Es gibt eine Grundvoraussetzung emanzipatorischer Praxis in der sich entfaltenden Weltkrise des Kapitals, die schlicht nicht aufgegeben werden kann. Es gilt, den Menschen zu sagen, was Sache ist. Das, was die meisten Menschen ahnen oder dumpf spüren, muss klar benannt und zur Grundlage sozialer Bewegungen und Kämpfe werden: Der Kapitalismus ist am Ende[2] – und in seiner Agonie droht er, die Menschheit mit sich in den Abgrund zu reissen, indem er ihr die sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen entzieht. Das kapitalistische Weltsystem stösst an seine inneren[3] und äusseren Entwicklungsgrenzen.[4] Die Wirtschafts- und die Klimakrise[5] bilden dabei nur zwei Momente desselben Krisenprozesses, bei dem der uferlose Wachstumszwang des Kapitals – das Bestreben, vermittels der Ausbeutung von Arbeit in der Warenproduktion aus Geld mehr Geld zu machen – eine ökologisch verwüstete Welt und eine ökonomisch überflüssige Menschheit produziert.
Es gilt folglich, bewusst im gesellschaftlichen Kampf und Diskurs nach Wegen aus dem Krisen- und Katastrophenkapitalismus zu suchen, da die Welt in Barbarei zu versinken droht. Die Überwindung des Kapitalverhältnisses ist somit Richtschnur aller linken Praxisbemühungen. Soziale Kämpfe, Proteste und Bewegungen müssen somit als Teilmomente eines Transformationskampfes um eine postkapitalistische Gesellschaft begriffen und geführt werden. Dies, die Überwindung des weltweit amoklaufenden Verwertungszwangs des Kapitals, ist das absolute Minimum, die Conditio sine qua non jeglicher Zivilisationsentfaltung im 21. Jahrhundert. Sagen, was Sache ist, bedeutet somit, die Überwindung des kollabierenden Kapitals als zivilisatorische Überlebensnotwendigkeit klar zu benennen. Alle progressive Praxis muss sich an dieser Realität der Systemtransformation orientieren. Und eben dieses Insistieren auf der Notwendigkeit der emanzipatorischen Systemtransformation[6] stellt auch die klare Trennlinie zum linken Opportunismus dar, zum Bestreben, in der Krise vermittels Demagogie noch schnell Karriere als Krisenverwalter zu machen.[7]
Die Überführung des Kapitals in Geschichte stellt den letzten kapitalistischen Sachzwang dar. Jede sich links nennende Gruppe oder Partei, die graduelle Veränderung predigt, ohne dabei die Systemkrise zu thematisieren und die Notwendigkeit der Systemtransformation zu betonen, ist faktisch opportunistisch, wenn nicht gar reaktionär.[8] Es gibt in der eskalierenden Systemkrise keine Möglichkeit mehr, Reformpolitik zu machen, die „erfolgreich“ wäre, da diesem Unterfangen schlicht die an Intensität gewinnenden Krisenverwerfungen im Weg stehen. Fortschrittliche Praxis kann sich nur noch anhand des Bemühens um einen progressiven Verlauf der unausweichlichen Systemtransformation entfalten. Dies ist kein linker „Radikalismus“, sondern ein aus Einsicht in den Krisencharakter gewonnener Realismus. Die Krise läuft als ein fetischistischer, unkontrollierbarer Prozess über die Gesellschaft ab,[9] der sich konkurrenz- und marktvermittelt entfaltet, ohne auf die Ansichten und Kalküle der Insassen der kapitalistischen Tretmühle zu achten.
Auch wenn die Lohnabhängigen es nicht wahrhaben wollten, auch wenn alle relevanten Bevölkerungsschichten am Kapitalismus sich festklammern würden, wird das System an seinen inneren Widersprüchen zerbrechen. Offen ist hingegen, was danach kommt – und eben darum gilt es den Kampf, den Transformationskampf zu führen. Evident wird diese Agonie des Kapitals an den globalen Schuldenbergen, unter denen viele Ökonomien zusammenzubrechen drohen, sowie an den beständig steigenden CO2-Emissionen, die eine im irrationalen Wachstumszwang verfangene kapitalistische Weltwirtschaft produziert.[10] Ein Absturz in die Barbarei während des nun anstehenden, ergebnisoffenen Transformationsprozzesses kann aber nur dann von einer emanzipatorischen Bewegung verhindert werden, wenn dieser von ihr gesellschaftlich reflektiert, begriffen und bewusst im Rahmen des ebenso unausweichlichen Transformationskampfes gestaltet wird. Um dies erreichen zu können, muss die Linke, aufbauend auf radikaler Krisentheorie, den Menschen sagen, was Sache ist. Ansonsten wird die fetischistische Eigendynamik des Kapitals die Welt unbewohnbar machen. Diese einleitenden Thesen sollen im Folgenden ausgeführt und begründet werden.
Unbewältigte Natur
Die widersprüchliche kapitalistische Produktionsweise ist somit nicht nur die Triebfeder[11] der sich häufenden Schulden- und Wirtschaftskrisen,[12] sie ist auch die Ursache der sich entfaltenden Klimakatastrophe. Und es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass der „menschengemachte“ Klimawandel massgeblich von dem Gesellschaftssystem – von der Art und Weise der gesellschaftlichen Organisation und Reproduktion – verursacht wird, in dem die Menschen zu leben genötigt sind. Diese Tatsache liegt offen auf der Hand. Die Klimakrise ist eine kapitalistische Klimakrise, es ist ein „kapitalgemachter Klimawandel“. Dass es dennoch als etwas Ungeheuerliches erscheint, diese einfache, unbequeme Wahrheit auszusprechen, liegt an dem ungeheuren ideologischen Druck, der auf dem gesellschaftlichen Diskurs lastet – und der Ausdruck der zunehmenden Dichte wie auch Krisenanfälligkeit kapitalistischer Vergesellschaftung ist, die jedes oppositionelle Denken wie Handeln durch Opportunismus[13] oder Repression zu ersticken bemüht ist.[14]Der Kern kapitalistischer Ideologie besteht eigentlich seit der Aufklärung darin, den Kapitalismus als eine „natürliche“, in sich widerspruchslose und dem menschlichen Wesen angemessene Produktionsweise zu ideologisieren, als eine Gesellschaftsformation, die einfach nur Ausdruck der menschlichen Natur sei und sich – spätestens seit dem Aufkommen des Sozialdarwinismus – ökonomisch entlang derselben Gesetzmässigkeiten entfalte, wie die „natürlichen“, ökologischen Systeme. Folglich ist diese synthetische „kapitalistische Natur“ der subjektlosen Herrschaft des Kapitals[15] mit ihren Vermittlungsebenen von Markt, Politik, Justiz, Kulturindustrie, etc. immer nur Grundlage, niemals Gegenstand des veröffentlichten Diskurses spätkapitalistischer Gesellschaften. Und gerade deswegen gewinnt in Krisenzeiten die schnell ins Faschistische abdriftende Sündenbocksuche so an Popularität,[16] da die „natürliche“ Marktwirtschaft buchstäblich als natürlich, potenziell widerspruchslos imaginiert wird. So erscheint dem „aufgeklärten“ Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft der Kapitalismus so „natürlich“, wie dem mittelalterlichen Menschen der Feudalismus als gottgegeben erschien.
Und dennoch enthält die landläufige Ideologie vom „natürlichen Wesen des Kapitalismus“ ein verzerrtes Körnchen Wahrheit. Es gibt eine Parallele zwischen den ökologischen und ökonomischen Krisenprozessen, die deren Wahrnehmung als „naturgegeben“ befördert: Das Stück „ungebändigter Natur“ inmitten der Gesellschaft, das die Illusion eines kapitalistischen Naturzustandes befördert, besteht aus dem unkontrollierbaren Verwertungsprozess des Kapitals, also aus dem oben erwähnten gesellschaftlichen Fetischismus. Die destruktive Verwertungsdynamik des Kapitals, unbewusst von Marktsubjekten – „hinter ihrem Rücken“, da marktvermittelt – hervorgebracht, erscheint als ein natürliches Phänomen, das über die Gesellschaft abläuft. Insbesondere in Krisenschüben tritt dieser Fetischismus offen hervor, wenn die „Wirtschaft“ plötzlich Amok läuft und „Krisengewitter“ oder „Marktbeben“ ganze Regionen – gleich extremem Wetterereignissen – sozioökonomisch verwüsten. Das Gefühl, an quasi natürliche, anonyme und übermächtige Kräfte ausgeliefert zu sein, wird dann evident.
Diese unbewusst von den Marktsubjekten bei ihrer scheinrationalen Jagd nach grösstmöglichen Profiten hervorgebrachte, irrationale Eigendynamik des Kapitals stellt somit das Moment unbewältigter Pseudo-Natur dar, das aufgrund seiner zunehmenden inneren Widersprüche die Zivilisation und deren ökologische Grundlagen vernichtet. Solange das Kapital in seinem uferlosen Formwandel von Geld, Ware und mehr Geld blindwütig unter immer grösseren Friktionen durch die Gesellschaft hindurch prozessieren wird, können weder die Klimakrise, noch die soziale Krise überwunden werden.
Es kommt somit darauf an, diesen Fetischismus, diese kapitalistische Pseudonatur zu überwinden, um die natürlichen Grundlagen menschlicher Gesellschaft zu erhalten. Letztendlich muss gewissermassen der menschliche Zivilisationsprozess zum Abschluss gebracht werden, die unbewusste Reproduktion der Gesellschaft vermittels blind ablaufender Verwertungsprozesse muss in einem ungeheuren Transformationsprozess durch die bewusste Organisation und Diskussion der gesellschaftlichen Reproduktion ersetzt werden, die sich nicht mehr der uferlosen, irrationalen Anhäufung immer grösserer Quanta verausgabter abstrakter Arbeit in der Kapitalform unterordnet, sondern die direkte Bedürfnisbefriedigung jenseits der Warenform zum rationalen Ziel hat.
Was ist das Kapital? Was muss überwunden werden?
Aus diesen Ausführungen zum „naturhaft“ erscheinenden gesellschaftlichen Fetischismus erschliesst sich auch, was unter dem Begriff des Kapitals zu verstehen ist, das in Geschichte überführt werden muss. Das Kapital ist somit kein Ding, es ist nicht nur das Geld, oder die Fabrik und die Maschinerie. Es ist auch nicht einfach nur eine Person, wie der Kapitalist, der Manager oder der Spekulant. Diese verkürzte Sichtweise führt zur Verdinglichung oder zur Personifizierung des Kapitals, was wiederum Grundlage aller Ideologie im Kapitalismus ist.Das Kapital ist als ein soziales Verhältnis zu verstehen, als ein Kapitalverhältnis, das die Gesellschaft als ein blosses Durchgangsstadium seiner uferlosen Plusmacherei bei der Warenproduktion durchschreitet. Erst innerhalb dieser Verwertungsbewegung – der Verfeuerung von Ressourcen mittels Arbeit zwecks Profitmaximierung – müssen Menschen oder Dinge zu Kapital werden. Der Arbeiter und der Manager fungieren nach Feierabend nicht mehr als Kapital. Dasselbe gilt für die Werkzeuge in ihren Hobbykellern, die einfach nur Gebrauchsgegenstände sind, während sie in der Fabrik als (konstantes) Kapital fungieren. Das Kapitalverhältnis ist somit als diese auf permanentes Wachstum geeichte, die ganze Gesellschaft erfassende Verwertungsdynamik zu verstehen. Das Kapital in all seinen sozialen und ökologischen Widersprüchen ist somit eine Realabstraktion, die bei jedem Verwertungskreislauf einen Formwandel von Geld, zu Ware und schliesslich zu mehr Geld erfährt: die konkreten Dinge und Menschen werden von ihm in möglichst effiziente Bewegung gesetzt, um in einem irrationalen Selbstzweck immer grössere Quanta abstrakter Arbeit (der Quelle und Substanz des Kapitals) zu akkumulieren.
Dieser realabstrakte Wachstumszwang des Kapitals ist somit gewissermassen totalitär; das Kapitalverhältnis wird zur sozialen Totalität. Auf der Flucht vor seinen inneren und äusseren Widersprüchen okkupiert es alle gesellschaftlichen Bereiche und Nischen – mit Ausnahme der abgespaltenen, weiblich konnotierten Sphäre der häuslichen und familiären Reproduktion[17] – und führt diese der Verwertung zu. Der Staatsapparat, die rechtlichen und politischen Institutionen, die politischen, wirtschaftlichen, juristischen und ideologischen Vermittlungsebenen von Herrschaft – sie sind in einem blind ablaufenden historischen Prozess vom Kapitalverhältnis hervorgebracht und geformt worden. Gerade in seiner Agonie hat das Kapital somit die gesamte Gesellschaft, soweit dies möglich war, bis in die subkulturellen Regungen hinein, sich untertan gemacht. Die subjektlose Herrschaft des Kapitals ist in dem historischen Moment total, an dem es an seinen Widersprüchen erstickt. Und es sind eben all diese durch das Kapital hervorgebrachten oder geformten Institutionen und Vermittlungsebenen, die nun gemeinsam mit der Kapitaldynamik kollabieren.
Was überwunden werden muss, ist somit diese blind ablaufende, die menschlichen Gesellschaft wie die Ökosysteme verheerende Verwertungsbewegung des Kapitals. An die Stelle dieses destruktiven Fetischismus muss die bewusste Verständigung der Gesellschaftsmitglieder über den Reproduktionsprozess der Gesellschaft treten, ohne dass dabei die Tätigkeiten geschlechtsspezifisch o.ä. aufgeteilt werden. Dies ist überlebensnotwendig, gerade weil dieser Verwertungsprozess, an dessen Tropf alle kapitalistischen Gesellschaften in Form von Steuern und Löhnen hängen, an seinen Widersprüchen zugrunde geht. Damit aber gehen mit dem Kapital auch die Institutionen und sozialen Strukturen zugrunde, die es historisch hervorgebracht hat. Die postkapitalistische Gesellschaftsreproduktion kann daher gerade nicht in den Formen einer „Verstaatlichung“ ablaufen, wie sie etwa von orthodoxen Linken imaginiert wird, da der Staat in seiner Eigenschaft als „ideeller Gesamtkapitalist“ eine historisch gewachsene, notwendige Institution des Kapitalismus ist, die ja vom Kapital durch Steuern finanziert werden muss – deswegen kollabierten viele überschuldete Staaten der Peripherie schon in den 90ern zu „failed states“, sobald der Krisenprozess einen gewissen Reifegrad überschritten hatte. Der Staat ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems.
Die Krise schreitet in einem historischen Prozess, der schon mit den Schuldenkrisen der „Dritten Welt“ in den 80ern einsetzte, schubweise von der Peripherie des Weltsystems in die Zentren voran. Deshalb kann die Krisenzukunft anhand des Krisenverlaufs in der Peripherie erahnt werden. Ohne bewusste, emanzipatorische Überwindung des kollabierenden Kapitalverhältnisses wird dieses in ähnlich barbarische Formen aus Anomie oder Krisendiktatur verfallen, wie in Somalia, Kongo oder Eritrea[18] – sofern dem Zivilisationsprozess nicht durch einen katastrophalen Atomkrieg ein Ende bereitet wird. Mad Max oder 1984 – das ist die systemimmanente Alternative, die der Kapitalismus in seiner Agonie offenlässt.
Motivation: There is no Alternative to Transformation
Aus dem hier geschilderten Krisencharakter als einem fetischistischen Prozess zunehmender innerer Widerspruchsentfaltung des Kapitalverhältnisses resultiert somit die Notwendigkeit des Kampfes um dessen emanzipatorische Überwindung. Es ist – wie schon eingangs erwähnt – schlicht eine Frage des Überlebenswillens. Es gilt folglich, den Überlebenstrieb der Menschen anzusprechen, der in der Krise unbewusst ausagiert wird und zur Intensivierung der Krisenkonkurrenz beiträgt. Und dieser Überlebenstrieb ist bereits, in seiner unreflektierten, quasi reflexhaften Form längst massenhaft wirksam. Unbewusst reagieren die meisten Insassen des Spätkapitalismus längst auf die zunehmenden krisenbedingten Verwerfungen durch eine quasi instinktive Intensivierung des Konkurrenzkampfes. Der Überlebenstrieb gelangt durch die härtere Konkurrenz bereits unbewusst zur Entfaltung, indem das eigene Überleben durch den Absturz der Konkurrenten auf allen Ebenen gewährleistet werden soll (vom Mobbing, über Verdrängungswettbewerb, die Standortkonkurrenz, bis zum Krisenimperialismus). Und es ist ja gerade diese durch den nackten Überlebenstrieb befeuerte Krisenkonkurrenz, die zur Barbarisierung des Kapitalismus und zum Aufstieg der Neuen Rechten – die diese Krisenkonkurrenz mit Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus, religiösen Fanatismus etc. ummantelt – ursächlich beiträgt.Dieser in der eskalierenden spätkapitalistischen Alltagskonkurrenz verfangene, unbewusst praktizierte Überlebenstrieb müsste im Rahmen emanzipatorischer Praxis „sublimiert“ werden. Hierunter soll die bewusste, analytische Reflexion der unbewussten Ursachen gesellschaftlichen Handelns, in diesem Fall der Wechselwirkung von Konkurrenzgebaren und systemischem Krisenprozess verstanden werden, bei der die verhängnisvolle „barbarisierende“ Wirkung des individuellen Konkurrenzkampfes erhellt würde. So wie der individuelle, „blinde“ Überlebenstrieb nur die Krisendynamik beschleunigt und der Barbarei Tür und Tor öffnet, so könnte ein reflektierter kollektiver Überlebensdrang, der sich der Überlebensnotwendigkeit der gesamtgesellschaftlichen Überwindung des Kapitals versichert hat, einen mächtigen Motivationsfaktor für emanzipatorische Kräfte im Kampf um die Transformation des Spätkapitalismus bilden. Und das ist keine Frage, die nur den linken „Radikalinski“ tangiert. Ein solch bewusst hergestellter Zusammenhang zwischen dem – kollektiven – Überleben und der Notwendigkeit der Systemüberwindung kann auch sehr gut das Anliegen des Spiessers werden, der seinen Kindern eine lebenswerte Zukunft hinterlassen will.
Und eben deswegen gilt es, den Menschen zu sagen, was Sache ist. Es kommt darauf an, das „Krisengefühl“ der breiten Massen in ein reflektiertes Krisenbewusstsein zu überführen – gerade weil es kein „revolutionäres Subjekt“ gibt, ist die Ausformung eines massenwirksamen, radikalen Krisenbewusstseins für einen emanzipatorischen Krisenverlauf unabdingbar. Und eigentlich wäre selbst dies nicht die zentrale Schwierigkeit bei der Verbreitung eines emanzipatorischen Bewusstseins in der manifesten Krise, sondern die Vermittlung eines Glaubens an eine gangbare Systemalternative zum kollabierenden Kapital. Der krisenbedingte ideologische Umschlag, bei dem der blinde Glaube ans Kapital als Naturvoraussetzung menschlicher Zivilisation plötzlich zum fatalistischen Kulturpessimismus mutiert, stellt eigentlich die ideologische Standardreaktion in manifesten Krisensituationen dar.
Dieser spätkapitalistischen Produktion von Panik gilt es somit die durch radikale theoretische Reflexion gewonnene Einsicht in die Notwendigkeit der Systemtransformation gegenüberzustellen, die von einem sublimierten Überlebensinstinkt motiviert ist, der sich seiner eigenen sozialen wie ökologischen Voraussetzungen bewusst gewordenen ist. Der rechte „Prepper“ wird sich nicht retten, dies kann nur auf gesamtgesellschaftlicher Ebene kollektiv geleistet leisten. Die Abwendung der drohenden ökologischen wie sozialen Katastrophe vermittels Systemtransformation läuft somit auf die „Beeinflussung“ des Krisenprozesses hinaus, der von seiner fetischistischen Dynamik angetrieben ist, die ja nur den krisenhaften dialektischen Umschlag der dem Kapital innewohnenden Widersprüche darstellt. Präziser: Das Kapital befindet sich in Auflösung, es kommt darauf an, diesen blind ablaufenden Transformationsprozess im Rahmen eines Transformationskampfes in eine progressive, emanzipatorische Richtung zu lenken, um schliesslich den Fetischismus zu überwinden und zur bewussten Gestaltung der gesellschaftlichen Reproduktion überzugehen. Dies, diese Überwindung der fetischistischen Vorgeschichte der Menschheit, ist schlicht, wie dargelegt, eine Überlebensfrage. Nochmals: Es gibt keine Alternative zum Kampf um einen emanzipatorischen Verlauf der unausweichlichen Systemtransformation.
Emanzipation und Extremismus in der Systemkrise
Hieraus erschliesst sich auch der Begriff der Emanzipation – es ist eine Emanzipation vom gesellschaftlichen Fetischismus, also von der „Fremdbestimmung“ der Subjekte durch gesellschaftliche Dynamiken, die diese Subjekte unbewusst, marktvermittelt selber hervorbringen. Dies kann nur von einer Bewegung geleistet werden, die sich ihrer eigenen Lage, die sich des geschilderten Krisencharakters bewusst ist. Nur bei einem bewussten, aus der Einsicht in die Notwendigkeit resultierenden Kampf um eine postkapitalistische Zukunft könnten eventuell noch Momente der Emanzipation entstehen. Es gibt folglich eine Maxime politischer Praxis, der emanzipatorische Bewegungen, Gruppen oder Parteien im 21. Jahrhundert folgen müssten, wenn sie in der gegenwärtigen Umbruchs- und Krisenepoche noch als fortschrittliche gesellschaftliche Kräfte wirken wollen. Der Kapitalismus muss schnellstmöglich in Geschichte überführt werden, das Kapitalverhältnis muss aufgehoben werden. An diesem kategorischen Imperativ hätten sich alle linken Aktionen, alle Taktik, alle Reformvorschläge, alle Strategien zu orientieren.Und der Kampf um eine lebenswerte postkapitalistische Zukunft ist kein „Radikalismus“. Es verhält sich gerade umgekehrt: das Festhalten an den in Auflösung übergehenden Formen kapitalistischer Vergesellschaftung, an Markt und Staat, führt in die Barbarei, in den Extremismus der Mitte. Die Erfolge der Neuen Rechten in der Krise resultieren gerade daraus, dass sie die Ideologie, die in der neoliberalen Mitte der spätkapitalistischen Gesellschaft wirksam ist, weiter in die Verrohung treiben kann. Das mit Neidfantasien gegen Sündenböcke angereicherte, neoliberale Konkurrenzdenken wurde von der Rechten ins rassistisch-nationalistische Extrem getrieben. Die Konkurrenz der Marktsubjekte und Wirtschaftsstandorte wird in einen Kampf der Nationen, der Kulturen, der „Rassen“ oder Religionen ideologisch überhöht.
Entscheidend ist hierbei: Bei dieser „rassisch“, religiös oder national legitimierten Konkurrenz gibt es keinen Bruch mit dem Neoliberalismus und seinem implizit nationalistischen Standortdenken. In diesen ideologischen Kontinuitätslinien liegt das gar nicht so geheime Geheimnis des Erfolgs der konformistischen Revolte der Neuen Rechten. Sie betreibt keinen Ausbruch aus dem kapitalistischen Gedankengefängnis und seinen sogenannten Sachzwängen. Stattdessen verharren die autoritären Charaktere im eingefahrenen ideologischen Gleis, das von der neoliberalen Mitte ins barbarische Extrem führt. Deswegen profitiert von der gegenwärtigen Krise vor allem die Rechte. Es ist sehr einfach, Nazi zu werden.
Entscheidend ist deshalb gerade der besagte gedankliche Ausbruch aus dem kapitalistischen Gedankengefängnis, der mit emanzipatorischer Praxis einhergehen muss, um das Abdriften in einen Extremismus der Mitte zu verhindern. Deswegen gilt es, den Menschen zu sagen, was Sache ist. Der Kampf um eine lebenswerte Systemalternative ist angesichts der letalen Krise des Kapitals das einzig Vernünftige, Mittlere, Gemässigte. Fortschritt kann nur noch jenseits des Kapitals realisiert werden. Nochmals: Dies ist nicht notwendig aufgrund des Wollens der Subjekte oder der Stimmungen, Befindlichkeiten in der Bevölkerung, sondern weil das Kapital als globale fetischistische Totalität an sich selber zerbricht.
Falsche Unmittelbarkeit
Und eben deswegen gilt es, diesen objektiv ablaufenden Transformationsprozess, soweit möglich, durch die Verbreitung eines adäquaten Krisenbewusstseins vor dem Abdriften in ideologischen Wahn und faschistische Barbarei zu bewahren. Vielleicht könnte das Bewusstsein einer gangbaren Alternative zum Klima- und Kapitalkollaps nur in einer kämpfenden Bewegung sich breit entfalten. An Auseinandersetzungen, Aufständen und Kämpfen herrscht ja in der sich beschleunigenden Systemkrise kein Mangel. In Europa sind es, neben Klimaprotesten, oftmals antifaschistische oder arbeits- und sozialpolitische Abwehrkämpfe, die als Kristallisationspunkte oppositioneller Massenmobilisierung dienen – zumeist ohne eine transformatorische Perspektive zu entwickeln.Diese Bewegungen bleiben oftmals in der falschen Unmittelbarkeit ihrer direkten Forderungen stecken, sie wollen beispielsweise eine bessere Umverteilung des abstrakten kapitalistischen Reichtums, anstatt diesen abschaffen zu wollen. Die zunehmende Verelendung führt zu Forderungen nach mehr Sozialstaat, der Inflation wird mit Forderungen nach deren Eindämmung durch Subventionen, Höchstpreise begegnet. Diese unmittelbar „einleuchtenden“ Forderungen müssen sich an der Krisenrealität blamieren. Ähnlich verhält es sich bei der Diskussion der Massnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise – wie CO2-Steuer, Flugboykott, Fleischverzicht oder E-Autos -, die angesichts der dramatischen Beschleunigung des Klimawandels und der tatsächlich notwendigen Schritte ein fast schon entmutigendes Missverhältnis aufweisen.
Der Krisentheoretiker Robert Kurz[19] thematisierte diesen Widerspruch zwischen systemimanenten sozialen Kämpfen und den sozialen Folgen der Systemkrise schon zu Beginn des 21. Jahrhunderts:
„Die Wertkritik wendet sich nicht gegen kapitalistisch immanente soziale Kämpfe schlechthin. Diese sind ein notwendiger Ausgangspunkt. Es kommt aber darauf an, in welche Richtung sich solche Kämpfe entwickeln. Dabei spielt die Begründung eine grosse Rolle. Die Gewerkschaften haben sich daran gewöhnt, ihre Forderungen nicht aus den Bedürfnissen ihrer Mitglieder herzuleiten, sondern als Beitrag zum besseren Funktionieren des Systems anzubieten. So wird gesagt, höhere Löhne seien notwendig, um die Konjunktur zu stärken, und sie seien möglich, weil das Kapital hohe Gewinne macht. Sobald aber die Verwertung des Kapitals offensichtlich ins Stocken gerät, führt diese Haltung zum freiwilligen Verzicht und zur Mitverwaltung der Krise im „höheren Interesse“ der Betriebswirtschaft, der Gesetze des Marktes, der Nation etc. Dieses falsche Bewusstsein existiert nicht nur bei den Funktionären, sondern auch an der sogenannten Basis. Wenn sich LohnarbeiterInnen mit ihrer eigenen Funktion im Kapitalismus identifizieren und nur im Namen dieser Funktion ihre Bedürfnisse einklagen, werden sie selber zu „Charaktermasken“ (Marx) eines bestimmten Kapitalbestandteils, nämlich der Arbeitskraft. Sie erkennen damit an, dass sie nur ein Recht zu leben haben, wenn sie Mehrwert produzieren können. Daraus entsteht eine gnadenlose Konkurrenz unter den verschiedenen Kategorien von LohnarbeiterInnen und eine Ideologie der sozialdarwinistischen Ausgrenzung. Das zeigt sich besonders beim defensiven Kampf um den Erhalt von Arbeitsplätzen, der keine Perspektive darüber hinaus hat. Hier konkurrieren oft sogar die Belegschaften verschiedene Betriebe eines einzigen Konzerns gegeneinander ums Überleben. Deshalb ist es wesentlich sympathischer und übrigens auch realistischer, dass französische Belegschaften mit der Sprengung ihrer Fabriken gedroht haben, um eine anständige Entlassungsprämie zu erzwingen. Solche neuen Kampfformen sind nicht defensiv und affirmativ, sondern sie könnten mit anderen Forderungen verbunden werden, etwa für verbesserte Einkommen von Arbeitslosen. In dem Masse, wie aus solchen Kämpfen eine gesellschaftliche soziale Bewegung entsteht, wird sie auch in der Erfahrung ihrer praktischen Grenzen auf die Fragen einer neuartigen „kategorialen Kritik“ am fetischistischen Selbstzweck des Kapitals und seiner gesellschaftlichen Formen gestossen. Die Konkretisierung dieser weitergehenden Perspektive ist Aufgabe unserer Theoriebildung, die nicht in einem abstrakten Jenseits existiert, sondern sich als Moment der sozialen Auseinandersetzung versteht.“
Angesichts der weit vorangeschrittenen Krisendynamik scheint es kontraproduktiv, nun zu einer Fundamentalkritik anzusetzen, die auf den Aufbau einer „neuen“ transformatorischen und emanzipatorischen Bewegung abzielen würde. Emanzipatorische Bewegungen müssten angesichts der drängenden Zeit, angesichts der sich schliessenden Zeitfenster mit dem arbeiten, was noch da ist. Der Rückzug in den Elfenbeinturm der „reinen Lehre“, um auf eine allmähliche „Diffusion“ des adäquaten Krisenbewusstseins innerhalb der Linken hinzuarbeiten, stellt keine gangbare Strategie dar. Stattdessen bleibt eigentlich nur die Option, die Krise für den Versuch zu nutzen, ein adäquates Krisenbewusstsein in die gegenwärtigen Kämpfe direkt hineinzutragen. Wie gesagt: Mensch muss – aufbauend auf Krisentheorie – den verängstigten Menschen sagen, was Sache ist, damit die Protestbewegungen sich in eine emanzipatorische Richtung entwickeln können.
Die Chancen hierfür stehen eigentlich nicht schlecht, da selbst ideologisch verblendete linke Zusammenhänge – etwa aus dem grünennahen, linksliberalen[20] oder dem traditionsmarxistischen Spektrum – die Krisenfolgen kaum noch übersehen können. Die Krise ist Feind und Freund der progressiven Bewegung: Sie schnürt die gesellschaftlichen Diskursräume immer stärker zu, sie lässt die Panik ansteigen und den rechtsextremen Wahn anschwellen; aber zugleich nötigt sie alle gesellschaftlichen Kräfte, die ihre Sinne noch einigermassen beisammen haben, sich der unleugbaren Notwendigkeit einer grundlegenden Überwindung der kollabierenden Kapitalvergesellschaftung zu stellen.
Der Versuch, in die gegenwärtigen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Konflikte ein dem objektiven Krisenprozess entsprechendes Krisenbewusstsein hineinzutragen, läuft letztendlich auf den Kampf gegen die falsche Unmittelbarkeit hinaus, die diese Auseinandersetzungen prägt. Unter falscher Unmittelbarkeit ist die Tendenz sozialer Bewegungen zu verstehen, unbewusst in Denkformen zu verharren, die den sozialen Zuständen und Widersprüchen entsprechen, gegen die sie sich eigentlich richten.
Die in den zunehmenden krisenbedingten Auseinandersetzungen befindlichen Menschen werden ja gerade nicht von einem „revolutionären Automatismus“ erfasst, der ihnen ein antikapitalistisches Krisenbewusstsein verschaffen wurde. Ganz im Gegenteil. Durch die Fixierung auf konkrete, anscheinend erreichbare Ziele innerhalb des Bestehenden wird dessen Systemlogik selbst im oppositionellen Kampf gestärkt. Der Kampf um die Stilllegung von Braunkohleabbau, gegen die Teuerung und gegen soziale Erosion, um einen höheren Lohn oder gegen Lohnkürzungen, der Windmühlenkampf der hilflosen, sozialdemokratisierten Linken gegen den munter weiter voranschreitenden Demokratie- und Sozialabbau: sie verfestigen die entsprechenden kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen und Vergesellschaftungsformen, in denen und um deren Willen gekämpft wird: Arbeit, bürgerliche Demokratie samt der kapitalistisch kastrierten „Bürgerrechte“,[21] der Staat als „Sozialstaat“ gerinnen so auch innerhalb der in sozialen Kämpfen verfangenen Bewegung zu quasi natürlichen Voraussetzungen menschlicher Gesellschaft.
Die unmittelbaren Ziele, die innerhalb des Systems verfolgt werden, sind somit „falsch“, sie führen zur Ausbildung der besagten falschen Unmittelbarkeit, da sie erstens nicht mit der krisengebeutelten Systemlogik brechen, sondern diese im Gegensatz noch zementieren, und da sie zweitens innerhalb einer kollabierenden Kapitalvergesellschaftung erstritten werden sollen, sodass deren Realisierung vollends illusionär ist. Nach dem in Krisenschüben zwangsläufigen Scheitern der grossen sozialen Kämpfe – etwa in Südeuropa nach Ausbruch der Eurokrise – setzten deswegen zumeist Resignation und Apathie ein, da diesen Bewegungen gerade eine weitergehende transformatorische Perspektive fehlte, die nur aus einem dem Krisenprozess adäquaten Krisenbewusstsein entspringen könnte. Die an den krisenbedingt zunehmenden sozialen Protesten beteiligten Kräfte wollen zumeist nichts weiter erreichen, als das, was sie postulieren: Kampf gegen Braunkohleabbau, um Arbeitsplätze, um höhere Löhne, gegen Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung, gegen die beständige Erosion von „Bürgerrechten“, etc.
Es scheint absurd: In der Krise kämpft die Linke für die Aufrechterhaltung der krisenbedingt erodierenden kapitalistischen Vergesellschaftungsformen. Und zugleich ist keine realistische Alternative zu eben diesen Kämpfen gegeben, da es sich hierbei zumeist um mehr oder minder offene Formen des nackten Existenzkampfs handelt. Im Kapitalismus ist die Reproduktion der eigenen Arbeitskraft nur mittels – eigener oder ausgebeuteter – Lohnarbeit möglich. Die Etablierung von Hungerlöhnen, die unter dem Existenzniveau liegen, schreitet auch in den Zentren voran. Der Arbeitsplatzverlust geht immer öfter mit dem Absturz in einen lebensbedrohlichen Pauperismus einher. Der Kampf gegen Demokratieabbau und die allgegenwärtige Faschisierung Europas ist notwendig, um überhaupt noch Manövrierräume für emanzipatorische Politik möglichst lange offen zu halten. Solange das Kapitalverhältnis als die geschilderte gesellschaftliche Totalität fortbesteht, sind auch oppositionelle Kräfte an dessen Vergesellschaftungsformen gekettet.
Das bedeutet aber nicht, dass diese Kräfte den sozial-ökologischen Kampf nur in diesen Formen einfordern, geschweige denn, ihn nur in diesen Formen wahrnehmen müssen. Es ist somit tatsächlich entscheidend, mit welchem Bewusstsein die gegenwärtigen Proteste und Kämpfe geführt werden, selbst wenn deren konkreter Verlauf sich anfangs nicht grossartig von den systemimmanenten, reformistischen Kämpfen unterscheiden würde. Die Auseinandersetzung mit Krisenideologie, verkürzter Kapitalismuskritik und der falschen Unmittelbarkeit zielt ja letztendlich darauf ab, den Transformationsprozess ins „politische Bewusstsein“ der sozialen Bewegungen zu heben, um so den unbewusst geführten Transformationskampf als solchen überhaupt erst zu begreifen und entsprechend bewusst zu gestalten.
Der Fokus, die Zielsetzung einer solchen bewusst geführten, anscheinend systemimmanenten Auseinandersetzung (Klimakampf, Lohnkampf, Antifa-Protest, Demos gegen Demokratieabbau, Abwehrkämpfe gegen Sozialabbau) verändern sich, sobald sie von einem transformatorischen Bewusstsein durchdrungen sind; wenn sie also als eine Frühphase des Transformationskampfes begriffen und propagiert werden, der in der Peripherie schon mit aller massenmörderischen Brutalität tobt. Um beim Beispiel der Sozialproteste zu bleiben: Anstatt einfach nur zu postulieren, dass die Reichen zahlen sollen, müsste klar gemacht werden, dass die Reichen für die Transformation zu zahlen haben – solange Geld noch Wert hat und es überhaupt Sinn macht, diese Forderung zu stellen. Der Weg wird zum Ziel: Die Selbstorganisation der Menschen in den entsprechenden Oppositionsbewegungen müsste somit bereits von dem Bestreben getragen sein, Momente einer postkapitalistischen Vergesellschaftung auszubilden.
Es wird sich aber auch über Umverteilungs- und Enteignungsmassnahmen hinaus die Frage stellen: Wie lässt sich das Gesundheitswesen, Essen, Wohnen usw. organisieren, ohne dass entsprechende Finanzmittel oder rentable Arbeitsplätze vorhanden sind? Spätestens wenn die Inflation das Geld entwertet und alles wegen fehlender Rentabilität geschlossen oder ausgedünnt zu werden droht, steht die Organisation der gesellschaftlichen Reproduktion nach anderen als nach kapitalistischen Kriterien auf der Tagesordnung. Nicht etwa nach dem Motto 'Wie lässt sich die Rente finanzieren?', sondern ‚Wie lässt sich der materielle und soziale Reichtum organisieren, damit alte Menschen würdig leben können?'. Nicht ‚Wie können Arbeitsplätze geschaffen werden?', sondern ‚Wie müssten Menschen und Ressourcen mobilisiert und was müsste getan werden, damit Essen, Wohnen, Gesundheit usw. realisiert werden können?' (und das eben nicht auf Hartz-IV, Slum- oder Gulagniveau). Entweder die Linke lässt sich auf diese Ebene ein, oder sie muss sich daran beteiligen, systemimmante Lösungen umzusetzen, was auf nichts Anderes hinauslaufen wird, als alte Menschen in kostengünstige Pflegegulags zu verfrachten oder sie gleich ‚sozialverträglich' umzulegen.
Die Forderungen und Organisationsformen im Widerstand gegen die drohende Klimakatastrophe, gegen die Zumutungen der Krisenverwaltung müssen somit bereits Keimformen postkapitalistischer Vergesellschaftungsformen enthalten. Zentral müsste hierbei eigentlich das Bemühen sein, die systemimmanenten Oppositionsbewegungen zuerst als offene Diskursräume zu gestalten. Der Krisendiskurs, der auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht mehr möglich ist (und der von der Linkspartei aus opportunistischem Kalkül sabotiert wird),[22] muss zumindest in der Opposition geführt werden. Zudem scheint in der Verständigung über Strategien und Protestformen bereits der angestrebte postkapitalistische Verständigungsprozess über die gesamtgesellschaftliche Reproduktion auf. Die Diskursräume müssten somit, auch angesichts zunehmender Repression, möglichst lange offen gehalten werden. Der offene Diskussionsprozess, die Organisation und Koordination des transformatorischen Widerstandes, sie könnten als Vorform der globalen bewussten Selbstverständigung der Weltgesellschaft bezüglich ihrer Reproduktion fungieren.
Deswegen ist übrigens auch der demokratische Kampf um eine möglichst lang anhaltende Aufrechterhaltung der bürgerlich-demokratischen Restfreiheiten so notwendig, um möglichst lange den Transformationsprozess in Formen nicht-militärischer Auseinandersetzungen beeinflussen zu können. Die Notwendigkeit des Übergangs zwischen demokratischem Kampf und militant-militärischen Auseinandersetzungen ist überdies schwer abzuschätzen, sie ist abhängig vom Grad der Faschisierung und der Zerfallstendenzen des betreffenden Staates und seiner Gesellschaft. Ein solcher bewaffneter Kampf, der emanzipatorischen Kräften in Krisenverlauf aufgenötigt werden kann, stellt aber auch eine Niederlage dar. Die offene Diskursstruktur, die Ansätze zur Selbstverwaltung, die Keimformen künftiger Gesellschaften bilden könnten, drohen den Notwendigkeiten der militärischen Organisation zu weichen. Dann werden tatsächlich die leninschen Praxisvorgaben unabwendbar – und es droht dann eine autoritäre „Sowjetisierung“ der postkapitalistischen Alternativen.
„Die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt.“
Letztendlich gilt es, die verschiedenen Kämpfe und sozialen Bewegungen als Teilmomente des einen global tobenden Transformationskampfes zu begreifen. Die Welt befindet sich somit längst in einer Systemtransformation, nur wird sie von der krisenblinden Linken nicht als solche wahrgenommen. Wie schon mehrfach erläutert: Dieser blind ablaufende Transformationsprozess ist prinzipiell offen, er ist nicht prädeterminiert, weshalb auch der Ausgang dieser Systemtransformation (falls sie ohne atomaren Holocaust abgeschlossen werden sollte) absolut offen ist. Mehr noch: Da das System sich im Umbruch befindet, da das einstmals betonharte gesellschaftliche Gefüge in Bewegung gerät, die ehemals festen gesellschaftlichen Strukturen sich gewissermassen verflüssigen, haben kollektive Handlungen einen weitaus grösseren Einfluss auf die Formung der Zukunft als in Zeitperioden, in denen der Kapitalismus stabil schien. Doch weisen diese grösseren Interventionsmöglichkeiten, die sich emanzipatorischen Kräften in der gegenwärtigen Systemkrise bieten, enge Zeitfenster auf, die sich dann auch irreversibel schliessen können.Offensichtlich ist dies ja beim Klimawandel mit seinen Kipppunkten, doch auch die soziale Krisenentfaltung verläuft nicht linear – es ist keine graduelle Entwicklung. Innerhalb des Transformationsprozesses gibt es entscheidende Momente oder Umbruchsituationen, in denen der weitere Krisenverlauf bestimmt wird. Sobald ein solcher Kulminationspunkt der inneren Widerspruchsentfaltung überschritten wurde, ohne katastrophale Folgen nach sich zu ziehen (Atomkrieg, ökologischer Kollaps ganzer Regionen, etc.), verläuft der weitere Krisenprozess in den in diesem entscheidenden Moment festgelegten Bahnen – die Revision einer solchen Entscheidung durch Interventionen scheint dann kaum noch machbar.
„Sie wissen das nicht, aber sie tun es.“ Dieses berühmte Zitat von Karl Marx, das den fetischistischen Prozess gesamtgesellschaftlicher Reproduktion im Kapitalismus auf den Punkt bringt, charakterisiert auch den nun voll einsetzenden Auflösungsprozess des kapitalistischen Weltsystems treffend. Das Weltsystem befindet sich bereits in einer Phase des chaotischen Umbruchs, wobei die Richtung und der Ausgang dieses Prozesses nicht prognostizierbar sind – einfach deswegen, weil er von den Handlungen der Subjekte im sich entfaltenden Transformationskampf (vorerst unbewusst) geformt wird. Da es kein „revolutionäres Subjekt“ gibt, ist es eben entscheidend, ob der Krisencharakter in der Bevölkerung in ausreichender Breite reflektiert wird, um auch hier die entsprechenden Kipppunkte zu überschreiten.
Emanzipation und Barbarei scheinen im voll einsetzenden, globalen Transformationskampf somit zeitgleich auf: Die brutale spätkapitalistische Krisenkonkurrenz geht einerseits in einen postkapitalistischen Transformationskampf über, sie überschneidet sich mit ihm teilweise, beide Krisenmomente treten mitunter in Wechselwirkung, wobei die ständigen Metamorphosen unterliegende, spätkapitalistische Krisenideologie diesen Auflösungsprozess zu rationalisieren versucht. Zugleich brechen, mitunter völlig unerwartet, immer öfter Aufstände und Massenproteste gegen die Perspektivlosigkeit des Spätkapitalismus auf, eine globale Umwelt- und Klimabewegung formiert sich, spontane Aufstände brechen in Ländern wie dem Iran aus, etc. Bei Überschreitung sozialer Kipppunkte können Aufstände wie aus heiterem Himmel ausbrechen. Mit zunehmender Krisenintensität werden sich diese Widersprüche und Konflikte verschärfen, die unzähligen Kämpfe in eine globale Auseinandersetzung umschlagen, die durchaus in einen Atomkrieg münden kann.
Dies gilt für den Kri
senimperialismus der erodierenden spätkapitalistischen Staatsmonster,[23] wie auch für die vielfältigen, an Intensität gewinnenden Konflikte in den krisengeschüttelten Gesellschaften. Dabei gilt es aber, eine „Hierarchisierung“ der Kämpfe in klassenkämpferische Haupt- und sonstige Nebenwidersprüche zu vermeiden. Die klassenkämpferischen Auseinandersetzungen bei Lohnkämpfen oder Sozialprotesten können nur gleichberechtigt mit anderen sozialen Kämpfen (Antifa, Klimakampf, Antimilitarismus, Feminismus, Demokratieverteidigung, sexuelle Selbstbestimmung, etc.) einer transformatorischen Bewegung dazu dienen, deren falsche Unmittelbarkeit im Laufe der Auseinandersetzungen in der oben angedeuteten Weise zu überwinden – um die sozialen Kämpfe, Proteste oder Umverteilungskämpfe durch das Hineintragen eines radikalen Krisenbewusstseins in Momente eines Transformationskampfes zu verwandeln.
Sobald die unterschiedlichen Bewegungen als Teilmomente eines Kampfes um eine emanzipatorische Systemtransformation begriffen werden, könnte auch die sich abzeichnende, destruktive „Bewegungskonkurrenz“ – etwa zwischen Klimabewegung und Sozialbewegung – minimiert werden, die gerade von den reaktionären Teilen der Linkspartei forciert wird.[24] Die Linkspartei betreibt übrigens mit ihrer „Sozialkampagne“ gerade das Gegenteil einer emanzipatorischen Transformationsbewegung: unter sozialer Demagogie sollen soziale Bewegungen gekapert werden, um im repressiven Bewegungs- und Krisenmanagement das Aufkommen eines radikalen Krisenbewusstseins zu verhindern.[25] Dieser opportunistischen und rechtsoffenen sozialen Demagogie, die sich trotz eskalierender Systemkrise in einer karikaturhaften offensichtlichen, falschen Unmittelbarkeit suhlt, muss in aller Praxis die kollektive Überlebensnotwendigkeit einer emanzipatorischen Systemtransformation entgegengesetzt werden.
So, wie es ist, bleibt es nicht. Diese Einsicht aus Brechts Lob der Dialektik[26] könnte zur Handlungsmaxime einer emanzipatorischen Transformationsbewegung aufsteigen, die zuerst lernen müsste, den Transformationsprozess zu beeinflussen. Es stellt sich dabei immer die Frage, welche politischen Strukturen, welche gesellschaftlichen Machtkonfigurationen beim nächsten Krisenschub vorherrschen sollen. Der sich hinter dem Rücken der Subjekte entfaltende Krisenprozess kann ja auf sehr unterschiedlich strukturierte spätkapitalistische Gesellschaften treffen. Sie können oligarchisch, präfaschistisch oder bürgerlich-demokratisch, eher egalitär oder ständehaft, nationalistisch oder kosmopolitisch, säkular oder religionsfaschistisch ausgerichtet sein.
Es geht somit letztendlich darum, in Prozessen, in Entwicklungen zu denken, die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen als im Zerfall begriffen wahrzunehmen, die entscheidenden Widersprüche zu verorten und in Antizipation der gewaltigen künftigen Erschütterungen die besten gesellschaftlichen Voraussetzungen, die optimale Ausgangslage für die emanzipatorische Transformation zu schaffen, was ja nur in Kooperation mit nennenswerten gesellschaftlichen Kräften geschehen kann. Die Schwierigkeit einer solchen Bündnispolitik besteht nun darin, entsprechende Kräfte zu lokalisieren, die den weiteren Transformationsprozess in eine emanzipatorische Richtung lenken würden, sowie in dem Hineintragen des geschilderten radikalen Krisenbewusstseins in diese Bewegungen.
Eigentlich ist es nur die fetischistische, blinde Bewegung des automatischen Subjekts uferloser Kapitalverwertung, die beim Durchschreiten ihrer inneren Schranke in die drohende ökologische Selbstvernichtung und eskalierende gesellschaftliche Kämpfe – perspektivisch einen Atom- und Weltbürgerkrieg – umschlägt. Die spätkapitalistische Wertvergesellschaftung zerfällt, aber der gesellschaftliche Fetischismus – die ohnmächtige Auslieferung der Subjekte an die unbewusst durch sie selbst hervorgebrachte gesellschaftliche Dynamik – beliebt bestehen. Begriffslos taumeln die Akteure, auch gerade in der deutschen Linken, in den drohenden Weltbürgerkrieg als dem Fluchtpunkt der transformationsbedingt einsetzenden Auseinandersetzungen.
Es gibt sie somit tatsächlich, die „wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“, die der junge Marx gemeinsam mit Engels in seiner Frühschrift „Die Deutsche Ideologie“[27] konstatierte und als eine progressive Bewegung imaginierte, nur ist es eben kein zivilisatorischer Automatismus, der die Menschheit in den Kommunismus führt. Marx, durch dessen gesamtes Werk sich die Spaltung zwischen überholtem Fortschrittsglauben und wichtiger kategorialer Kritik zieht, brachte hier den Fetischismus des Kapitals zum Ausdruck, um zugleich dem Glauben an den ewigen Fortschritt, an den hegelschen Weltgeist zu erliegen. Die wirkliche, den Spätkapitalismus in seinen Grundfesten erschütternde Bewegung, ist die des blind über die Gesellschaft ablaufenden Verwertungsprozesses des Kapitals, das an sich selber zugrunde geht. Es ist der Fetischismus, den Marx schon damals ahnte.
Es gilt folglich, aller Evidenz zu trotz, darum zu kämpfen, diese unausweichliche Transformationsbewegung, die den jetzigen Zustand totsicher aufheben wird und die in ihrem Verlauf und Ergebnis immer noch offen ist, im Transformationskampf zu einer bewusst agierenden Bewegung zu formen. Die Systemtransformation ist unvermeidbar, es kommt darauf an, sie in eine progressive, emanzipatorische Richtung zu lenken – im Kampf gegen die Kräfte der Barbarei, die das Kapital in seiner Krise wieder ausschwitzt.