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Zürich: Leerstand - Notstand - Aufstand. Sozialdemokratische Politik in einer neoliberalen Stadt

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Sozialdemokratische Politik in einer neoliberalen Stadt Zürich: Leerstand - Notstand - Aufstand

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Politik

Dass in Zürich eine Wohnungskrise herrscht, brauchen wir niemandem zu erzählen. Leerstand gibt es vor allem bei Büros und Verkaufslokalen, freie Wohnungen gibt es kaum.

Leerstand - Notstand - Aufstand.
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Leerstand - Notstand - Aufstand.

Datum 4. Dezember 2023
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Am 1. Juni 2023 waren in der Stadt ganze 144 Wohnungen zur Vermietung ausgeschrieben. Das ist ein Anteil von 0.06%, was offiziell als Wohnungsnotstand bezeichnet wird. Darauf angesprochen merkte ein Immobilienberater gegenüber der Zeitung 20 Minuten an, dass es deswegen eigentlich «Strassenschlachten geben müsste».

Unsere Krise – ihre Profite

Es wird immer schwieriger, eine Wohnung zu finden, die man sich leisten kann. Bei Wohnungsbesichtigungen bilden sich lange Schlangen und auf den Immobilienportalen werden absurde Preise verlangt. Die Mieten stiegen im letzten Jahr um sechs Prozent. Seit 2005 sind die Preise für das Wohnen in der Stadt Zürich explodiert: 15 Prozent Anstieg bei bestehenden Mietverträgen und 39 Prozent bei den Neumieten. Die Neumieten betreffen junge Menschen, die aus ihrem Elternhaus ausziehen, aber auch neugegründete Familien, Lohnabhängige aus anderen Gemeinden, die in der Stadt arbeiten und vor allem diejenigen, die sich aufgrund von Sanierungen ihre ehemaligen Wohnungen nicht mehr leisten können und in Zürich keinen neuen Wohnraum finden.

Wir kriegen die Krise, das Immobilienkapital macht fette Profite. In der ganzen Stadt wird günstiger Wohnraum teuer saniert oder gleich ganz abgerissen, um aus luxuriösen Appartements und Ersatzneubauten noch mehr Kohle rauszuholen. Immobilien sind «sichere Wertanlagen», weshalb gerade in Krisenzeiten Banken, Versicherungen und Pensionskassen ihr Kapital in diesen Sektor pumpen. Institutionelle Anleger kaufen Immobilien und sanieren was das Zeug hält, was die Preise und Mieten nach oben treibt. Die grösste Vermieterin der Stadt ist die UBS (inkl. CS), gefolgt von Swiss Life. Diese Wertanlagen sind deshalb sicher, weil wir ja irgendwo wohnen müssen und deshalb gezwungen sind, die immer weiter steigenden Mieten zu bezahlen.

Sozialdemokratische Politik in einer neoliberalen Stadt

Auch die linken Parteien – allen voran die SP – haben die Wohnungskrise als Wahlkampfthema entdeckt. Sie prangern die Verhältnisse so lautstark an, dass man manchmal fast vergisst, dass in Zürich seit bald dreissig Jahren eine links-grüne Regierungsmehrheit am Ruder ist. Und diese Mehrheit macht eine durchaus erfolgreiche Politik – für den Wirtschaftsstandort.

In den 1990er Jahren war Zürich wie viele andere Städte von der Deindustrialisierung gezeichnet. Jobs in der Industrie wurden abgebaut, Wohlhabende zogen in die Agglomeration. Zurück blieb eine sogenannte «A-Stadt», bewohnt von Armen, Alten, Arbeitslosen und Ausländer:innen. Für die Bewohner:innen bedeutete das aber auch günstige Mieten und viel Platz: In dieser Zeit beginnt auch die Hochphase der Hausbesetzer:innen-Bewegung. Nach und nach wurde die Stadt Zürich jedoch wieder hip und attraktiv. Die Sozialdemokrat:innen betrieben erfolgreiche Standortpolitik und betreiben sie bis heute. Standortpolitik heisst, finanzkräftige Unternehmen und Bewohner:innen anzuziehen und die Armen, Arbeitslosen und Randständigen aus der Stadt zu verdrängen. Sie passen nicht mehr ins Stadtbild und kosten nur Geld. Aufwertung heisst Vertreibung. Weil wir keine Wohnung mehr finden. Weil uns unsere Treffpunkte genommen werden. Weil Menschen mit erhöhter Polizeipräsenz und rassistischen Personenkontrollen drangsaliert werden.

Das Gentrifizierungs-Portfolio der sozialdemokratischen Stadtregierung ist lang: Mit der Europaallee hat sie eine Schneise der Verdrängung durch ein ehemals proletarisches Quartier gezogen. Kleine Läden, altes Gewerbe und ansässige Lohnabhängige mussten hippen Kaffees, Shops für Luxusartikel und Menschen mit grossen Portemonnaies Platz machen. Und weil eine Europaallee nicht reicht, wurde auf der anderen Seite der Gleise mit der Zollstrasse gleich noch eine zweite gebaut. Wie die Europaallee ist auch der Andreasturm in Oerlikon ein Projekt der SBB Immobilien. Als Wolkenkratzer aus Glas und Beton aus dem Baukasten neoliberaler Stadtaufwertung entnommen und von den Prime-Tower-Architekt:innen entworfen, bietet der Andreasturm Platz für Büroflächen, teure Läden und schicke Gastrobetriebe. Die SBB Immobilien sind zwar ein Staatsbetrieb, haben aber den Auftrag, so viel Profit wie möglich zu generieren. Was das bedeutet, haben wir beim Neugasse-Areal gesehen: Auf die Forderung der Stadtbevölkerung, dort gemeinnützigen Wohnraum statt Luxuswohnungen zu bauen, sperrt sich die SBB und baut auf dem Areal vorläufig einfach gar nichts.

Widerstand von unten bauen

Das Immo-Kapital und die Stadtregierung haben die Rechnung ohne uns – die Bewohner:innen dieser Stadt – gemacht. Erst kürzlich hat eine breite Bewegung in Wollishofen einen Deal zwischen dem damaligen SP-Stadtpräsidenten und der Kibag Holding AG vermasselt: Beim GZ Wollishofen dürfen jetzt keine teuren Blocks gebaut werden. Das linke Seeufer gehört allen!

Immer mehr Menschen organisieren sich in ihrem Quartier. Wir tun uns mit unseren Nachbar:innen zusammen, um den Verkauf, die Luxussanierung oder den Abriss unserer Häuser zu verhindern. Wir wehren uns gegen die Überbauung von Erholungsräumen. Wir besetzen leerstehende Häuser, um Orte für Wohnraum und Kultur zu schaffen, die allen offenstehen und nicht nur den Gutbetuchten. Und ab und zu ziehen wir als wütend-shiny «Reclaim the Streets»-Umzug durch die Strassen und geben einen Tropfen Sachschaden auf den heissen Stein der Gentrifizierung. Like a Diamond in the Sky!

«Oisi Stadt, oisi Quartier» ist nicht nur eine Demoparole, sondern eine Perspektive. Organisieren wir uns! Lasst uns widerständige Quartiere schaffen. Egal ob Mietwohnungen oder Squats: Verteidigen wir gemeinsam unsere Häuser und Freiräume, genauso wie unsere Parks, Spielplätze und Badestellen, unsere Kneipen und Kiosks, unsere Werkstätten und Ateliers, all das, was unsere Quartiere lebenswert macht. Es ist Zeit, die Gestaltung unserer Quartiere, unserer Stadt und den Verlauf unserer Geschichte in die eigenen Hände zu nehmen. Dahin kommen wir nur, wenn wir widerständige Strukturen von unten bauen und gemeinsam als Klasse kämpfen.

Die Wohnungsfrage ist eine Klassenfrage

Als Arbeiter:innen, als Mieter:innen, als Arbeitslose und Geringverdienende dieser Stadt, als an den Rand gedrängte und Obdachlose, als Erziehungspersonen und alleinerziehende Mütter, als von Sexismus Betroffene und als Menschen die ständig rassistischen Polizeikontrollen ausgesetzt sind, stehen wir der Klasse der Besitzenden unversöhnlich gegenüber. Ihr materielles Interesse an schrankenloser Anhäufung von Kapital und der Maximierung ihrer Profite laufen unserem Bedürfnis nach einem guten Leben entgegen. Wir sind es, die mit unserer Arbeit, unserer sozialen Reproduktion und unserer gesellschaftlichen Praxis, die Stadt zu dem machen, was sie ist. Wir sind es, die den Wohlstand dieser Gesellschaft schaffen, den sich die Besitzenden im Prozess der kapitalistischen Produktion und Zirkulation unter den Nagel reissen.

Die Gentrifizierung ist ein Angriff des Kapitals auf die proletarische Bevölkerung. Wir dürfen aber nicht vergessen: Die Wohnkrise steht nicht für sich alleine. Sie ist ein Ausdruck des krisenhaften Kapitalismus. Die Wohnungskrise ist Teil der Krise der sozialen Reproduktion. Die steigenden Mieten gehen mit steigenden Preisen für Lebensmittel, höheren Energiekosten und teureren Krankenkassenprämien einher. Dazu kommen die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Immer mehr von uns haben Schwierigkeiten, ihr Leben zu bestreiten. Der Druck steigt.

Die Kämpfe gegen steigende Mieten gehören also zusammen mit Kämpfen um höhere Löhne, für bezahlbare Lebenshaltungskosten, für den Zugang zu sozialer und medizinischer Versorgung, für körperliche Selbstbestimmung, Bewegungsfreiheit und Bleiberecht für alle. Es liegt auf der Hand, dass wir uns nicht auf die Versprechen der Politik verlassen, mag sie noch so sozial und grün daherkommen. Vielmehr müssen wir auf die eigenen Kräfte setzen und unsere Kämpfe auf alle Bereiche des Lebens ausweiten. Auf ihre Wohnungskrise antworten wir mit unserer Klassensolidarität und kollektivem Widerstand!

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