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Was ist eigentlich Postautonomie? (Teil 1) Zum politischen Konzept der Interventionistischen Linke und Um's Ganze.

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Zum politischen Konzept der Interventionistischen Linke und Um's Ganze Was ist eigentlich Postautonomie? (Teil 1)

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Politik

Vor knapp 20 Jahren traten in Deutschland zwei neue Organisationen auf die politische Bühne, die heute sowohl mit zu den zahlenmässig grössten als auch medial präsentesten Verbänden innerhalb der radikalen Linke zählen: die Interventionistische Linke (IL) und ...ums Ganze! – kommunistisches Bündnis (uG) [1].

Interventionistische Linke mit Transparent bei Demonstration gegen den Angriff auf die Ukraine. Frankfurt am Main, 13. März 2022.
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Interventionistische Linke mit Transparent bei Demonstration gegen den Angriff auf die Ukraine. Frankfurt am Main, 13. März 2022. Foto: Ostendfaxpost (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 9. Dezember 2024
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Beide werden heute einem politischen Konzept zugerechnet, das oft als „postautonom“ [2] beschrieben wird. Damit ist allerdings kein sonderbarer Zustand „nach der Unabhängigkeit“ gemeint – denn der Begriff bezieht sich auf die autonome Linke als soziale Bewegung, mit der einerseits gebrochen, deren Konzepte aber auch weiterentwickelt werden sollen. Obwohl die postautonomen Organisationen die mit bedeutendsten Akteure in der deutschen Linke darstellen, findet sich unter diesem Stichwort dennoch bislang nur sehr wenig Literatur. Was bedeutet also „Postautonomie“? In welchem Verhältnis steht dieses Konzept zur autonomen Bewegung und was sind aktuelle Entwicklungen?

Die autonome Bewegung – ein Überblick

Die Autonomen. Von den einen als Chaoten und Randalierer verschrien, sehen sie sich selbst als hochpolitisierte Bewegung, die sich mit missionarischer Leidenschaft in den Kampf stürzt gegen alle grossen und kleinen Übel dieser Welt. Eine autonome Autorengruppe schrieb einst, „es gibt kein Programm oder Manifest“ [3], manche seien „Autonome, ohne sich selbst so zu bezeichnen, andere nennen sich so, sind's aber vielleicht gar nicht.“ [4] Hervorgegangen sind sie aus den Relikten der 68er-Bewegung, genauer gesagt aus den sogenannten ‚Spontis'. Die politisch linksradikalen Sponti-Gruppen grenzten sich damals vom hierarchischen und parteizentrierten Charakter der K-Gruppen ab, indem sie auf die ‚Spontaneität der Massen' setzten, welche sie durch oftmals kreative und phantasievolle Aktionsformen (wie etwa verstecktem Theater, Hausbesetzungen usw.) anreicherten und damit die klassischen Aktionsfelder und -formen (Partei, Fabrik, Gewerkschaft, Demonstration) ablösten. [5] Dieser

Aktionsstil besteht teilweise bis heute fort. Sichtbar in Erscheinung trat die autonome Bewegung vor allem in den Auseinandersetzungen der Anti-AKW- und Hausbesetzungsbewegung der 1980er-Jahre, welche zugleich ihre Hochphase bildeten. Dementsprechend kristallisierte sich das partikulare Themenprofil der Autonomen schnell heraus: vom Feminismus bis zur Antikriegsbewegung waren es diese Teilbereichskämpfe, die Neuen Sozialen Bewegungen, die Autonome versuchten zu besetzen. [6] Robert Foltin etwa verleitete das dazu, vom „'sozialrevolutionären Flügel' der Multitude“ [7] zu reden. „Ansonsten war eher die Negation Politik-bestimmend: keine WortführerInnen, keine Organisation, keine StellvertreterInnenpolitik, keine Einbindung in politische Verantwortung.

Anonym, subversiv und unberechenbar war das Auftreten.“ [8] Dieses ausserparlamentarisch-antibürokratische Selbstverständnis führte zu einem ausgesprochenen Aktionismus, der von selbstverwalteten Jugendzentren über selbstgedruckte Zeitschriften bis zu offen militanten Strassenkrawallen reichte und reicht. Theoretisch bewegen sie sich dabei zwischen insurrektionalistischem Anarchismus und undogmatischem Marxismus, wobei in den letzten Jahren ein partieller Trend zu abstrakterer Theoriearbeit festzustellen war. Dabei haben die Autonomen stets eine eigene Subkultur herausgebildet, die lange Zeit stark im Punk verwurzelt war, inzwischen aber eine Entsubkulturalisierung vollzogen und auch Einflüsse der Populärkultur mit aufgenommen hat.

Zur Entstehungsgeschichte postautonomer Politik

2005 gründete sich in der Bundesrepublik die Interventionistische Linke, wo auch ein Jahr später das Ums Ganze Bündnis in Erscheinung trat. Beide Organisationen bilden jeweils mehrere Einzelgruppen umfassende Netzwerke innerhalb der deutschsprachigen radikalen Linken (die IL ist laut Internetpräsenz aktuell in 24 Städten vertreten, das uG in 10 Städten), die sich durch ein gemeinsames Auftreten nach Aussen, sowie eine interne Diskussion und Organisierung nach innen kennzeichnen.

Sie entstanden aus Organisierungsdebatten der 1990er-Jahre heraus, unter welchen die in der Interim-Zeitschrift geführte Heinz-Schenk-Debatte von besonderer Bedeutung war: Die Geschichte der Autonomen wurde nun als eine Geschichte der Kampagnen begriffen, als eine Politik des Reagierens, die auf den Beginn eines Politiker-Treffens ebenso eifrig hinfieberte wie auf den Bau von Flughafenstartbahnen oder Hausräumungen: „ …wie langweilig ist das

Leben in manchen besetzten Häusern ohne den Überfall der Bullen.“ [9] Um jedoch proaktiv in gesellschaftliche Prozesse eingreifen zu können, bedürfe es einer Einbettung in bestehende Auseinandersetzungen, welche jedoch „durch das Ablehnen konkreter Forderungen und aller Bündnisse mit ReformistInnen“ [10] verhindert werde. Die Konsequenz sei eine Einnischung in der gelegentlich als „Szenesumpf“ bezeichneten Subkultur. Des Weiteren wurde in der Heinz-Schenk-Debatte eine diskontinuierliche Theoriebildung kritisiert, einen von ihr so bezeichneten „Militanzfetisch“ [11], sowie vor allem eine zersplitterte Landschaft gering bis gar nicht organisierter Gruppen und Einzelpersonen.

Die daraus hervorgegangenen Berliner Gruppen Avanti und Für eine linke Strömung (FelS) befürworteten deshalb eine „strategische Bündnisorientierung“ [12] und die Auseinandersetzung mit reformistischen Forderungen, welche sie aber nicht mit reformistischer Politik gleichgesetzt sahen. Dementsprechend beschäftigten sie sich etwa mit der Frage nach einem Grundeinkommen, der Forderung nach kostenfreiem ÖPNV oder unterstützten kämpferische Hartz-IV-Initiativen. [13] Vor allem aber erwünschten sie sich einen „kollektiven Prozess“ [14], der die postautonomen Netzwerke IL und uG bis heute prägt: das Auftreten unter einem einheitlichen Namen, die erkennbare Sichtbarkeit nach aussen, sowie die koordinierte Organisation über gemeinsame Mailverteiler, Materialressourcen, Spendenaufteilung usw, d.h. eine professionalisierte Verbandsstruktur.

Es waren die Gruppen Avanti undFelS, aus denen schliesslich die Interventionistische Linke hervorgegangen ist. Wie später noch beschrieben wird, bezieht sich die IL nicht mehr auf das ursprünglich anarchistisch-libertäre Selbstverständnis der Autonomen, sondern orientiert sich theoretisch eher am breiten Spektrum undogmatisch-neomarxistischer Ansätze. Der IL wird heute ironischerweise wieder eine reine Kampagnenpolitik zugeschrieben, wobei der G8-Gipfel in Heiligendamm, Castor Schottern, sowie Blockupy und Ende Gelände die meiste Bekanntheit erlangten. Die IL setzt dabei bewusst auf das Konzept des „Zivilen Ungehorsams“, allem voran auf organisierte Massenblockaden, welche sie gezielt medial inszenieren, wobei sie stets auf die „Vermittelbarkeit“ ihrer Aktionen achten. [15]

Das uG-Bündnis hat wiederum einen anderen historischen Hintergrund. Es bildete sich aus Antifa-Netzwerken heraus als Reaktion auf bestimmte Tendenzen im Rahmen der G8-Proteste, denen sie Opportunismus, Reformismus und verkürzte Kapitalismuskritik vorwarfen, wobei hier eine gewisse Handschrift der sogenannten Antideutschen [16] zu erkennen

ist, wenngleich uG keineswegs als antideutsches Phänomen zu werten ist. In jedem Falle entwickelten sie ein eher strukturell orientiertes Kapitalismusverständnis, in dem Kritik an einzelnen Repräsentanten, sowie Reformen eine untergeordnete Rolle spielen. [17] Von dieser Position ausgehend entwarfen sie ein tendenziell passiveres Verständnis von Politik, bei der „auch die theoretische Auseinandersetzung […] im Fokus [steht].“ [18] Die Gesellschaft könne eben nur als Ganzes verändert werden. Insgesamt lassen sie sich im undogmatischen Spektrum des Marxismus verorten. Auch uG beteiligte sich, wenn auch in geringerem Umfang, an der Organisation von Aktionen zivilen Ungehorsams.

Dementsprechend sind uG und IL vor allem zwei Sachen gemeinsam: Einerseits die professionalisierte Verbandsstruktur, andererseits ihr ausserparlamentarisches Selbstverständnis, mit dem sie immer wieder ihre Distanz zu Parteigründungen und Parteipolitik betonen (eines der wenigen autonomen Relikte). Ansonsten differieren die Ansätze von uG und IL theoretisch wie praktisch untereinander sehr.

Eine Eigenschaft, die auf beide Gruppen, vor allem aber auf die IL zutrifft und die m.E. ganz wesentlich für ihren derzeitigen Erfolg ist, ist der Versuch, eine anschlussfähige und an den Realitäten bürgerlicher Lebenswelten orientierte Sprache, Auftreten, Inhalte und Aktionsformen zu entwickeln. Das heisst, der Verzicht auf sprachliche Vulgärradikalismen (das Fabulieren von „Bullenschweinen“ oder der „proletarischen Revolution“); der Entwicklung von „Gegenkultur“ [19] statt Subkultur; das Einbeziehen reformistischer Forderungen; und ein Militanzkonzept, das sich in einem „Zivilen Ungehorsam“ äussert, das die Inszenierung militanter Strassenschlachten jedoch weitgehend ablehnt. Diesen Wunsch, sich von der Gesellschaft nicht abzuwenden, sondern in sie hineinzuwirken, habe ich in einem eher polemischen Aufsatz über das Verhältnis von Autonomie und Postautonomie einmal mit dem Rahmenbegriff der „Empathie“ beschrieben. [20]

Obwohl uG und IL innerhalb der deutschen Linken zwei sehr einflussreiche Akteure darstellen, ist von Postautonomie nur am Rande die Rede. Robert Foltin hat 2016 unter dem Titel „Postautonomie? Von der Organisationskritik zu neuen Organisationsformen“ [21] ein sehr empfehlenswertes Buch verfasst. Ansonsten wird der postautonome Ansatz von manchen Zeitungsautoren inzwischen auch der Antifa-Bewegung als Ganzes zugeschrieben, wahrscheinlich weil sie ihr einen hohen Organisierungsgrad unterstellen. Im engeren Sinne jedoch bezieht sich Postautonomie auf die beiden Organisationen IL und uG. Damit blieb er

bislang ein spezifisch deutscher Begriff. Im Folgenden wird der Fokus vor allem auf die IL gelegt werden, was sowohl auf meinen persönlichen Kenntnisstand, als auch auf die höhere Aktivität und grössere Präsenz der IL zurückzuführen ist.

Elias Schott

Fussnoten:

[1] Dieser Text wurde ursprünglich im Jahr 2020 geschrieben und seitdem mehrfach überarbeitet. Meiner Einschätzung zu Folge hat sich an der Aktualität der Inhalte jedoch nur wenig geändert. Das 2024 von der Interventionistischen Linken veröffentlichte Papier „Gegenmacht aufbauen, Gelegenheiten ergreifen. IL im Umbruch. Zwischenstandspapier #2“ wurde für das Verfassen dieses Textes zwar reflektiert, aus Gründen der Übersichtlichkeit jedoch keiner näheren Analyse unterzogen.

[2] Der Begriff „postautonom“ entstand zwar aus der Kritik an der autonomen Bewegung, es ist aber unklar, wo und wann das Wort letztlich seinen Ursprung genommen hat. Zwar beschreibt sich die IL selbst als „postautonome, multizentrische Organisation“ und verwendet den Begriff auch gelegentlich in Publikationen (seltener hingegen UG), jedoch wurde die Bezeichnung bislang eher von aussen zugeschrieben, wobei hier Medien aus zwei konträren Interessensrichtungen ausschlaggebend waren: zum einen Artikel linker Zeitungen, zum anderen Berichte des Verfassungsschutzes. Insgesamt wurde die Bezeichnung in der Vergangenheit allerdings eher selten verwendet. Das heisst, dass seine Bedeutung „passiv“ hergestellt wird, sodass seine Bedeutung in den Publikationen und Praktiken der postautonomen Gruppen selbst, quasi „zwischen den Zeilen“, herausgelesen werden muss. An einem solchen Vorhaben untersuchte sich Robert Foltin, als er 2006 sein (sehr empfehlenswertes!) Büchlein „Postautonomie? Von der Organisationskritik zu neuen Organisationsformen“ herausgab, in dem er die theoretischen Debatten zusammenfasste, eine historische Einordnung vornahm und konkrete Bündnisse und Kampagnen vorstellte und den Begriff damit erstmals systematisch konzeptionalisierte. Eine weitere, gut recherchierte, wenn auch politisch gefärbte Untersuchung leistete Alexaynder Deycke von der Bundesfachstelle für Linke Militanz („Postautonomie. o.J. URL: https://www.linke-militanz.de/handbuch/postautonome/#_ftn38 (29.11.2024). Der Begriff unterliegt also politischen Prozessen, dessen klare Bedeutung sich noch nicht klar herauskristallisiert hat. Der folgende Beitrag ist daher ein Versuch, den Begriff weiter zu konzeptionalisieren, indem ich mich sowohl auf die Publikationen und Praktiken von UG und IL, als auch auf Robert Foltin beziehe und das um wenige eigene Überlegungen ergänze.

[3] A.G. Gauwacke: Autonome in Bewegung – aus den ersten 23 Jahren. Berlin, 3. Auflage 2007, S. 7.

[4] Gauwacke: Autonome 2007, ebd.

[5] Foltin, Robert: Autonome Theorien - Theorien der Autonomen? Wien 2014.

[6] Foltin: Autonome 2014.

[7] Foltin: Autonome 2014, S. 168.

[8] Kongresslebuch-Gruppe: Der Stand der Bewegung. Berlin 1995, S. 20f, zit. n. Foltin: Autonome 2014, S. 14.

[9] Für eine linke Strömung (FelS): „Heinz Schenk Debatte“. Texte zur Kritik an den Autonomen – Organisationsdebatte

– Gründung der Gruppe „Für eine linke Strömung“. 2. Auflage 2011, S. 10. URL: https://fels.nadir.org/multi_files/fels/heinz-schenk-debatte_0.pdf (12.04.2020).

[10] FelS: Heinz 2011, S. 12.

[11] vgl. FelS: Heinz 2011.

[12] Foltin, Robert: Postautonomie. Von der Organisationskritik zu neuen Organisationsformen? Münster 2016. S. 25.

[13] vgl. Foltin: Postautonomie 2016.

[14] Foltin: Postautonomie 2016, S. 25.

[15] Foltin: Postautonomie 2016.

[16] Eine spezielle linksradikale Strömung, die im deutschen Nationalismus eine historische Spezifik sieht und sich oft solidarisch mit israelischen Politiken zeigt.

[17] Foltin: Postautonomie 2016.

[18] …ums Ganze! Kommunistisches Bündnis: Über uns. URL: https://umsganze.org/ueber-uns/ (12.04.2020).

[19] FelS: Heinz 2011, S. 9.

[20] Schottenau, Emilian [Pseudonym]: Postautonomie und Empathie. Plädoyer für eine anschlussfähige politische Praxis. In: Untergrund-Blättle Onlinemagazin. 10.06.2019, URL: https://www.untergrund-blättle.ch/politik/theorie/postautonomie_und_empathie_5485.html (12.04.2020).

[21] siehe Foltin: Postautonomie 2016.