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Frontex wird ausgebaut – und die Schweiz zahlt mit

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Die Schweiz zahlt mit Frontex wird ausgebaut

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Politik

Die Europäische Union beschloss den Ausbau der europäischen Grenz- und Küstenschutzagentur.

Anti-Frontex Graffiti in Zürich.
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Anti-Frontex Graffiti in Zürich. Foto: Nina (PD)

Datum 17. Dezember 2021
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Am 1. Oktober 2021 sprach sich auch das Schweizer Parlament dafür aus, den Ausbau zu unterstützen. Doch das Migrant Solidarity Network hat das Referendum dagegen ergriffen.

Frontex ist seit 2004 für den Grenzschutz Europas zuständig. Die Idee war, die Zusammenarbeit an Europas Aussengrenzen zu stärken, während gleichzeitig die Grenzen im Inneren des Schengen-Raums an Bedeutung verloren. Frontex hatte ursprünglich eine Koordinations- und Organisationsfunktion. Auch die Schweiz ist an ihr beteiligt: Sie finanziert Frontex nicht nur mit und sendete 2011 Schweizer Grenzwächter:innen in Einsätze, sondern hat auch zwei Personen im Verwaltungsrat von Frontex und stellt seit 2021 zwei Expertinnen für Grundrechtsschutz in Warschau.

Die europäische Armee gegen Flüchtende

Die Aufgabe von Frontex wandelte sich über die Jahre sehr. Doch bei jeder Krise, die sich an den Aussengrenzen Europas anbahnte, lautete die Lösung stets, Frontex mehr Geld und Personal zu geben, um die Festung Europa zu stärken. 2019 hatte die Agentur 700 Mitarbeiter:innen und verfügte offiziell über Autos/Transporter, Flugzeuge und Drohnen.

Schon für 2020 wurde geplant, mehr als 1000 Mitarbeiter:innen einzu:setzen, und das Budget betrug 460 Millionen Euro. Bis 2027 sollen die Grenzschützer:innen der Agentur auf bis zu 10.000 als ständige Reserve aufgestockt werden, davon neu ein Drittel von Frontex selbst gestellt. Ihre Befugnisse sollen erweitert werden, sodass Grenzwächter:innen eigene Waffen tragen können, obschon es keine gesetzliche Grundlage dazu gibt.

Die Schweiz mischt gut mit

Laut einer Recherche von Fragdenstaat.de traf sich Frontex bereits 2017 mit Waffenlobbyist:innen. Die Grünen, eine der Parteien der Schweiz, die gegen den Ausbau sind, stellten fest, dass das gesamte Budget der Agentur bis zu einer Milliarde Euro betragen wird. Und dies, obwohl Frontex für Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Europa baut die Festung weiter aus und macht dazu eine Armee bereit. Und die Schweiz hilft mit. Der Beitrag der Schweiz für Frontex soll sich bis 2027 verdreifachen. Bis anhin zahlte die Schweiz 21 Millionen, künftig sollen es 61 Millionen pro Jahr sein. Das sind in den kommenden fünf Jahren rund 300 Millionen Franken. Zudem sollen weitere Schweizer Grenzwächter:innen zur Verfügung gestellt werden. Dies hat das Schweizer Parlament im Oktober 2021 beschlossen.

Referendum des Migrant Solidarity Network

Die Entscheidung bezüglich des Ausbaus von Frontex ist auch in der Schweizer Politik auf Widerstand gestossen. Die SP und die Grünen haben sich dagegen ausgesprochen. Doch ihr Widerstand blieb mit dem Vorschlag, zusätzlich als humanitäre Geste mehr Kontingentflüchtlinge aufzunehmen, sehr schwach:. Anstatt 1500 sollen es alle zwei Jahre 4000 sein. Sie wollen also den Schaden von Frontex kompensieren, anstatt ihn aktiv zu bekämpfen. Nun hat das

Migrant Solidarity Network das Referendum gegen den Entscheid des Parlaments ergriffen. Es ist ein Referendum von unten – welches momentan von vielen kleineren aktivistischen Basisgruppen getragen und koordiniert wird. Dazu gehören Seebrücke Schweiz, Droit de rester Neuchâtel, augenauf Zürich, Basel und Bern, wir alle sind Bern, Europäisches BürgerInnen Forum, Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz, Sure:TU und ExilAktion. Es geht darum, die weitere Abschottung Europas zu verhindern. Frontex spielt eine zentrale Rolle in diesem Prozess der Entrechtung und der Entwürdigung durch Abschiebungen und illegale Pushbacks von Flüchtenden. Die Agentur sollte als Ganzes infrage gestellt werden – und nicht noch mehr Geld bekommen.

Enge Kooperation der Grenzgewalt

Zu den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen durch Frontex bzw. denjenigen, die Frontex in unmittelbarer Nähe mitbekommen hat, zählen vor allem die sogenannten Pushbacks, insbesondere in Griechenland. Von Pushbacks ist die Rede, wenn Personen in ein Land abgeschoben werden, aus dem sie fliehen, auch wenn das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen ist oder sie noch gar keine Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen. Es gibt beispielsweise Videos, die zeigen, wie Schiffe von Frontex mit hoher Geschwindigkeit an Schlauchbooten mit Flüchtenden vorbeifahren, um Wellen zu erzeugen, die das Schlauchboot in Richtung Türkei zurückbewegen sollen. Flüchtlingsbooten wurden zudem wiederholt die Motoren entfernt und die Menschen auf Flösse im Meer ausgesetzt. Solche Operationen sind immer «joint operations» zwischen verschiedenen Landespolizeien (in diesem Fall der griechischen Polizei) und Frontex.

Frontex ausser Rand und Band

Zwischen 2017 und 2020 wurden in Ungarn und in Griechenland immer wieder Frontex-Einsätze gestoppt. Bisher wurden weder Einsatzkräfte suspendiert, noch funktionieren die internen Kontrollmassnahmen, die Beteiligungen an den Pushbacks verhindern sollten. Dies zeigt eine Recherche von SWR2 über Frontex. Laut Spiegel.de war die Agentur sogar informiert über ihr illegales Vorgehen, hat aber nichts dagegen unternommen.

Es gibt aber auch sogenannte Pullbacks, das heisst, dass flüchtenden Menschen nicht erlaubt wird, in europäische Zuständigkeit zu gelangen und damit unter europäischem Recht zu stehen. Für dieses Vorgehen ist Frontex zusammen mit der libyschen Küstenwache verantwortlich. Ein Bericht von Amnesty International vom September 2020 zeigt auf, wie die Zusammenarbeit der libyschen Küstenwache und Frontex es der EU erlaubt, Tausende von Flüchtenden zurück nach Libyen abzuschieben.

Frontex umgeht Seerecht

Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen verpflichtet dazu, jedem Schiff und jedem Menschen in Seenot zu helfen. Das heisst, man muss jedem Schiff auf See helfen, sicher zum nächsten Hafen zu gelangen. Ausserdem sind die Küstenstaaten normalerweise zur Rettung in ihrem nationalen «Search and Rescue»-Gebiet verpflichtet, wie beispielsweise Italien und Malta im zentralen Mittelmeer.

Diese unterstützen allerdings Frontex, Tunesien und Libyen dabei, dass Flüchtlings:boote erst gar nicht in europäische Hoheitsgewässer gelangen, wo sie dann auch an Land gelassen werden müssten: Aktuell fliegt Frontex mit kleinen Propellermaschinen über das Meer, um Schiffe mit Flüchtenden zu erkennen. Die Agentur teilt dies der libyschen Küstenwache mit, die dann das Schiff aufgreift. Diese Taktik erlaubt es Frontex und der EU, die Seerechtskonventionen zu umgehen. Doch bald stehen Frontex nicht nur Flugzeuge zur Verfügung, sondern auch eine militärische Langstreckendrohne für die Überwachung der EU-Aussengrenze. Ende 2020 hat die Agentur den Auftrag dem Unternehmen

Israel Aerospace Industries vergeben. Diese Drohne wurde bis jetzt in Kriegsgebieten für die Überwachung benutzt, so in Mali, Afghanistan und im Gazastreifen. Nun soll sie bald im Mittelmeer eingesetzt werden.

Wir sagen Nein zur Festung Europa und Nein zu Frontex! Helft mit und unterstützt das Referendum!

augenauf Bern