Es zeigt sich, dass es bisher kaum gelang, Strukturen aufzubauen, in denen sich wirklich viele Menschen aus den Stadtteilen organisieren. Häufig bleibt es bei einer Gruppe von Aktivist*innen, die linke Politik im Stadtteil machen und vor allem bereits links politisierte junge Leute ansprechen. Diese Schwierigkeiten in der Praxis haben dazu geführt, dass sich viele Stadtteilbasisgruppen wieder aufgelöst oder ihren Fokus wieder auf klassisch linksradikale Politik und Intervention in Bewegungen und Diskursen gesetzt haben. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die Schwierigkeiten in der Praxis auch aus einem unzureichenden Verständnis von Basisarbeit resultieren, sowie mangelnden Erfahrungen, was dieser Ansatz in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen bedeutet.
Als Organisation, die in Bremen seit 2016 revolutionäre Stadtteilbasisarbeit entwickelt, haben wir über die letzten Jahre viele Erfahrungen sammeln können. Anfang 2020 haben wir uns Zeit genommen und uns in einen Reflexionsprozess begeben, um zu analysieren, was Fehler und Hindernisse in unsere Praxis waren und was wir entsprechend verändern müssen. Neben der Auswertung unserer eigenen Erfahrungen haben wir uns auch tiefer gehend mit den Definitionen von Basisarbeit von anderen Bewegungen weltweit beschäftigt und die Frage diskutiert, was in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen wirkliche Ausgangspunkte für Organisierung sein können.
Ausgehend von diesen Reflexionen haben wir einen neuen Ansatz der Stadtteilbasisarbeit entwickelt und setzen diesen seit 2021 schrittweise in die Praxis um. Er beruht auf einer Kombination aus Beratung und Organisierung auf der Basis einer Mitgliedschaft, Vollversammlungen, Aktionen und politischer Bildung. Seit der Umstellung unserer Praxis bemerken wir eine deutliche Veränderung. Wesentlich mehr Menschen aus dem Stadtteil werden in der Stadtteilgewerkschaft aktiv und wir sind in der Lage nachhaltigere Organisationsstrukturen aufzubauen. In dem vorliegenden Text möchten wir unsere Reflexionen transparent machen. Wir wollen ausserdem Gruppen oder Genoss*innen in anderen Städten dazu aufrufen, weitere lokale Ableger einer gemeinsamen organisierten Stadtteilbewegung bzw. Stadtteilbasisorganisation mit gemeinsamen politischen Übereinkünften auf der Basis von Beratung und Organisierung in ihren Stadtteilen zu gründen und das Konzept mit uns gemeinsam weiter zu entwickeln. Wir freuen uns auf Rückmeldungen oder Berichte über eure Erfahrungen und Diskussionen.
Zudem möchten wir alle Gruppen oder Einzelpersonen, die sich für den Aufbau einer solchen Stadtteilbasisorganisation in ihrer Stadt interessieren oder bereits in einer Praxis stehen, zu einem gemeinsamen Austauschtreffen einladen. Wenn ihr Interesse habt, schreibt uns gerne eine Mail an: stadtteil-soli@riseup.net.
1. Einleitung
Aus den Strategiedebatten um eine Neuausrichtung linksradikaler Politik ab 2014 gingen zahlreiche revolutionäre Stadtteil- oder Solidarisch-Gruppen hervor, die versuchten, die theoretischen Diskussionen in die Praxis umzusetzen. So auch wir. Nach der Veröffentlichung der 11 Thesen1 durch kollektiv, haben wir uns auf Basis dieser Grundsätze als Gruppe in Bremen gefunden und 2016 begonnen unter dem Namen Solidarisch in Gröpelingen eine Praxis zu entwickeln, die wir als revolutionäre Stadtteilarbeit oder auch Basisarbeit bezeichnen. Unser Ausgangspunkt war damals, linke Inhalte raus aus der Szene, rein in die Gesellschaft zu tragen und dadurch eine neue Klassenpolitik von unten zu entwickeln. Die grobe Richtung war klar: Anhand einer Sichtbarkeit im Stadtteil und Mobilisierung zu einzelnen Themen wie steigenden Mieten, prekären Arbeitsbedingungen oder Rassismus sollten kollektive Strukturen entstehen, in denen sich Menschen organisieren, eine solidarische Kultur entwickeln und ein kritisches Bewusstsein aneignen können.Wie viele andere auch begannen wir mit Haustürgesprächen, Infotischen, kleinen Kampagnen zu bestimmten sozialen Kampfthemen und der Anmietung eines eigenen Stadtteilladens. Wir organisierten Filmabende, offene Cafés, Mathe-Nachhilfe, politische Veranstaltungen, inhaltliche Kampfkomitees (z.B. Mietkampf- oder Arbeitskampfkomitee) und vieles mehr. Durch die gezielte Mobilisierung von vonovia-Mieter*innen gelang es uns zwischenzeitlich grössere Mieter*innenversammlungen ins Leben zu rufen, ein Mietkomitee auf die Beine zu stellen und einzelne Mietkämpfe anzufachen und zu begleiten.
Dennoch mussten wir Anfang 2020 – inmitten der Hochzeit der Coronapandemie – ähnlich wie einige andere Stadtteilgruppen auch feststellen, dass es uns in den vier Jahren trotz intensiver Praxis nicht gelungen war, wirklich viele Menschen aus dem Stadtteil zu organisieren und somit die Anzahl an Aktivist*innen zu erhöhen und kollektive politische Prozesse in Gang zu bringen. Auch in der bundesweiten innerlinken Debatte schien der anfängliche Aufschwung in Bezug auf Basisarbeit nachzulassen. Einige Gruppen hatten aufgehört, andere ihren Schwerpunkt wieder auf die Organisierung bereits politisierter junger Menschen aus der Stadt gelenkt oder sich darauf beschränkt, Politik im Stadtteil zu machen, ohne wirkliche Beteiligung einer wachsenden Basis, die aus dem Stadtteil selbst kommt.
Wir sind jedoch der Meinung, dass die fehlende Entwicklung der Praxis weder ein Ausdruck des Scheiterns des Ansatzes von Basisarbeit ist noch ein Beweis dafür, dass es in der Bundesrepublik nicht möglich ist, eine Macht von unten aufzubauen. Vielmehr denken wir, dass einige der Probleme in der Praxis aus einem verkürzten Verständnis von Basisarbeit sowie einer unzureichenden Analyse der bundesdeutschen Verhältnisse resultieren. Erste eher theoretische Reflexionen hierzu haben wir in unserem gemeinsamen Text mit Berg Fidel Solidarisch2 unter dem Namen Stadtteilbasisbewegung - die Konstruktion einer Alternative3 veröffentlicht. Darin haben wir beschrieben, was für uns der Unterschied zwischen "einfacher" und "komplexer" Basisarbeit ist und warum wir den Aufbau einer überregionalen Stadtteilbasisbewegung als Ziel von Basisarbeit für nötig erachten. Im vorliegenden Text werden wir auf diesen Überlegungen aufbauen, aber vor allem auch unsere konkreten Rückschlüsse auf die Weiterentwicklung der Praxis darlegen.
In den nachfolgenden Kapiteln werden wir zunächst erklären, welches Verständnis von Basisarbeit und vom Aufbau einer Macht von unten wir vertreten. Daran anschliessend stellen wir Kriterien für Basisarbeit dar. Anschliessend berichten wir davon, welche Praxis wir vor 2020 verfolgt haben und welche Entwicklungen darin uns dazu gebracht haben, einen anderen Ansatz zu verfolgen. Diesen Ansatz, den wir Beratungs-Organisierungs-Ansatz (BOA) nennen, stellen wir im Folgenden dar. Als letzten Teil starten wir einen Aufruf für den BOA-Ansatz.
2. Warum nochmal Basisarbeit? Vom Aufbau einer Macht von unten
Der Ausgangspunkt von revolutionärer Basisarbeit ist das Wissen um die Notwendigkeit und Möglichkeit einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung.4 Notwendig, weil das herrschende System (also der Kapitalismus als Ganzes bzw. als Gesellschaftssystem) nicht nur auf der brutalen Ausbeutung von Mensch und Natur basiert, sondern seine Funktionsweise und Reproduktion auch auf der Verschärfung der patriarchal-rassistischen Unterdrückungen basiert und aus all diesen Gründen ständig neue Widersprüche und Krisen produziert. Wir sind an einem Punkt in der Geschichte angelangt, an dem die Frage nach einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft nicht mehr nur eine Frage unter Linken ist, sondern eine, die das Überleben eines Grossteils der Menschheit an sich betrifft.Gleichzeitig hat sich das Bewusstsein über die Möglichkeit einer solchen Gesellschaftsveränderung in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Während der Bezug auf eine der unterschiedlichen Formen einer sozialistischen Systemalternative in den 1970er/80er Jahren für fast alle linken Bewegungen und Kämpfe weltweit noch selbstverständlich war, kommt ein Grossteil der hiesigen radikalen Linken in der heutigen Zeit ohne Bezugnahme auf ein alternatives gesellschaftliches Projekt aus. Mit der Zerschlagung zahlreicher linker Bewegungen in den 1970/80er Jahren weltweit, der Durchsetzung des Neoliberalismus und dem Zusammenbruch bzw. der Selbst-Delegitimierung des real existierenden Sozialismus ist der Kapitalismus nicht nur faktisch, sondern auch mental in den Köpfen der Menschen hegemonial geworden.
Die Parole von Margaret Thatcher5 „There is no alternative“ hat sich – auch wenn verhasst – als Teil der herrschenden Ideologie nicht nur in den Köpfen und Herzen vieler Menschen, sondern auch der meisten Aktivist*innen fest gesetzt. Zwar bezeichnen sich die meisten weiterhin als antikapitalistisch, aber bei näherer Betrachtung fehlt oft der Glaube daran, dass Systemveränderung wirklich möglich ist. Viele linke Kämpfe werden eher gegen bestimmte Aspekte des Kapitalismus geführt, als für ein grundlegend anderes System. Für viele ist es heute einfacher, sich ein Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus.
Die Frage, ob wir von der Möglichkeit einer grundlegenden Gesellschaftsveränderung ausgehen oder nicht, hat jedoch einen zentralen Einfluss auf unsere politische Praxis. Denn wenn wir nicht davon ausgehen, dass eine grundlegende Gesellschaftsveränderung möglich ist, dann müssen wir uns auch nicht mit der Frage auseinander setzen, wie unsere Praxis mit dem Ziel der Gesellschaftsveränderung konkret in Verbindung steht. Dann reicht es aus, wenn wir politische Aktionen gegen einen der vielen Angriffe des Systems durchführen, Veranstaltungen organisieren oder uns in die Subkultur als Schutzort6 zurück ziehen.
Wenn wir an einer grundlegenden Veränderung festhalten, stellt sich die Frage nach einer Strategie. Dann müssen wir diskutieren, wie wir uns einen emanzipatorischen Kampf für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung und gegen Ausbeutung und Unterdrückung vorstellen und welche Organisierungsformen wir dafür benötigen. Ausgehend also von all den Erfahrungen der Geschichte und vor dem Hintergrund der aktuellen Begebenheiten stellt sich die Frage: Mit welchen Strategien und Praxen können wir dazu beitragen, dass wir ein Gesellschaftssystem erkämpfen, in der nicht nur die materielle Existenz aller Menschen gesichert ist, sondern in der darüber hinaus alle Menschen die Möglichkeit haben, sich selbst zu ermächtigen und ihr menschliches Potential zu entfalten?
Wir denken, ein wichtiger strategischer Aspekt in diesem Zusammenhang ist der Aufbau von einer Macht von unten (populäre Macht). Denn wir gehen davon aus, dass eine grundlegende emanzipatorische Gesellschaftsveränderung nicht von wenigen für oder gegen die Gesellschaft durchgesetzt werden kann, sondern von einem breiten gesellschaftlichen Prozess getragen werden muss.7 Deshalb ist eines der Ziele unserer Arbeit, durch eine Organisierung von unten Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Wir nennen dies die Schaffung von populärer Macht. Sie ist wichtig, damit sich die Unterdrückten8 sozialstaatliche Elemente abgebaut, der Arbeitsmarkt und Finanzsektor flexibilisiert etc. gemeinsam gegen die Angriffe der herrschende Klassen und anderer Akteur*innen wehren und eine Verbesserung ihrer Situation erkämpfen können.
Langfristig braucht es Macht von unten (populäre Macht), um gegen die herrschenden Strukturen als Ganzes zu kämpfen und diese zu überwinden. Gleichzeitig ist mit der Schaffung populärer Macht verbunden, eigene Räume und Strukturen zu schaffen, in denen Lernprozesse und Prozesse der Politisierung stattfinden können. Denn eine neue Gesellschaft kann nur dann nachhaltig aufgebaut werden, wenn emanzipatorische Denk- und Verhaltensweisen im (Kampf- )Prozess der Gesellschaftsveränderung erlernt werden. Zum Beispiel geht es darum, im Organisierungsprozess und in den eigenen Räumen zu erlernen, wie Basisdemokratie funktioniert (also wie man gemeinschaftlich Entscheidungen trifft, wie Versammlungen funktionieren, wie ein Delegiertensystem aussieht), wie kollektive Selbstverwaltung realisiert werden kann, wie Konfliktlösungen jenseits von staatlichen Organen aussehen können usw., kurz gesagt, wie die Organisierungsstrukturen der Machtausübung von unten aufgebaut werden können. Diese selbstverwalteten Räume und Strukturen denken wir dabei nicht als Nischen und Rückzugsorte für Aktivist*innen, die abgetrennt von der Gesellschaft existieren, sondern wir verstehen darunter Strukturen und Räume, die in einen Organisierungsprozess von unten eingebunden sind. Sie sind als materielle Bedingungen die Grundlage für Organisierung, als Basis zur Selbstermächtigung. Revolutionäre Basisarbeit ist für uns eines der Mittel, um so eine Macht von unten aufzubauen.
Kriterien von Basisarbeit
a) Bevor wir starten: politische Klarheit und Definition von ZielenBasisarbeit an sich ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug oder eine Methode, die wir benutzen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Deshalb müssen wir definieren, was unser Ziel ist, bevor wir in einen Stadtteil gehen und dort mit Basisarbeit beginnen. Wenn wir Basisarbeit machen, weil wir eine emanzipatorische Gesellschaftsveränderung anstreben, dann müssen wir uns die Frage stellen, wie das, was wir vor Ort im Stadtteil machen, mit dieser Vision einer Gesellschaftsveränderung strategisch verbunden ist. Je nachdem, wie wir unsere Ziele und Strategien definieren, ändert sich die Art und Weise, wie wir Basisarbeit machen.
Ein Kriterium ist, dass es eine Anfangsgruppe braucht, die gemeinsame Ziele definiert und vor dem Hintergrund dieser Ziele einen strategischen und politischen Rahmen für die Entwicklung der Praxis festlegt. Wir haben festgestellt, dass es Genoss*innen oft schwer fällt, bereits als kleine Anfangsgruppe solche Ziele und Rahmenbedingungen festzulegen, bevor sie in die Stadtteilarbeit starten und auf die Suche nach Mitstreiter*innen gehen. Nicht, weil sie es nicht könnten, sondern, weil die Sorge besteht, dass ein vermeintlich fertiges Konzept abschreckend wirken oder bevormundend/autoritär sein könnte. Um dies zu vermeiden, versuchen neue Stadtteilgruppen häufig von Beginn an möglichst offen zu sein und zu Versammlungen einzuladen, um gemeinsam mit anderen politischen Aktivist*innen oder Nachbar*innen zu diskutieren, was die Ziele und Inhalte der zu entwickelnden Praxis sein sollen. Nicht selten führt dies jedoch im Verlauf zu frustrierenden Diskussionsprozessen, Spaltungen und vielen Unklarheiten, die die Entwicklung einer strategischen Praxis erschweren.
Wir denken, dass es für die Entwicklung einer revolutionären Basisarbeit zu Beginn Klarheit innerhalb der Anfangsgruppe darüber braucht, was die Ziele und der Rahmen der zu entwickelnden Stadtteilarbeit sind, auf deren Basis dann Mitstreiter*innen gesucht werden. Wir müssen wissen, wohin wir gehen wollen, bevor wir aufbrechen. Dafür ist es hilfreich, zu Beginn politische Übereinkünfte zu formulieren, die den Rahmen für die weitere Entwicklung und den Aufbau der Basisorganisation bilden. Die Umsetzung der Ziele in eine Praxis sowie deren ständige Reflexion und Weiterentwicklung ist dann die gemeinsame Aufgabe all derjenigen, die mit den definierten Zielen übereinstimmen, den grundsätzlichen Ansatz teilen und sich gemeinsam auf den Weg begeben. Ohne eine gemeinsame Vorstellung davon, wo wir mit der Basisarbeit hinwollen, ist die Gefahr gross, dass das Projekt beliebig wird oder scheitert.
b) Aufbau einer Basis – die existentiellen Ausgangsbedingungen der Organisierung
Ein zweites Kriterium von Basisarbeit ist, dass sie in der Lage sein muss, viele Menschen zusammen zu bringen und in einem Organisierungsprozess miteinander zu verbinden. Sie muss also in der Lage dazu sein, eine Basis9 aufzubauen. Es ist jedoch schwer, Menschen davon zu überzeugen, sich zu organisieren, wenn die Organisierung nicht zur Lösung von Problemen beiträgt, die im Alltag eine erhebliche Belastung darstellen und ihren Alltag bestimmen (abgesehen vielleicht von jungen Menschen, die sich eher über eine politische Agitation organisieren lassen). Die meisten Menschen organisieren sich anfangs nicht, weil sie die Welt verändern möchten, sondern weil sie sich eine Lösung für die zentralen Probleme versprechen, mit denen sie zu kämpfen haben. Das heisst, der Ausgangspunkt für Organisierung sollte eine existentielle Notwendigkeit sein, ein individuelles Bedürfnis, das viele Menschen teilen, bisher aber vereinzelt angegangen sind. Schaut man in andere Länder so sind oder waren Ausgangspunkte für solche Organisierungsprozesse z.B. Wohnungslosigkeit, Landlosigkeit, Hunger, Arbeitslosigkeit oder rassistische Unterdrückung.
Wenn wir in der Bundesrepublik eine erfolgreiche Stadtteilbasisarbeit entwickeln wollen, dann müssen wir uns deshalb zuallererst die Frage stellen, was existentielle Notwendigkeiten in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen sind. In einer Gesellschaft, in der der Staat aufgrund seiner imperialistischen Wirtschaftspolitik in der Lage ist, einen Sozialstaat aufrechtzuerhalten, der viele der existentiellen Bedürfnisse oberflächlich befriedigt und viele Menschen direkt oder indirekt an staatlichen Leistungen und soziale Hilfesysteme bindet. Was bedeutet dies für den Aufbau von Massenorganisationen? Wie ist die Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat strukturiert und was könnten darin Ausgangspunkte aber auch Hindernisse für breitere Organisierungsprozesse sein?
Wir denken, dass einer der Fehler vieler bisheriger Stadtteilansätze – unserem inbegriffen – war, dass wir in unsere Praxis gestartet sind, ohne dass wir vorher die Frage nach den existentiellen Notwendigkeiten als Ausgangspunkte der Organisierung ausreichend beantwortet haben. Viele der Stadtteilinitiativen oder Basisprojekte haben – wie wir – damit begonnen, verschiedene soziale, kulturelle und politische Angebote im Stadtteil zu entwickeln oder Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, in denen Leute zusammen kommen können. Aber die Mehrheit der Leute, die in den Stadtteilen wohnt, nutzen diese Räumlichkeiten oder Angebote nicht. Soziale, kulturelle oder politische Veranstaltungen sind wichtig, aber unserer Erfahrung nach kein ausreichender Ausgangspunkt für eine dauerhafte Organisierung. Sie sprechen – bis auf ein paar Ausnahmen – zumeist bereits im weiteren Sinne politisierte, vorwiegend weisse, akademische, junge Menschen an und reproduzieren damit häufig die eigene Szene.
c) Aufbau von verbindlichen Basisorganisationen
Ein drittes Kriterium der Basisarbeit ist, dass sie zum Aufbau von verbindlichen Basisorganisationen beitragen muss. Das heisst, es reicht nicht, wenn wir Stadtteilbasisarbeit machen und uns damit zufrieden geben, dass wir als Gruppe von Aktivist*innen im Stadtteil bekannt werden und Kontakte aufbauen. Unsere Erfolge messen wir häufig daran, dass uns viele Nachbar*innen kennen oder wir mit dem Ladenbesitzer hier und der Taxifahrerin dort ein Pläuschchen halten oder Leute zu unseren Aktionen oder Angeboten kommen. Aber es ist etwas grundsätzlich anderes, ob eine Gruppe von Aktivist*innen im Stadtteil Politik macht und dadurch eine gewisse Bekanntheit und Beliebtheit erreicht oder ob sie über ihre Praxis in der Lage ist, eine Basisorganisation aufzubauen, in der ein Teil der Bewohner*innen des Stadtteils selbst zu aktiven Mitgliedern wird. Wir müssen uns klar machen, dass nicht nur wir – als linke Aktivist*innen – die Subjekte der Gesellschaftsveränderung sind, sondern wir müssen darauf hinwirken, dass sich mehr Unterdrückte als Initiativkräfte für Gesellschaftsveränderung sehen. Das Ziel von revolutionärer Basisarbeit muss also sein, Menschen dazu zu ermutigen und zu befähigen, selbst Teil der Lösung ihrer Probleme und damit Subjekte der Veränderung zu werden.
Das Werkzeug der Veränderung ist die kollektive Organisierung und nicht der Aktivismus einer kleinen Gruppe. Das heisst aber auch, dass eine Praxis, die auf einer Gruppe von Aktivist*innen beruht, die sich immer neue Kampagnen, Aktionen oder Veranstaltungen für den Stadtteil ausdenken, nicht ausreicht. Selbst die Mobilisierung von vielen Leuten zu Aktionen im Stadtteil ist etwas anderes, als viele Leute aus dem Stadtteil, die organisiert sind. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Mobilisierung und Organisierung. Mobilisierungen finden relativ häufig statt, teils spontan oder auch weil eine Gruppe zu etwas aufgerufen hat. Sie konzentrieren sich auf ein bestimmtes Thema oder eine Forderung. Aber nachdem das Ziel erreicht wurde (oder auch nach einer bestimmten Zeit ohne Erfolg), zerstreuen sich die Menschen wieder.
Im Zentrum des Organisierens steht hingegen, eine wachsende Anzahl von Menschen dazu zu bringen, langfristig zusammen zu arbeiten und selbst Träger*innen einer grundlegenden Veränderung zu werden. Wenn wir dem hoch organisierten System etwas entgegen setzen wollen, reichen unverbindliche Angebote, Mobilisierungen zu einzelnen Themen oder das Führen von einzelnen sozialen Kämpfen (selbst wenn diese vorübergehend dynamisch sind, wie viele der Mietkämpfe) aus unserer Sicht nicht aus. Das heisst, dass wir Wege finden müssen, wie wir Menschen dazu motivieren können, sich längerfristig zu organisieren und verbindliche Strukturen so aufzubauen, dass sie nicht zusammenbrechen, wenn einige zentrale Aktivist*innen aus der Praxis ausscheiden.
Verbindliche Strukturen im Sinne einer Basisorganisation sind – anders als bei einer Gruppe – darauf ausgelegt, zu wachsen und Strukturen zu schaffen, in denen sich mehr Mitglieder verantwortlich beteiligen können und sich so zu Aktivist*innen/Initiativkräften entwickeln und ermächtigen (Multiplikation von Aktivist*innen). Um so eine Basisorganisation – und weiter gedacht – überregionale organisierte soziale Bewegung aufzubauen, braucht es ein Verständnis davon, wie eine Basisorganisation aussehen muss, in der sich 100 oder mehr Menschen – nicht nur als passive Mitglieder – organisieren.10 Basisorganisationen als organisierte soziale Bewegung bzw. in Form von politischen Massenorganisationen brauchen unter anderem transparente Strukturen, politische Grundsätze, verschiedene Beteiligungsformen und Arbeitsteilung.11
Sich als Organisation zu verstehen, sollte aber nicht mit einer Gleichmachung und dem Ignorieren von Unterschiedlichkeit gleichgesetzt werden. Wir werden alle auf unterschiedliche Weisen innerhalb dieses Systems unterdrückt und ausgebeutet. Innerhalb der Basisorganisation muss es daher ein Ziel sein, sich als Teil einer Organisation zu verstehen, in der wir gemeinsam füreinander und für eine grundlegende Gesellschaftsveränderung kämpfen. Wir möchten die Trennungen aufgrund bestimmter struktureller Unterdrückungen, die derzeit gesellschaftlich vorherrschen, überwinden und etwas Gemeinsames schaffen, in dem wir mit in unserer Unterschiedlichkeit gemeinsam Seite an Seite kämpfen.
d) Politische Bildung
„Mehr als alle anderen sollten die Unterdrückten selbst wissen, wie man das kapitalistische System zerlegt und Lösungen für die Probleme von Menschen finden kann. Es ist leicht, diejenigen zu besiegen, die nicht lernen, diejenigen, die aufhören zu denken. Es ist traurig zu wissen, dass viele Studierte nicht in den Kampf eintreten. Aber es ist unverzeihlich, wenn eine kämpfende Person nicht studiert, nicht intellektuell wird. Studieren bedeutet zu verstehen, was mit dir und mit anderen passiert und nach einer Lösung zu suchen. Dies erfordert eine Reflexion über die eigene Erfahrung und die historische Erfahrung der Klasse der Unterdrückten, die Aneignung des angesammelten Wissens. Sich zu bilden bedeutet weder Kurse zu belegen noch den Kopf mit Informationen zu füllen. Es bedeutet, Antworten finden zu können, die die Probleme der Menschen heute betreffen.“ 12
Menschen zusammenzubringen und dazu einzuladen, sich zu organisieren, ist eine Aufgabe der Basisarbeit. Eine andere – und häufig schwierigere – ist, sie dazu zu motivieren, organisiert zu bleiben und deutlich zu machen, warum es einen permanenten Kampf- und Lernprozess sowie eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft braucht. In dem Text „Stadtteilbasiswegung – die Konstruktion einer Alternative“13 haben wir diesen zweiten Aspekt als „Arbeit an der Basis“ bezeichnet. Politische Bildung spielt dabei eine zentrale Rolle und stellt daher das vierte Kriterium für Basisarbeit dar. Aus unserer Praxis heraus wissen wir, dass es häufig einfacher für langjährige Aktivist*innen ist, Dinge selbst zu tun, um Zeit zu sparen und das Gefühl zu haben, dass etwas vorangeht.
Wir sind es gewohnt mit wenigen Leuten in kurzer Zeit Kampagnen, Veranstaltungen oder andere Projekte auf die Beine zu stellen. Aber wenn wir ernst nehmen, dass wir für eine Gesellschaftsveränderung eine breite organisierte Kraft brauchen und Prozesse, die Menschen ermächtigen, ihre Subjektivität zu entfalten, dann ist die Weitergabe von Wissen, Erfahrungen und Fähigkeiten essentiell. Dann muss ein wesentlicher Kern von Basisarbeit die organisierte Verbreitung von kollektivem Wissen zur Überwindung von Unterdrückung und Ausbeutung sein.
Sie gewährleistet, dass das Wissen, dass sich in den Kämpfen der Arbeiter*innen historisch angesammelt hat, zu denjenigen kommt, die heute unterdrückt werden und die das Wissen zum Verständnis und der Veränderung ihrer Situation brauchen. Zum anderen hilft politische Bildung, die vielzähligen rassistischen, sexistischen oder neoliberalen Denk- und Verhaltensweisen zu erkennen und zu hinterfragen. Das heisst, dass wir von Beginn an unsere Strukturen so aufbauen sollten, sodass sowohl neue Leute, die zu uns stossen, als auch langjährige Initiativkräfte die Möglichkeit erhalten, sich darin zu bilden und zu entwickeln.
Politische Bildung hat aber auch die wichtige Funktion Aktivist*innen zu multiplizieren oder andersherum Menschen zu Aktivist*innen auszubilden und somit Wissensunterschiede innerhalb der Organisation zu verkleinern und die Verantwortung von einigen wenigen auf viele auszuweiten. Denn: „Eliten haben keine Angst vor herausragenden Führer*innen. Es ist für sie leicht, diese zu isolieren, zu zerstören, einige der herausragenden Köpfe zu “kaufen”. Die Vermehrung von Aktivist*innen und Aktionen macht all denjenigen Angst, die sich an die Praxis der Herrschaft gewöhnt haben. Deshalb muss die Multiplizierung von Aktivist*innen ein zentrales Ziel der Basisarbeit und der Struktur der Organisierung sein“14.
Viele von uns haben wenig Erfahrung mit solchen organisierten Bildungsstrukturen, die sich an den Notwendigkeiten der Praxis orientieren. Die meisten haben sich ihr Wissen individuell und zufällig angeeignet, wie z. B. durch Bücher lesen, an der Uni oder auf politischen Veranstaltungen. Als Organisation oder organisierte Bewegung ein eigenes Bildungssystem aufzubauen, ist jedoch etwas anderes. Wir können dabei viel von anderen Bewegungen lernen, wie der MST, der kurdischen Bewegung, aber auch neueren Basisorganisationen wie der L.A Tenants Union. Bildung findet dort zum einen über eigene Akademien und Bildungsangebote mit unterschiedlichen Stufen, zum anderen durch die Reflexion der eigenen Lebenssituation (z.B. die Auseinandersetzung mit der Frage, warum manche Menschen mehrere Häuser besitzen und andere zwangsgeräumt werden) statt.
Politische Bildung in einer Basisorganisation findet also auf unterschiedlichsten Ebenen statt: in der Praxis selbst über das Miterleben kollektiver Entscheidungsfindungsprozesse, basisdemokratischer Verwaltung, das Organisieren von Aktionen zur Durchsetzung von Forderungen oder über die gezielte Vermittlung von theoretischem und praktischen Wissen. Wir sollten die konkreten Kämpfe für eine Verbesserung der jeweiligen Lebenssituationen (Kampf gegen Mietsteigerungen, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne, gegen rassistische Polizeigewalt etc.) als Ausbildung für den Kampf gegen das gesamte System und den Aufbau einer grundlegend anderen Gesellschaft nutzen.
Wenn wir von der Notwendigkeit politischer Bildung sprechen, dann stossen wir immer wieder auf Skepsis oder auch Ablehnung. Politisierung wird mit Autoritarismus in Verbindung gebracht beziehungsweise mit einer vermeintlich arroganten Überzeugung linker Aktivist*innen, mehr zu wissen als andere. Es wird entgegnet, alle Menschen besässen bereits Wissen aus ihren alltäglichen Erfahrungen und der Bewältigung ihres Alltags und bräuchten deshalb keine linken „Besserwisser*innen“.
Es stimmt, dass alle Menschen über Wissen verfügen, sei es über ihre eigene Lebensrealität oder darüber, wie man die alltäglichen Probleme bewältigen kann. Aber es ist auch ein Fakt, dass die Möglichkeiten, sich kritisches Wissen in dieser patriarchal-rassistischen Klassengesellschaft anzueignen unterschiedlich verteilt sind beziehungsweise die Aneignung von kritischem Wissen gezielt erschwert wird. Das führt zu der absurden Situation, dass zum Beispiel teilweise weisse Studierende mehr über die Black Panther Party oder Geschichte der Arbeiter*innenbewegung wissen, als viele Schwarze Geflüchtete oder Arbeiter*innen aus dem Stadtteil. Organisierte politische Bildung heisst, Wissen zu verbreiten. Und zwar weder zufällig noch spontan, sondern als organisierter und fester Bestandteil einer Basisorganisation. Das bedeutet auch, dass wir uns überlegen müssen, welches Wissen wir aus dem Ozean der Theorie und den angesammelten Erfahrungen für das Verständnis unserer Situation und unserer Kämpfe am dringendsten benötigen und uns mit Methoden zu beschäftigen, wie politische Bildung aussehen kann.
e) Mobilisierungen und konkrete Kämpfe
Ein weiteres wichtiges Kriterium von Basisarbeit ist das Führen von konkreten Kämpfen bzw. regelmässige Mobilisierungen und kollektive Aktionen. Sie haben für die politische Selbstermächtigung und die Erfahrung von kollektiver Handlungsfähigkeit eine wichtige Bedeutung. Solidarität und die Kraft von Organisierung lassen sich nicht nur abstrakt vermitteln, sondern brauchen konkrete Beispiele. Wenn wir zum Beispiel mit vielen Leuten vor dem Jobcenter oder einem Unternehmen stehen, ändert das etwas an unserem Gefühl der Ohnmacht und der Individualisierung. Selbst wenn diese Kämpfe nicht erfolgreich sind, kann das Gefühl, Teil einer Organisation zu sein und nicht alleine dazustehen, die politischen Selbstwirksamkeit stärken. Ähnliches passiert, wenn Leute das erste Mal an einer Demonstration teilnehmen, über ihre Probleme in der Öffentlichkeit reden oder gemeinsam Parolen rufen.
Es geht darum zu lernen, dass Druck entstehen und sich Kräfteverhältnisse verändern können, wenn viele Menschen organisiert sind und organisiert auftreten. Dazu braucht es die kollektive Aktion. Mobilisierungen und Aktionen machen also den kämpferischen und politischen Charakter der Basisorganisation deutlich und markieren so den Unterschied zu Sozialer Arbeit. Ausserdem ist das Bewusstsein darüber, dass wir kollektiv etwas bewegen können und müssen, notwendig, um grundlegende Gesellschaftsveränderung überhaupt erkämpfen zu können. Gleichzeitig ist die Strasse selbst ein Lernfeld und Ort der Politisierung. Denn ich erlebe die Wirklichkeit anders, wenn ich in Bewegung bin oder mich in einer Auseinandersetzung befinde, wie z.B. bei der Funktion von staatlichen Institutionen.
f) Schaffung einer organisierten sozialen Bewegung
Eine einzelne Basisorganisation in einem einzelnen Stadtteil wird nicht viel verändern. Die Gefahr ist gross, dass sich die Initiative irgendwann verläuft oder zu Sozialer Arbeit wird. Wenn unser Ziel ist, eine organisierte Kraft von unten aufzubauen, die zu einer politischen Akteurin werden kann und das Potential hat, die gesellschaftlichen Verhältnisse und Hegemonie herauszufordern, dann wird schnell klar, dass der begrenzte Blick auf einen einzelnen Stadtteil nicht ausreicht. Revolutionäre Basisarbeit kann also nicht nur mit dem Ziel verbunden sein, eine lokale Basisorganisation aufzubauen, sondern braucht eine überregionale Perspektive. Wir nennen diese Perspektive organisierte soziale Bewegung.
Wir verstehen unter einer organisierten sozialen Bewegung eine politische und soziale Massenorganisation, die in verschiedenen Stadtteilen und Städten verankert ist, und die gemeinsame Organisierungsstrukturen und politische Übereinkünfte hat. So eine Organisation ist weder eine reine „Organisation der Revolutionär*innen“ im klassischen Sinne, noch eine reine „Organisation der Arbeiter*innen“, sondern verbindet verschiedene Charaktere: einen Gewerkschaftlichen (Werkzeug, konkrete Verbesserungen zu erkämpfen/durchzusetzen), einen Sozialen (Menschen zusammenbringen und eine solidarische und emanzipatorische Kultur entwickeln) und einen Politischen (es gibt bestimmte politische Grundsätze und Ziele). Es sind politische und soziale Massenorganisationen, die sowohl bestimmte ökonomische Forderungen haben und erkämpfen wollen, als auch politische Ziele und Forderungen und ihre Mitglieder politisch bilden.
Solche Formen wurden vor allem im südamerikanischen Raum entwickelt. Ein Beispiel ist die Bewegung der Arbeiter*innen ohne Land in Brasilien oder Arbeiter*innen ohne Dach (MST/MTST). Der Begriff der Bewegung wird dabei anders benutzt als im europäischen Kontext, in dem als Bewegung meist ein loses Mosaik an Organisationen, Gruppen und Protesten auf der Strasse verstanden wird, die sich auf ein bestimmtes Themengebiet beziehen (feministische Bewegung, Klimabewegung etc.). Bewegung im Sinne einer organisierten sozialen Bewegung bezeichnet eher eine überregional funktionierende Massenorganisation, die auf einzelnen lokalen Basisorganisationen basiert, aber gemeinsame Grundsätze, Ziele und Kommissionen hat. Im Bereich der Stadtteilbasisbewegung hiesse dies, eine überregionale Bewegung mit Stadtteilgewerkschaften als lokalen Beinen.
In der bisherigen Diskussion über Basisarbeit scheint uns die Frage nach der überregionalen Perspektive häufig vernachlässigt worden zu sein. Wenn überhaupt, dann wurde unter überregionaler Zusammenarbeit eher eine lockere Vernetzung oder Erfahrungsaustausch verstanden. Für viele erscheint die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen auf überregionaler Ebene zunächst als etwas zusätzliches zu der lokalen Arbeit, das vor allem Zeit und Kapazitäten in Anspruch nimmt, aber keinen direkten Zusammenhang mit oder Effekt auf die lokale Praxis hat. Auch wir selbst haben uns lange Zeit auf den Aufbau der lokalen Praxis konzentriert und auch von anderen Gruppen oft gehört, sie bräuchten erst mal Erfolge in der lokalen Praxis, bevor sie sich über eine überregionale Zusammenarbeit oder gar Organisierung Gedanken machen könnten.
Inzwischen würden wir jedoch sagen, es ist andersherum. Eine überregionale Organisierung hilft, Erfahrungen nicht überall von Null an neu zu machen, sondern sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam Erfahrungen auszuwerten und Strategien zu entwickeln. Bestimmte Aufgaben, wie zum Beispiel die Erstellung von Bildungsmaterialien oder Flyern, können geteilt werden. Es ist wesentlich schwieriger, unterschiedliche Stadtteilorganisationen, die sich über einen längeren Zeitraum getrennt voneinander entwickelt haben, perspektivisch zusammen zu denken oder miteinander zu organisieren, als Initiativen, die sich parallel und gemeinsam aufbauen. Das heisst, von Beginn an die Entwicklung der überregionalen und lokalen Strukturen zusammen zu denken, ist wichtig, um die grössere Perspektive nicht aus den Augen zu verlieren und Parallelitäten in unterschiedlichen Städten zu entwickeln, die den Aufbau einer gemeinsamen Organisierung erleichtern.
g) Langfristige Kontinuität – ein langer Atem
Ein weiteres wichtiges Kriterium in Bezug auf Basisarbeit ist langfristige Kontinuität. Basisorganisierungsarbeit ist ein permanenter Prozess – genauso wie eine grundlegende Gesellschaftsveränderung als Ganzes. Wir werden in unserer politischen Praxis Erfolge und Niederlagen erleben. Die Herausforderung ist, daraus zu lernen und die eigene Praxis weiter zu entwickeln. Dafür müssen wir uns aus der Sichtweise lösen, dass unsere politische Praxis unmittelbare, überprüfbare Ergebnisse erzielt. Viele Folgen, wie zum Beispiel Schlüsselmomente in den Politisierungsprozessen einzelner Mitglieder sind nicht unmittelbar messbar.
Trotzdem sind sie entscheidend. Statt jede unserer Aktionen nach kurzfristigem Nutzen zu bewerten, versuchen wir uns als kleinen Teil eines historischen Lernprozesses zu begreifen. Das bedeutet, dass man Dinge ausprobieren darf und mit einer gewissen Fehlertoleranz an die Praxis herangeht. Fehler sind gut, wenn man aus ihnen lernen kann, denn ohne ein gewisses trial and error wird man einen neuen Ansatz nicht weiterentwickeln können. Deswegen ist es uns wichtig, die Praxis sowohl im Hinblick auf eine langfristige Strategie der Gesellschaftsveränderung, als auch im Hinblick auf kurzfristige taktische Aspekte und Notwendigkeiten anzupassen und zu verbessern.
Wir können nicht erwarten, in kürzester Zeit grosse Ergebnisse im Sinne von grundlegender Gesellschaftsveränderung zu erzielen. Wer davon ausgeht, die eigene Geschichte zu Ende zu schreiben, läuft Gefahr, alles zu geben, auszubrennen und sich irgendwann ins Private oder die Subkultur zurückzuziehen. Wer sich jedoch als Teil eines historischen Lernprozesses begreift, der weiss, dass unser Weg ein Marathon und kein Sprint wird. Dafür ist es wichtig, die eigenen Ressourcen so aufzuteilen, dass man auch in Jahren noch in der Lage sein kann aktiv politische Arbeit zu betreiben.
Revolutionäre Basisarbeit konfrontiert Aktivist*innen zudem mit all den Widersprüchen, die es in der Gesellschaft und der eigenen Klasse gibt. Das ist für viele erst mal anstrengend, weil es erfordert, sich aus der Komfortzone der eigenen Szene herauszuwagen. Und, weil der Ansatz der Basisarbeit immer noch marginal innerhalb der radikalen und revolutionären Linken ist, wird man gerade in der Anfangsphase mit Vorwürfen über vermeintliche Unproduktivität konfrontiert werden. Es stimmt, dass revolutionäre Stadtteilarbeit langsamer sichtbare Erfolgserlebnisse hat als eine Kampagne oder die Planung einer Party oder Demonstration. Langfristig ist sie allerdings in der Lage sonst unmögliche Erfolge zu erzielen und Menschen zu ermöglichen, sich zu politischen Subjekten zu entwickeln und zu unseren Mitstreiter*innen zu werden, die wir sonst nicht hätten erreichen können. Der Aufbau einer Stadtteilgewerkschaft erfordert daher eine langfristige Organisierung über Jahre und Menschen, die viel Arbeit und Zeit in den Aufbau stecken.
3. Geschichte und Entwicklungen bis Ende 2019
Nach den einführenden Überlegungen zu dem grundlegenden Verständnis und Kriterien von Basisarbeit möchten wir unsere Praxiserfahrungen bis Ende 2019 näher erläutern. Diese zu kennen ist notwendig, um die Entwicklung des Beratungs-Organisierungs-Ansatzes (BOA) theoretisch als auch praktisch nachvollziehen zu können.Wir haben 2016 als Initiativgruppe von Solidarisch in Gröpelingen begonnen, revolutionäre Basisarbeit in einem Stadtteil in Bremen zu entwickeln. Vorausgegangen war die Veröffentlichung der 11 Thesen15, infolgedessen sich eine Gruppe von Aktivist*innen zusammen gefunden hat, mit dem Ziel, die theoretischen Überlegungen der Thesen in Bremen in eine lokale Praxis zu übersetzen. Unser Ausgangspunkt damals war es, linke Politik in die Gesellschaft zu tragen und organisierte Strukturen von unten aufzubauen, in denen Menschen zusammenkommen, eine solidarische Kultur untereinander leben, kollektive Lösungen für ihre individuellen Probleme entwickeln und sich über die gemeinsame Organisierung auch ein politisches Bewusstsein aneignen können. Was das konkret bedeutet, haben wir uns erst nach und nach erschlossen – und tun es auch noch weiter. .
Nach einigen Kennenlerntreffen, in denen wir uns über unsere jeweils eigenen Hintergründe und Perspektiven ausgetauscht haben, haben wir damals relativ schnell mit der Praxis begonnen. Das hat dazu geführt, dass wir im Gehen viele der Diskussionen nachholen mussten, die für die Entwicklung der Praxis grundlegend waren. Im Nachhinein würden wir sagen, dass es besser ist, sich am Anfang etwas Zeit zu nehmen, um sich als Anfangs-Initiativgruppe besser kennenzulernen, politische Übereinkünfte miteinander auszuhandeln, sich gemeinsame Ziele zu setzen sowie einen Rahmen für die geplante Praxis festzulegen. Das hilft auch bei der Suche nach neuen Mitstreiter*innen.
Unser erster Schritt in die Praxis war die Auswahl eines Stadtteils. Dazu haben wir unterschiedlichste Stadtteile anhand von Statistiken und anderen Informationen, aber auch durch Umfragen vor Ort erforscht. Relativ bald liessen sich daraus zwei grobe Kategorien von Stadtteilen ableiten: Stadtteile, die eher zentral liegen, eher von einer Mittelschicht geprägt sind, in denen viele linke Aktivist*innen leben und es bereits viele kulturelle und politische Aktivitäten gibt. Und auf der anderen Seite Stadtteile, die weiter weg vom Zentrum liegen, in denen nur wenige Aktivist*innen wohnen, es kaum kulturelle oder politische Aktivitäten gibt und in denen viele Menschen leben, die prekär arbeiten, ALG II beziehen und zudem noch von Rassismus und/oder der Aufenthaltsgesetzgebung betroffen sind.
Obwohl die meisten der Anfangsgruppe in den zentrumsnahen Stadtteilen wohnten, haben wir uns dafür entschieden, unsere Praxis in einem Stadtteil zu beginnen, der zu der zweiten Kategorie zählt. Ein Grund war, dass Menschen bei unserer Umfrage dort viel klarer über Probleme im Alltag und die Notwendigkeit von Veränderung gesprochen haben, als bei unseren Umfragen in den zentrumsnahen und tendenziell reicheren Stadtteilen. Wir sahen dort ausserdem in den Lebensumständen vieler Bewohner*innen existentielle Notwendigkeiten gegeben, wodurch wir hofften, dass sich Menschen dort eher dazu bereit wären, sich gemeinsam zu organisieren.16 Es macht sicher Sinn, wenn Menschen aus der Anfangsgruppe in dem Stadtteil wohnen, in dem mit dem Aufbau einer Basisorganisation begonnen wird, aber wir würden sagen, dass dies keine Notwendigkeit darstellt. Wichtiger ist, aus unserer Sicht, dass unsere Praxis auf eine existentielle Notwendigkeit trifft und eine Klassenperspektive einnimmt, was in prekären Stadtteilen eher gegeben ist.
Nach der Auswahl des Stadtteils haben wir dort über einen längeren Zeitraum unsere Infotische und Umfragen fortgeführt. Das war für uns eine gute Möglichkeit, die Bedingungen vor Ort besser kennenzulernen, aber vor allem auch eine Gelegenheit, uns in den Gesprächen mit Menschen auf der Strasse auszuprobieren und mehr Selbstvertrauen zu entwickeln. Irgendwann wurde klar, dass es nicht mehr ausreicht, weiter nur Umfragen zu machen, sondern, dass wir Angebote entwickeln und Orte schaffen müssen, an denen Menschen zusammenkommen.
Der erste Schritt war deshalb die Organisation eines wöchentlichen offenen Cafés als Anlaufpunkt. Da wir über keine eigenen Räumlichkeiten im Stadtteil verfügten, waren wir damals darauf angewiesen, städtische Räume des sogenannten Quartiersmanagements zu nutzen. Zu den Cafés luden wir die Bewohner*innen der umliegenden Häuserblocks aktiv ein, durch Haustürgespräche und persönliches Einladen vor Beginn der Cafés. Dadurch wurden die Cafés relativ bald von einigen der Bewohner*innen genutzt und es zeigte sich schnell, dass es viele Probleme mit der gemeinsamen Vermieterin – einer Immobilienfirma – gab.
Auf einigen gemeinsamen Treffen besprachen wir mit den Bewohner*innen Möglichkeiten sich gegen die Vermieterin zu wehren und für eine Verbesserung der Wohnbedingungen in den Häuserblocks zu kämpfen. Doch als das Quartiersmanagement von den Versammlungen und deren Inhalt erfuhr, wurden wir aufgefordert aufzuhören, die Bewohner*innen aufzuwiegeln. Kurze Zeit später wurde uns untersagt, die Räumlichkeiten für irgendetwas anderes als "neutrale" Cafés zu benutzen. Auch den Bewohner*innen wurden die Schlüssel für den Raum entzogen, nachdem ein heimliches Treffen ohne Wissen des Quartiersmanagements dort stattgefunden hatte.
Der Entzug des Raumes bestätigte nicht nur unsere Einschätzung der Rolle und Politik des Quartiersmanagements im Klassenkonflikt in den Stadtteilen, sondern führte uns auch die Notwendigkeit vor Augen, einen eigenen Raum anzumieten, den wir gestalten und nutzen können. Nach der Anmietung eines eigenen Stadtteilladen Ende 2017 begannen wir dort unterschiedliche Angebote zu entwickeln. Dazu gehörten soziale, kulturelle und politische Angebote, wie Mathe-Nachhilfe, Deutschkurse, Filmabende, Veranstaltungen, offene Essensangebote oder Cafés, und auch Kampfkomitees in unterschiedlichen Bereichen wie zum Beispiel zu Miete, oder Arbeit.
Unter dem Dach der Stadtteilgewerkschaft sollten diese unterschiedlichen Kämpfe zusammenfliessen und Orte geschaffen werden, die gegenseitige Unterstützung und Solidarisierungsprozesse ermöglichen sowie das Bewusstsein stärken, dass die unterschiedlichen individuelle Probleme ähnliche strukturelle Ursachen haben. Um dies zu erreichen, haben wir zum einen eine Struktur entwickelt, die aus inhaltlichen Komitees bestand, wie dem Mietkomitee, dem Arbeitskampfkomitee und später dem Antira-Komitee. Zum anderen aus einem wöchentlichen offenen Treffen, zu dem Menschen mit unterschiedlichen konkreten Problemen kommen konnten, um daraus direkte Aktionen/Kämpfe entwickeln zu können. Es gab also unterschiedliche Angebote mit dem Ziel, aus unterschiedlichen individuellen Problemlagen kollektive Kämpfe zu entwickeln und gleichzeitig eine solidarische Kultur und sozialen Austausch zu ermöglichen.
Erfolgreich waren wir damit jedoch nur im Mietbereich und auch nur für eine bestimmte Zeit. Da der Immobilienriese vonovia über 4000 Wohnungen in Gröpelingen besitzt, begannen wir 2017 mit einer gezielten Kampagne zur Mobilisierung der vonovia-Mieter*innenversammlung von vonovia Mieter*innen (2018) Mieter*innen. Wir klingelten bei so gut wie jeder vonovia-Wohnung, führten Haustürgespräche, klebten unsere Einladungen an alle Türen, organisierten Infotische und vieles mehr. Die Folge waren mehrere grosse Mieter*innenversammlungen, aus denen eine Mieter*innen-Demonstration durch den Stadtteil, sowie ein Mietkomitee hervorging.In dem Mietkomitee organisierten sich einige aktive Mieter*innen zusammen mit Aktivist*innen von Solidarisch in Gröpelingen über einen Zeitraum von zwei Jahren.
Einzelne Kämpfe mit der konkreten Forderung nach Reparaturen in Wohnungen einzelner Mieter*innen konnten durch öffentlichen Druck (vor allem Medienarbeit) gewonnen werden – die beiden zentralen Kämpfe (kollektiver Widerspruch gegen Betriebskosten und Entschädigung für monatelange Modernisierungsarbeiten eines Wohnblocks) blieben jedoch erfolglos. Ausserdem gelang es dem Mietkomitee nicht, wirklich viele Mieter*innen über einen Demo von vonovia Mieter*innen in Gröpelingen (2019) längeren Zeitraum aktiv einzubinden und den öffentlichen Druck dadurch konstant hochzuhalten. Gleichzeitig erforderte der kollektive Kampf um ine Reduzierung der Betriebskosten und die Entschädigung für nerven- aufreibende Modernisierungsarbeiten eine ausufernde individuelle Beratung. Diese Umstände führten dazu, dass das Mietkomitee Mitte 2020 inaktiv wurde, nachdem mehrere aktive Mieter*innen sich zudem wegen gesundheitlicher Gründe zurückziehen mussten und die Pandemie persönliche Treffen verhinderte.
Neben dem Mietkomitee hatten wir von Beginn an auch ein Arbeitskampfkomitee. Dort haben wir uns anfangs mit dem Thema Leiharbeit beschäftigt, da Bremen eine der Leiharbeitshochburgen ist und insbesondere in Gröpelingen viele Menschen in Leiharbeit beschäftigt sind. Über Flyerverteilaktionen in den Logistikbereichen und im Stadtteil sowie über persönliche Kontakte haben wir versucht, ein Leiharbeiter*innen-Treffen aufzubauen.
Auch in diesem Bereich konnten wir es nicht schaffen, eine langfristige und verbindliche Organisierung zu erreichen, wodurch dieses Komitee auch inaktiv wurde. Die Frage, wie sich Stadtteilbasisarbeit und Betriebskämpfe und -organisierung verbinden oder gegenseitig stärken lassen, beschäftigt uns immer noch. Wir denken aber, dass der Aufbau von kämpferischen Strukturen speziell im Arbeitsbereich jenseits der reformistischen DGB-Gewerkschaften eine eigene Aufgabe ist und nicht nebenbei im Rahmen eines Komitees einer Stadtteilgewerkschaft verhandelt werden kann. In den weiteren Komitees, die wir gründeten – wie zum Beispiel das Antira-Komitee oder das Jugendkomitee – konnten wir ebenfalls nicht wachsen und konnten diese daher leider nicht aufrechterhalten.
Anfang 2020 mussten wir also feststellen, dass wir in einer Krise waren und die bisherige Praxis nicht die erwünschten Effekte zeigte. Wir hatten es zwar geschafft, Solidarisch in Gröpelingen im Stadtteil bekannt zu machen und einzelne soziale Kämpfe zu führen. Aber am Ende waren wir immer noch eine Gruppe von Aktivist*innen im Stadtteil. Von einer kämpferischen Struktur von unten waren wir weit entfernt.
4) Der Beratungs-Organisierungs-Ansatz (BOA) seit Ende 2020
Die Reflexion unserer Praxis hat seit Beginn unserer Stadtteilarbeit eine wichtige Rolle gespielt. Strategiediskussionen, die Bewertung unserer Praxis in Bezug zu unseren Zielen und die Bereitschaft zu Diskussionen um notwendige Veränderungen waren unter anderem Gründe, warum wir trotz der Schwierigkeiten nicht aufgegeben haben, sondern es möglich war, Misserfolge oder Frustrationen zu nutzen, um daraus zu lernen und die Praxis entsprechend weiterzuentwickeln. Eine die Praxis begleitende Reflexion in Bezugnahme auf die gesetzten Ziele und strategischen Überlegungen ist aus unserer Sicht zentral für die Entwicklung eines Modells der revolutionären Stadtteilarbeit.Basierend auf unseren Reflexionen und Analysen haben wir einen neuen Ansatz entwickelt und diesen seit Ende 2020 schrittweise in die Praxis umgesetzt: den Beratungs-Organisierungs-Ansatz (BOA). Er ist eine Kombination aus Beratung, verbindlicher Mitgliedschaft, Vollversammlungen, Aktionen, politischer Bildung und unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten. Wir denken aufgrund der positiven Erfahrungen, die wir seit der Umsetzung des Beratungs-Organisierungs-Ansatzes machen, dass der Ansatz ein Ausweg aus der Sackgasse sein kann, in der sich einige der Stadtteilgruppen befinden. Wir haben die Veränderungen in unserer Praxis in den letzten Monaten vorsichtig beobachtet, um keine zu schnellen Rückschlüsse zu ziehen. Inzwischen sind wir jedoch der Meinung, dass der Beratungs- Organisierungs-Ansatz enormes Potential hat und – breit angewendet – eine Grundlage für den Aufbau einer organisierten sozialen Bewegung in der Bundesrepublik sein kann. Deshalb schildern wir im Folgenden die unterschiedlichen Aspekte, aus denen sich der BOA zusammen setzt und wie wir ihn konkret umsetzen.
a) Existentielle Notwendigkeit – Beratung als Ausgangspunkt für Organisierung
Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten Menschen – insbesondere in prekären Lebenssituationen – sich nicht einfach so organisieren, sondern die Organisierung eine Lösung für konkrete Probleme bieten muss, stellt sich die Frage, was so eine existentielle Notwendigkeit in einer Gesellschaft wie der bundesdeutschen sein kann. Existentielle Notwendigkeiten sind nicht überall gleich, sondern haben länder- oder auch stadtspezifische Ausprägungen, weshalb es einer Analyse der konkreten materiellen Gegebenheiten in einem Stadtteil und des jeweiligen Staatssystems braucht.
Im Unterschied zu vielen anderen Ländern beispielsweise existiert in der Bundesrepublik ein umfassender Sozialstaat, der die soziale Frage mediiert und vermittelt. Während in anderen Ländern Menschen ohne Arbeit auf kollektive, meist familiäre, Netzwerke angewiesen sind oder direkte Formen der Armut erleben, wie beispielsweise Hunger oder Obdachlosigkeit, federt der Sozialstaat in Deutschland viele dieser Effekte ab. Gleichzeitig bindet er einen Grossteil der Bürger*innen in der einen oder anderen Form an sich, sei es über beispielsweise die Inanspruchnahme von Wohngeld, Kindergeld, Arbeitslosengeld I, Bürgergeld oder Kurzarbeitgeld. Die vorherige Abhängigkeit von kollektiven Strukturen, wie zum Beispiel der eigenen Familie, wurde ersetzt durch die Abhängigkeit vom Staat, die in kaum einem anderen Land so gross ist wie in der Bundesrepublik.
Die Beziehung zwischen Individuum und Sozialstaat wird durch individuelle Rechte und Pflichten vermittelt, die die Grundlage für die Inanspruchnahme der unterschiedlichen Leistungen bilden. Der Staat hat dafür unterschiedlichste Institutionen heraus gebildet, die jeweils eigene Verfahren haben, um Gelder zu bewilligen oder abzulehnen. Dies führt zu einer unersättlichen Bürokratie, die uns die Abhängigkeit tagtäglich vor Augen führt und die Inanspruchnahme von öffentlichen Geldern erschwert. Viele Menschen – vor allem in prekären Stadtteilen oder ohne ausreichende Deutschkenntnisse – sind mit den sehr aufwendigen und komplexen bürokratischen Anforderungen überfordert, was im zweiten Schritt existentielle Bedrohungen zur Folge hat. Denn wer nicht rechtzeitig die Unterlagen beim Jobcenter einreicht oder sich nicht gegen die Schikanen zur Wehr setzen kann, bekommt im Zweifelsfall über Monate hinweg keine Leistungen und verliert am Ende deshalb die eigene Wohnung.
Die Bürokratie des Sozialstaates hinterlässt also eine unendliche Nachfrage nach Unterstützung im Umgang mit dem Papierkrieg der staatlichen Behörden. Die geringere Bereitschaft zur Teilnahme an kollektiven Kämpfen und Streiks liegt wiederum zum Teil an der gelungenen Einbindung von Teilen der Arbeiter*innenklasse in das hiesige System (Sozialpartnerschaft), so dass sie aktiv zur Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung beitragen. Zum anderen Teil liegt es aber auch an einer gefühlten Ohnmacht und Alternativlosigkeit gegenüber dieser Hegemonie, die zu Resignation und zum Rückzug ins Private führt.
Aber auch ausserhalb des Sozialstaates ist die Beziehung der Individuen zu Arbeitgeber*innen oder Vermieter*innen durch ein ausdifferenziertes und individualisiertes Rechtesystem vermittelt. Die Inanspruchnahme individueller Rechtsberatung ist für viele Menschen deshalb nach wie vor das Mittel der Wahl, um eigene Probleme anzugehen. In den meisten Städten gibt es dafür ein breit gefächertes Beratungsangebot, das meist von karitativen oder staatlich geförderten Vereinen gestellt wird. Die Beratungsstellen machen gute Arbeit und häufig sitzen dort linke Genoss*innen oder kritische Menschen. Aber strukturell unterstützen sie die Entpolitisierung der sozialen Frage, da sich ihre Beratung meist auf den rechtlich vorgegebenen Rahmen begrenzt und versucht individuelle anstelle von kollektiven und politischen Lösungen zu finden und somit die Individualisierung verfestigt wird.
Wir denken, es ist wichtig diese gesellschaftlichen Bedingungen bei der Entwicklung von Modellen der Basisarbeit zu berücksichtigen. Der direkte Schritt von individuellen Problemen zum kollektiven Kampf ist in einer individualisierten und verrechtlichten Gesellschaft wie der bundesdeutschen unserer Ansicht nach ohne weitere Zwischenschritte schwierig.
Vor dem Hintergrund unserer Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD aber auch den Erfahrungen aus unserer vierjährigen Praxis haben wir uns Ende 2020 dazu entschlossen, ein eigenes Beratungsangebot aufzubauen. Der Bedarf an Beratung ist aus unserer Sicht also einer der existentiellen Ausgangspunkte für Organisierung in einer sozialstaatsgeprägten Gesellschaft wie der bundesdeutschen. Das heisst aber auch, dass wir die Beratung als Ausgangspunkt für Organisierung nutzen müssen und nicht als Selbstzweck und nur als individuelle Rechtsberatung und Lösung von Problemen. Denn es geht uns nicht darum, eine weitere Sozialberatungsstelle zu sein. Um das zu gewährleisten, verbinden wir die Beratung mit einer verbindlichen Organisierung, Vollversammlungen, Aktionen, politischer Bildung etc. Aber dazu später mehr.
Die Erfahrung zeigt, dass die Beratung häufig innerhalb kürzester Zeit konkrete und für die Mitglieder existentielle Verbesserungen schaffen kann. Das liegt daran, dass viele Behörden – insbesondere das Jobcenter – aber auch Unternehmen oder Vermieter*innen, sich nicht mal an die sowieso schon begrenzten gesetzlich festgelegten Rechte halten. Viele Menschen kommen in die Beratung zur Stadtteilgewerkschaft, weil sie seit Monaten kein Geld vom Jobcenter erhalten, in verschimmelten Wohnungen leben oder ohne Grund gekündigt wurden. Häufig kennen sie weder ihre Rechte noch verstehen sie die komplizierten Behördenbescheide, so dass es ihnen häufig nicht möglich ist, eigenständig ihre Rechte durchzusetzen. Die kritische und solidarische Beratung spielt deshalb eine wichtige Rolle.
Der erste kleine Schritt der Selbstermächtigung beginnt in der Beratung selbst, durch die Vermittlung einer klaren Haltung gegenüber den Behörden und des Gefühls, dass wir etwas für uns und andere verändern können, wenn wir gemeinsam kämpfen. Gleichzeitig geht es bei der Beratung im Kontext einer politischen Stadtteilbasisorganisation nicht nur darum, die akuten Probleme zu lösen. Aufgabe der Basisorganisation ist es vielmehr, den neuen Mitglieder zu vermitteln, dass die Möglichkeiten der Beratung begrenzt sind und letztendlich nicht die Beratung zur grundlegenden Lösung ihrer Probleme beitragen wird, sondern nur sie selbst als Teil einer kollektiven, Werbung für die Beratung ämpferischen und solidarischen Organisierung.
Wir haben aktuell an drei Tagen in der Woche Beratung bei Problemen mit der Ausländerbehörde, dem Jobcenter, dem Sozialamt, den Vermieter*innen und der Arbeit. Anders als erwartet, hatten wir kaum Probleme damit, Berater*innen zu finden, da es viele kritische Menschen gibt, die selbst bereits Erfahrung mit Beratung haben (z.B. über ihre Arbeit als Sozialarbeiter*innen oder Jurist*innen) und diese gerne in einem politischen Kontext einbringen wollen. Zudem bringen auch viele Leute aus dem Stadtteil Erfahrung und Expertise mit, entweder weil sie sich selbst seit Jahren mit dem Jobcenter herumschlagen oder weil sie Familienmitglieder bei Behördenangelegenheiten unterstützen und oder für sie übersetzen.
Seit wir begonnen haben den Beratungs-Organisierungs-Ansatz in die Realität umzusetzen, merken wir qualitative Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen. Zum einen führt die Beratung dazu, dass permanent neue Leute aus dem Stadtteil zu uns in den Laden kommen und die Stadtteilgewerkschaft kennen lernen. Während wir früher das Problem hatten, dass Angebote nur von wenigen genutzt wurden und wir uns immer wieder überlegen mussten, wie wir in Kontakt mit anderen Leuten aus dem Stadtteil kommen können, führt das grosse Bedürfnis nach Beratung nun dazu, dass von sich aus immer mehr Leute zu uns kommen. Zum anderen werden aber auch immer mehr Leute aus der Beratung in der Basisorganisation aktiv, da wir diese zu den Vollversammlungen und zu den verschiedenen Komitees einladen oder sie andere Aufgaben innerhalb der Organisation übernehmen. Die Beratung ist also eine gute Möglichkeit, um Menschen aus der Beratung selbst wie auch politische Leute aus der Stadt in die Stadtteilgewerkschaft einzubinden.
Während der Beratungszeit sind neben den Berater*innen weitere Mitglieder der Stadtteilgewerkschaft vor Ort, die sogenannten Beratungs-Organisierung-Vermittler*innen (BOV). Sie erklären den Menschen, die das erste Mal in die Beratung kommen das Konzept der Stadtteilgewerkschaft und geben die Informationen über die Mitgliedschaft und politische Übereinkünfte heraus. Den BOVs kommt eine wichtige Rolle zu, da sie ein erstes Bild von der Stadtteilgewerkschaft und der Bedeutung der gemeinsamen Organisierung vermitteln, auf dessen Grundlage die Menschen aus der Beratung entscheiden, ob sie Mitglied werden.
b) Verbindliche Organisierung
Ein zweiter Aspekt, den wir kritisch reflektiert haben, war die fehlende Verbindlichkeit beim Aufbau unserer Strukturen. Wir haben in den ersten Jahren vor allem auf lose Angebote, Treffen und Kämpfe gesetzt, anstatt auf den Aufbau von festen Organisationsstrukturen. Das hat dazu geführt, dass Solidarisch in Gröpelingen eine kleine Gruppe von Aktivist*innen blieb, die unterschiedliche Angebote und Treffen organisierte. Aber es hat sich daraus keine wachsende Struktur unterschiedlicher Menschen herausgebildet.
Einige Mieter*innen im Mietkomitee haben sich zwar emotional Solidarisch in Gröpelingen nahe gefühlt, aber es gab keine klare Mitgliedschaft oder formale Zugehörigkeit – auch was die Beteiligung an Entscheidungen betraf. Solche unverbindlichen Angebote führen aus unserer Sicht nicht nur dazu, dass die Verantwortung letztlich in den Händen von wenigen Aktivist*innen bleibt, sondern verhindern darüber hinaus gemeinsame Lern- und Politisierungsprozesse.
Mieter*innen aus dem Stadtteil kommen auf grossen Miet-versammlungen zusammen, diskutieren ihre Probleme und kämpfen – wenn es gut läuft – über einen bestimmten Zeitraum gemeinsam für eine bestimmte Forderung. Im besten Fall gewinnen sie und machen die Erfahrung, dass kollektive Organisierung hilfreich ist. In den meisten Fällen gehen sie danach wieder auseinander und wählen im Zweifelsfall weiterhin die AfD oder AKP.
Ausgehend von unseren Erfahrungen der letzten Jahre ist in unseren Diskussionen die Frage in den Mittelpunkt gerückt, wie wir verbindlichere Strukturen aufbauen können und was der Unterschied zwischen einer Gruppe und einer Organisation ist, speziell einer politischen Basisorganisation.Viele von uns kennen nur Gruppen, in denen das meiste auf einem Plenum gemeinsam beschlossen wird, neue Mitglieder häufig durch Freund*innenkreise akquiriert werden und die Entwicklung der Mitglieder eine individuelle Aufgabe jeder Person für sich selbst bleibt (eine Ausnahme bilden nur solche Fälle, in denen ein kurzer Begleitprozesse stattfindet, wenn Menschen neu zu einer Gruppe dazu stossen). Das funktioniert aber nicht für eine Organisation aus 100 Mitgliedern oder mehr.
In den letzten zwei Jahren haben wir deshalb eine verbindliche Organisationsstruktur geschaffen, die neben der Beratung verschiedene Komitees, Treffen und Beteiligungsformen umfasst. Um die Beratung mit einer Organisierung zu verbinden und eine Zugehörigkeit zu schaffen, haben wir eine Mitgliedschaft eingeführt. Wir machen den Menschen, die in die Beratung kommen, von Beginn an klar, dass wir keine Beratungsstelle sind, sondern eine Stadtteilgewerkschaft, die auf kollektiver Organisierung beruht. Wir verdeutlichen von Anfang an, dass wir unsere Probleme langfristig nicht nur durch Beratung lösen können, sondern uns darüber hinaus gemeinsam organisieren und für Verbesserungen kämpfen müssen. Die Mitgliedschaft umfasst bestimmte Kriterien wie:
a) Solidarität und Teilnahme an Kämpfen der Stadtteilgewerkschaft, wenn nötig (nach dem bekannten Motto „touch one, touch all“ und nach unserem Motto „People, Power, Solidarität“), b) Teilnahme an Vollversammlungen, c) Teilnahme an kollektiver Kommunikation (Whatsapp-Gruppe) und d) geringfügiger finanzieller Mitgliedsbeitrag, wenn möglich (1€+). Zudem gibt es politische Grundsätze der Stadtteilgewerkschaft, die wir neuen potentiellen Mitgliedern mitgeben und denen sie mit dem Eintritt formal zustimmen.
Zukünftig beraten wir nur noch Mitglieder, die Teil der Stadtteilgewerkschaft sind oder werden wollen. Die Mitgliedschaft ist eine Voraussetzung, um eine verbindliche und längerfristige Organisierung zu ermöglichen, in deren Rahmen weitere Prozesse wie politische Bildung, kollektive Aktionen und Kämpfe, Mitgestaltung, Aufbau einer solidarischen Kultur erst möglich werden.
Für Menschen, die mehr Zeit haben und mehr Aufgaben in der Stadtteilgewerkschaft übernehmen wollen, gibt es weitere Strukturen, an denen sie mitwirken können. Diese umfassen zum einen Komitees und Kommissionen zu einzelnen Teilbereichen der Stadtteilgewerkschaft wie unter anderem das Komitee Küche für alle, Aktionskomitee, Zeitungsgestaltung, Beratungskomitee oder die Kommission für Social Media, politische Bildung etc. Zum anderen regelmässige Treffen, wie das Aktiven- oder Entwicklungstreffen, auf denen strategische und inhaltliche Entscheidungen getroffen und anfallende Aufgaben geklärt oder verteilt werden.
Ein weiterer Aspekt, um die Beteiligung neuer Mitglieder innerhalb der Basisorganisation zu erleichtern, sind klare Aufgabenbeschreibungen und -verteilungen . Zum einen werden dadurch die Aufgaben transparenter. Denn meist ist es insbesondere für neue Mitglieder schwierig, die anfallenden Aufgaben zu erkennen und zu verstehen, weil viele von bereits aktiven Mitgliedern nebenbei erledigt werden. Zum anderen können die Aufgaben dadurch leichter an andere Mitglieder übertragen werden. Zu wissen, was genau eine Aufgabe umfasst und was erwartet wird, hilft dabei, dass neue Mitglieder sich auch trauen, Aufgaben zu übernehmen. Ausserdem können dadurch verschiedene Menschen für einen begrenzten Zeitraum bestimmte Aufgaben übernehmen, wodurch eine Arbeitslastverteilung innerhalb der Organisation erleichtert wird. Eine Aufgabe zu haben, ist wiederum wichtig, um sich als Teil der gemeinsamen Organisierung zu fühlen und sich entwickeln zu können.
Ziel ist perspektivisch, dass alle aktiven Mitglieder der Stadtteilgewerkschaft in einem Komitee mitarbeiten oder eine Verantwortung für einen bestimmten Aufgabenbereich haben. Die verschiedenen Ebenen aus Vollversammlung, Entwicklungs- und Aktiventreffen, Komitees und Verantwortlichkeiten ermöglichen unterschiedliche Beteiligungsgrade und schaffen eine Arbeitsteilung, die Transparenz herstellt und verhindert, dass Treffen mit organisatorischen Punkten überladen werden. Die gemeinsamen Grundlagen aller einzelnen Teilbereiche sind die politischen Übereinkünfte und die definierten strategischen Linien von Solidarisch in Gröpelingen.
Teil der regelmässigen Treffen und wichtiges Element zum Aufbau einer Basisorganisation sind die Vollversammlungen (VV), die seit August 2021 alle sechs Wochen stattfinden. Zu den Vollversammlungen werden alle Leute eingeladen, die in die Beratung kommen oder anderweitig in der Basisorganisation aktiv sind. Die Vollversammlung ist einer der zentralen kollektiven Orte der Stadtteilgewerkschaft, an dem sich die Mitglieder untereinander kennenlernen, von aktuellen Kämpfen berichten und niedrigschwellige politische Bildung durchgeführt wird. Es gibt als Moderationssprache neben Deutsch immer noch eine oder zwei weitere Übersetzungen und je nach Bedarf auch weitere Übersetzungen in andere Sprachen, die als individuelle Flüsterübersetzungen stattfinden. Zudem gibt es immer auch Essen und Musik, um auch ein soziales Miteinander zu ermöglichen.
Ein weiteres für alle offenes und regelmässiges Angebot ist die Küche für alle (Küfa). Sie findet monatlich statt und ist aus der Vollversammlung heraus entstanden. Viele Mitglieder hatten angesichts der steigenden Preise das Bedürfnis geäussert einen Ort zu schaffen, an dem wir kostenloses Essen an die Menschen innerhalb von Solidarisch in Gröpelingen verteilen. Für unsere Organisierungsanstrengungen erfüllt sie mehrere Funktionen: Die Küfa stellt einen guten Anlaufpunkt dar, um neue Mitglieder auf unsere Organisation aufmerksam zu machen. Gleichzeitig ist sie ein Ort, der niedrigschwellige Mitarbeit und ein erstes "Reinschnuppern", wie es ist organisiert zu sein und wie man in Kommitees arbeitet, ermöglicht. Ausserdem wird durch kulture Theater, die nach dem Essen stattfinden, ein anderer Zugang zu politischen Themen geschaffen.
Die verschiedenen Beteiligungsformen ermöglichen es zum einen, dass neue Mitglieder und Aktive sich in verschiedenen Bereichen einbringen können, ohne den Druck zu haben, direkt alles mitentscheiden zu müssen und bei jedem Treffen dabei zu sein. Ausserdem können sie dadurch Solidarisch in Gröpelingen als Gesamtorganisation mit dessen Struktur und politischen Grundsätzen Schritt für Schritt kennenlernen. Zum anderen können die neuen Mitglieder/Aktiven während des längeren Prozesses hin zu einer Initiativkraft sehen, ob sie mit den erweiterten politischen Grundsätzen übereinstimmen und sich stärker an der Gesamtgestaltung von SiG beteiligen möchten, sowohl auf lokaler als auch überregionaler Ebene. Diese verschiedenen Ebenen sind notwendig, um die Beteiligung verschiedener Menschen auf unterschiedliche Arten zu ermöglichen. Von dieser vielfältigen Beteiligung lebt die aufzubauende politische Massenorganisation.
c) Mobilisierungen und konkrete Kämpfe
Um nicht nur individuelle Rechtskämpfe zu gewinnen, sondern diese auch zu politisieren, sind kollektive Aktionen und Kämpfe notwendig. Aber auch um zu verstehen, was kollektive Handlungsfähigkeit konkret bedeutet. Da der Beratungs- Organisierungsansatz die individuelle Beratung als Ausgangspunkt für die Organisierung nimmt und damit ein Verhältnis, in dem die Person, die in die Beratung kommt, sich erstmal als passiv und abhängig erlebt, sind regelmässige kollektive Mobilisierungen und Aktionen Demo zur Unterstützung des Streiks bei Amazon Elementar. Sie tragen dazu bei, die Rolle als ohnmächtige Hilfesuchende aufzubrechen und in eine Position eines handlungsfähigen politischen Subjektes zu transformieren. Regelmässige Mobilisierungen machen zudem den politischen Charakter der Stadtteilgewerkschaft deutlich und unterstreichen den Unterschied zu auf individuelle Lösungen fokussierten Beratungsstellen.
Aktionen können sich zum einen aus der Beratung selbst ergeben, wenn wir z.B. mit rechtlichen Mitteln nicht mehr weiter kommen oder wenn wir nicht auf das Ergebnis eines rechtlichen Verfahrens warten können, weil sich die davon betroffene Person in einer akuten Notlage befinden. Das ist z.B. der Fall, wenn das Jobcenter monatelang nicht über den Antrag entscheidet oder Leistungen kürzt. In solchen Fällen mobilisieren wir vor das Jobcenter. Ein anderes Beispiel ist, wenn ein Unternehmen eine Person rechtswidrig entlassen hat oder ein Vermieter ein Zwangsräumungsverfahren einleitet. Viele Menschen sind es gewohnt, bestimmte Praktiken einfach hinzunehmen, weil sie nicht die Zeit, das Wissen oder die Ressourcen haben, sich dagegen zu wehren.
Da innerhalb der Stadtteilgewerkschaft Mitglieder mitbekommen, dass sie ähnliche Probleme haben und einzelne Probleme oder Kämpfe immer wieder innerhalb von Vollversammlungen oder anderen Treffen thematisiert werden, entsteht ein Gefühl von Solidarität miteinander. Ausserdem trägt die Weitergabe über das Wissen bestimmter Praktiken staatlicher Institutionen und anderen Stellen dazu bei, Diskussionen über die Ursachen solcher Verhaltensweisen in Gang zu stossen. Indem wir einzelne Fälle aus der Beratung sowohl innerhalb der Stadtteilgewerkschaft thematisieren als auf öffentlich auf die Strasse tragen, kann ein Bewusstwerdungsprozess in Gang gesetzt werden. Denn Menschen können dadurch realisieren, dass ihre individuelle Lage strukturelle Ursachen hat und nicht ihr eigenes Verschulden ist, und, dass wir politische Lösungen und eine grundlegende Gesellschaftsveränderung brauchen, um die Ursachen unserer Probleme zu beseitigen.
Neben Aktionen, die sich aus der Beratung ergeben, können Aktionen aber auch durch aktuelle Entwicklungen und die Diskussionen darüber auf Vollversammlungen oder in anderen Gesprächen entstehen, wie etwa bei der derzeitigen Inflation und sich daraus ergebenden Preissteigerungen. Wichtig ist, die Aktionen so zu gestalten, dass möglichst viele Mitglieder in die Vorbereitung und Durchführung eingebunden sind und die Aktion selbst die einzelnen Teilnehmenden empowert selbst zu sprechen. Wenn die Stadtteilgewerkschaft Aktionen plant, sind alle Mitglieder aufgerufen, daran teilzunehmen. Insbesondere wenn wir konkrete Kämpfe führen. Es geht auch darum, das Bewusstsein „touch one, touch all“ als Haltung zwischen den Mitgliedern zu etablieren und unser Motto „People, Power, Solidarität“ lebendig werden zu lassen.
Für die Umsetzung der Aktionen ist in der Stadtteilgewerkschaft das Aktionskomitee zuständig. Wichtige Aktionen in den letzten Jahren waren zum einen Kundgebungen vor dem Jobcenter, der Sozialbehörde oder dem Gericht, um Mitglieder bei Forderungen in einzelnen Verfahren zu unterstützen. Auf der anderen Seite konnten wir in Gröpelingen relativ erfolgreiche Kundgebungen gegen die Preiserhöhungen und die Auswirkungen der Krise allgemein organisieren. Unsere Erfahrung ist, dass sich Menschen aus dem Stadtteil nicht spontan zu Demonstrationen oder Kundgebungen mobilisieren lassen, auch wenn im Vorhinein intensiv im Stadtteil geflyert und mit Nachbar*innen gesprochen wird. Viele Menschen haben keinen Glauben in die Wirkung von Demonstrationen oder haben Angst, dass es negative Folgen für ihren Aufenthalt haben könnte.
Es ist jedoch etwas anderes, wenn eine Basisorganisation ihre Mitglieder zu einer Kundgebung aufruft, die sich bereits kennen, Vertrauen aufgebaut und im Vorfeld gemeinsam auf Versammlungen darüber gesprochen haben, warum es wichtig ist, auf die Strasse zu gehen. Auf der letzten Kundgebung der Stadtteilgewerkschaft gegen Preiserhöhungen im Februar 2023 waren unter anderem viele Mitglieder der Stadtteilgewerkschaft und ihre Familien und Freund*innen - Menschen aus dem Stadttteil oder aus der Beratung17. Viele davon haben das erste Mal an einer Kundgebung teilgenommen. Es ist also möglich, selbst in bewegungsschwachen Zeiten wie aktuell in der BRD Proteste auch aus den Stadtteilen auf die Strasse zu bringen, aber aus unserer Sicht nicht ohne den Rahmen einer verbindlichen Organisierung.
d) Politische Klarheit und Definition von Zielen
Im Prozess der Entwicklung der Mitgliedschaft und dem Aufbau einer verbindlichen Organisationsstruktur mit Arbeitsteilung in Form von unterschiedlichen Komitees und Kommissionen etc. ist auch die Notwendigkeit einer gemeinsamen inhaltlichen Grundlage stärker in den Vordergrund getreten. Wir haben deshalb politische Übereinkünfte entwickelt, die den Rahmen für die Arbeit der einzelnen Strukturen definiert und die grundlegende Ausrichtung und Haltung der Stadtteilgewerkschaft bestimmt18. Die politischen Übereinkünfte erhalten alle neuen Leute, die sich für die Stadtteilgewerkschaft interessieren. Sich zu entscheiden, Mitglied zu werden, heisst zumindest über die politischen Übereinkünfte informiert zu sein und diese passiv zu akzeptieren.
Die tiefergehende Vermittlung des Inhaltes sowie eine Auseinandersetzung darüber ist Aufgabe der Organisation und vor allem der politischen Bildung. Neben den politischen Übereinkünften der Basismitglieder gibt es noch erweiterte Übereinkünfte, welche die Grundlage für die Initiativkräfte der Stadtteilgewerkschaft bilden. Sie sind auf Grundlage unserer Diskussionen der 11 Thesen sowie unseres damaligen Selbstverständnisses entstanden. Sie beschäftigen sich genauer mit den Aspekten, die in den Basisübereinkünften aufgegriffen werden und enthalten weitere Aspekte, die für eine Verortung innerhalb linker Strömungen und einer Analyse gesellschaftlicher Strukturen sowie der derzeitigen Lage notwendig sind.
e) Politische Bildung
Im Bereich der politischen Bildung haben wir wiederkehrende Bildungsangebote auf unterschiedlichen inhaltlichen Niveaus, je nachdem, wie lange Menschen schon in der Organisation aktiv sind und wie viel Vorwissen sie haben, geschaffen. In den Bildungsangeboten werden beispielsweise die strategischen und politischen Grundlagen von Solidarisch in Gröpelingen vermittelt. Es wird erklärt, warum wir uns als antikapitalistisch verstehen oder wie die eigene Lebenssituation mit strukturellen Problemen verbunden ist. Auf der anderen Seite ist die Bildung von langjährigen Initiativkräften ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. Die Auseinandersetzung mit unter anderem olitische Basisbildung Klasse, den verschiedenen Strömungen innerhalb der Linken, der Geschichte von Stadtteilbewegungen oder der Arbeiter*innenbewegung sind notwendig, um sich eine fundierte Grundlage für Stadtteilbasisarbeit zu schaffen.
Die Bildungen bedienen sich verschiedener Methoden der politischen Bildung und haben das Ziel, Menschen aktiv in die Bildung einzubinden und zur Reflexion der eigenen Denkweisen anzuregen. Hierbei ist uns wichtig, nicht eine Lehrer*in-Schüler*in-Atmosphäre zu schaffen, sondern einen Austausch auf Augenhöhe zu ermöglichen. Ebenfalls organisieren wir Offene Austausche, in denen es am Anfang nur eine kurze Einleitung zum Thema gibt und danach offen über Themen wie Inflation oder den Ukraine-Krieg diskutiert wird.
Auch in anderen Bereichen von Solidarisch in Gröpelingen spielen die Überlegungen zu politischer Bildung und das Ziel, Möglichkeiten zur Entfaltung von Subjektivität zu schaffen, eine Rolle. Vollversammlungen dienten am Anfang eher dazu, Menschen aus der Beratung oder weiterem Umfeld zu Solidarisch in Gröpelingen einzuladen.
Austauschtreffen zum Thema: Wer oder was ist eigentlich Schuld an meinen Problemen?
Es sollte eine erste Möglichkeit der Beteiligung, des Gefühls von Kollektivität und einen Überblick über die Aktivitäten und Themen innerhalb von Solidarisch in Gröpelingen vermitteln. Hierbei waren die Vollversammlungen eher von Berichten geprägt und weniger von Austausch. Eine Weiterentwicklung der Vollversammlung umfasst nun unter anderem, jeden einzelnen Menschen durch beispielsweise Diskussionen in Kleingruppen in die Vollversammlung einzubinden. Dies führt dazu, dass die Hemmschwelle, eigene Ideen einzubringen, sinkt und dass sich alle Mitglieder stärker in Solidarisch in Gröpelingen einbringen können. Die Vollversammlung ist zu einem Ort geworden, an dem neue Verantwortlichkeiten verteilt werden und ein stetiger niedrigschwelliger Politisierungsprozess stattfindet. Auch innerhalb der Aktiventreffen wird diese Herangehensweise verfolgt, um auf informelle Art Wissen weiterzugeben und die Handlungsfähigkeit aller Aktiven innerhalb der Organisation zu stärken.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Politischen Bildung ist die Sommerschule. Bei der letzten Sommerschule konnten nicht nur Initiativkräfte teilnehmen, sondern auch Aktive der Stadtteilgewerkschaften. Die Sommerschule ist ein Ort, an dem sowohl Austausch zwischen den verschiedenen Stadtteilorganisationen stattfinden kann, aber auch innerhalb der
Stadtteilgruppen Anregungen und Politische Basisbildung mit Essen Diskussionen angestossen werden können. Durch den Wechsel zwischen praktischen Workshops zu Themen wie „Reden auf Demonstrationen“ und theoretischen Grundlagen revolutionärer Basisarbeit können sich alle innerhalb der Stadtteilgruppe ein ähnliches Wissensniveau aneignen. Ausserdem stärkt die Sommerschule ein Zugehörigkeitsgefühl zur Stadtteilgewerkschaft und zu einer Bewegung von Stadtteilorganisationen, wodurch Menschen dazu motiviert werden, sich noch stärker in die Organisation einzubringen.
f) Schaffung einer organisierten sozialen Bewegung
Um die Idee einer organisierten sozialen Bewegung in die Praxis umzusetzen und zu entwickeln, haben wir mit der Stadtteilbasisorganisation Berg Fidel Solidarisch aus Münster eine gemeinsame Kommission gegründet. Ziel dieser Kommission ist sowohl der Aufbau einer überregionalen Organisation, als auch die stetige Weiterentwicklung unseres Ansatzes durch gegenseitigen Austausch und solidarische Unterstützung. Bisher haben wir mit Berg Fidel Solidarisch ein gemeinsames 10-Punkte-Programm herausgegeben, mit dem wir überregional in den Stadtteilen auftreten19 und gemeinsame Vorstellungen in der Öffentlichkeit vertreten. Ausserdem halten wir zusammen Vorträge über unsere Arbeit, besuchen uns regelmässig und teilen Ressourcen, wie zum Beispiel durch gemeinsame Bildungen und Aufgabenteilung in verschiedenen Bereichen.
Wir bauen zunehmend parallele Strukturen auf und konnten beispielsweise eine gemeinsame Vollversammlung über einen Videoanruf abhalten. Unser bisher grösstes gemeinsames Projekt war die Organisation einer fünftägigen Sommerschule mit Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen Städten. Die Sommerschule hat uns gezeigt, dass wir nicht isoliert in unserem Stadtteil sind. Zu sehen und zu wissen, dass man nicht alleine kämpft, sondern mit vielen anderen, die sich auch als Teil einer gemeinsamen Bewegung betrachten, kann einem im Alltag sehr viel Kraft geben.
Perspektivisch wollen wir eine organisierte soziale Bewegung der Stadtteilgewerkschaften aufbauen. Dafür arbeiten wir unter anderem an Strukturen und Kriterien der Zusammenarbeit, versuchen Bildungsformate zu entwickeln, die unsere Idee am besten vermitteln, und suchen bundesweit und darüber hinaus nach Mitstreiter*innen. Dieser Text und der nachfolgende Aufruf sind Teil dieser Anstrengungen.
6) Aufruf
Seit der Umsetzung des Beratungs-Organisierungs-Ansatzes (BOA) hat sich Solidarisch in Gröpelingen auf verschiedene Weisen verändert. Eine der wichtigsten Veränderungen ist, dass über die Beratung permanent neue Leute aus dem Stadtteil - aber auch darüber hinaus - zur Stadtteilgewerkschaft kommen und viele davon neue Mitglieder werden. Die Beratung schafft also den Ausgangspunkt für eine Organisierung und trägt so zum Aufbau einer Basis der Stadtteilbewegung bei. Dadurch hat sich die Zusammensetzung der Stadtteilgewerkschaft von einer überwiegend weiss akademisch geprägten Polit-Gruppe hin zu einer diversen und von Menschen aus dem Stadtteil mit getragenen Basisorganisation entwickelt.Zum anderen konnten wir über den Aufbau unterschiedlicher Komitees und den Ausbau offener Beteiligungsformate wie der Vollversammlung oder der Küche für alle erreichen, dass mehr Leute in der Stadtteilgewerkschaft aktiv geworden sind. Die Kombination aus Beratung als Eingangstor und unterschiedlichen niederschwelligen Beteiligungsmöglichkeiten hat in den letzten Monaten dazu geführt, dass mehr Leute Mitglied der Stadtteilgewerkschaft und darin aktiv geworden sind, als in den vier Jahren davor. Die meisten dieser neuen Mitglieder kommen selbst aus dem Stadtteil.
Auch haben verschiedene Bildungsgelegenheiten wie Workshops, offene Austauschtreffen, Bildungen, Plena-Situationen oder Gespräche dazu geführt, dass sich neue Mitglieder aktiver in die Organisation einbringen und sich Wissen über politische Themen aneignen konnten. Darüber sind neue Räume der populären Beteiligung entstanden, in denen niedrigschwellige Politisierungsprozesse angeregt werden konnten.
Mit dem BOA-Ansatz sind - wie mit allen politischen Ansätzen auch - einige Herausforderungen verbunden, denen wir auch in Zukunft begegnen müssen. So ist es immer wieder ein Balanceakt in der Beratung nicht nur individuelle Lösungen für die Mitglieder zu finden, sondern auch auf die strukturellen Ursachen dieser Probleme hinzuweisen und aus ihnen heraus politische Aktionen zu initiieren. Ausserdem führt der Ausbau der Komitees, der Wachstum der Organisation als Ganzes und andere Aufgaben zu einer Mehrarbeit, die nicht immer alle leisten können. Unserer Erfahrung nach treten manchmal dann strategische Diskussionen in den Hintergrund, weil praktische Aufgaben eine höhere Dringlichkeit haben, wie beispielsweise die Organisation der Küfa an einem bestimmten Datum. Strategischen Fragen und Diskussionen trotz der drängenden praktischen Aufgaben kontinuierlich genug Raum und Zeit einzuräumen, ist daher ein fortlaufender Aushandlungsprozess.
Gleichzeitig merken wir bei der Entwicklung der Praxis, dass viele Erfahrungen mit Organisierung von unten und dem Aufbau von demokratischen Massen-Basisorganisationen hierzulande verloren gegangen sind, so dass wir viele Fragen, die sich im Gehen stellen, selbst lösen müssen (auch wenn der Blick zu Bewegungen in anderen Ländern die Entwicklung unserer Praxis massgeblich beeinflusst hat). Revolutionäre Basisarbeit basiert auf einem vollkommen anderen Verständnis von Aktivismus und politischer Praxis als viele von uns es bisher gewohnt waren und als es in der linken Szene gängig ist. Das führt dazu, dass es Genoss*innen immer wieder schwer fällt, den Schritt heraus aus dem gewohnten Politikverständnis zu machen und an das Potential einer Organisierung von unten zu glauben. Wir denken jedoch, dass revolutionäre Basisarbeit mit der Zeit und mit den Erfahrungen, die wir in den unterschiedlichen Städten machen, ein selbstverständlicher Teil linker Kultur und politischer Ansätze werden und sich in Zukunft daher auch schneller weiter entwickeln wird.
Wir jedenfalls sind immer noch euphorisch über die vielen Veränderungen, die wir in den letzten Monaten beobachten konnten. Sie geben uns neue Hoffnung und festigen unseren Glauben an das Potential revolutionärer Basisarbeit. Wir sind aufgrund der Erfahrungen, die wir bei der Umsetzung des BOA-Ansatzes gemacht haben, zu der Überzeugung gelangt, dass die Kombination aus Beratung und Organisierung das Potential hat, einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung einer organisierten sozialen Bewegung aus den Stadtteilen zu bereiten. Allerdings reicht es nicht aus, wenn wir diesen Ansatz nur in einem Stadtteil aufbauen und weiter entwickeln. Deshalb möchten wir mit diesem Text auch andere Genoss*innen und Gruppen dazu aufrufen, den BOA-Ansatz in ihren Städten auszuprobieren und mit uns gemeinsam weiter zu entwickeln. Wenn ihr Interesse habt, sind wir gerne bereit, euch bei den ersten Schritten zu begleiten.
Lasst uns gemeinsam die Vision einer organisierten sozialen Bewegung in die Praxis umsetzen. Lasst uns eine Kraft schaffen, die in der Lage ist, die Welt, uns und andere zu verändern.