit dem Logo des Pestizidhändlers, bei dem wir die Flasche Bravonil gekauft hatten.
Darnér Mora, der Direktor des Nationalen Wasserlabors von Costa Rica (des Labors der nationalen Regierungsbehörde, die für ländliche Wasserversorgungen wie jener in Cipreses zuständig ist), teilt Ulloas Haltung nicht. Das staatliche Labor ist für die Untersuchung auf Rückstände von Chlorothalonil zertifiziert, arbeitet aber mit dem Universitätsinstitut Iret zusammen, da es nicht über die Kapazitäten verfügt, um diese Arbeit selbst durchzuführen. «Man muss immer wissenschaftlich vorgehen, und wenn das Labor des Iret Rückstände von Chlorothalonil gefunden hat, glauben wir das», versichert Mora.
Fragwürdige Zweitmeinung eingeholt
Anstatt den Rat dieser Wissenschaftler*innen zu akzeptieren, hat die für die Wasserversorgung von Cipreses zuständige Behörde – mit tatkräftiger Unterstützung von Vertreter*innen der Pestizidlobby Costa Ricas – Anfang 2023 eine neue Runde von Analysen bei einem neuen Labor in Auftrag gegeben, dem Forschungszentrum für Umweltverschmutzung der Universität von Costa Rica. Nur: Dieses Forschungszentrum kann zwar auf Chlorothalonil testen, nicht aber auf Abbauprodukte dieses Pestizids. Der offensichtliche Zweck dieser Analysen bestand darin, die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es kein Problem sei, weiterhin Leitungswasser zu trinken oder das Gemüse mit Pestiziden zu besprühen.Am 2. Februar 2023 wurden aus einer Quelle namens Plantón in Cipreses Proben entnommen; das Ereignis wurde filmisch festgehalten und auf der Facebook-Seite der Behörde gepostet. In nächster Umgebung der Quelle werden Kartoffeln und Kohl in rauen Mengen angebaut, ohne dabei die gesetzlich vorgeschriebene Schutzzone von 200 Metern zu beachten. Anwesend waren Mitglieder der für die lokale Wasserversorgung zuständigen Behörde, deren Geschäftsleiterin Sonia Aguilar, ein Rechtsanwalt und ein Unternehmer namens Freddy Solís. Der Lokaljournalist, der für das Filmen des Anlasses bezahlt wurde, stellte Solís als Präsidenten des Verbands der Hersteller und Händler von Agrochemikalien (Asoagro) vor. Hauptberuflich ist Solís Geschäftsführer von Distribuidora Inquisa, einem Agrochemiehersteller, der unter anderem Chlorothalonil verkauft. «Er unterstützt uns sehr, wenn es um Agrochemikalien geht», beschrieb Sonia Aguilar, die Geschäftsleiterin der lokalen Wasserversorgungsbehörde, uns gegenüber später das Verhältnis zwischen dem Unternehmer und der Behörde.
Im Interview mit uns sagt Solís, dass er der Entnahme der Proben aus der Quelle Plantón als Industrievertreter beigewohnt habe und dass er überzeugt sei, dass die Schliessung der Quellen durch die Regierung «auf Mutmassungen» beruhe. Zudem schliesse er aus, dass Chlorothalonil irgendwelche schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt oder die Gesundheit habe, wenn es in der Dosierung angewendet werde, die im Kleingedruckten auf den Verpackungen angegeben ist. «Die Verwendung von Agrochemikalien gemäss den Anweisungen des Herstellers, die auf dem Etikett und in der Packungsbeilage zu finden sind, verursacht nachweislich keine Nebenwirkungen für die Gesundheit oder die Umwelt und ist ein Instrument zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit der Bevölkerung in Übereinstimmung mit der nationalen Gesetzgebung», versichert uns der Geschäftsmann.
Als Reaktion auf die Recherche von Public Eye und Unearthed veröffentlichte die regionale Zweigstelle von CropLife, der Organisation, welche die Interessen von Syngenta und anderen multinationalen Unternehmen der Branche vertritt, eine Erklärung, die nahelegt, dass das Problem darauf zurückzuführen sei, dass das Gesundheitsministerium von Costa Rica einen übermässig strengen Grenzwert für die Menge an Pestiziden festgelegt habe, die im Trinkwasser vorhanden sein dürfe.
«Entscheidend ist nicht, ob Pestizidrückstände in Lebensmitteln oder im Wasser nachgewiesen wurden oder nicht, sondern vielmehr, in welcher Menge sie auftreten. Denn solange kein Grenzwert überschritten wird, besteht kein Risiko für die Bevölkerung; vorausgesetzt, die Grenzwerte wurden nach international anerkannten wissenschaftlichen Normen und Standards festgelegt, was in Costa Rica nicht der Fall ist», heisst es in der Erklärung. Laut CropLife wurde die costa-ricanische Regelung, die einen Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter für alle Pestizide im Trinkwasser definiert, «ohne jegliche technische oder wissenschaftliche Grundlage» festgelegt. Dieser Grenzwert ist jedoch genau derselbe, den die EU für alle Pestizidrückstände in Trinkwasser oder Grundwasser festgelegt hat. Er gilt auch für die Abbauprodukte von Chlorothalonil, da das Pestizid als «vermutlich krebserregend» eingestuft wurde.
Die Beschwichtigungen der Pestizidindustrie vermögen nicht überall zu überzeugen. Das Nationale Institut für Wasserversorgung, das Gesundheitsministerium, das Umweltministerium und das Verfassungsgericht anerkennen alle, dass die Kontamination der Quellen real ist und ein Problem darstellt.
«Auch das Wasser ist heilig»
Dieses Problem wäre vielleicht nie ans Licht gekommen, wenn eine Einwohnerin von Cipreses, Isabel Méndez, nicht vor neun Jahren bei einem Besuch der Plantón-Quelle einen Verdacht geäussert hätte. Cipreses ist ein streng katholischer Ort, und die Gemeinde hielt früher an dieser Quelle Messen ab, um die Jungfrau Maria um Regen für die Ernte zu bitten. An einem Samstag im Jahr 2014 war Méndez mit den Vorbereitungen für eine dieser Zeremonien beschäftigt, als sie einen starken Geruch nach Pestiziden wahrnahm. Auf dem Boden hatte sich eine weisse, cremige Substanz angesammelt, die in Rinnen vom Ackerland hinunter zur Quelle lief. Möglicherweise hatte der starke Regen in der Nacht davor die Pestizide von den Pflanzen abgewaschen. «Darauf fragte ich die zuständige Behörde, ob das Wasser verseucht sei. Sie verneinte dies stets, ich aber blieb beunruhigt», erzählt Méndez.Zwei Jahre später wurden bei ihrer Tochter Fiorella, damals erst 16, Polypen in den Nasennebenhöhlen diagnostiziert. Sie wurde operiert, doch traten die Wucherungen bald erneut auf. «Die Ärzt*innen sagten mir, dass sie in Ermangelung anderer Faktoren nicht ausschliessen könnten, dass das Wachstum der Polypen durch das verseuchte Wasser beschleunigt wurde», sagt die heute 23-Jährige, die ihren Geruchs- und Geschmackssinn fast vollständig eingebüsst hat. Doch wenn sie auf den Strassen spaziert, die durch die Landgüter verlaufen, nimmt sogar sie den stechenden Geruch der Pestizide wahr, die in kleinen Wolken immer wieder über den frisch besprühten Anbauflächen aufsteigen. Wer die Gegend besucht, bemerkt rasch einmal, dass der Wind häufig den Geruch von Chemikalien mit sich trägt.
Für ihre Familie und die lokale Bevölkerung beschloss Isabel Méndez, sich nicht mehr auf die Arbeit in der Kirchgemeinde zu beschränken. «Auch das Wasser ist heilig», erklärt sie ihr Engagement. So lernte sie vor Jahren Ricardo Rivera kennen, den damaligen Geschäftsleiter der lokalen Wasserversorgungsbehörde, der organisationsintern durch Chlorothalonil ausgelöste Umweltprobleme angesprochen hatte. Sie taten sich mit weiteren Bewohner*innen und dem bekannten Umweltschützer Fabián Pacheco zusammen, der kurz davor nach Cipreses gezogen war, um einen biologischen Landwirtschaftsbetrieb aufzubauen, und gründeten zusammen die Umweltinitiative EcoCipreses. Dies war der Beginn einer Kampagne, die nicht nur eine starke Verunreinigung der lokalen Wasserversorgung aufgedeckt hat, sondern die Forderung nach einem Verbot des weit verbreiteten Fungizids Chlorothalonil landesweit unterstützt.
Im April gaben das Gesundheits- und das Umweltministerium Costa Ricas zusammen mit dem Institut für Wasser und Abwasser einen gemeinsamen Bericht heraus, in dem ein nationales Verbot der Verwendung von Chlorothalonil empfohlen wurde. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass die Chemikalie nachweislich «erhebliche Risiken für die Gesundheit und die Umwelt» birgt und es angesichts der Kontamination in Cipreses und Santa Rosa «notwendig ist, Massnahmen zu ergreifen, um die Kontamination weiterer Wasserquellen zu vermeiden und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen». Im Juni erliess die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs von Costa Rica ein Urteil, das der Regierung eine Frist von sechs Monaten einräumte, um die Empfehlungen des Berichts umzusetzen.
Doch in Costa Rica benötigt jedes Verbot eines gefährlichen Pestizids die Unterstützung des Umwelts-, des Gesundheits- und des Landwirtschaftsministeriums. Und Letzteres war am gemeinsamen Bericht der zwei anderen Ministerien nicht beteiligt.
Zudem: Wenn ein offizieller Bericht ein Verbot empfiehlt, heisst das nicht, dass das auch passiert. In der Vergangenheit wurden Berichte, in denen das Verbot von Pestiziden in Costa Rica empfohlen wurde, von den verantwortlichen Ministern schubladisiert.
Die Agrochemieindustrie scheint ihrerseits nicht bereit zu sein, Chlorothalonil vom Markt zu nehmen. Ihr Verbandspräsident Solís stellt klar, dass ein Verbot nur die allerletzte Option sein dürfe. Die bis dato vorgelegten Proben zweifelt er an und fordert weitere Analysen: «Bei Problemen dieser Art müssen die Behörden als allererstes überzeugende wissenschaftliche Proben einfordern oder sammeln und dabei genaue Entnahme- und Analyseprotokolle einhalten, um zu beweisen, dass sich ein Verdacht auf Fakten stützt.» Und er ergänzt: «Aufgrund von blossen Vermutungen, die sich nicht auf die Wissenschaft stützen, dürfen keine Verbote gefordert werden.»
«Niemand hat eine Lösung»
In der Zwischenzeit blicken die Menschen in Cipreses und Santa Rosa in eine ungewisse Zukunft. Niemand weiss, wie lange sie bereits verseuchtes Wasser getrunken haben oder welche Auswirkungen es auf ihre Gesundheit haben wird. Niemand weiss, wie weit die Kontamination im Land verbreitet ist, und niemand weiss, wie die Verunreinigungen aus den betroffenen Quellen entfernt werden können.In Cipreses hat der Skandal zu einer tiefen Spaltung geführt. Die für die Wasserversorgung zuständige Behörde befindet sich im offenen Konflikt mit den Einwohner*innen, die EcoCipreses gegründet haben. Auch unter den anderen Bewohner*innen sind die Meinungen geteilt. Viele trinken immer noch bedenkenlos Leitungswasser. Andere sind dazu übergegangen, das Wasser aus den Lastwagen zu trinken. Und einige sind es müde, auf die Lastwagen zu warten oder Wasserbidons zu tragen. «Es ist nicht leicht», sagt José Miguel Quesada, ein 76-jähriger Landarbeiter im Ruhestand, im Flur seines Hauses. Quesada hat Zungenkrebs, sein Arzt meint, das könne mit dem Wasser zu tun haben. «Man weiss das nicht mit Sicherheit, aber es ist denkbar», sagt Quesada.
In der Schule des Dorfes dürfen die Kinder nur Wasser vom Zisternenlaster trinken. «Ich habe keinen Zweifel, dass unser Leitungswasser verunreinigt ist, das belegen die Analysen», sagt Schulleiterin Virginia Corrales. «Aber wir wissen nicht, welche Auswirkungen das hat. Wir befolgen jedenfalls die Anweisung des Gesundheitsministeriums, wonach wir das Wasser aus den Lastwagen trinken sollen. Es geht um die Gesundheit von über 300 Schüler*innen.» In der Schulküche schält die Köchin Ana Lía Coto Kartoffeln, die mit dem herangekarrten Wasser gewaschen wurden. Doch zu Hause benutzt sie Leitungswasser. «Uns ist bisher nichts passiert», sagt sie und zuckt mit den Schultern.
Vor der Schule wartet Valeria Calderón auf den Bus zu ihrem Arbeitsplatz in einer Fabrik in einem anderen Dorf. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in einem Haus, das ihnen von der Farm, auf der er arbeitet, geliehen wurde. Sie sagt, sie warte seit fünf Jahren auf ein eigenes Haus in einem Sozialprojekt für arme Familien, aber die Pläne für diesen Bau seien wegen des Verbots neuer Wasseranschlüsse aufgrund der Verseuchung ins Stocken geraten. «Wenn sie meinen Mann entlassen, können wir nirgendwo mehr hin. Wir sind von dem Problem der Verunreinigung sehr betroffen», sagt sie. Sie weiss nicht, was passieren wird.
Da ist sie nicht die Einzige. «Es ist schwer zu sagen, wann das Problem gelöst sein wird», sagt Rafael Barboza, Direktor für die Verwaltung der ländlichen Wasserversorgung beim Institut für Wasser und Abwasser. «Unser Interesse gilt immer der Wiederherstellung der Quelle», fügt er hinzu. Derzeit würden neue Analysen von Wasserquellen in der gesamten Region des Vulkans Irazú durchgeführt. Dabei könnte sich natürlich ein viel grösseres und schwerwiegenderes Problem herausstellen.
«Unsere grösste Sorge ist», sagt Albin Badilla, Koordinator des Programms zur Überwachung und Kontrolle der Trinkwasserqualität im Gesundheitsministerium, «dass sich herausstellt, dass die Kontamination in Cipreses und Santa Rosa die gesamte Region betrifft.» Die Geschäftsleiterin der Wasserversorgungsbehörde von Cipreses sagt, man prüfe die Beschaffung von Ionisationskatalysatorsystemen für die kontaminierten Quellen, wisse aber nicht, wer die Kosten dafür tragen solle. Aus Europa ist bekannt, dass die Technologie zur Entfernung von Chlorothalonil-Rückständen extrem teuer ist.
«Wir können dieses Problem nicht auf sich beruhen lassen. Aber wenn Sie mich fragen, was die Lösung ist, muss ich Ihnen sagen, dass ich keine habe», sagt José Sanchez, Präsident der Wasserversorgungsbehörde von Santa Rosa. «Ich habe keine Lösung und keine andere Behörde in dieser Region hat eine.»