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Hisbollahs Weg von der »nationalen Befreiung« zur Aufstandsbekämpfung

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Hisbollahs Weg von der »nationalen Befreiung« zur Aufstandsbekämpfung Die Logik des »Widerstandes«

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Politik

Je länger sich der Aufstand in Syrien mit tausenden Toten hinzieht, desto häufiger brennen auf arabischen Demonstrationen plötzlich die Fahnen der treu zu Assad stehenden Hisbollah und die Bilder ihres Generalsekretärs Hassan Nasrallah.

Hisbollah-Propaganda über einer Strasse im Süd-Libanon.
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Hisbollah-Propaganda über einer Strasse im Süd-Libanon. Foto: PD

Datum 5. September 2013
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Dabei galt dieser ob seines erfolgreichen »Widerstandes« gegen den zionistischen Feind lange Zeit als Held der »arabischen Strasse«. Wer sich aber nicht von der Inszenierung der Hisbollah als »nationale Widerstandsbewegung« gegen die »israelische Aggression« blenden liess, konnte von der Unterstützung Assads durch die Hisbollah kaum überrascht sein. Vielmehr war schon Jahre zuvor die mörderische und destruktive Logik des »Widerstands« offenbar geworden, wie ein kursorischer Blick auf die Geschichte der »Partei Gottes« zeigt. Im Namen des Widerstands diente Hisbollah als treue Partnerin der syrischen Besatzung Libanons, half mit, die Zedern-Revolution als Vorgängerin des Arabischen Frühlings scheitern zu lassen, setzte die eigenen Waffen im Inneren ein und hielt das Land in einem endlosen Krieg mit Israel gefangen.

Göttliche Siege

»Und wer Allah und Seinen Gesandten und die Gläubigen zu Freunden nimmt, siehe, das ist die Partei Gottes; sie sind die Obsiegenden.« (Koran, 5:56) Dieses Versprechen, das auf der gelben Flagge der Hisbollah zu finden ist, konnte die Partei seit nunmehr drei Jahrzehnten immer wieder mit konkreten Erfolgen im Kampf gegen Israel erfüllen. Die Partei entstand 1982 im Libanon, in dem seit 1975 ein blutiger Bürgerkrieg wütete. Im Iran siegte 1979 der islamistische Flügel der Revolution; der israelische Einmarsch in den Libanon 1982 war Anlass für den Iran, die Revolution zu »exportieren« und zugleich den erklärten Krieg zu führen. Statt als schiitische Bürgerkriegspartei agierte Hisbollah mit iranischer und syrischer Unterstützung vor allem gegen die israelische Besatzung des südlichen Drittels des Libanons sowie gegen jeglichen westlichen Einfluss.

Selbstmordattentate und beständige Angriffe auf israelische Truppen drängten diese 1985 in einen »Sicherheitsstreifen« zurück, der nur noch 10 Prozent des libanesischen Territoriums umfasste. Am ersten Tag des israelischen Rückzuges, dem 16. Februar 1985, trat Hisbollah mit einem »Offenen Brief an die Unterdrückten im Libanon und der ganzen Welt« erstmals an die Öffentlichkeit und präsentierte sich als Bündnispartnerin und erfolgreiches Modell für den Kampf gegen »Weltimperialismus« und »Zionismus«. Die fortdauernde israelische Besatzung des Sicherheitsstreifens war für die Hisbollah ein geeigneter Anlass, nach dem Ende des Bürgerkriegs 1990 als einzige nichtstaatliche Organisation ihre Waffen zu behalten. Die israelischen Militäroperationen Accountability (1993) und Grapes of Wrath (1996) konnten nicht verhindern, dass Hisbollah im Süden immer stärker aufrüstete, sich sozial verankerte und mit Guerillataktik der israelischen Armee und deren libanesischen Verbündeten jährlich zunehmende Verluste zufügte.

Der israelische Rückzug im Mai 2000 war ein Triumph für Hisbollah, die danach ihren »Widerstand« aber keineswegs aufgab. Stattdessen behielt sie unter anderem mit Verweis auf die fortwährende Gefahr israelischer Aggression und die umstrittenen Shebaa-Farmen im Grenzgebiet zwischen Israel, Syrien und dem Libanon ihre Waffen und kämpfte. Besagte Shebaa-Farmen befinden sich im Bereich der Golanhöhen, die nach dem Sechstagekrieg 1967 von Israel annektiert wurden, und sind seitdem politisch stets umstritten geblieben. Kurz nach dem durch die UN anerkannten Rückzug Israels aus dem Libanon wurden aus den Shebaa-Farmen drei israelische Soldaten entführt und getötet. Als Hisbollah im Januar 2004 unter anderem mit diesen Soldaten über 400 Gefangene (vor allem PalästinenserInnen) freipressen konnte, sprach sie von einem »zweiten Sieg«.

Mit Nachdruck versprach Nasrallah nun, mit Samir Kuntar auch einen libanesischen Gefangen zu befreien. Er war als Mitglied der Palästinensischen Befreiungsfront (PLF) Anführer eines Überfalls auf die israelische Stadt Nahriija im Jahr 1979, bei dem mehrere ZivilistInnen getötet wurden, und wurde so zu einem nationalen Symbol in Israel und im Libanon – für den mörderischen Hass der Feinde auf der einen, für nationale Schmach auf der anderen Seite. Als am 12. Juli 2006 schliesslich bei der Operation »Gehaltenes Versprechen« in einer äusserst angespannten Situation ein Hisbollah-Kommando zwei israelische Soldaten auf israelischem Territorium entführte (und tötete) und bei einem eiligen israelischen Befreiungsversuch auch acht weitere israelische Soldaten tötete, löste das einen 33-tägigen Krieg aus. Eine Million Flüchtlinge, 1191 Tote und massive Zerstörung von militärischer wie ziviler Infrastruktur.

Später sprach Nasrallah bei einem Auftritt in Süd-Beirut von einem »göttlichen Sieg« – allein weil Hisbollah den Krieg überstanden und bis zum Schluss den Norden Israels mit Raketen überzogen hatte. Es war für gut zwei Jahre Nasrallahs letzter öffentlicher Auftritt, bis er am 16. Juli 2008 Samir Kuntar, der im Austausch für die Leichen von Ehud Goldwasser und Eldad Regev (die Entführung der beiden Soldaten durch Hisbollah im Jahr 2006 war ein Mitauslöser für den Libanonkrieg) freigelassen wurde, am gleichen Ort präsentieren konnte. Dies war der letzte Erfolg der Hisbollah im Kampf gegen Israel.

Die Umma im Jihad

Ihre Erfolge hat Hisbollah vor allem ihren iranischen und syrischen Sponsoren zu verdanken. Geld, Waffen, Logistik und Unterstützung aller Art aus Iran sowie die besonders bis 2005 dominante Rolle Syriens im Libanon haben es Hisbollah ermöglicht, weit mehr als eine Terror-Organisation aufzubauen. Hisbollah ist eine globale terroristische Organisation, aber ihre Stärke im Libanon beruht darauf, dass sie zugleich eine politische Partei, eine breite soziale Bewegung, eine Armee und in ihren Gebieten eine weitgehend souveräne, quasi-staatliche Organisation ist.

Eine differenzierte Darstellung der Hisbollah ist also notwendig, wird aber zur Verharmlosung, wenn dabei verschwiegen wird, dass alle Aktivitäten auf den Krieg gegen Israel ausgerichtet sind. Hisbollah sieht sich selbst als eine Umma, eine alle Lebensbereiche umfassende islamische Gemeinschaft im Jihad. Die Trennung in einen bewaffneten und einen politisch-sozialen Flügel wird schon im Gründungsmanifest explizit verneint: »[…] unser militärischer Apparat ist nicht von unserem sozialen Gefüge getrennt. Jeder von uns ist ein kämpfender Soldat.« Als Grossbritannien 2009 mit einem imaginären »politischen Flügel« Beziehungen aufnehmen wollte, lehnte Hisbollah diese Möglichkeit diplomatischer Aufwertung ab. Die bereits 1985 gegründete Jugendorganisation der Mahdi Scouts dient der Indoktrination und paramilitärischen Ausbildung der Mädchen und Jungen, ihre »guten Taten« bestehen nicht zuletzt in der Betreuung von Märtyrer-Witwen.

Die sozialen und medizinischen Einrichtungen dienen dazu, soziale Kontrolle und Abhängigkeit herzustellen und zugleich staatliche Strukturen fernzuhalten. Wirtschaftliche Investitionen, gar aus dem Ausland, und staatliche Projekte, die zu einem Wohlstand jenseits des Almosenniveaus führen und damit Kampfeswille wie Abhängigkeit schwächen könnten, werden systematisch verhindert. Häuser und zivile Infrastruktur, die Hisbollah mit iranischem Geld nach 2006 wieder aufgebaut hat, dienten und dienen samt ihren BewohnerInnen als Schutzschilde. Dennoch hat Hisbollah den lange Zeit marginalisierten SchiitInnen im Libanon soziale Fortschritte gebracht und die einstmals schwächste zur politisch dominanten Konfession gemacht. Auch das bringt ihr viel Unterstützung ein, zumal viele SchiitInnen befürchten, im Falle einer Entwaffnung der Partei Opfer von Vergeltungsaktionen seitens der anderen Konfessionen zu werden.

Pragmatismus ohne Mässigung

Neben der breiten Vielfalt an nicht unmittelbar militanten Aktivitäten und Strukturen der Hisbollah machen sie auch ihr bemerkenswerter Pragmatismus und ihre Anpassungsfähigkeit gefährlich. Jede Wandlung, jeder Kompromiss ist gut, wenn damit der selbst deklarierte Widerstand aufrecht erhalten und gestärkt werden kann. 1992 wurde beispielsweise nach heftigen internen Diskussionen, einer Abspaltung und der Erlaubnis des als höchster Autorität anerkannten iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei die Beteiligung an den ersten Parlamentswahlen nach dem Bürgerkrieg beschlossen. Parlament und Staat wurden als nützlich für den Widerstand betrachtet, nie als Alternative. Entwaffnung und Unterordnung unter das staatliche Gewaltmonopol wurden mit dem Argument abgelehnt, dass ein Staat nationalen wie internationalen politischen Zwängen und Verantwortlichkeiten unterworfen sei, die den »Widerstand« behindern könnten.

Auch die Errichtung eines »islamischen« Staates nach iranischem Vorbild im multikonfessionellen Libanon wurde spätestens mit der Wahlbeteiligung als unrealistisch und unnötig konfliktträchtig aufgegeben. Selbst in den von Hisbollah kontrollierten mehrheitlich schiitischen Gebieten hat die Durchsetzung islamischer Sittenordnung keine Priorität. Der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei wird selbst unter Hisbollah-AnhängerInnen kaum als religiöse oder gar politische Autorität akzeptiert, vielmehr orientiert sich ein Grossteil der SchiitInnen im Libanon am säkularen Iraker Ali al-Sistani. Durch diesen Pragmatismus schafft es Hisbollah, auch Menschen als UnterstützerInnen und SympathisantInnen zu gewinnen, die nicht mit allen politischen oder religiösen Überzeugungen der Hisbollah konform gehen Dies ist keinesfalls mit einer Abkehr von der islamistischen Ideologie zu verwechseln, die vom harten Kern der Partei geteilt und mittels aller Hisbollah-Strukturen verbreitet wird.

Nationaler Widerstand?

Vor allem aber legitimiert sich Hisbollah durch den nationalistisch verbrämten sogenannten Widerstand gegen israelische Besatzung und Aggression. Dass sie sich dadurch auch international blinde Unterstützung sichern konnte, zeigte Anfang 2008 beispielhaft der linke und antizionistische amerikanische Politikwissenschaftler Norman Finkelstein: »Mir ist Hisbollah als politische Organisation egal. Ich weiss nicht viel von ihrer Politik, und überhaupt ist das irrelevant. […] Menschen haben das Recht, ihr Land gegen fremde Besatzung zu verteidigen, und Menschen haben das Recht, ihr Land gegen Invasoren zu verteidigen.« Dabei wäre der israelische Rückzug von 2000 der definitive Wendepunkt gewesen, ab dem auch SympathisantInnen und UnterstützerInnen der »nationalen Befreiungsbewegung« Hisbollah den wahnhaften und destruktiven Kern ihres Kampfes hätten erkennen müssen.

Zuerst weigerte sich Hisbollah als einzige nichtstaatliche bewaffnete Organisation, nach Ende des Bürgerkriegs die Waffen abzugeben. Die Gebiete im Südlibanon, die Anfang der siebziger Jahre durch die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) besetzt und dem staatlichen Gewaltmonopol entzogen wurden, sind also nach dem 18-jährigen israelischen Intermezzo neuerlich durch eine sich selbst als Widerstandsbewegung verstehende Organisation besetzt. Diese Besetzung war nur noch mit Vorwänden wie den Shebaa-Farmen sowie zunehmend schrillen und ideologischen Beschwörungen der israelischen Gefahr zu legitimieren. Praktisch war Hisbollah zudem mit dem syrischen Regime verbündet, das durch einen 1991 aufgezwungenen Freundschaftsvertrag im Libanon mit allgegenwärtigen Truppen, AgentInnen und KollaborateurInnen als brutale Besatzungsmacht agierte. Folgerichtig formierte sich im Libanon ein ganz anderer Widerstand gegen die Besatzung, der 2004 mit der UN-Resolution 1559 internationale Unterstützung erhielt. Darin wurden der Rückzug aller ausländischen Kräfte, die Entwaffnung aller Milizen und die Souveränität der Regierung für das gesamte Staatsgebiet gefordert.

Die Reaktion Hisbollahs und Syriens folgte prompt in Form einer jahrelangen systematischen Terror- und Mordkampagne, die sich gegen GegnerInnen Syriens und der Hisbollah richtete, gegen PolitikerInnen, kritische Intellektuelle und JournalistInnen. Beim grössten Anschlag zerfetzten am 14. Februar 2005 1.000 Kilo Sprengstoff den zurückgetretenen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri und 22 weitere Opfer. Der Anschlag war zugleich der Beginn der libanesischen »Unabhängigkeits-Intifada« gegen Syrien und Hisbollah. Nach der Beerdigung Rafiq Hariris wurde auf dem Märtyrerplatz eine Zeltstadt errichtet. Es folgten wochenlange Proteste, bis das pro-syrische Hisbollah-Lager am 8. März 2005 zu einer gewaltigen Gegendemonstration mobilisierte, die am 14. März von wohl über einer Million GegnerInnen der syrischen Besatzung noch übertroffen wurde. Zusammen mit dem internationalen Druck auf Assad zwang dies Syrien nach fast 30 Jahren zum Rückzug.

Fortan übernahm Hisbollah immer mehr die vorherige Rolle Syriens als brutale Kontrollmacht, wodurch im Libanon auch der Einfluss Irans wuchs, der eigentlichen Macht hinter Hisbollah. Durch Wahlen konnte das Lager der Hisbollah nicht an die Regierung kommen, die Partei drängte aber immer stärker auf eine Beteiligung an einer Regierung der nationalen Einheit mit Vetomacht – ein Ziel, dass die Partei im Mai 2008 mit einer militanten Machtdemonstration erzwang, als Teile Beiruts gestürmt und besetzt wurden. Anlass war ein hilfloser Versuch der Regierung, ein landesweites Kommunikationsnetz der Hisbollah unter staatliche Kontrolle zu bringen, um ein Stück staatliche Souveränität über die von der Partei kontrollierten Gebiete zurückzuerlangen.

Nasrallah brach mit dem Sturm Beiruts sein Versprechen, dass die Waffen des »Widerstandes« sich nie gegen das libanesische Volk richten würden. Die Konterrevolution der Hisbollah gipfelte im Januar 2011 in einer Regierung, in der das Hisbollah-Lager 18 der 30 Ministerposten besetzt und mit Nadschib Mikati der von Hisbollah präferierte Kandidat Ministerpräsident ist. Doch statt Friedhofsruhe folgte in der Region der »arabische Frühling«, als dessen Vorläufer die vorerst besiegte Zedernrevolution in vielerlei Hinsicht gelten kann.

Hisbollah und die arabischen Widerstände

Der längste und blutigste der arabischen Aufstände tobt seit März 2011 in Syrien. Syrien wird dabei zunehmend zu einem Schlachtfeld, in dem zahlreiche regionale und globale Konflikte mitausgetragen werden, wie so oft im Libanon. Türkei, Iran, die Golfmonarchien und Ägypten ringen seit Beginn der arabischen Umbrüche verstärkt um Einfluss und Dominanz in der Region. Von diesen Kräften steht einzig Iran auf Seiten Assads. Wahrscheinlich ist deshalb, dass sich Syrien bei einem Sturz des Assad-Regimes vom Iran lösen und dem sunnitisch-arabischen oder türkischen Lager zuwenden wird. Der syrische Anspruch auf Einfluss im libanesischen »Hinterhof« würde durch einen Sturz Assads kaum schwinden, aber die politische wie logistische Unterstützung für die letztendlich pro-iranische Hisbollah dürfte abnehmen. Den sunnitisch-arabischen Regimes, die 2006 unverhohlen Israel einen Sieg gegen Hisbollah wünschten, war das skrupellose Gebaren der schiitischen Partei Gottes im Libanon eine Warnung vor einem mit Atomwaffen ausgestatteten Iran. Auch die überall an die Macht strebenden sunnitischen Muslimbrüder werden sich wohl gegen die schiitische Dominanz der Hisbollah im Libanon oder des Irans im Nahen Osten positionieren.

Der Iran wiederum ist enormem ökonomischem Druck durch Wirtschaftssanktionen ausgesetzt, wodurch die Finanzierung der Hisbollah durch den Iran bereits deutlich eingeschränkt ist. Die Partei ist deshalb zunehmend auf Eigenfinanzierung angewiesen, d.h. vor allem organisierte Kriminalität und internationaler Drogenhandel. Dadurch geraten durch Hisbollah kontrollierte Firmen und Banken zunehmend unter Druck durch Sanktionen und Strafverfolgung. Wie stark Hisbollah dadurch getroffen wird, ist wie im Fall Iran auch davon abhängig, ob Europa und Deutschland, wo Hisbollah noch immer nicht auf der Terrorliste steht, sich den Initiativen der USA anschliessen

Im Libanon selbst ist seit Jahren eine Mehrheit gegen die Partei Gottes eingestellt Politische Kräfte wie der Drusenführer Walid Jumblat oder der christlich-maronitische General Michel Aoun haben sich zwar aus machtpolitischen Gründen der stärksten Partei angeschlossen, aber dies kann sich jederzeit ändern, wenn es opportun erscheint – erste Anzeichen dafür gibt es viele. Die bedingungslose Unterstützung Syriens hat Hisbollah schon jetzt Widerspruch auch unter Verbündeten eingebracht und die Partei samt der SchiitInnen weiter gegen den Rest des Libanons und dessen politischen Systems gestellt. Die besonders seit 2005 aufgebrochenen und nur mit Drohungen und Gewalt überstandenen Widersprüche und Konflikte im Libanon versuchte Hisbollah mit nationalem Kitsch zu übertünchen: Die Partei bezeichnet sich als »heimatsloyale Libanesen« , als »bewaffneten Widerstand des Volks«, der die »Unterstützung einer loyalen Nation« geniesse.

Damit einher gingen zunehmende Drohungen gegen diejenigen, die sich dem Widerstand gegen die »ewige Bedrohung« Israel verweigerten: »Wir werden jeden dazu anhalten, zum Schutz und zur Verteidigung des Landes beizutragen, und wer auch immer diese Pflicht aufgibt, ist ein Verräter.« Die innerlibanesische Opposition gegen Hisbollah und der Aufstand in Syrien erscheinen dabei als neueste Folge einer ewigen Verschwörung, und den VerschwörerInnen muss gnadenlos die »Hand abgehackt« werden. Die von Hisbollah bestrittene, aber durch viele Berichte belegte praktische Unterstützung bei der Aufstandsbekämpfung in Syrien folgt dabei einer Logik, die der libanesische Journalist Hanin Ghaddar auf den Punkt bringt: Jede Aktivität ausserhalb des »Widerstands« gegen Israel sei demnach »eine Verschwörung und verdient Tod, Folter und Schmerz. […] Wenn du nicht bereit bist, deine Freiheit, Würde und Zukunft für die Sache des Widerstands und deines Diktators zu opfern, verdienst du nicht zu leben.«

Vor dem nächsten Krieg

Die Schwächung Syriens, Irans und auch der Hisbollah ändert freilich nichts daran, dass die »nationale Befreiungsbewegung« Libanon praktisch in Geiselhaft hält, da jederzeit ein weiterer Krieg mit Israel ausbrechen kann. Hisbollah konnte gegenüber 2006 nochmals deutlich qualitativ wie quantitativ aufrüsten. Im Kriegsfall drohen Israel wie Hisbollah und Libanon dadurch noch weit grössere Verluste und Verwüstungen als 2006. Leichtfertig wird niemand einen Krieg riskieren, der dennoch in vielen Analysen mittelfristig als unvermeidlich gilt. Und mögliche Auslöser für einen Krieg gibt es viele, etwa ein israelischer Angriff auf die iranischen Atomanlagen, eine Zuspitzung der Krise in Iran oder Syrien, Proteste gegen Hisbollah im Libanon, die als Verschwörung gedeutet werden, ein israelischer Präventivschlag, wenn das militärische Potential der Hisbollah (etwa durch Chemiewaffen aus Syrien) intolerabel würde.

Dass in einem Kriegsfall der Hisbollah die Unterstützung der »arabischen Strasse« so zukäme, wie dies in ihrem langen und oft erfolgreichen Krieg gegen Israel bislang der Fall war, kann zumindest bezweifelt werden. Das über den Hisbollah-Fernsehsender Al-Manar verbreitete und konsumierte Spektakel des Widerstands hat in dem Masse an Attraktivität verloren, in dem Hisbollah, Iran und Syrien sich als reaktionäre und diktatorische Kräfte gegen die aufständische Bevölkerung stellten, und in dem die arabischen Rebellionen den Anspruch erhoben haben, den politischen Stillstand zu durchbrechen und selbst über ihre Zukunft zu bestimmen. Dass grosse Teile der Menschen, die nun mehr oder weniger erfolgreich um Teilhabe am politischen Prozess kämpfen, die anti-westlichen, anti-israelischen und islamistischen Ziele der Hisbollah teilen und nun selbst erkämpfen statt bloss konsumieren wollen, ist eine Gefahr für Israel, aber auch für jede emanzipatorische Entwicklung in der Region.

Doch die brennenden Fahnen und Bilder Hisbollahs, Irans und Syriens sind zumindest Anlass zur Hoffnung, dass die von Hisbollah exemplarisch vorgeführten mörderischen und selbstdestruktiven Konsequenzen des »Widerstands« viele Parolen in Zukunft hohler klingen lassen und Anlass für Selbstkritik sind. Selbstkritik wäre auch für alle UnterstützerInnen und ApologetInnen des »nationalen Befreiungskampfes« der Hisbollah angebracht, ebenso wie die für ExpertInnen, die mit Ihren Analysen einer politischen Mässigung Hisbollahs falsch lagen, weil sie meinten, den endlosen Krieg der Hisbollah gegen Israel als eine Marotte ignorieren zu können, die sich schon irgendwann erledigen werde.

Jonathan Weckerle
Artikel aus: Phase 2 / Ausgabe Nr. 42
www.phase-zwei.org

Die Fussnoten wurden in diesem Text weggelassen.