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Klimastreik: Wenn Gymnasiasten gegen Dieselfahrer demonstrieren

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Spontane Bewegungen statt strukturierter Widerstand Klimastreik: Wenn Gymnasiasten gegen Dieselfahrer demonstrieren

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Politik

Klima- gegen Autoschutz, junge Elite gegen Mittelstand, Umwelt- gegen Sozialpolitik. Lässt sich das verknüpfen? Ein Versuch.

Klimastreik in Zürich, 18. Januar 2019.
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Klimastreik in Zürich, 18. Januar 2019. Foto: KS - zVs

Datum 4. Februar 2019
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Gewiss, der Titel ist ein Kurzschluss. Die Gymnasiastinnen und Studenten in der Schweiz demonstrieren mit ihren Schülerstreiks nicht direkt gegen die neuen Gelben Westen, die in Deutschlands Städten gegen Diesel-Fahrverbote auf die Strasse gehen. Und auch nicht ausdrücklich gegen jene in Frankreich, die höhere Treibstoffsteuern bekämpfen. Trotzdem mutet die Situation bizarr an: Null CO2-Emissionen schon ab 2030, also auch Null Diesel, Benzin und Kerosen, verlangt die jugendliche Elite in der Schweiz. Freie Fahrt für alle Autos fordern die von Porsche-Mitarbeiter Ioannis Sakkaros angeführten Gelben Westen an den gestrigen und heutigen Demonstrationen in Stuttgart, wo die Regierung ab 1. Januar partielle Fahrverbote für alte Dieselautos (Euro Norm 4) einführte.

Die gegensätzlichen Demonstrationen erinnern etwas an die 1980er-Jahre. Damals forderten die Grünen und die Umweltverbände Benzinrationierungen und Tempo 100 auf allen Autobahnen, um Luftverschmutzung und Waldschäden zu bekämpfen. Strassenverkehrsverbände und die Autopartei reagierten mit dem Slogan «Freie Fahrt für freie Bürger». Technischer Umweltschutz (Katalysatoren) und Tempo 120/80 entschärften diesen Konflikt. Der Ausstoss von Stickoxiden, Kohlenwasserstoff sowie die Ozonkonzentration in der Atemluft sanken. Die klimarelevanten CO2-Emissionen aber stiegen weiter. Der Siegeszug des Autos und die Abhängigkeit von dieser unproduktiven Mobilität setzten sich fort.

Spontane Bewegungen statt strukturierter Widerstand

Doch in der Auseinandersetzung zwischen Umwelt- und Autobewegten hat sich seither Wesentliches verändert: In den 1980er-Jahren und danach gab es klare politische Fronten. Sachwalter der Natur waren die Grünen, Umweltorganisationen und, mit einigen Ausnahmen, die Linken. Auf der andern Seite standen Wirtschafts-, Autoverbände und bürgerliche Parteien. Dazwischen gab es Verhandlungsplattformen – von Parlamenten bis zu runden Tischen.

Die heutige Auseinandersetzung entstand spontan und eher zufällig. Einzelne Ereignisse oder Personen brachten ein latentes Unbehagen oder eine lange unterdrückte Wut zum Ausbruch. Eindeutige Strategien oder Strukturen aber fehlen. Denn streikende Schülerinnen und Gelbe Westen wehren sich gleichermassen gegen jegliche Vereinnahmung ihrer Bewegung. Etablierte Parteien oder Gruppen, die auf den einen oder andern Sponti-Zug aufspringen möchten, werden abgewiesen. Eine Sondersession des Parlamentes, wie weiland zum Waldsterben, steht nicht auf dem Programm. Das erschwert traditionelle politische Verhandlungen.

Dazu kommt: Die heutigen Fronten sind verschoben. Langfristige stehen kurzfristigen Interessen gegenüber. Schülerinnen und Studenten streiken für ein erträgliches Klima in der Zukunft, Gelbe Westen für freie Fahrt oder tiefere Steuern hier und jetzt. Die grünen Forderungen sind eher elitär, diejenigen der Gelben Westen eher proletarisch. Ökologische und soziale Anliegen stehen sich hier diametral entgegen. Ein gemeinsamer Nenner ist nicht erkennbar.

Ungleicher Konflikt, gleiche Ursachen

Dieser neue Konflikt lässt sich aber auch deshalb nicht schnell auflösen, weil die Ursachen eine lange Vergangenheit haben. Wirtschaft und Regierungen haben der Bevölkerung seit Beginn der 1950er-Jahre weis gemacht, das Wachstum von Wirtschaft und Wohlstand lasse sich ewig und unbegrenzt fortsetzen. Wirtschaftsförderung hatte stets Priorität gegenüber ordnenden Eingriffen, sowohl gegenüber der Umwelt- als auch gegenüber der Siedlungspolitik und Raumplanung.

Damit nahm die internationale Arbeitsteilung zu. Sie stärkte die Zentren, schwächte die Peripherie und vergrösserte die wirtschaftliche und gesellschaftliche Kluft zwischen urbanen Eliten und ländlicher Bevölkerung. Gleichzeitig schritt die räumliche Entflechtung von Wohn-, Arbeits- und Konsumstandorten voran. Die Agglomerationen wucherten weit ins Land hinaus. Die Pendeldistanzen und übrigen Verkehrswege verlängerten sich, und die Abhängigkeit vom Auto nahm zu. In Frankreich, Italien oder Deutschland ist diese Abhängigkeit heute ausgeprägter als hierzulande, weil die Regierungen die Bahnen dort aus der Fläche abzogen, während die Schweiz ihren öffentlichen Verkehr ausbaute und die Fahrpläne verdichtete.

Unterschiedliche Opfer, schwer fassbare Feinde

Unter dieser Entwicklung leidet heute die Jugend. Ihr hinterliessen die Alten und Profiteure der Hochkonjunktur die mit Klimagasen überlastete Luft, mit Schadstoffen übersäte Böden und verschandelte Landschaften. Ebenso leiden die Angehörigen des unteren Mittelstands in der Peripherie. Die Globalisierung drängte sie an den Rand, machte sie zu Autoabhängigen und liess sie – relativ – verarmen.

Aus diesem Grund kämpfen beide Gruppen gegen einen schwer fassbaren Feind: Die Klimastreikenden gegen die wachsende Menge an CO2, die Gelben Westen gegen die ungleiche Verteilung von Wohlstand, Beachtung und automobiler Freiheit, denn nicht alle können sich den Umstieg auf neue Diesel- oder Elektroautos leisten.

Für den ungleichen Kampf gibt es keine gemeinsame Basis. Nur eine vage Ahnung, welche eine Gruppe von jugendlichen Demonstranten auf ihrem Transparent formulierte: «System Change, not Climate Change». Das ist ein langer Weg – länger als bis zum Jahr 2030.

Hanspeter Guggenbühl / Infosperber