Vor knapp 30 Jahren etablierte sich in den internationalen Beziehungen ein unipolares System, nachdem sich das Machtzentrum im Zuge der Auflösung des Ostblocks und Zerfalls der Sowjetunion deutlich zugunsten der USA verschoben hatte. Diese haben ihre unumstrittene Vormachtstellung in der Welt im weiteren Verlauf der 1990er Jahre gefestigt und ihre Strategie folglich auf ein einziges Ziel ausgerichtet – die Sicherung der eigenen globalen Hegemonie.
Der rasante Aufstieg Chinas und das unerwartete Wiedererstarken Russlands in den vergangen zwei Jahrzehnten sowie die Kooperation und das Engagement dieser Länder auf der internationale Bühne haben die Position der USA inzwischen jedoch erheblich geschwächt.
Wandel in der internationalen Politik
Nichtsdestotrotz hat die US-Führung wiederholt deutlich gemacht, dass Amerika nicht bereit ist, eine andere Ordnung hinzunehmen. Umso überraschender war die Erklärung des US-Generalstabschefs Mark Milley, der ausserdem als Hauptmilitärberater des Präsidenten, des Nationalen Sicherheitsrates und des Verteidigungsministers fungiert, dass nicht nur Washington, sondern auch Peking und Moskau die Geschicke der Welt in naher Zukunft massgeblich bestimmen würden.In einem NBC-Interview bei dem Sicherheitsforum in Aspen sagte Milley am 3. November: 'Die Vereinigten Staaten, Russland und China sind Grossmächte. Meiner Meinung nach betreten wir eine tripolare Welt, die aus strategischer Sicht potentiell instabiler sein wird als das, was wir in den vergangenen 40, 50, 60 oder 70 Jahren erlebt haben. Daher ist ein Dialog zwischen uns notwendig'.
Im Klartext heisst es: Die künftige Weltordnung soll auf Tripolarität basieren und konfliktreicher werden, als davor.
Ein Beleg dafür, dass die USA nun doch einen Wandel konstatiert haben wollen, erschliesst sich ferner aus der Argumentation Milleys. Demnach finde der Wandel im Rahmen einer 'grundlegenden Veränderung des Charakters des Krieges' statt, die durch gewaltige technologische Veränderungen ausgelöst worden sei. Es gehe dabei, so der US-General, um 'Robotertechnik, künstliche Intelligenz und eine Vielzahl anderer Technologien' sowie um 'schnelle Fortschritte in der Wissenschaft'.
Wenn Milley von einer Tripolarität in Bezug auf militärische Strategie ausgeht, dann zeugt es sehr wahrscheinlich davon, dass die USA die militärische Macht Chinas und Russlands nun öffentlich anerkennen, was den US-Generalstabchef vermutlich auch zu seiner Erklärung veranslasst haben könnte. Denn 'gewaltige technologische Veränderungen' etwa bei dem chinesischen oder dem russischen Militär gehören in der Tat zu den Aspekten, die den Status der USA als Hegemonialmacht unlängst in Frage stellen.
So hat beispielsweise Russland 2019 als erstes und bislang einziges Land der Welt Hyperschallraketen in seine Bewaffnung aufgenommen, während China nach US-Angaben diese neuartigen Waffen erfolgreich getestet haben soll. Zudem soll Moskau auch über Abwehrsysteme gegen solche Raketen verfügen.
Die USA hingegen haben weder das eine, noch das andere, wobei sie bei der Entwicklung US-Medien zufolge hinterherhinken. Gemäss der US-Sicherheitsdoktrin 'Full-spectrum dominance' (dt. etwa: 'Überlegenheit auf allen Ebenen') stellt dies ein grundlegendes Problem für die Amerikaner dar, da deren militärische Überlegenheit und Kontrolle auf allen Ebenen – Land, See Luft, Weltraum und Cyberspace – nicht mehr gewährleistet wird.
Tripolare oder bipolare Weltordnung?
Was Milley in seiner Beurteilung allerdings nicht berücksichtigt und weshalb Tripolarität in seiner Darstellung nicht zutrifft, ist die enge Beziehung zwischen China und Russland. Beide Akteure plädieren offen für Multipolarität und vertreten in vielen Fragen der internationalen Beziehungen eine gemeinsame Haltung.Vielmehr noch kann man auf eine bereits seit Jahren andauernde und immer enger werdende russisch-chinesische Kooperation verweisen, vor allem bei der Diplomatie, Wirtschaft und Sicherheitspolitik. Beide Länder verfolgen in diese Bereichen in etwa die gleichen fundamentalen Ziele, wie den barrierefreien Welthandel, die De-Dollarisierung, die Überwindung von Sanktionen und die militärische Sicherheit angesichts der globalen Präsenz von US- und NATO-Truppen.
Wenn sie in diesen Fragen durchaus als ein Akteur betrachtet werden können, dann kann man insgesamt also auch von einem bipolaren System sprechen.
Davon überzeugt ist ebenfalls der russische Politologe und Chefredakteur des Magazins Russia in Global Affairs, Fjodor Lukjanow. Seiner Ansicht nach müssen die Akteure 'in einer tripolaren Welt' in gewisser Weise 'gleichweit voneinander entfernt' sein. 'Jetzt erkennen wir eher die russisch-chinesische Achse, gegen die die USA und ihre Verbündeten gerichtet sind. […] Daher weise die aktuelle Lage in der Welt eher auf 'eine entstehende bipolare Konstruktion' hin.
Ob die USA dies in naher Zukunft akzeptieren werden, ist fraglich. In Anbetracht der aktuellen Spannungen und der Verschärfung der Sicherheitslage in Teilen Osteuropas und Ostasiens ist eher davon auszugehen, dass vor einer möglichen neuen globalen Ordnung zumindest noch eine weitere Konfrontation mit Russland und China folgen wird.