Eine Freakshow, aufgeführt von durchgeknallten Terrorclowns. Das einzig Positive an dieser Albtraumzeit besteht darin, dass sie es der bürgerlichen Presse unmöglich macht, die Präsidentschaft Trumps zu normalisieren. Trotz aller redlichen Bemühungen insbesondere deutscher Leitmedien.[1]
Mitunter wirkten die ersten aussenpolitischen Schritte Trumps regelrecht irre, losgelöst von allen bisherigen Bahnen, in denen sich US-Geopolitik abspielte. Es schien oft, als ob Trump keinem ökonomischen oder geopolitischen Interesse folgen würde, als ob er bewusst an der Zerstörung der alten hegemonialen Allianzen und Strukturen arbeiten würde, die von den USA nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges errichtet worden sind. Alles muss in Flammen stehen[2] – dies scheint die Devise Trumps. Der Mann, der auszog, Amerika wieder grosszumachen, agiert faktisch als der Totengräber der US-Hegemonie.
Und dennoch hat der Wahnsinn vielfach Methode. Wenn mensch Trumps Geopolitik auf einen Nenner bringen wollte, dann wäre es das Bemühen, Machtpolitik in der Krise zu betreiben, ohne sich die Existenz der Krise einzugestehen. So sieht es aus, wenn kapitalistische Funktionseliten ihre Schlussfolgerungen daraus ziehen, dass der Kapitalismus in der bisherigen Form nicht mehr aufrechterhalten werden kann – und in einem faschistoiden Krisenimperialismus[3] Zuflucht suchen. Der Isolationismus, den Trump im Wahlkampf predigte, wurde binnen kürzester Zeit durch einen archaisch anmutenden Imperialismus ergänzt – ähnlich demjenigen, den auch das putinische Russland praktiziert.
Empirebuilding von Grönland bis Feuerland
Evident ist dies bei der infantil wirkenden Deklaration Trumps, Grönland annektieren zu wollen – notfalls auch unter Anwendung militärischer Gewalt. Was wie die Allmachtsfantasie eines Kleinkindes wirkt, das mit dem Finger auf eine grosse Insel auf dem Globus deutet und dem nun die entsprechenden Machtmittel zur Verfügung stehen, diese in Besitz zu nehmen, wird erst vor dem Hintergrund der eskalierenden kapitalistischen Klimakrise zumindest verständlich. Trump, ein geradezu fanatischer Klimaleugner, gesteht hier implizit die Existenz der Klimakrise ein. Doch eben nur in Form einer krisenimperialistischen Landnahme. Das Abschmelzen der Eisdecke in der Arktis, das Auftauen der Permafrostböden, sie eröffnen neue strategische Schifffahrtswege und sie legen die Ressourcen dieser noch weitgehend unerschlossenen Weltregion frei – was einen entsprechenden krisenimperialistischen Wettlauf um die Arktis zwischen den Anrainerstaaten getriggert hat.[4] Es geht somit nicht nur um Grönland, sondern um Territorialforderungen in der Region, bei denen bislang Russland die besten Karten hatte. Die USA haben zwar Alaska, doch der Kreml verfügt über die alte sowjetische Infrastruktur in Nordsibirien und die grösste Flächenanbindung an die Arktis, die ihm eine gigantische exklusive Wirtschaftszone unter der rasch abschmelzenden Eisdecke verschafft.Grönland würde die Position Washingtons beim krisenimperialistischen Rattenrennen um die Ressourcen der Arktis substanziell verbessern – und, why not, Kanada als der zweite grosse Anrainerstaat der Arktis. Auch wenn die militärischen Drohungen Trumps gegenüber dem nördlichen Nachbarn imperialistische Rhetorik bleiben sollten, so ist das Bestreben Washingtons, Kanada möglichst eng an die USA zu binden, durchaus realistisch. Die Vereinigten Staaten sind der wichtigste Handelspartner Kanadas, sodass Trump tatsächlich über vielfache Machthebel verfügt, um einen nördlichen Expansionsprozess auf geopolitischer und ökonomischer Ebene zu forcieren.
Neben dem nackten brutalen Extraktivismus, dem Bestreben zur Kontrolle möglichst vieler Energieträger und Bodenschätze, scheint Washington unter Trump bestrebt, seine Dominanz über ganz Amerika zu restaurieren – ganz im Sinne der alten Monroe-Doktrin von 1823 und während des Kalten Krieges.
Die Einführung von Strafzöllen gegenüber Kanada ging mit ähnlichen Eskalationsschritten gegenüber Mexiko einher – wobei gegenüber dem südlichen Nachbarstaat eine andere Zielsetzung vom Weissen Haus verfolgt wird. Kanada soll in die USA inkorporiert, am besten annektiert werden, auch um deren sozioökonomisches Potenzial im Dominanzkampf mit China zu steigern, während Mexiko vor allem in Hinsicht auf die Exklusion, auf die Abschottung gegenüber dem Elend in den Zusammenbruchsgebieten der Peripherie unter Druck gesetzt wird. Der Drang zur Abschottung der Zentren, zum permanenten Mauerbau, ist ein zentrales Merkmal des sich verfestigenden Krisenimperialismus,[5] der die Peripherie im Rahmen des Extraktivismus nur noch als Ressourcenlagerstätte zur Kenntnis nimmt.
Für Menschen soll die Südgrenze unpassierbar werden, doch ist das Erpressungspotenzial der USA gegenüber Mexiko gerade aufgrund des zunehmenden grenzüberschreitenden Warenverkehrs in den vergangenen Jahren gestiegen. Schon die Biden-Administration hat gewissermassen der Deglobalisierung vorgearbeitet, indem Mexiko zur verlängerten Werkbank der Vereinigten Staaten ausgebaut wurde, um hierdurch die chinesischen Überseeimporte zu verringern.
Im Rahmen dieser sogenannten Nearshoring-Strategie[6] wurden somit die Abhängigkeiten geschaffen, derer sich nun Trump bedienen kann, um Mexiko zu weitgehenden Zugeständnissen zu zwingen. Armee-Einheiten von rund 10 000 Mann verlegt das mittelamerikanische Land an die Grenze zwecks Migrantenabwehr, um die angedrohten Zölle abzuwenden, die Mexikos junge Exportindustrie verheeren würden. Trump will offenbar das im Zerfall begriffene Hegemonialsystem der USA – das auf globale US-Standards, Institutionen, Regelsysteme und ökonomische Anreize für alliierte Mächte setzte – durch ein amerikanisches Imperium ersetzen, das von Kanada bis Feuerland auf militärisch fundierte Dominanz, auf Zwangsmassnahmen setzt.
Direkte Kontrolle über Ressourcen und strategische Handelswege, Protektionismus und innere Reindustrialisierung, Abschottung der Südgrenze gegen das kommende Krisenchaos, militärische Dominanz und imperiales Streben statt der alten US-Hegemonie im westlichen Bündnissystem – diese Umrisse eines US-Krisenimperialismus scheinen, allem Chaos zum Trotz, sich in den ersten Monaten der Trump-Administration abzuzeichnen. Ein US-Empire soll die von Washington massgeblich nach dem Zweiten Weltkrieg geformte westlich-globale Weltordnung ersetzen.
Der trumpsche Impuls zum amerikanischen Empirebuilding richtet sich faktisch nicht so sehr gegen Europa, als gegen China und dessen wachsenden Einfluss in Amerika südlich des Rio Grande. Und diese Strategie kann zumindest kurzfristig, zumindest gegenüber der Peripherie und Semiperipherie, durchaus erfolgreich sein. Zu gross sind die ökonomischen und sozialen Abgründe: Mexiko muss Trumps Abschottungswahn exekutieren, um seine Exportindustrie zu schützen. Panama, dem Trump mit einer Invasion droht, um den Panama-Kanal wieder unter US-Kontrolle zu bringen, hat bereits Anfang Februar angekündigt, sich aus dem chinesischen Investitionsprojekt der Neuen Seidenstrasse (Belt and Road Initiative – BRI) zurückzuziehen.[7]
Kolumbien, das anfänglich Deportationsflügen aus den USA die Landeerlaubnis verweigerte, ist nach entsprechenden Washingtoner Drohgebärden binnen weniger Tage eingeknickt. Und selbst Kanada würde nicht nur einen militärischen, sondern auch ökonomischen Konflikt mit den Vereinigten Staaten kaum langfristig überstehen. Der nordamerikanische Handelskrieg, den Trump Anfang März 2025 entfachte, wird Kanada stärker in Mitleidenschaft ziehen als die USA.
Nordic Racism?
Dieser trumpsche Krisenimperialismus mit seiner Melange aus arktischem Expansionismus, brutal direkten Extraktivismus und südlichem Abschottungswahn weist mitunter schon ordinär faschistische Momente auf – als ob die historische Ideologieverhärtung vom Imperialismus zum Faschismus im 19. und 20. Jahrhundert beim krisenbedingten Reenactment im 21. Jahrhundert auf wenige Jahre komprimiert würde. Trump liess jegliche finanzielle Unterstützung für Südafrika streichen – weil seiner Ansicht nach die weisse Bevölkerung am Kap diskriminiert würde.[8]Die weisse Minderheit Südafrikas bildet weiterhin die ökonomisch privilegierteste Bevölkerungsschicht, da die während der Apartheid zementierten Eigentumsverhältnisse bei deren Überwindung grösstenteils unangetastet blieben. Enteignungsvorhaben der südafrikanischen Regierung, die diese ökonomischen Ungleichgewichte vermindern sollen, nahm Washington zum Anlass, um Pretoria unter Druck zu setzen.
Mehr noch: Der aus Südafrika stammende Elon Musk sprach sich dafür aus, die restriktive Migrationspolitik Washingtons bei einer Ausnahme auszusetzen: Bei Weissen aus Südafrika,[9] die als „verfolgte Minderheit“ massenhaft in die Vereinigten Staaten einwandern sollen. Wir leben in einer spätkapitalistischen Krisenwelt, in der die – nun ja – „Führungsriege“ der Vereinigten Staaten eine rassistische Migrationspolitik betreiben will, bei der Weisse aus Südafrika freien Zuzug erhalten, während Migranten aus Lateinamerika massenhaft deportiert werden.[10] Dies mit dem evidenten Ziel, die ethnische Zusammensetzung der USA zugunsten der „weissen“ Bevölkerungsanteile zu verändern. Es liesse sich hier von einem nordischen Rassismus sprechen, der den obig skizzierten Krisenimperialismus flankiert.
Die trumpische Fieberfantasie von einem ethnisch gesäuberten Gaza, das von den USA als einer Art Kolonie übernommen und zu einem Reichenghetto – ähnlich Dubai oder den Vereinigten Arabischen Emiraten – umgebaut werden soll, scheint indes tatsächlich einer rassistischen Laune des Präsidenten entsprungen zu sein, da dies elementaren geopolitischen Interessen Washingtons widerspricht („You break it, you own it“).[11]
Der in einem bizarren KI-Video festgehaltene Fiebertraum von einer zweiten, mit Luxushotels zugepflasterten Riviera, an deren Strand Trump und der israelische Ministerpräsident Netanjahu Cocktails schlürfen, um abends Frauen in einer Disko aufzureissen, während Geld vom Himmel regnet, dürfte vor allem den Grössenwahn Trumps illustrieren, der hier auch die Vertreibungsfantasien der israelischen extremen Rechten symbolisch bedient. Doch, ideologiekritisch betrachtet, kommt hier ein krisenbedingter Impuls der globalen Oligarchie ungefiltert zum Ausdruck: Das regressive Bemühen, sich vom Rest der in Zerfall übergehenden spätkapitalistischen Welt abzukapseln, um ihren Luxus in Raum und Zeit einzufrieren.
Ami goes home?
Extraktivismus und imperiale Expansionsgelüste gen Norden[12], rassistisch grundierte Abschottung gegenüber dem globalen Süden, brutale nationale Grossmachtpolitik, die auf Protektionismus und Reindustrialisierung setzt – dies scheinen die geopolitischen Grundzüge der „America First“ Politik Trumps in der westlichen Hemisphäre zu sein. Das von Grössenwahnanfällen begleitete panamerikanische Empire-Building Trumps, das Bemühen, die geopolitische Dominanz Washingtons in Amerika (wieder-) herzustellen. Dies scheint aber mit einem strategischen Rückzug aus Europa einherzugehen. Es ist keine Übertreibung, davon auszugehen, dass die Nato die zweite Präsidentschaft Trumps in der gegenwärtigen Form nicht überstehen dürfte. Das transatlantische Militärbündnis, die Grundlage der ohnehin erodierenden US-Hegemonie der vergangenen Jahrzehnte, scheint in den offenen Zerfall überzugehen. Das Bild des irren Imperators, der ein in Jahrzehnten von Washington geformtes Allianzsystem binnen kurzer Zeit abfackelt, scheint sich angesichts der Europapolitik Washingtons geradezu aufzudrängen. Alles muss in Flammen stehen.[13] Es geht Schlag auf Schlag. Trump stellt kurz nach seinem Amtsantritt Territorialforderungen gegenüber der EU (Grönland), Vizepräsident Vance löst Mitte Februar auf der Münchener Sicherheitskonferenz mit seinen Angriffen auf die EU einen Skandal aus,[14] US-Regierungsmitglieder und -Angestellte mischen sich in den deutschen Wahlkampf und in die internen Angelegenheiten von EU-Staaten zugunsten faschistischer Kräfte ein,[15] vor laufenden Kameras demütigen Trump und Vance den ukrainischen Präsidenten Ende Februar, aktuell plant Washington einen umfassenden Truppenabzug und/oder Truppenverlegungen in Europa[16] – und es stehen, neben den bereits erlassenen Handelsbeschränkungen, noch weitere Zölle gegen die EU im Raum. Zumindest aus Deutschland könnten viele US-Truppen abgezogen werden. Kiew wird überdies im Rahmen des imperialen trumpschen Extraktivismus zur Unterzeichnung eines Rohstoffabkommens genötigt, das den USA die Hälfte der Bodenschätze des Landes sichern soll.Die offene Feindschaft gegenüber den ehemaligen Bündnispartnern kontrastiert mit einer blitzartigen Annäherung gegenüber Moskau. Binnen weniger Wochen haben Washington und Moskau eine Normalisierung ihrer diplomatischen Beziehungen eingeleitet, sowie Sondierungsgespräche über die Aufteilung der Ukraine gestartet – ohne Beteiligung Kiews und der Europäer. Damit kontrastiert die Eskalation zwischen Washington und Kiew, die zu einer zeitweiligen Einstellung militärischer Unterstützung durch die USA führte.[17] Ein von Washington orchestrierter Regime-Change in Kiew, der Sturz Selenskis, scheint inzwischen durchaus möglich. Die Ukraine wird faktisch in die Kapitulation getrieben, während zugleich die Vorbereitungen für ein Gipfeltreffen zischen Putin und Trump laufen.[18]
Binnen kürzester Zeit vollführt die ehemalige Hegemonialmacht eine geopolitische 180-Grad-Wende, bei der in wenigen Wochen jahrzehntealte geopolitische Allianzen und Strukturen bis ins Mark erschüttert werden. Es sind Wochen, in denen Dekaden passieren. Was soll das also? Ist das nur blanker Irrsinn eines ins Rechtsextreme abdriftenden US-Präsidenten?
Der Annäherung an Moskau könnte nur dann ein geopolitisches Kalkül zugrunde liegen, wenn Trump einen spiegelverkehrten Nixon vollführen will. Der republikanische Präsident Richard Nixon leitete mit seiner China-Visite 1972 eine diplomatische Normalisierung und geopolitische Annäherung zwischen der Volksrepublik und Washington ein. Hierdurch wurden die russisch-chinesischen Spannungen ausgenutzt, um die Sowjetunion im Kalten Krieg stärker unter Druck setzen zu können.
Trump scheint nun Russland – das ohnehin mittelfristig den Krieg um die Ukraine gewinnen würde – entgegenzukommen, um die eurasische Allianz zwischen Peking und Moskau zu schwächen, und letztendlich Moskau aus diesem Bündnis herauslösen. Entsprechende Bemerkungen des russischen Aussenministeriums deuten in diese Richtung.[19] Allen spektakulären Brüchen zum Trotz hilft es, Geopolitik als ein Kontinuum zu begreifen. Und eine der Kontinuitäten, mit denen sich alle US-Regierungen der letzten zwei Dekaden konfrontiert sehen, ist der aussichtslose Hegemonialkonflikt mit China.[20]
Aus der Sicht Washingtons stellt der Krieg um die Ukraine nur ein Vorspiel zur Auseinandersetzung um die globale Dominanz mit China und dem eurasischen Machtblock dar, den zu formen Peking bemüht ist. Der Ukraine-Konflikt begann ja 2014 [21] als eine Auseinandersetzung um den Grenzverlauf zwischen der eurasischen Machtsphäre und dem westlich-ozenanischen Bündnissystem Washingtons.
Nun, da Russland nach drei blamablen Jahren Krieg geschwächt ist, scheint Washington bestrebt, in Vorarbeit zur kommenden Auseinandersetzung mit China die Achse Peking-Moskau zu unterminieren – zumal Russland längst die Rolle des „Juniorpartners“ in der eurasischen Allianz zufällt, der Gefahr läuft, zur Peripherie zu verkommen. Nixon, ein fanatischer Antikommunist, war bekanntlich der einzige, der nach Peking gehen konnte – Trump scheint zumindest zu glauben, etwas Ähnliches in Moskau erreichen zu können. Es ist eine grundlegende geopolitische Option, die schon immer in Washington diskutiert wurde, auch wenn sie in den letzten Jahren in den Hintergrund trat.
Dennoch scheint die – nun ja – konfrontative „Politik“ der Trump-Administration gegenüber der EU kontraproduktiv, da Washington auf ein stabiles Bündnissystem beim Kampf gegen Peking angewiesen wäre. Es hilft, sich in Erinnerung zu rufen, dass die Vereinigten Staaten schon immer ein ambivalentes Verhältnis zum europäischen Integrationsprozess hatten; die Bündnispartner, die Teil der amerikanischen Hegemoniesphäre waren, drohten immer wieder, zu einem Konkurrenten zu mutieren – vor allem ökonomisch, angesichts der hohen europäischen Exportüberschüsse und der Deindustrialisierung der USA.
Diese Tendenz eines ökonomischen Aufschliessens der EU zur USA wurde erst in den letzten Jahren revidiert, nach dem Ausbruch des pandemiebedingten Krisenschubs, des darauf folgenden Ukraine-Kriegs und der zunehmenden protektionistischen Tendenzen in Washington. Der ökonomische Vorsprung der USA zur EU wächst seitdem immer weiter,[22] während militärisch Washington ohnehin kaum einholbar scheint. Diese transatlantische Entkopplung zieht nun, unter Trump, ihre geopolitischen Folgen nach sich. Evident wurde dies bei den – nun ja – Verhandlungen über das Schicksal der Ukraine, die einer Erpressung Kiews durch die Trump-Administration gleichkommen. Und die Europäer sind von dem imperialistischen Geschacher um den Ausgang eines europäischen Krieges faktisch ausgeschlossen.
Small Parts Isolated and Destroyed[23]
Dieses Gefühl der Ohnmacht, das sich in der europäischen Öffentlichkeit einstellte, da der Kontinent plötzlich zum Objekt von Grossmächten wurde, die einfach über die EU hinwegschritten, ohne auf deren Bedenken und Interessen einzugehen – es ist eine Erfahrung, die Europas Grossmächte im Rahmen ihrer imperialistischen Expansion dem globalen Süden jahrhundertelang bescherten. Es ist das Gefühl der drohenden Peripherisierung. Die EU befindet sich ökonomisch auf dem absteigenden Ast, und sie ist militärisch nicht ernst zu nehmen – denn letztendlich ist es nur die Drohung mit der nuklearen Weltzerstörung, die noch Wirkung bei kriegerischen Auseinandersetzungen zeigt. Trump zieht jetzt nur die imperialistischen Konsequenzen aus der sozioökonomischen und militärischen Entwicklung der letzten Jahre, die ja vom Ukraine-Krieg noch beschleunigt wurde.
Deswegen reagiert die EU panisch mit einer Rüstungsoffensive, in deren Zentrum die nukleare Bewaffnung stehen wird.[24] Sollen Trump oder Putin davon abgehalten werden, Grönland oder das Baltikum sich einzuverleiben, dann kann das nur noch durch die Garantie der allgemeinen Vernichtung im nuklearen Feuer geschehen. Mitten in der manifesten sozioökologischen Krise des kapitalistischen Weltsystems hat Europa somit allen imperialistischen Grund, sein Atomwaffenarsenal auszubauen. Ein atomar bewaffnetes Deutschland, geführt von der Realsatire eines Mr. Burns, wo der Faschismus an die Macht drängt[25] – was kann da schon schiefgehen?
Doch wieso steigt die EU ab, um nun von der Trump-Administration wie eine periphere Region behandelt zu werden? Ein weiteres Kontinuum, dem sich Washington ausgesetzt sieht, ohne es eingestehen zu können, stellt nämlich der Krisenprozess des Kapitals in seiner ökonomischen Dimension dar. Erst unter Berücksichtigung dieser Krisendynamik kann der Zerfall des US-Hegemonialsystems voll erfasst werden.
Evident wird der ökonomische Krisenprozess[26] gerade anhand des Protektionismus,[27] der ja bemüht ist, die heimische Industrie zu schützen oder eine Reindustrialisierung auf Kosten der Konkurrenz zu initiieren. Trumps Protektionismus kommt – ähnlich seinen arktischen Expansionsplänen – einem impliziten Eingeständnis der Weltkrise des Kapitals gleich, die aufgrund des global erreichten industriellen Produktivitätsniveaus Deindustrialisierungstendenzen befördert, da neue Wirtschaftszweige, die massenhaft Lohnarbeit verwerten würden, nicht in Sicht sind.
Ein neues Akkumulationsregime, wie zuletzt der Fordismus der Nachkriegszeit, kann nicht mehr etabliert werden, da das Kapital gewissermassen zu produktiv für sich selbst geworden ist. Die Lohnarbeit als die Substanz des Kapitals wird konkurrenzvermittelt bei jedem Rationalisierungsschub immer weiter aus der Warenproduktion – und bald auch aus dem Dienstleistungssektor[28] – verdrängt.
Und eben deswegen bricht auch das Bündnis- und Hegemonialsystem der USA zusammen, da die Krise die Staaten und Wirtschaftsräume in die Krisenkonkurrenz um ihre Industrien, in den Protektionismus, zwingt – Washington kann nur noch den Verlauf des hegemonialen Zusammenbruchs zu beeinflussen versuchen, indem die Hegemonie durch imperiale, militärisch fundierte Dominanz ersetzt wird, ohne die üblichen Floskeln von „Werten“ und Menschenrechten.
Geopolitische Hegemonie beruht auf der Akzeptanz oder zumindest auf der Tolerierung der Stellung des Hegemons, da untergeordnete Mächte in den Zentren von dem Hegemonialsystem ebenfalls profitieren. Doch hierfür bedarf es eines ökonomischen Fundaments, das solche Formen vermittelter Herrschaft in den Zentren des Weltsystems erst ermöglicht. Dies war gerade in der Nachkriegszeit der Fall, da das besagte fordistische Akkumulationsregime, die „Nachkriegsprosperität“, eine lange ökonomische Expansionsperiode ermöglichte, die mit der Etablierung der US-Hegemonie einherging. Die steigende Flut hob alle Schiffe in den Zentren. Nicht nur die USA profitierten, sondern auch Europa und Japan.
In Reaktion auf die Erschöpfung des Fordismus in den 70er Jahren etablierte sich die finanzmarktgetriebene neoliberale Globalisierung mit den USA als dem Weltfinanzzentrum, das faktisch Kreditwachstum – also eine schneller als die Wirtschaftsleistung steigende Gesamtverschuldung – zum Schmierstoff der US-Hegemonie machte. Die Vereinigten Staaten bildeten dank der Weltleitwährung Dollar eine instabile spekulationsbefeuerte Defizitkonjunktur aus, die immer grössere Spekulationsblasen und Handelsdefizite ermöglichte.
Gleich einem Schwarzen Loch konnten die USA die industrielle Überproduktion der hyperproduktiven Weltwirtschaft aufnehmen, solange die Finanzblasenkonjunktur trotz immer grösserer Finanzmarktbeben von Hausse zu Hausse prozessieren konnte. Potenzielle Konkurrenten der USA hatten somit weiterhin handfeste ökonomische Anreize, um die hegemoniale Stellung Washingtons und des Dollar zu akzeptieren – in Gestalt der wachsenden Handelsüberschüsse, die sie zwischen New York und Los Angeles erzielen konnten.
Doch ist diese globale Defizitkonjunktur mit dem Dollar als Weltgeld und den USA als ihrem hegemonialen Zentrum durch die Krisenschübe von 2008 und 2020 faktisch in Auflösung übergegangen. Die Immobilienkrise von 2008 liess einen Grossteil der US-Mittelschicht abstürzen und sie machte den Weg für Trumps protektionistischen Rechtspopulismus frei,[29] während der Inflationsschub im Gefolge der Pandemiebekämpfung der expansiven Geldpolitik der Notenbanken ein Ende bereitete,[30] was die globale Defizitkonjunktur abwürgte – mit Ausnahme der USA mit dem Greenback als dem (erodierenden) Mass aller Wertdinge.
Seitdem kann eine Hegemonie nicht mehr aufrechterhalten werden, da es schlicht nichts mehr zu „verteilen“ gibt, um ein auf Zustimmung oder Tolerierung beruhendes Regelsystem samt entsprechender Institutionen aufrecht zu erhalten. Washington will die Kosten seiner Hegemonie nicht mehr tragen – sozioökonomisch aufgrund der hohen Handelsdefizite, der Deindustrialisierung, der sozialen Desintegrationstendenzen und damit einhergehenden politischen Instabilität. Und auch militärisch verlangt Washington, das unter einem gigantischen Haushaltsdefizit stöhnt, von Europa mehr Rüstungsausgaben. Trumps Empirebuilding ist somit ein Zeichen der Schwäche, nicht der Rückkehr zu alter Stärke.
Die USA können nur noch mittels Dominanz, also der militärisch oder ökonomisch erzwungenen Durchsetzung ihrer Interessen der Aussenwelt ihren Willen aufzwingen, was letztendlich schon die Hegemonie Washingtons in Geschichte überführt hat. Europa wird faktisch fallengelassen von Washington; das gesamte europäische Hegemonialsystem steht zur Disposition, weil hierdurch die Krise exekutiert wird.
Das, was Deutschland nach Ausbruch der Eurokrise in Europa vorexerzierte, indem es die Krisenfolgen auf den Süden abwälzte, das wird nun bei dem transatlantischen Bündnis vollführt. Irgendwer muss absteigen, die Krise ist längst in den Zentren angekommen, und Trump scheint die Europäer ähnlich zur krisengeplagten Peripherie zurichten zu wollen, wie es Schäuble mit Südeuropa machte. Die EU ist schwach – ökonomisch, aber vor allem militärisch – deswegen wird sie zum Ziel.
Das, was jetzt mit dem westlichen Bündnissystem passieren könnte, ähnelt eher dem Zerfall der Sowjetunion – und übrig blieben Splitter, die isoliert in nationaler, faschistischer Regression versinken dürften. Es wäre, als ob Russland aus der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken austreten würde. Die geniale Prognose, die der Krisentheoretiker Robert Kurz beim Zusammenbruch des Ostblocks machte, dürfte in den kommenden Jahren Realität werden: Der Zusammenbruch des Staatskapitalismus sowjetischer Prägung im Osten, der vom Westen frenetisch bejubelt wurde, bilde nur den Vorschein der Weltkrise des Kapitals, die letztendlich auch die westlichen Zentren erfassen wird, so argumentierte Kurz in dem Theorieklassiker Der Kollaps der Modernisierung.[31]
Ja, Panik![32]
Ohne die USA, die allen Ernstes Kanada annektieren[33] und den Panama-Kanal militärisch okkupieren wollen,[34] ist der Westen, ist die Nato blosse Hülle. Es wird auch keine neuen, stabilen Bündnissysteme mehr geben, Trump baut keine dauerhafte Allianz mit Russland auf. Es gibt kein ökonomisches Fundament mehr für stabile Hegemonialsysteme, die im Kapitalismus nur bei ausreichend breiter Verwertung von Arbeitskraft in der Warenproduktion und ausreichender Ressourcenversorgung bestehen können.
Beides ist in der manifesten sozioökologischen Krise des Kapitals nicht mehr gegeben – die erodierenden spätkapitalistischen Staatsmonster werden tendenziell die Krisenkonkurrenz bis zur militärischen Auseinandersetzung eskalieren[35] lassen. Nach den ersten Rissen im geopolitischen Machtgefüge des Westens – wie dem Brexit – scheint bald der grosse qualitative Bruch zu folgen, der die Ära westlicher Hegemonie, eines westlich geprägten Weltsystems beenden wird.
Einen Ausblick auf ein chaotisches Weltsystem, in dem aufgrund des manifesten Krisenprozesses keine Grossmacht mehr in der Lage ist, eine Hegemonialstellung zu erringen, liefert eventuell das Agieren Russland und der Türkei. Beide Staatsmonster verfolgen ihre bornierten imperialen Ziele – bis hin zur Anwendung von Krieg, Massaker und ethnischer Säuberung – in beständig wechselnden Konstellationen, bei denen die Verbündeten von gestern sehr schnell zu Feinden werden können. Mitunter können sich Kooperation in einem Bereich (Russland baut ein Atomkraftwerk in der Türkei) und Konfrontation in einem anderen Gebiet (Ankara hat Syrien faktisch der russischen Einflusssphäre entzogen) ergänzen.
Die westliche Öffentlichkeit, die Nato und Westen als Konstanten ansieht, ist nur noch nicht daran gewöhnt, abrupte imperiale Kurswechsel zu legitimieren. Der Putintroll,[36] der allen russischen Katastrophen zum Trotz jede Volte des Kreml als Ausdruck der Genialität Putins interpretiert, kann hier als Vorbild für die künftige orwellsche Umdeutung der Realität dienen durch mediale Mietmäuler. Sehr bald werden auch respektable westliche Medien es lernen, diese Uminterpretationen der geopolitischen Realität nachzuvollziehen, sofern die Konstellationen sich entsprechend verändern. Der New Yorker übt schon mal.[37]
Alle Staaten, die noch die Machtmittel hierfür besitzen, werden Abschottung und Expansion praktizieren: Abschottung zum Schutz der industriellen Basis und vor dem Krisenelend der Peripherie, Expansion im Rahmen des krisenimperialistischen Extraktivismus,[38] um knapp werdende Rohstoffe, Nahrung und Energieträger zu sichern.[39] Es liegt auf der Hand, dass auch Europa von diesen krisenbedingten Zentrifugalkräften erfasst wird, die EU ist tatsächlich das schwächste Glied der geopolitischen Krisenkette. Der gegenwärtige westliche Zerfallsprozess wird keine gestärkte EU hervorbringen, sondern deren Auflösungsprozess beschleunigen.
Die EU-Staaten bieten aufgrund ihrer binneneuropäischen Konkurrenz perfekte Hebel für Washington, Moskau oder Peking, um in Europa zu intervenieren: Ungarns Putintreue, der deutsch-französische Dominanzkampf, Polens Panik vor einer Annäherung zwischen Russland und Deutschland, der Gegensatz zwischen Nord und Südeuropa: das trumpische Europa wird keinen stabilen geopolitischen Pol herausbilden, sondern in Regression und Nationalismus und versinken – ähnlich den Zerfallsprodukten der Sowjetunion. Die nächsten ökologischen oder ökonomischen Krisenschübe werden den Rest besorgen, indem sie die Rudimente transnationaler Institutionen und Bündnisse hinwegfegen werden.
Die Krise ist der treibende Faktor, der den Zerfall westlicher Institutionen und Bündnisse befeuert; Trump, wie die Rechte allgemein, bilden nur deren Exekutoren. Was irrational an der – nun ja – „Politik“ Trumps erscheint, spiegelt nur die Irrationalität des an seinen eskalierenden sozialen und ökologischen Widersprüchen verendenden Kapitalprozesses. Die Panik, das Chaos, die nun das Weltsystem voll erfassen, sind echt, sie werden nicht einfach durch Trumps Idiotie oder Intention ausgelöst.
Die Widersprüche – wie sie etwa bei den ewigen protektionistischen Kurskorrekturen Trumps zum Ausdruck kommen – sind tatsächlich gegeben, sie gewinnen an Intensität, sie können nicht mehr durch neoliberale Strategien der Krisenverzögerung überbrückt werden. Die ins faschistische Extrem abdriftende Rechte ist der subjektive Exekutor[40] des objektiv anstehenden Krisendurchbruchs. Alles muss im Flammen stehen, da das Kapital an sich selbst zerbricht.[41] Trump ist blosses Medium der Selbstvernichtung des an seinen Widersprüchen erstickenden automatischen Subjekts.
Das neuartige Moment besteht darin, dass inzwischen die Funktionseliten, also die Profiteure der subjektlosen Herrschaft des Kapitals[42], begriffen haben, was zumindest die deutsche Linke in ihrem regressiven populistischen Stumpfsinn nicht wahrnehmen will: Das System ist am Ende. Das prägt ihre Politik der Panik, bei der um des blanken Überlebens willen jahrzehntealte Konstellationen gekappt, Grenzen dichtgemacht und ressourcenreiche Regionen erobert werden sollen.
Es ist der Versuch, in einen anderen Krisenmodus der Herrschaft zu wechseln, mittels Imperialismus, Faschismus und blanker Abschottung. Eine Art Zeitlupenpanik entfaltet sich, bei der das Prepper-Prinzip zur geopolitischen Richtschnur wird: die Wahnidee der Abschottung vor der Krise,[43] die in den inneren Widersprüchen einer jeden kapitalistischen Gesellschaft wirkt. Trump, Musk & co., sie wirke wie milliardenschwere Prepper.
Diese kriseninduzierte geopolitische Zeitlupenpanik, bei der die USA ihr Weltsystem abfackeln, um Empirebuilding zu betreiben, kann nur in zunehmende militärische Auseinandersetzungen führen.[44] Sie sind der Endpunkt der Krisenkonkurrenz auf staatlicher Ebene, gerade angesichts der zunehmenden staatlichen Erosionsprozesse. Alles wird in Flammen stehen,[45] sollte das Kapital nicht emanzipatorisch überwunden werden. Das klingt illusorisch? Und dennoch gibt es keine Alternative zum Versuch der Emanzipation.