Analyse der gesellschaftlichen „Verhältnisse“ Subjektmarxismus
Politik
Denken und Werk von Karl Marx (1818‐1883) stehen in zahlreichen komplexen Zusammenhängen und dialektischen Spannungsfeldern.
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1. Mai 2020
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Auf der publizistischen Ebene sind zum Beispiel Moral und Wissenschaft ‐ hier vor allem Kritik der politischen Ökonomie und/als Schlüssel zum Verständnis der Analyse der Anatomie der 'bürgerlichen Gesellschaft' (G.F.W. Hegel), ihrer Veränderung durch soziale Bewegungen, schliesslich Studium und Beeinflussung dieser ‐ zwei zentrale Interessensfelder.
Der moralische Ausgangspunkt und Impetus ist im Werk von Marx leicht erkennbar, zum Beispiel in seinem anonymen Artikel („Von einem Rheinländer“) über die Verhandlungen des sechsten rheinischen Landtags zum Holzdiebstahl in Form des „Holzdiebstahlsgesetz“ (1842). Marx verweist hier auf die – zeitgemäss ausgedrückt – gesellschaftliche Bedeutung und Wirksamkeit von Definitionsmacht: Wenn nämlich den Armen das bisher durch Gewohnheitsrecht garantierte Recht „der Armut in allen Ländern“, das „seiner Natur nach nur das Recht dieser untersten besitzlosen und elementarischen Masse sein kann“ (Marx‐Engels‐Werke, Berlin 1962 ff: [ = MEW]; hier MEW 1, 115) genommen wird – dann werden sie nicht nur entrechtet, sondern auch einer für ihr (Über‐) Leben zentralen Handlungsmöglichkeit, nämlich (Feuer‐) Holz zu schlagen, beraubt – mit allen Wirksamkeiten fürs wirkliche Leben (früh[er]es Sterben eingeschlossen...)
In einem weiteren „frühen“ Text ‐ der damals so unvollendeten wie unveröffentlichten Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie (1844) ‐ skizziert Marx (s)einen aus (s)einer Kritik der Religion entwickelten kategorischen Imperativ: Wenn der „Mensch das höchste Wesen für den Menschen“ ist, dann gilt es, so Marx, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (MEW 1, 385)
Diese emphatische moralische Sendung findet sich im, auch literarsprachlich bedeutsamen, „Manifest der Kommunistischen Partei“ (1848) von Karl Marx und Friedrich Engels (1820‐1895): Nicht nur, dass eine dichte Beschreibung weltgeschichtlicher Entwicklung versucht wird mit der Bourgeoisie als geschichtlicher Vorreiterklasse, die „alle Nationen zwingt“, sich ihre, nämlich die kapitalistische, „Produktionsweise anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehen wollen“ und sich insofern „eine Welt nach ihrem eigenen Bilde schafft“ (MEW 4, 466), dass der „Weltmarkt“ nicht nur abstrakt gedacht, sondern konkret im Zusammenhang mit technischen Fortschritten und kommerzieller Internationalisierung als „fortwährende“ Revolutionierung „sämtlicher gesellschaftlicher Verhältnisse“ (MEW 4, 465) vorgestellt wird – Marx/Engels kritisieren nicht nur die damit einhergehenden neuen und erweiterten Ausbeutungsverhältnisse, sondern erkennen auch in der durch kapitalistische Produktions‐ und bürgerliche Herrschaftsverhältnisse geschaffenen neuen (Mehrheits‐) Klasse, dem Proletariat (oder der Arbeiterklasse), die Möglichkeit der Abschaffung aller klassenbezogenen Herrschaft überhaupt (MEW 4, 472).
Der „reife“ Marx schliesslich analysiert als Sozialwissenschaftler diese gesellschaftlichen „Verhältnisse“ genauer und entwickelt, wie zuerst an der Bedeutung des „Holzdiebstahl“ angedeutet, (s)einen Begriff von Gesellschaft als Ensemble, als Gesamtheit, schliesslich als 'konkrete Totalität' im übergreifend‐allgemeinen Sinn, indem er die Hegel'sche dialektische Methode, „vom Abstrakten zum Konkreten aufzusteigen“, sich das Konkrete intellektuell anzueignen und „es als ein geistig Konkretes zu reproduzieren“ (MEW 13, 632), benützt: Aus dieser Sicht besteht Gesellschaft – so Marx 1857/58 in seinen Vorarbeiten zu seinem wissenschaftlichen Hauptwerk „Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie“ ‐ „nicht aus Individuen, sondern drückt die Summe der Beziehungen, Verhältnisse aus, worin diese Individuen zueinander stehn.“ (Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie [Rohentwurf 1857/58], Berlin 1974, hier 176).“
Und auch für den Subjektmarxismus im besonderen trifft zu, was für alle Aneignungsprozesse im allgemeinen gilt: Es geht immer um „die Wechselwirkung zwischen dem fertig Gestalteten und dem Suchen nach eignem Ausdruck“ (Peter Weiss).