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Bewegungslinke, Anarchismus und (Anti-)Politik (Teil 1)

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Ein Plädoyer für einen Bewegungsanarchismus und (Anti-)Politik Bewegungslinke, Anarchismus und (Anti-)Politik (Teil 1)

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Politik

Mit dem folgenden Beitrag möchte ich eine kritische Debatte über unser Politikverständnis anregen, über das Verhältnis von Anarchismus und Bewegungslinke reflektieren und auf meine Tätigkeiten hinweisen.

Anarchist:innen am 1. Mai 2021 in Wrocław, Polen
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Anarchist:innen am 1. Mai 2021 in Wrocław, Polen Foto: Mafo (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 21. März 2023
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Politik aus anarchistischer Perspektive zu verstehen, kann dazu beitragen, die Diskussion über unsere Strategien und Praktiken zu erweitern. Dazu gilt es, sich die ambivalente Ablehnung von Politik und die Bezugnahme auf sie durch Anarchist*innen anzuschauen, welche sich anders gestaltet als bei linksradikalen Strömungen. Seit vielen Jahren verstehe mich selbst als Anarchist und habe an einigen Ereignissen teilgenommen, zu welchen auch die IL mobilisiert hatte. Darunter waren die Proteste gegen den Naziaufmarsch in Dresden, COP15, Castor Schottern, Blockupy und den G20-Gipfel. Auch wenn sich der Schwerpunkt meiner Aktivitäten inzwischen verändert hat, bin ich weiterhin der Ansicht, dass grundlegender Wandel nur durch Druck auf der Strasse, vielfältige direkte Aktionen und selbstorganisierte Basisarbeit gelingen kann.

Anarchist*innen und die Bewegungslinke

In bewegungslinken Gruppierungen und Netzwerken finden sich Personen zusammen, welche sich in den drei Hauptströmungen des Sozialismus verorten lassen: Sozialdemokratie, Parteikommunismus und Anarchismus. Statt vorrangig um ideologische Positionen zu ringen, wie in Gruppen, welche sich nach ihrer Gesinnung zusammenfinden, oder um Programme, Posten und die Wähler*innengunst in Parteien, steht in Gruppen der Bewegungslinken die gemeinsame Aktion im Vordergrund. Auch wenn Kontroversen keineswegs ausbleiben, schafft dies die Grundlage für die Zusammenarbeit von Personen, welche von unterschiedlichen Strömungen geprägt sind. Dies ist begrüssenswert, wenn die Einsicht darin besteht, dass umfassende Gesellschaftstransformation zwar nicht durch die anzuführenden Massen gelingen kann, wohl aber der unterschiedlichen Vielen bedarf, die sich verbünden.

Es gibt wenige Personen, die sich als Anarchist*innen verstehen und bei der IL organisiert sind. Häufiger aber kommt es vor, dass anarchistische Zusammenhänge sich an Aktionen der Bewegungslinken beteiligen und dennoch einen gewissen Abstand zu ihr wahren. Und dafür gibt es nachvollziehbare Gründe: Erstens sind Anarchist*innen der Adressierung von Massen gegenüber skeptisch, weil diese oftmals eher lethargisch wirken, als dass sie Spontaneität entstehen lassen. Auch Aktionen, die auf eine grosse Zahl von Menschen setzen, können demnach nur so gut funktionieren und emanzipatorisch wirken, wie jene, die sich an ihr beteiligen in Bezugsgruppen organisiert sind und sich auch im Alltag organisieren. Zweitens kritisieren Anarchist*innen die Symbolpolitik, welche teilweise in Aktionen zivilen Ungehorsams bedient und gefördert wurden. Vor allem auf die mediale Wirksamkeit zu setzen, erzeugt noch keine Gegenmacht.

Drittens wird eine Kritik an dem Ereignis des Massenprotestes geübt. Wenn dieser vor allem als spektakuläres Erleben schmackhaft gemacht wird, um Menschen dafür zu mobilisieren, kann er nicht nachhaltig und tiefgreifend sein. Ein vierter Punkt betrifft die teilweise intransparente Weise, wie Aktionskonsense zu Stande kommen und kommuniziert werden. Dies verweist auch auf Hierarchien im Hintergrund, wie sie freilich auch in anarchistischen Organisationen bestehen. Fünftens wird das »Bewegungs-Management« als problematisch erachtet, in welchem professionelle Strateg*innen sich beispielsweise anmassen, bestimmte Ausdrucksformen vorab bestimmen oder an Protesten beteiligte Gruppen wie Schachfiguren platzieren zu wollen. Schliesslich können Engagierte in linken Bewegungen, sechstens, auch dazu tendieren, Aktionen von anderen Gruppierungen zu vereinnahmen oder sich gegebenenfalls unsolidarisch von ihnen zu distanzieren.

Diese Kritikpunkte sind nicht neu. Sie werden auch nicht alleine von ausgewiesenen Anarchist*innen vorgetragen. Es handelt sich um beobachtbare Effekte, welche es den eigenen Ansprüchen entsprechend zu reflektieren gilt und auf die es verschiedene Antwortmöglichkeiten gibt. Die anarchistische Perspektive auf die Bewegungslinke ist wichtig, damit diese sich weiter entwickeln kann.

Ein Bewegungs-Anarchismus?

Anarchist*innen organisieren sich – auf den gegenwärtigen Zeitpunkt und den deutschsprachigen Kontext bezogen – nicht als eine Bewegung, sondern in verschiedenen, sich mehr oder weniger überschneidenden Szenen. Spätestens seit dem Wirken der Anti-Globalisierungsbewegung stehen sie dabei vor dem Phänomen, dass zahlreiche Praktiken, Stile, Organisations- und Aktionsformen, als auch einige theoretische Überlegungen in linken Bewegungen aus der anarchistischen Tradition stammen, während es zugleich nur wenige explizit anarchistische Gruppen gibt. Gerade die Erfahrungen, welche Menschen in radikalen Kämpfen an Hotspots machen, bringen neue Einsichten und Handlungsweisen hervor, welche dann häufig adaptiert und im schlimmsten Fall von der Herrschaftsordnung vereinnahmt werden. Über die ideologischen Positionierungen hinaus sind Anarchist*innen diesen Prozessen gegenüber skeptischer als viele linke Akteur*innen. Sie werfen ihnen teilweise vor, im gegebenen politischen Rahmen zu verharren.

Es ist keineswegs selbstverständlich, dass Anarchist*innen sich dennoch an linken Bewegungen beteiligen. Manche finden sich vorrangig in Gesinnungsgruppen zusammen, andere konzentrieren sich vollständig auf Basisgewerkschaften und einige bevorzugen autonom agierende Affinitätsgruppen. Darüber hinaus lässt sich aber ebenso das Vorhandensein eines »Bewegungs-Anarchismus« feststellen, der sich zeitgenössisch insbesondere in der radikalen Ökologiebewegung und queerfeministischen Kontexten zeigt. Historisch können zum Beispiel Errico Malatesta, Johann Most, Emma Goldman und Christiaan Cornelissen als bewegungslinke Anarchist*innen bezeichnet werden. Als Anarch@-Kommunist*innen verstanden sie sich als libertär-sozialistischer Flügel innerhalb von sozialen Bewegungen, insbesondere in der Arbeiterbewegung, der Genossenschaftsbewegung, anti-militaristischen, anti-klerikalen und feministischen Bewegungen.

Ein Selbstverständnis als libertär-sozialistischer Flügel innerhalb von Bewegungen wäre für jene Anarchist*innen, die sich gegenwärtig in sozialistischen Gruppen und Protesten beteiligen, sinnvoll. Es würde aber auch der Bewegungslinken insgesamt gut tun. Allerdings umfasst dies auch eine Perspektive gegen und jenseits parlamentarischer Politik und geht damit über die blosse ausserparlamentarische Opposition hinaus. Damit tritt der libertär-sozialistische Flügel innerhalb der Bewegungslinken auch für eine kritische Distanz zur Linkspartei ein, die sich auch über dogmatische Abgrenzungsreflexe hinaus stichhaltig begründen lässt. Wie erwähnt ist ein Bewegungs-Anarchismus heute keine Realität. Um ihn zu organisieren, bedürfte es strategischer Diskussionsprozesse innerhalb und ausserhalb der Bewegungslinken, die sich meiner Ansicht nach lohnen.

Jonathan Eibisch