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Als queerfeministische Zwischennutzung gegen Gentrifizierung

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Der Ausverkauf der Innenstadt Als queerfeministische Zwischennutzung gegen Gentrifizierung

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Politik

Wir sind überzeugt, dass der Kampf gegen Aufwertung und Verdrängung ein queerfeministischer sein muss – und für uns ist klar, dass wir uns auch als Feminist*innen dringend mehr mit der Stadt um uns herum auseinandersetzen müssen.

Kreis 13.
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Kreis 13.

Datum 10. Oktober 2024
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Am 28. September wurde das Kasernenareal in Zürich besetzt und zum Kreis 13 erklärt. Auch zahlreiche Feminist*innen waren vor Ort, um sich zu informieren und auszutauschen. Auch die AG AG, also die Arbeitsgruppe Antigentrifizierung aus dem Streikhaus, normalerweise eher im Kreis 5 anzutreffen, verbrachte das Wochenende im Kreis 13. Mit der Frage, ob und wie wir auch als Zwischennutzer*innen widerständig gegen Gentrifizierung agieren können, setzt sich das Streikhaus nun schon länger auseinander.

All die Arbeit, die die feministische Bewegung noch leisten muss, müssen wir von irgendwo her planen. Wir brauchen Raum für unseren Aktivismus - ein solcher Ort ist das Streikhaus. Wir stemmen das Haus freiwillig – das ist viel Arbeit. Der Zwischennutzungsvertrag mit der Raumbörse zwingt uns zu noch mehr Selbstausbeutung. Wir mussten jahrelang Geld generieren, wo keines ist. Denn wir sind kein Kommerz-Ort, sondern ein feministisches Gemeinschaftszentrum. Bei uns kostet der Mate für die Sitzung nicht 6 Franken, sondern halt so viel, wie Leute dafür übrig haben. Im Streikhaus soll es um Community und politisches Organizing gehen und nicht um Profit. Wir sind nicht mehr bereit, unzählige Sitzungen zu machen, um riesige Crowdfundings zu stemmen. Wir weigern uns, der eigenen Community zehntausende Franken abzuknöpfen, um die Spenden dann Monat für Monat der Stadt zu überreichen.

Wäre es nicht ein Widerspruch, ausgerechnet der Stadt, die unsere feministischen Forderungen seit Jahrzehnten unglaublich halbherzig angeht oder ganz ignoriert auch nur einen einzigen Rappen zu schenken? Der Stadt, die immer wieder die Polizei auf uns hetzt, sobald wir mehr fordern als Lippenbekenntnisse und Blumen? Darum schieben wir die Miete nun auch auf – so wie sie unsere feministischen Forderungen verplempern. Vielleicht lernen wir ja, das mit dem Streiken ernst zu nehmen, und bestreiken bald nicht nur die bezahlte und unbezahlte Arbeit, sondern auch den überteuerten Gebrauchsleihvertrag zu bestreiken?

Wir sind eine Zwischennutzung der Raumbörse, stand heute ist unser Projekt bis 2026 befristet. Unser Haus am Sihlquai, wie auch die Autonome Schule und die Photobastei nebenan sollen bald abgerissen werden. Wir kritisieren unser “Miet”-verhältnis, dass eigentlich keines ist! Zwischennutzungen mögen zwar wie eine temporäre Lösung für Leerstand und steigende Mietpreise erscheinen – sie sind jedoch vor allem ein schlaues Geschäftsmodell und eine Strategie gegen Besetzungen. Denn Zwischennutzungen bieten keinen Schutz vor Verdrängung – sie sind nur ein Aufschub. Als Zwischennutzer*innen müssen wir uns mit der Frage konfrontieren, wie wir uns in Gentrifizierungsprozessen positionieren. Und wir müssen uns unserer zwiespältigen Position bewusst werden:

Zwischennutzungen steigern den Bodenwert eines Quartiers, wenn sie unreflektiert genutzt werden. Sie sind keine nette Zwischen-Lösung für die Wohnungsnot von oben. Aber: Zwischennutzungen können mehr sein, als ein Rädchen in der Gentrifizierungsmaschine! Wir müssen uns aktiv mit unseren Verträgen und den Zukunftsplänen, die die Stadtplaner*innen und Immohaie hegen, auseinandersetzen, uns mit unseren Nachbar*innen vernetzen und für langfristige Lösungen kämpfen! So können aus Zwischennutzungen Orte des Widerstands werden: Temporäre, aber bedeutungsvolle Schutzräume, in denen marginalisierte Gruppen Sicherheit und Zusammenhalt finden. Von hier aus üben wir, mehr als temporär zu denken und kollektiv und langfristig für eine feministische, antikapitalistische Stadt zu kämpfen.

Wir sind überzeugt, dass der Kampf gegen Aufwertung und Verdrängung ein queerfeministischer sein muss, denn unsere gebaute Umwelt ist immer noch von patriarchalem und queerfeindlichem Denken geprägt. Wohnungen, wenn wir denn welche finden, sind auf den Lebensentwurf einer Kleinfamilie ausgelegt. Die Stadt Zürich orientiert sich an den Prämissen der Profitmaximierung und nicht an den Bedürfnissen von 99% der FLINTA-Personen*. Es mangelt an Krippen, Frauenhäusern und Alters- und Erholungszentren. Gleichzeitig bekommen Firmen wie Google die grössten und schönster Häuser an bester Lage. Wir wollen eine Stadt mit bezahlbarem Wohnraum, mit Platz für Kinderwagen und Rollstuhl! Kämpfen wir gemeinsam für eine feministische Stadt, also eine Stadt für alle und nicht für wenige!

Gerade im Kreis 5 ist die Tendenz leider eine ganz andere - das ehemalige Arbeiter*innen - und Industriequartier ist heute einer der teuersten Flecken der Stadt. Wenn wir über Verdrängung und Aufwertung am Sihlquai nachdenken, muss uns klar sein, dass diese bereits eine lange Geschichte hat. In den 1960er Jahre wurden die Fabrikhallen stillgelegt und im gleichen Zug der Wohnraum der ehemaligen Fabrik-Arbeiter*innen durch Geschäftshäuser und Vergnügungsindustrie ersetzt. Die Betriebsschliessungen und der Bau von Bürokomplexen führten zu einer Trennung von Wohn- und Arbeitsquartieren. Dies hatte auch für arbeitenden FLINTA-Personen* fatale Folgen: Ihre prekäre Situation verschärfte sich, da sie weiterhin unbezahlte Care-Arbeit leisten mussten, und gleichzeitig keinen gleichberechtigten Zugang zu den besser bezahlten Jobs im Dienstleistungssektor hatten.

Seit den 1990er Jahren lassen sich im Kreis 5 die grössten demografischen Veränderungen beobachten. Einkommensschwächere, oft migrantische Bewohner*innen werden zunehmend aus dem Zentrum der Stadt verdrängt und so werden ganze Nachbarschaften und Care-Netzwerke zerstört! Es gibt zig Beispiele, die exemplarisch für Gentrifizierungsprozesse stehen. Vor über 10 Jahren wurde die Sexarbeit vom Sihlquai an die Aussengrenzen der Stadt nach Altstetten verbannt.

Coop Immobilien ist nur eine von vielen Playern, die sich am Ausverkauf der Innenstadt eine goldene Nase verdienen und sich gegenseitig mit Neubauprojekten übertrumpfen. Sie ist nicht nur Eigentümerin der hart umkämpften Häuser am Sihlquai 280 und 282, sondern besitzt Liegenschaften im ganzen Quartier, die zu horrenden Preisen vermietet werden. Kleine, lokale Läden wie der Sindi Markt müssen vermehrt schliessen. Kurzum: In unserer Nachbarschaft gibt es immer mehr exklusive Neubauten und Luxuswohnungen, die für einen Grossteil der arbeitenden Bevölkerung und das Kleingewerbe nicht erschwinglich sind.

Wir finden: Es ist höchste Zeit, Kämpfe zu verbinden und queerfeministisch gegen Aufwertung und Verdrängung zu agieren! Der Ausverkauf der Stadt muss gestoppt werden - stattdessen braucht eine feministische und antikapitalistische Stadtpolitik, die auf Solidarität statt auf Spekulation setzt!

pm

Auschnitte aus dem Input und der Rede der Arbeitsgruppe AntiGentrifizierung aus dem Streikhaus im Kreis 13

*Das Akronym FLINTA* steht für Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre, trans und agender Personen