Meine Organisation, die „Antiverschwurbelte Aktion“, hat in einem Artikel zu den Sozialprotesten im „Heissen Herbst“ gezeigt, wie die Wahnwichtel des „Friedenswinter“ von 2014 sich mit dem Corona-Schwurbel verbunden haben.
Am 1. Oktober 2022 nun konnten sich 400 Rechte und Nazis einer Friedensdemo auf dem Berliner Alexanderplatz anschliessen, die von grossen linken Organisationen veranstaltet wurde. In München und Hamburg gehörte die „Freie Linke“ an jenem Tag zur Orga des dezentralen Aktionstages des bundesweiten Friedensratschlages. Zu diesem Bündnis zählen u.a. das „Hamburger Forum“ und die „Friko“ in Berlin.
Wir hatten die entsprechenden Organisator:innen informiert und unsere Unterstützung angeboten. Wir riefen dazu auf, sich bei den Sozialprotesten auch praktisch vom Schwurbel abzugrenzen. Als am 5. September die ersten Kundgebungen zum „Heissen Herbst“ in Berlin und Leipzig stattfanden, ist es gelungen, den Schwurbel fernzuhalten, und auch bei der folgenden Demo von „Heizung, Brot und Frieden“ konnten die „Freie Linke“ und Aktivist:innen der „Basis“ und der „Freedom Parade“ abgedrängt werden. Die Veranstalter:innen, zu denen auch die „Friko“ gehört, hatten diese Kreise ausdrücklich eingeladen. Deshalb wurde das gesamte Bündnis dann an der Teilnahme an der #Umverteilen-Demo am 12. November gehindert.
Wir meinen: So gehört sich das!
Es ist nicht leicht, den bekannten grösseren Organisationen eine bewusste Querfront-Strategie nachzuweisen, auch nicht, wenn eine gewisse Anzahl rechter Akteur:innen ungehindert an deren Demos teilnehmen und streamen, diskutieren, verteilen usw. können. Es geht hier nicht um „Kontaktschuld“ und auch nicht darum, wer auf wessen Demo mitgelaufen ist und welches Transpi getragen hat. Es geht um die Tatsache der Kooperation auf einer öffentlichen und organisatorischen Ebene.Vom Friedensratschlag und dem Bündnis „Heizung, Brot und Frieden“ werden mehr oder weniger offene Einladungen an das verschwörungsgläubige Spektrum ausgesprochen, u. a. mit der Begründung, sie richteten sich nicht an sichtbar auftretende Rechte, sondern „nur“ an Linke, die sich rechtsoffen zeigten. Nicht nur diese Organisationen sind beeindruckt von der anfänglichen Dynamik der Schwurbelbewegung, und unsere Vermutung ist, dass das Zugehen auf diese Leute von dem Wunsch bestimmt ist, in bester Zockermanier diese Dynamik auf die eigenen lahmen Aktionen umleiten zu wollen. Koste es eben, was es wolle.
Die Argumentationsmuster ähneln sich, sie sind nicht sonderlich originell und schon oft bemüht worden, wenn jenseits der Linken Menschen auf die Strasse gehen oder sich selbst organisieren.
Häufig kommt es dann zum immergleichen paternalistischen Verhalten von linken Organisationen und Gruppen: Sie wollen mittun und sich tunlichst an die Spitze einer solchen neuen Bewegung setzen. Die Forderung nach Verständnis und offenen Ohren für die Beweggründe dieser Menschen soll das Unbehagen überlagern, das viele ihrer Parolen und Inhalte hervorrufen. Nun kann ein Ausweg aus der Bedeutungslosigkeit gewiss im Abräumen eigener Positionen liegen. Positionen zu verändern, aufzugeben und neue einzunehmen gehört zu den Selbstverständlichkeiten politischer Praxis, individueller wie auch organisatorischer. Die Frage ist ja immer nur: Welche Positionen sind es denn, die aufgegeben werden müssen? Grosse Bündnisse erfordern oft inhaltliche Vereinfachungen und Kompromisse; aber gilt dies auch für einen antifaschistischen Grundkonsens?
Dass diese Frage jetzt bejaht wird, ist das Neue an der Situation.
Organisationen und Menschen, die bemüht sind, ein angeblich fortschrittliches Potential der Schwurbelbewegung herauszuheben und für Annäherung plädieren, benutzen oft folgende Strategien:
- Behauptung, die Linke hätte in der Pandemie versagt
- Verharmlosung von Personen und Strukturen
- Fixierung auf „fortschrittliche“ Positionen
- Fixierung auf die Masse
- Diffamierung antifaschistischer Arbeit („staatstragend“)
- „Politische Korrektheit“ spaltet
- Ein binäres Freund-/Feind-Weltbild.
Eine beliebte Methode – die auch hier zunächst bemüht wird – ist es, Analogien zu bemühen, in diesem Fall jene, die die Bewegung hierzulande langatmig mit den „Gelbwesten“ in Frankreich gleichsetzt. Es ist aber unredlich, diese vielfach komplexe Bewegung auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Was davon hier angekommen ist, ist lediglich ein Kampf um Symbole, der dazu geführt hat, dass das Tragen von Gelbwesten fester Bestandteil von Schwurbeldemos geworden ist – also pure Vereinnahmung bei maximaler Unkenntnis über die Inhalte dieser Bewegung.
Geradezu bedrückend, wie der Artikel die „Selbstermächtigung“ der Gelbwesten auf die deutsche Schwurbelbewegung projiziert, die zu einem grossen Teil aus Menschen besteht, die völlig anstrengungslos dazu bewegt werden können, ihren Sektenführungen noch für den blödestmöglichen Quatsch Geld hinterherzuwerfen. Hier hört der Spass wirklich auf. Ein kurzer Blick genügt: In der Masse oder Menge handelt es sich bei der Anhängerschaft um Leute, die auf der Suche nach Autoritäten und Gewissheiten sind.
Nun gehört es auch noch zu den oberflächlichen Beobachtungen, wie systematisch sich Schwurbel Symbole, Parolen, Codes… der Linken zu eigen gemacht haben. Die grosse Mehrheit der Teilnehmer:innen zeigt dabei Auffassungen von „Freiheit“, die der bürgerlichen-individuellen Sphäre zugeordnet werden können. „Grundrechte sind nicht verhandelbar“ (was ja nur ein schlichter Blödsinn ist), „Ich will mein Leben zurück“ und „Frieden“ – viel ist da nie gekommen. Die meisten Forderungen, Ängste, Lagebeschreibungen… können klar dem fundamentalistisch-verschwörungstheoretischem Bereich zugeordnet werden und entspringen einer inzwischen langen Tradition, die Wissenschaftskritik durch -feindlichkeit ersetzen will.
Wenig verhüllt liegt dem Artikel im Untergrundblättle ein Querfront-Gedanke zugrunde. Die Implikationen, die das mit sich bringt, sind bekannt. Rechte werden zu bewusstlos hin und her taumelnden Schafen erklärt, denen man nur das Richtige zu erzählen habe, um sie auf Linie zu bringen. Das bedeutet, diese Leute nicht ernst zu nehmen, ihre Individualität und Subjektivität nicht, auch nicht ihre politischen Entscheidungen. Menschen aber entscheiden sich für die Rechte, weil sie es wollen.
Wen wundert es denn, wenn Rechte ihrerseits versuchen, anschlussfähig zu agieren und Diskurse in ihrem Sinn zu verschieben? Sie sind wie alle politischen Bewegungen auf der Suche nach gesellschaftlicher Relevanz. Es führt nur zu nichts, sich die Besorgnisse dieser Leute oder ihre sprachlichen Codes zu eigen zu machen, wie es der Artikel tut, indem er schon in der Überschrift im schönsten Schwurbelsprech von „Framing“ spricht und wohl doch nur „Kritik“ meint.
Der Vorwurf der Staatstreue wird hier gerne zurückgegeben: Ratlos stehen die Schwurbler:innen aller Richtungen (die sich lustigerweise vor der Pandemie mehrheitlich noch als „frei“ definiert haben dürften), vor der Tatsache, dass in der bürgerlichen Gesellschaft alle Lebensbereiche dem Prinzip der Profitmaximierung unterworfen sind, selbstverständlich auch die Wissenschaft und das Gesundheitswesen – und dass es trotzdem zu relevanten fortschrittlichen Entwicklungen kommen kann. Ja, mit Impfstoffen und Schutzmasken lässt sich Geld verdienen. Ja, Politiker:innen verhalten sich scheisse. Es fehlt aber an einer fundamentalen Kritik der kapitalistischen Produktionsweise oder auch nur an einer Kritik dieser bürgerlichen Gesellschaft, und so bleibt nichts anderes übrig, als das eigene Unbehagen an die „Hinterleute“ zu richten, an die grosse Verschwörung, die „Pharmaindustrie“, an den „Great Reset“ oder gleich an die Freimaurer und die Juden, die mit ein kleines bisschen Erleuchtung via Telegram zu durchschauen seien.
Tatsächlich hat diese Haltung längst starke parlamentarische Vertretungen gewonnen. Nicht nur im Korsett der AFDP, sondern bis in die Linke hinein, wie etwa die Bundestagsdebatte um die Impfpflicht belegt, in der der grösste Teil der Fraktion der „Linken“ nicht nur wissenschaftsfeindlichen Lügen erlegen ist, sondern sie vorsichtshalber auch gleich selbst verbreitet hat.
Es gab von verschiedenster Seite Versuche, sich an die Bewegung der Coronaleugner:innen anzuschliessen, sie aufzusaugen und zu vereinnahmen: aus unserer Sicht waren diese sehr erfolgreich. Dem Schwurbel ist es gelungen, grosse mediale und gesellschaftliche Präsenz zu gewinnen und inhaltliche Positionen zu besetzen, weil ihm nicht genug entgegengesetzt, weil er mit offenen Armen empfangen wurde.
Ausser Acht gelassen wird ja überhaupt, wie sich diese Bewegung präsentiert, wie und mit welchen Forderungen sie auftritt. Es würde genügen, sich ab und zu an den Strassenrand zu stellen und die Transparente zu lesen und sich die Reden anzuhören. Der Artikel jedoch schweigt zu den ausgeprägten Bestrafungs- und Vernichtungsphantasien, die noch auf jeder dieser Demos verbreitet worden sind und die „Rache“ als politisches Konzept ausgeben.
Es gibt inzwischen auch einiges empirisches Material, aktuell etwa das Buch „Gekränkte Freiheit“ von Amlinger und Nachtwey (die z.B. 60 Interviews mit Personen aus der Querdenker-Szene geführt haben), das kurzgesagt zu dem Ergebnis kommt, dass Schwurbel formal überdurchschnittlich gebildet und finanziell recht gut ausgestattet sind, jedenfalls in ihrer klassenmässigen Zusammensetzung nicht dem Proletariat oder unterprivilegierten Schichten zugeordnet werden können.
Die Auswirkungen der Pandemie haben schon ganz andere Leute um den Verstand gebracht. Es gibt Menschen, die sich an der beunruhigenden, gleichwohl simplen Tatsache berauschen können, dass neue Krankheiten auftreten, gegen die es zunächst keine Medikamente oder andere Hilfen gibt und dass wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse nicht in Stein gemeisselt sind und widerlegt werden können. Jene nun, die sich etwa dafür hergeben, auch ganz einfache „Massnahmen“ wie das Tragen von Schutzmasken abzulehnen, können schwerlich für linke Positionen gewonnen werden. Und es sollte auch nicht versucht werden, jedenfalls nicht auf einer organisatorischen Ebene.
Wahrscheinlich können wir verhältnismässig problemlos den Konsens herstellen, dass es der bürgerlichen Gesellschaft auch in zugespitzten Zeiten zunächst darum geht, die wirtschaftlichen Funktionsweisen sicherzustellen. Schwurbelige Kritik an den Massnahmen des Staates ist aber in den seltensten Fällen grundsätzlich gewesen, sondern hat lediglich auf die Wiederherstellung des ruhigen Normalzustandes gezielt. Wenn es zu „Staatskritik“ gekommen ist, dann in der Form von grotesken Verzerrungen. Dass auch Forderungen aufgestellt worden sind, die Linke unterschreiben können, ist dabei nichts Besonderes („Frieden“ wollen schliesslich alle) und kein Grund, sich grösseren Verirrungen hinzugeben.
Faschistische Bewegungen beginnen genau hier aufzublühen: in der „ganz normalen“ Mittelschicht, unter jenen Leuten, die meinen, das „Leben“ sei ihnen etwas schuldig und sie hätten so ungeheuer viel zu verlieren. Hier schliesst sich zusammen, was zusammengehört, daher ist schon der Begriff „rechtsoffen“ verharmlosend und trifft nicht annähernd den Kern des Problems.
Und jetzt?
Aus unserer Sicht ist ja gar nicht viel zu tun: Klares Auftreten gegenüber diesen Leuten, klare Abgrenzungen, auf der Strasse, in Theorie und Praxis.Es ist jetzt auch tatsächlich bedeutungslos, ob diese Bewegung erst später von Rechten „unterwandert“ worden sei, wie es da und dort behauptet wird. Die Vorstellung, dass Verschwörungstheoretiker:innen ihrerseits einer Verschwörung zum Opfer gefallen sein könnten, hat etwas Erheiterndes, mehr nicht.
„Wo war die Linke?“ fragt der Artikel und reproduziert damit einen der beliebtesten der unsinnigen Vorwürfe. Doch was uns angeht, können wir die Frage sogar beantworten: Wir waren am Geschehen und haben uns der Mischung aus Spinner:innen, Friedensschwurbel, Nazis, Querfrontlern, Antisemit:innen, Rassist:innen, Komplettverlorenen… ausgesetzt. Unter Gefahren, manchmal auch unter Polizeischutz, nicht selten mit Vergnügen.
Die Vorstellung, „Corona-Proteste“ für linke Politik gewinnen zu können, ist nicht nur paternalistisch, sondern völlig abwegig. Sie ist ungefähr so realistisch wie die Vorstellung, die Pegida-Bewegung in eine linke Richtung ziehen zu können, um zum Schluss auch einmal eine Analogie zu bemühen.
Die Messen sind gelesen, die Fronten geklärt. Die Zeit bleibt nicht stehen, sie dreht sich auch nicht zurück. Genug ist genug. Nach drei Jahren Pandemie sollte „die Linke“ insgesamt weiter sein, als hoffnungslos wirklichkeitsferne Projektionen über eine faschistische Erweckungsbewegung zu werfen.