Krampfhaft den Schein wahren Kritik am Text „Murdered by Marxists“ von Breaking the Spell
Politik
Die Leute von Breaking the Spell haben einen weiteren Text veröffentlicht. Unter dem Titel Murdered by Marxists wollen sie an die anarchistische Geschichte erinnern.
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29. September 2023
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Korrektur
Dies betrifft die Ereignisse während der Russischen Revolution (1917-21), wie auch jene im Zuge der Spanischen Revolution (1936-39). Ich kann die Empörung über diese historische Tatsache nachvollziehen, welche sicherlich auch eine Kanalisierung der Wut darüber ist, wie autoritäre Personen und Gruppen heutzutage innerhalb der sogenannten linken Szene agieren. Allerdings halte ich es für erforderlich wie auch bei meiner Entgegnung Nieder mit den identitäten Abgrenzungsreflexen! hier eine andere Position zu beziehen und das Vorgehen von Breaking the Spell zu kritisieren.
Breaking the Spell treffen einen richtigen Punkt, wenn sie darauf hinweisen, dass das autoritäre Agieren (z.B. manipulativer Umgang mit Informationen, Hierarchien mit Bestrafungen und Belohnungen, Verschleierung der eigenen Strategien usw.) eine Folge der Ideologie dieser Menschen und Gruppen ist, als welche sie „den“ Marxismus ausmachen. Man könnte es freilich auch anderes herum oder zumindest in einem Wechselverhältnis sehen: Menschen suchen sich die Gruppen und Ideologien, welche bestimmte Bedürfnisse (nach Recht haben, Orientierung, Zugehörigkeit, Anerkennung usw.) erfüllen. Je nach Prägung und Gesellschaftsform schaffen dies autoritäre Gruppen teilweise bzw. phasenweise besser als z.B. anarchistische.
Bedauerlicherweise stellen Breaking the Spell „den Marxismus“ als ein Zerrbild dar. Damit bleiben sie auf der Ebene von Vorurteilen, welche jener von „Marxistinnen“ gegenüber Anarchistinnen nicht nachsteht. Zahlreiche Marxist*innen reproduzieren diese unhinterfragt, um von der eigenen Selbstbezüglichkeit und Langweiligkeit ihrer Theorien abzulenken und darüber hinaus zu verschleiern, dass auch marxistische Theorien immer in Auseinandersetzungen mit anderen Richtungen herausgebildet wurden, statt die Wahrheit aus sich selbst heraus schöpfen zu können.
Immer wieder dient die Rede vom „Marxismus“ deswegen vor allem dazu, sich selbst auf der richtigen / rechthabenden Seite zu wähnen und die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialdemokratischen oder kommunistischen (aka „linksradikalen“) Kreisen zu regulieren, in diesen die Ansichten zu homogenisieren und einen Gehorsam zu erzeugen. Da mögen selbsterklärte Marxist*innen noch viele theoretische Konstruktionen drumherum bauen – diesen Funktionen sind zu problematisieren.
Der Marxismus diente und dient meines Erachtens nach historisch wie auch heute dazu:
a) eine Identität und damit Zugehörigkeit zu schaffen. Wobei diese nicht allein von Kadern gestreut wurde, sondern ebenso von Menschen aus der Basis selbst begrüsst und angenommen wurden. (Das, was man im deutschsprachigen Raum als „marxistisch“ bezeichnete, wäre in anderen Gegenden und zu anderen Zeiten allerdings auch einfach als sozialistische und kommunistische Gemeinplätze verstanden worden.)
b) einen theoretischen Ansatz zu schaffen, um die bestehende Gesellschaftsform zu analysieren, zu kritisieren, im besten Fall Handlungsstrategien zu entwickeln (in den seltensten Fällen allerdings Alternativen herauszuarbeiten und vorzuschlagen). Wie jedes Theoriegebäude werden dabei bestimmte Grundannahmen getroffen (über die Entwicklung von Produktivkräften, die Klassengesellschaft, internationale Arbeitsteilung, die Ableitung des Staates, die Form der Zivilgesellschaft, die Rolle der Partei usw.)
c) Marxismus ist eine Doktrin, um politische Parteien zu integrieren, die Unterstützung ihrer Mitglieder auf eine Führungsspitze hin auszurichten und gemeinsame Strategien und Programme festzulegen.
Alle drei Funktionen des Marxismus können kritisiert werden. Allerdings sind sie für sich genommen Bestandteile aller Projekte, die Identitäten, Theorien, Organisationen und Aktionen hervorbringen, um die Gesellschaftsform in eine bestimmte Richtung zu verändern. Statt also Marxist*innen implizit vorzuwerfen, dass sie sich organisieren und eine bestimmte Perspektive entfalten, gälte es, dagegen die Unterschiede zu anarchistischen Ideologien, Organisationen, Theorien und Aktionen herauszustellen.
Stattdessen aber konstruieren Breaking the Spell „den Marxismus“ auf moralisierende Weise als ominöses Feindbild. Sie üben keine Kritik, sondern bleiben bei affektiven Gefühlen stehen. Würden sie sich ernsthaft mit „dem Marxismus“ auseinandersetzen, würden sie nämlich feststellen, dass es durchaus verschiedene Personen und Gruppen gibt, welche sich auf ihn beziehen, ihn auslegen und ihre Handlungen teilweise danach ausrichten. Die gesamte Erzählung „Marxist*innen ermordeten Anarchist*innen“ ist deswegen in der dargestellten Weise an den Haaren herbeigezogen.
Was Breaking the Spell anprangern sollten, ist nicht ihr Konstrukt „des Marxismus“, sondern autoritäres Führungsgehabe, hierarchische Organisationen, doktrinäre Wahrheitsverständnisse, bolschewistische Rechtfertigung der Mittel, sozialdemokratische Einhegung selbstorganisierter, autonomer sozialer Bewegungen usw.. Um dies zu tun, müsste man sich jedoch konkrete Fälle anschauen und diese benennen anstatt seinerseits die eigene Position aus einer fetischisierten Geschichtsschreibung zu begründen.
Doch das Problem reicht noch tiefer: In der gleichen Manier vermeiden es Breaking the Spell auffällig zu benennen oder anzudeuten, was sie selbst unter Anarchismus verstehen. Möglicherweise scheint ihnen dies selbsterklärend zu sein. Dahinter verbirgt sich jedoch nichts weiter als eine selbsterklärte Zugehörigkeit zu einer gefühlten Identität. Deswegen erscheinen ihre Texte vor allem als eine Art Selbstfindungsprogramm und eine Suche nach Zugehörigkeit, die allerdings mit der Selbstgewissheit verbunden ist, man wäre „anarchistisch“, weil man dies eben fühlt.
Das Ganze wäre keiner Rede wert, würden Breaking the Spell dabei nicht gerade dem schaden, was was sie vermutlich eigentlich erreichen wollen: Dass Anarchist*innen ihre Geschichte und Positionen kennen, ein echtes Bewusstsein von sich selbst erlangen, sich von der linken Szene emanzipieren und zu einem relevanten Faktor in sozialen Bewegungen werden. Selbstverständlich funktioniert die eigene Standortbestimmung auch über die Abgrenzung zu anderen Richtungen. Die Form, welche die Selbstverortung in den Texten von Breaking the Spell annimmt, zeugt allerdings davon, dass im Hintergrund leider überhaupt keine Gewissheit über die eigenen Positionen besteht, weil es ihnen offenbar auch vollständig an Theorie mangelt. Daher wird ihr ganzes Vorhaben in meinen Augen unglaubwürdig.
Ich habe diese Zeilen geschrieben, weil ich das Wiedererstarken „roter“, also autoritär-kommunistischer Gruppen mit Schrecken beobachtet und glaube, dass sie die Entwicklung emanzipatorischer sozialer Bewegungen behindern statt irgendwas zu ihnen beizutragen. Weiterhin kritisiere ich die Vagheit der sogenannten „linken Szene“ und wünsche mir, dass sich Anarchist*innen von dieser emanzipieren. Erst, wenn sie ein Selbst-Bewusstsein über sich erlangen, können sie ein wirksamer Faktor innerhalb von sozialen Bewegungen werden und diese motivieren, inspirieren und orientieren.
Meiner Einschätzung nach teile ich die Gefühle welchem im Text von Breaking the Spell durchscheinen weitgehend. Dies Schlussfolgerungen, welche sie daraus ziehen und die Konsequenzen, welche daraus folgen, halte ich jedoch für falsch. Es gilt die eigenen Organisationen, Aktionen, Ideologien und Theorien zu entwickeln und zu verbreiten, statt sich identitär und moralisierend von konstruierten Feindbildern abzugrenzen.