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USA: Krieg gegen die Armen statt gegen die Armut

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Staat zieht sich weiter zurück USA: Krieg gegen die Armen statt gegen die Armut

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Politik

Die private Wohltätigkeit in den USA floriert. Doch der Chef der gemeinnützigen New Yorker Robin Hood Foundation schlägt Alarm.

Obdachloser Mann in Los Angeles.
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Obdachloser Mann in Los Angeles. Foto: The Erica Chang (CC BY 3.0 unported - cropped)

Datum 19. April 2018
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Ohne private Wohlfahrtsinstitutionen läuft in den USA fast gar nichts mehr – vor allem seit den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, als Präsident Ronald Reagan seinen Kahlschlag gegen den Sozialstaat durchführte. Er hat zahlreiche ursprünglich staatliche Sozialaufgaben an private gemeinnützige Organisationen ausgelagert. Doch auch Präsident Barack Obama hat auf dem Parteitag der Demokraten 2012 erklärt: «Wir wissen, dass die Arbeit der Kirchen und Wohltätigkeitsorganisationen gegenüber rein staatlichen Programmen handfeste Vorteile aufweist.» Das Verhältnis zwischen Bürgerinnen, Bürgern und Staat unterscheidet sich in den USA deutlich von jenem in Europa. In den Vereinigten Staaten ist die Ansicht stark verankert, dass der Staat bei der Lösung von sozialen Fragen und der Wahrung des Gemeinwohls in verschiedensten Bereichen weder allein zuständig noch der effizienteste Problemlöser sei.

Staat zieht sich weiter zurück

Anders als von ihren Anhängern propagiert, sind die in den USA reichlich sprudelnden Spendengelder nicht nur Ausdruck einer spontanen und uneigennützigen Philanthropie und eines hohen Bürgersinns. Die Spendentätigkeit ist «ebenso das Ergebnis einer konzertierten Strategie, die aufeinanderfolgende Regierungen verfolgt haben, um sich möglichst kostengünstig aus dem sozialen Bereich zurückziehen zu können.» (Le Monde diplomatique, Dezember 2014).

Doch nun schlägt ausgerechnet der neue Chef einer dieser gemeinnützigen Organisationen Alarm: Wes Moore, 38-jähriger Bestsellerautor, dekorierter US-Offizier und Afghanistan-Kriegsveteran, aufgewachsen in der New Yorker Bronx «am Rand der Armut», wie er schreibt, und seit April 2017 CEO der Robin Hood Foundation. Ziel dieser gemeinnützigen Stiftung ist die Bekämpfung der Armut in New York City, wo allein 1,8 Millionen Menschen in Armut leben.

Flammende Anklage

Wes Moore publizierte im Time-Magazin eine flammende Anklage gegen die amerikanische Sozialpolitik. Präsident Lyndon B. Johnson habe einen «bedingungslosen Krieg gegen die Armut» ausgerufen, doch «aus dem Krieg gegen die Armut ist ein Krieg gegen die Armen geworden», schreibt Wes Moore. Er ziele nicht auf eine bestimmte Regierung oder eine bestimmte politische Partei. Aber: «Die USA haben eine beschämende Geschichte einer Politik, welche die Menschen in die Armut gestossen hat und sie nun dort belässt.» Das habe mit der Wohnbaupolitik in den Siebzigerjahren begonnen und sei mit der Steuerpolitik der Achtziger-, der Sozialhilfepolitik und der Justizreform in den Neunzigerjahren bis zur Bildungspolitik in diesem Jahrzehnt weitergezogen worden. Die aktuellen Debatten um die Abschaffung von Obamacare erweitern das Spektrum verheerender Politik um das Kapitel Gesundheitspolitik. Nach Jahrzehnten einer «inkonsistenten Politik» und einer abfälligen Behandlung «seien die 45 Millionen in Armut lebenden Amerikaner verletzlicher denn je in der Geschichte der USA», findet Wes Moore.

Bemerkenswert ist vor allem, dass Moore die Grenzen der privaten Wohlfahrtsorganisationen thematisiert. Nicht nur seine eigene Robin Hood Foundation, sondern ungezählte andere Stiftungen kämpften an vorderster Front gegen die Armut, schreibt er, doch letztlich seien diese Organisationen nicht in der Lage, diesen Kampf zu gewinnen: «Die chronische und systemische Natur der Armut existiert nicht, weil es zu wenig philanthropische Organisationen gibt, sie ist vielmehr ein direktes Resultat einer falschen und gescheiterten Politik.»

Massives Spendenwachstum

Mangel an karitativen Organisationen herrscht in der Tat nicht. Das zeigt allein schon das massive Wachstum der Spenden in den vergangenen Jahren. Bereits 2013 ist die Spendensumme zum vierten Mal in Folge deutlich angestiegen, wie die Zahlen der Giving USA Foundation zeigen; diese Institution publiziert einen jährlichen Bericht zur amerikanischen Philanthropie-Szene und betreibt in diesem Bereich Forschung und Ausbildung. Die Spenden für wohltätige Zwecke betrugen im Jahr 2013 etwas über 335 Milliarden Dollar, 2015 waren es knapp 380 Milliarden und 2016 dann bereits 390 Milliarden Dollar, wie der im Juni 2017 veröffentlichte Bericht der Giving USA Foundation zeigt.

Problematische Seiten der Philanthropie

Die private Wohltätigkeit hat verschiedene problematische Seiten. Allein schon die Verteilung der Gelder weist auf ein Grundproblem hin: Das Geld fliesst dorthin, wo die Spenderinnen und Spender wollen, und nicht unbedingt dorthin, wo die Prioritäten in einem demokratischen Prozess gesetzt würden. Infosperber hat bereits 2014 auf spezielle Donatoren-Finanzinstrumente hingewiesen: Die Finanzindustrie hat die Welt der Philanthropie längst infiltriert. Zudem verzichtet der Staat auf erkleckliche Summen an Steuergeldern, weil die Spenden teilweise von den Steuern abgezogen werden können. Der Politikwissenschaftler Robert Reich spricht in einem Artikel in der Boston Review vom März 2013 von Einnahmenausfällen von über 53 Milliarden Dollar, die dem Fiskus dadurch jährlich entstehen. Reich kritisiert denn auch vor allem die Stiftungen: Eine demokratische Gesellschaft sei verpflichtet, für die Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu sorgen, doch «die Stiftungen sind die Stimme der Plutokratie.»

Jürg Müller-Muralt / Infosperber