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Der nukleare Holocaust als volkspädagogischer Nervenkitzel

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Ein Update zum US-Kulturimperialismus Der nukleare Holocaust als volkspädagogischer Nervenkitzel

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Politik

Der US-amerikanische Horror beglückt die ganze Welt – nicht nur praktisch, mit militärischen Überfällen, Drohnenmorden oder CIA-Folterknechten, sondern auch kulturell.

Proteste in Washington DC bei der zweiten Amtseinführung von George W. Bush, Januar 2005.
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Proteste in Washington DC bei der zweiten Amtseinführung von George W. Bush, Januar 2005. Foto: Jonathan McIntosh (CC BY 2.0 cropped)

Datum 26. Oktober 2021
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Seit bald 200 Jahren, von Edgar Allan Poe bis zu Stephen King, dem 2015 von Präsident Obama die „National Medal of Arts“, die wichtigste staatliche Auszeichnung für amerikanische Kunstschaffende, verliehen wurde, sind die künstlerische Ausgestaltung von Shock and Awe, die Ausmalung monströser, dämonischer Kräfte und die gefühlsechten Schilderungen von Todeskämpfen Domäne der USA. Zwar gibt es im Unterhaltungsgewerbe auch anderswo einschlägige Könner – vom japanischen „Battle Royal“ bis zum südkoreanischen „Squid Game“ – und Serienkiller auf der Pirsch begleiten oder Dystopien entwerfen kann heute noch das letzte Filmstudio in Hintertupfingen.

Aber Massstab-setzend ist immer noch god's own country. Das zeigte sich jetzt wieder, als im Sommer 2021 Stephen Kings letzter Roman „Billy Summers“ weltweit die Bestseller-Listen eroberte, sie in Deutschland gleich nach Erscheinen der deutschen Übersetzung, wie in Grossbritannien und den USA, anführte und „international hochgelobt“ wurde (buchreport, 23.8.21). Kings Opus über einen US-Scharfschützen, der im Irak-Krieg wütet und nach seiner Rückkehr als Mafiakiller Karriere macht, sei „eins seiner besten überhaupt“, stellte die deutsche Literaturkritik fest (General-Anzeiger, 9.8.2021), mit dem Fazit: „Wer diesen Roman über einen Auftragskiller nicht liest, bringt sich möglicher Weise um einen geglückten Sommer.“

Ob sich hier wirklich Glücksmomente finden lassen, sei dahin gestellt. Aber immerhin ist King ein guter Schreiber, der erzählen kann – im Unterschied zu pensionierten Präsidenten oder Generälen, die mit Hilfe käuflicher Schmierfinken ihre düsteren Visionen zu Papier bringen. Diese Machwerke geben allerdings einige Auskunft über die politische Wucht, die der weltweiten Teilhabe an Horrorgefühlen zugrunde liegt und die ihnen den besonderen Kick verleiht. Zu den aktuellen Standards hier einige Hinweise.

Politainment in der Trump-Ära

2018 erschien der Politthriller „The president is missing“, von Ex-Präsident Bill Clinton gemeinsam verfasst mit dem Erfolgsautor James Patterson, dem laut Spiegel (Nr. 25, 2010) „erfolgreichsten Schriftsteller der Welt“. Er erregte sofort breitestes Aufsehen und eroberte die Bestsellerlisten; die deutsche Ausgabe folgte auf dem Fuss. Das wurde im Feuilleton als Buchereignis des Jahres gefeiert und natürlich als interessante demokratische Abrechnung mit der US-Politik gewertet. Bemerkenswert ist das Buch nicht wegen seiner literarischen Qualitäten. Die sind sehr bescheiden. Tempo vorlegen kann Patterson, der übrigens eine regelrechte Romanfabrik kommandiert und die verschiedensten Kollaborationen routiniert vom Band laufen lässt. Clintons Gattin Hillary hat sich jetzt aber für ein ähnlich gelagertes Projekt, den Krimi „State of Terror“, die Mithilfe der Autorin Louise Penny geholt, die angeblich mehr feinfühlige Literatur produziert.

Wenn man sich bei Clintons „President is missing“ durch die einleitenden 100 Seiten, die das Innenleben des Weissen Hauses aufblättern, durchgekämpft hat, geht es Schlag auf Schlag, streng nach den Regeln des Pageturners – nur einige Male unterbrochen durch clintoneske Polit-Räsonnements, bis der Bösewicht schliesslich totgeklopft und Amerika bzw. die Welt gerettet ist.

Weltkatastrophe als Unterhaltungsangebot

Jenseits der Frage nach den Unterhaltungsqualitäten, die das Feuilleton vorrangig beschäftigte, ist das Buch das erschreckende Dokument eines politischen Weltbilds. Es sollte, wie Clinton im Spiegel-Gespräch (Nr. 24, 2018) äusserte, die Niederlage der demokratischen Partei, speziell des Clintonschen Familienbetriebs, verarbeiten – und ist in der Hinsicht natürlich eine programmatische Anti-Trump-Schrift. Es konfrontiert einen fiktiven demokratischen Präsidenten namens Duncan, einen lupenreinen, selbstlosen Patrioten, mit einem machtgeilen republikanischen Politfunktionär, der ein Impeachment-Verfahren auf den Weg bringen will, um eigene Karriereabsichten zu realisieren.

Die Konstruktion ist etwas verwinkelt (siehe das heikle Thema Amtsenthebung!), in der aussenpolitischen Haltung des fiktiven Präsidenten aber klar das Gegenbild Trumps: Duncan ist ein Routinier der Diplomatie und konsultiert in der Krisenlage die westlichen Bündnispartner – besonders hervorgehoben werden Israel und Deutschland –, hat auch kein Interesse, wie Trump seinerzeit unterstellt wurde, der russischen Führung entgegenzukommen.

Das ist die brachiale Quintessenz des Romans: Der ideale Präsident führt sein Land bis an den Rand des Weltkriegs, zeigt Kriegsbereitschaft, die bis zum Einsatz des atomaren Potenzials geht, und konfrontiert die russische Seite mit der Aussicht, dass die USA die diplomatischen Beziehungen abbrechen.

Der Romanheld bringt also eine Verschärfung der weltpolitischen Konfrontation Amerikas mit seinen Rivalen ins Spiel – eine Zuspitzung, die im Prinzip den kalten Krieg in einen heissen überführt, der, so die Konstruktion des Romans, durch die russische Seite bereits begonnen wurde. Und das ist eine Zuspitzung, der gegenüber der historische Kalte Krieg der 1950er- und 1960er-Jahre fast idyllisch erscheint, denn damals erlangte (Rüstungs-)Diplomatie zunehmend Bedeutung und Wertschätzung, ja galt seit Kennedy als unverzichtbare Versicherung dagegen, dass der nukleare Endkampf über die Welt hereinbricht. Gesprächskanäle, siehe das legendäre Rote Telefon, sollten gerade eröffnet und nicht gekappt werden.

Es ist schon bemerkenswert, was das Trump-kritische Lager zu bieten hat: Ein gnadenloses antirussisches Feindbild, das alle geheimdienstlichen, terroristischen, rüstungspolitischen Machenschaften und Krisenszenarien der Gegenseite anlastet, verbunden mit der Bereitschaft, diese Feindschaft konsequent auszutragen. So endet jedenfalls der Krimi-Plot, um dann ein letztes Kapitel, bestehend aus einer Grundsatzrede des fiktiven Präsidenten, nachzuliefern, mit der Clinton, wie er im „Spiegel“-Interview erläuterte, seine eigene Botschaft dem Publikum nahebringen will: „Das ist es, was ich versuche, dem Land mitzuteilen. Wir müssen es wieder schaffen zusammenzufinden. Das ist doch verrückt, dieses ewige Streiten!“

Das Stimmungsbild aus dem anderen, besseren Amerika, auf das die „liberalen“ westlichen Kräfte und die „guten“ Europäer setzten, ist also eine einzige Grusel-Story, deren Unterhaltungswert in der härtesten Dosis Nationalerziehung besteht: Die Nation muss endlich wieder zur Einheit finden, und dazu verhilft ihr nicht die Überwindung ihrer gesellschaftlichen Gegensätze, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit, gegen den Feind zusammenzustehen. Und dass die amerikanische Nation keinen Rivalen hochkommen lassen darf – diese Variante des „America first!“, die die Bündnistreue der Alliierten in Dienst nimmt, ist das Unterhaltungsangebot für die Amerikaner (und sonstigen Weltbürger), die Trump für eine Fehlbesetzung halten.

Von Trump zu Biden

Im Sommer 2021 erschien „2034 – A novel of the next world war“ (New York, Penguin, daraus die Zitate), verfasst vom hochdekorierten US-Admiral James Stavridis, der u.a. von 2009 bis 2013 NATO-Oberkommandierender in Europa war und sich für sein Buch Hilfe beim Romanautor und Ex-Marine Elliot Ackerman holte. Politisch ist Stavridis nicht klar einzuordnen. „He was considered as a potential vice-presidential running mate by the Hillary Clinton campaign in 2016 and as a possible Secretary of State by President-elect Donald Trump in the fall of 2016“, schreibt Wikipedia.

In seinem „chillingly authentic geopolitical thriller“ (Verlagswerbung) umgeht er eine direkte politische Festlegung, da das US-Präsidentenamt 2034 von einer unabhängigen Politikerin besetzt ist. Die beiden grossen Parteien Republikaner und Demokraten sind nämlich – ebenso wie der Zusammenhalt in der NATO – Historie und die Militärs bzw. die aus dem Militär stammenden Politikberater stellen die eigentlichen Akteure dar.

Damit ist auch schon die entscheidende Botschaft des Buchs benannt: Es lebt von der Sorge, dass die USA ihre weltbeherrschende Stellung verlieren könnten. Das Buch ist als Warnung geschrieben, dass mangelnder Zusammenhalt in einem Staat oder einem Bündnis den Keim zum Untergang enthalten. Dafür werden diverse soldatische Erfahrungen aus aktuellen Konflikten, aber auch die 2500 Jahre alten Weisheiten eines Thukydides über den Peloponnesischen Krieges herangezogen: „the empire rots from within“ (223). Insofern bebildert das Buch die Lehre aus dem Trump-Erbe, das Biden verwaltet: Zusammenhalt – multinational wie national – unter einer starken Führung ist unerlässlich (wie dann bei seinem Amtsantritt in alle Welt mit martialischer Rhetorik ausposaunt. „America first!“ kommt dabei in einer Negativform vor. Wenn sich die USA nicht im Land (wo unterschiedliche ethnische Herkünfte die Gemeinsamkeit der amerikanischen Nation in den Hintergrund rücken könnten) zusammenschliessen, wenn sie sich auswärts nicht in klarer Front aufstellen und wenn sie die Stärke der Gegner nicht ernst nehmen, fallen sie möglicher Weise als abgemeldete Nation hinter China, hinter Indien… zurück.

Das politische Versagen wird aber nicht wie bei Clinton weiter ausgeführt, indem etwa vorbildliche Politikergestalten gegen den opportunistischen Abschaum oder gelungene Ideen für ein neues Politik-Management der Weltherrschaft aufgeboten würden. Die NATO und damit Europa spielen in dem Buch überhaupt keine Rolle, Japan oder Israel auch nicht, dafür aber dessen Gegenspieler Iran. Wie bei Clinton sind dann die Russen wieder die eigentlichen Bösewichter. Die Chinesen, die mit den Amis in den Dritten Weltkrieg schlittern, sind eher durch Fehleinschätzungen ihrer eigenen (Cyber-)Macht und des Kampfeswillens der US-Soldaten geblendet. „Schlafwandelnde“ Politiker eben, wie man sie aus der modernen Aufbereitung des Ersten Weltkriegs kennt.

Und wie bei Clinton geht es um die Einsicht in die Notwendigkeit, gegen den Feind zusammenzustehen. Das aber mit verschärfter Eskalationsbereitschaft, passend zu Bidens Präsidentschaft, die die US-Strategie konsequent fortführt. Das Szenario, das Stavridis bietet, basiert dabei auf militärischer Expertise, die man aber auch aus der Zeitung kennt. Der Konflikt beginnt im Pazifik, bei den umstrittenen Spratley-Inseln, wobei die USA als eine Nation dargestellt werden, die die Bedeutung der „cyber capability“ verschlafen hat und die dann der Eskalation-Logik, die sie in ihren Strategiepapieren festgeschrieben hat, schematisch folgt.

Hier bietet der Roman Realismus härtesten Kalibers, der den Leser das Gruseln lehrt. Spannend ist das allerdings nicht, die Erzählung ist – wie bei Patterson – recht holzschnittartig gearbeitet. Gegen Schluss, wenn von Ferne der nukleare Holocaust grüsst, kommt etwas Spannung auf, die dann aber zugunsten soldatischer Helden-Porträts ins Nationalistisch-Sentimentale umgebogen wird.

Soldatentum im Atomzeitalter

Das ist die eigentliche Härte des Romans: Der Blickwinkel des Militärhandwerks wird an die globalen Konflikte angelegt. Hier hat man den US-Standard in Kriegsdingen, der sich jetzt auch bei der Rückkehr „unserer Soldaten und Soldatinnen“ aus Afghanistan bemerkbar macht: Der Einsatz adelt den Auftrag. Dass Leute bereit sind, sehenden Auges in den Tod zu gehen und Millionen Menschen dabei mitzunehmen, soll einem diese Figuren nicht fragwürdig erscheinen lassen, sondern als humane Gestalten, die sogar nachts von den Verwüstungen träumen, die sie anrichten, und sich dann allerlei einfallen lassen müssen, um wieder zur Ruhe zu kommen.

Dabei ist auch der Brutalismus des Stils bemerkenswert. Bis auf die taktisch-nukleare Ebene eskaliert das geschilderte Kriegsgeschehen, getreu der US-Doktrin, dass Amerika im Fall des Falles zuerst Atomwaffen einsetzt(siehe die Infos zu Defender Europe). Wie die legendäre „cyber capability“ zählen diese Massenvernichtungswaffen, die früher einmal als Kriegsverhinderungspotenzial – weil nur zur Abschreckung verwendbar – dargestellt wurden, nun selbstverständlich als Kriegsmittel.

Die stilistische Brutalität des Romans gipfelt darin, dass die Vernichtung von zig Millionen Menschen beiläufig, gewissermassen im Vor- und Rückblick, erwähnt wird, während ein einziger Tötungsakt hautnah geschildert und ausgewalzt wird: Es ist die Szene, in der ein iranischer (!) Offizier mit blossen Händen und aus purem Sadismus ein Eichhörnchen erwürgt. Eine unfassbar brutale Stelle. Sollte der Roman verfilmt werden, kann man dies den Zuschauern keinesfalls zumuten!

Die Feindbilder, die der Roman ausmalt (imperialistische Russen, überhebliche Chinesen, fanatische Perser), sind aber sekundär, sie werden sogar in einem – fast – versöhnlichen Schluss als Varianten des „universal soldier“ (so der berühmte Protestsong von Donovan) vorgeführt. Entscheidend ist, wie die Selbstverständlichkeit des Befehlsgehorsams bis hin zur Herbeiführung der atomaren Apokalypse als edles Menschentum gezeichnet wird. Dass es süss und ehrenvoll ist, fürs Vaterland sterben, wusste auch schon ein Horaz. Dass dasselbe aber auch für die Einleitung des Weltuntergangs gilt, ist neu.

Stavridis kann man dabei nicht als direkten Kriegshetzer einstufen. Er warnt: Wenn die Dinge weiter schief laufen (mangelhafte eigene Aufrüstung, mangelhaftes Containment gegenüber Rivalen), könnte es noch so weit kommen! Auch ist ihm bewusst, dass die USA mit ihrer Weltherrschaft lauter Missgunst auf dem Globus hervorrufen. Entsprechende Vorwürfe werden beiläufig abgespult. Aber das Fazit lautet: Für all das muss ein besseres Handling her, das Militär steht jedenfalls bereit und kann ein einwandfreies Potenzial aus amerikanischen Patrioten aufbieten. Hier moniert Stavridis nur gewisse Fehlentwicklungen. Wie Ernst Jünger vermisst er den Kampf als inneres Erlebnis, wo man von Mann zu Mann kämpft und das Weisse im Auge des Feindes sieht. Techniker treten an die Stelle von Soldaten „the cult of technology … has crippeld us“ (192), heisst die wiederholte Klage.

Aber das Gegenbild wird mit dem US-Piloten Wedge gezeichnet. Der Teufelskerl liebt den Geruch von jet fuel, fliegt sein Flugzeug mit vollem Körpereinsatz ohne Bord-Computer und ist überhaupt der eigentliche Held des Roman. Er ist bereit, bis zum Weltuntergang zu gehen bzw. zu fliegen, den eigenen Tod natürlich inbegriffen. „He'd always accepted that it was a dirty business... This didn't feel like a suicide. It felt necessary. Like an act of creative destruction.“ (278) Sein Tod darf natürlich nicht – so viel Feindbildpflege muss sein – mit Selbstmordattentaten muslimischer Fanatiker gleichgesetzt werden. Seine Todesbereitschaft ist das pure nationale Hochgefühl! In seinem Griff nach dem roten Knopf materialisiert sich der Wille der amerikanischen Nation und kommt eine soldatische Haltung zu ihrer Vollendung.

Diese Idealisierung von Kriegsbereitschaft im Volk, die durchaus Zweifel an den Führungsqualitäten der Politik zulässt, ist die passende Volkserziehung in den Vorkriegszeiten, die die Amerikaner mit ihren Kampfansagen in der Grossmacht-Konkurrenz eingeläutet haben. Auf die soldatische Bereitschaft, sich gegenüber Chinesen und Russen aufstellen zu lassen, darf sich keine Kritik richten. Die Truppe hält schliesslich ihren Kopf hin – für uns alle! In diesem Sinne hat sich jetzt auch der Militärhistoriker Michael Wolffsohn zur Rückkehr „unserer“ Afghanistan-Veteranen geäussert: „Die Diskussion um den Afghanistan-Einsatz trägt tragischerweise dazu bei, dass die Distanz zwischen Gesellschaft und Bundeswehr noch grösser wird. Das ist ungerecht gegenüber den Soldaten.“ (Spiegel, Nr. 42, 2021) Kritik muss sich zurückhalten, eben wegen „unserer“ Soldaten.

Die Süddeutsche Zeitung, die seinerzeit Clintons Buch schwach fand, sieht in „2034“ ein (auch literarisch) gelungenes Lehrstück, das gerade die deutschen Soldaten auf der Bundeswehr-Fregatte „Bayern“, die zu den Spratley-Inseln unterwegs ist, lesen sollten. Von Stavridis könnte Deutschland einiges lernen, meint das Blatt. Ganz ungerührt wird das Expertentum des Admirals gelobt, aber auch mitgeteilt, „dass seine noch in der US-Armee aktiven Ex-Kollegen ihm nach der Lektüre gesagt hätten, er würde quasi nur in einem Punkt irren: dem Handlungsdatum des Plots, 13 Jahre in der Zukunft: ‚Es könnte morgen passieren', hätten sie gesagt“ (SZ, 12.8.21).

Ob Stavridis' Buch ins Deutsche übersetzt wird, ist noch nicht klar. Dass die NATO und die deutsche Bündnistreue komplett ausgeklammert werden – und das auch noch von einem ehemaligen NATO-Oberbefehlshaber! –, macht hiesigen Lesern natürlich die Einfühlung schwer. Wo „wir“ uns doch gerade bis zur Ukraine, bis zum „russischen Vorgarten“ (um Stavridis' Metapher zu benutzen), aufstellen! Und wo der Bundespräsident zum diesjährigen Jubiläum des „Unternehmens Barbarossa“, des deutschen Überfalls auf Sowjetrussland, erklärte, dass es ein derartiges Einzelgängertum nicht mehr geben werde, sondern nur noch treue Einbindung ins Bündnis und in die US-Interpretation des Völkerrechts.

„Dank der absoluten moralischen Distanz des heutigen deutschen Wir zum Damaligen, ist alles politische Tun des heutigen deutschen Wir im Verbund mit der NATO, einschliesslich kriegsvorbereitender Aufrüstung und Grossmanöver in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze und Einflussgebiete je schon mit dem Siegel des Guten und des unerschütterlich guten Gewissens versehen.“ (https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/mit-recht-krieg-unternehmen-barbarossa-6492.html) So werden ja demnächst auch sicher einige „unserer“ Afghanistan-Veteranen zur Feder greifen, um deutsches Soldatenethos im 21. Jahrhundert mit rasanten Stories und blutvollen Porträts zu bebildern...

Pro patria mori...

Zurück zu Stephen King. Sein Thriller „Billy Summers“ ist auch eine Kriegsheimkehrer-Erzählung, übrigens kein besonders gelungener Roman. Die Bauteile kennt man alle (der eiskalte und einsame Samurai, von seinen Auftraggebern verraten, der Profi-Killer und das Mädchen etc.). Der Schlussteil ist dann wieder eine der langgezogenen Todesmelodien, mit denen King so oft seine zunächst auf Suspense angelegten Romane abschliesst, d.h. vermurkst. Im Irak schiesst Romanheld Billy als Sniper auf „Muj“ und „Haj“, wie sie ihm vor die Flinte gesetzt werden, also auf namenlose Islamisten, die wie Schiessscheiben im Computerspiel auftauchen und erledigt werden. Zurück in den USA verpasst er – wie Scorseses „Taxi Driver“ – den Anschluss ans zivile Leben und wird kriminell.

Jetzt erst entsteht der Gewissenskonflikt zwischen „Bad“ und „Good“ beim Töten. Da Billy zuhause eigenmächtig vorgeht, verwirkt er sein Lebensrecht. Er ist nicht der Held aus einem Guss wie der Massenvernichter Wedge bei Stavridis. Aber ein Held ist er trotzdem – und ein sympathischer Kerl sowieso.

Hier hat man also den Pluralismus der US-Unterhaltung, die auf alle Länder ausstrahlt – auf die, die an der US-Weltordnung mitwirken (wollen), und die, die ihr zum Opfer fallen. Den Völkern der Welt muss eins klar werden: Kriegs- und Todesbereitschaft verdienen jeden Respekt. Das kann man mal als offene Feier soldatischen Heldentums vortragen, mal mit einer Träne im Knopfloch. Und das Publikum darf auswählen! Hauptsache, es kommt keine Distanz zwischen Gesellschaft und Militär auf...

Johannes Schillo

Eine erste Fassung des Textes ist bei Telepolis am 23. Oktober 2021 erschienen.