Was die Ukraine angeht, hat der Standard eine besondere Form der Berichterstattung entdeckt, die NS-Foto-Lovestory. „Valentinstag auf dem Maidan“ [1] ist das ganze überschrieben und zeigt vermummte „Demonstranten“, die ihren Liebsten Blumen überreichen. Dass bei mehreren Bildern die Wolfsangel, eines der Symbole der ukrainischen (und früher auch der deutschen) Nazis, zu sehen ist, wird nicht erwähnt, das ganze soll wohl irgendwie zeigen, dass in den martialisch ausgerüsteten Neofaschisten auch ein weicher Kern schlummert und sie ja eigentlich nur für die Liebe kämpfen, während sie unliebsame Konkurrenten und Bullen totprügeln.
Keine Nazis, nirgendwo
Beliest man sich nur in deutschen Medien zu dem mittlerweile bewaffnet ausgetragenen Konflikt in der Ukraine, wird man für die dort gegen die Staatsmacht Kämpfenden verschiedene Ausdrücke finden: „radikale prowestliche Demonstranten“, „Regierungsgegner, die für Demokratie eintreten“ oder schlichter, einfach „Aktivisten“. Unter hundert berichten finden sich vielleicht fünf, die verschämt von „Nationalisten“ sprechen, einige sind sogar bereit, zuzugeben, dass sich „gewaltbereite Rechtsextreme“ unter den Maidan-Leuten befinden, in keinem Fall aber ändert sich dadurch das grundsätzliche Erzählmuster: Ein böser Despot will (wie zuvor schon andere böse Despoten in Libyen und Syrien) „sein eigenes Volk“ umbringen. Und dieses Volk streitet für westliche Werte und Demokratie, auch wenn einige Gewaltbereite es übertreiben.Konsequenterweise droht man denn auch dem „bösen Despoten“ und seinem „Clan“ mit Sanktionen, während man die Protestbewegung, auch den „nationalistischen“ Teil, diplomatisch und finanziell aufpimpt. Selbst Swoboda („Freiheit“) kommt in den Genuss von deutschen Diplomaten als offizieller Ansprechpartner gesehen zu werden [2], Vertreter der US-Regierung reden mit dem Führer der „Freiheits“-Partei auf derselben Bühne [3], Klitschko sieht sie ohnehin als legitimen Bündnispartner. Die Konrad-Adenauer-Stiftung rechnet Swoboda trotz aller Bedenken zu den „demokratischen Oppositionsfraktionen“ und viele Kommentatoren attestieren den 2004 aus der „Sozialnationalen Partei der Ukraine“ hervorgegangenen Truppen Oleg Tjagniboks sie wären doch gar nicht mehr so schlimm.
Das ist nichts weniger als die Verharmlosung einer neonazistischen Partei. Auch wenn die „Freiheit“ sich bemüht, „gemässigter“ aufzutreten, bleibt ihr Programm das einer faschistischen Gruppierung, ähnlich dem der NPD: Eine ethnisch reine Ukraine, ein Straftatbestand zur Verfolgung „antiukrainischer Handlungen“ und ein Einwanderungsstopp sind einige der Eckpunkte. Immer wieder äusserst sich die Partei homophob und antisemitisch, der jüdische Weltkongress stufte sie noch im Mai 2013 als „neonazistische Partei“ ein und forderte ihr Verbot. [4]
Im selben Monat waren, wie zur Bestätigung dieser Einschätzung, die ukrainischen Deppen bei ihren ebenso verblödeten, aber glücklicherweise wesentlich einflussloseren deutschen Kartoffel-Kameraden in Sachsen zu Gast. „Einmütig wurde der Wille zu einer Intensivierung der Kontakte und der Zusammenarbeit beider Parteien und ihrer parlamentarischen Vertretungen bekundet“, heisst es in bestem Finanzbeamtendeutsch auf der Facebook-Seite der NPD.
Kurz: Wenn also Swoboda keine Neonazis sind, wer dann? Genauso wie es in Deutschland Schwachmaten gibt, denen die NPD noch nicht rechts genug ist, und die sich dann in den sogenannten Freien Kameradschaften eine Organisationsform schaffen, in der sie zwischen Alkoholismus und Feierabendterrorismus auf den Endsieg hinarbeiten können, gibt es auch in der Ukraine noch Arschlöcher rechts von Swoboda: Den „rechten Sektor“. Vornehmlich aus Fussballhooligans und Wehrsport-Gruppen bestehend üben die schon seit Jahr und Tag fürs grosse Rambazamba und fühlen sich nun dementsprechend wohl. Von Ihnen geht ein Grossteil der Gewalt aus, solange sie die Möglichkeit dazu haben, wird keine Vermittlung in dem Konflikt möglich sein.
Wohin soll's gehen?
Was sagen wir aber nun? Sollen wir uns hinstellen und behaupten, Janukowitsch sei das Gelbe vom Ei, in der Ukraine herrsche Wohlstand, Korruption gibt es sowieso keine und die Menschen ernähren sich hauptsächlich von Nektar und Ambrosia? Das wäre auch etwas dürftig. Natürlich ist die Revolte gegen eine Regierung wie die von Viktor Janukowitsch grundsätzlich allemal gerechtfertigt und es gibt tausend gute Gründe für sie.Aber in dem Moment, in dem die Protestbewegung neonazistische Kräfte nicht nur nicht isoliert und ausschliesst, sondern sie sogar hegemonial dort werden, und in dem Moment, wo es neben den Neonazis nur noch Irre gibt, die ihr Heil in der Unterordnung unter Brüssel anstatt unter Moskau suchen, ist auch die grundsätzliche Legitimität der Revolte verwirkt. Denjenigen, die es zweifellos gibt, die an diesem Aufstand teil nehmen, ohne selbst Teil der neonazistischen oder proeuropäischen Opposition zu sein, die aus legitimen Gründen auf die Strasse gehen, kann nur noch geholfen werden, wenn man ihnen klar macht, dass sie von diesem Aufstand nichts zu erwarten haben.
Wie sich nämlich nun die Situation entwickelt, ist schwer abzusehen. Es gibt viele Möglichkeiten: Option eins: Die westliche Wertegemeinschaft verschärft den Druck von Aussen, die Militanten im Land verschärfen den Druck von Innen, es kommt zum Bürgerkrieg, möglicherweise zur Teilung des Landes. Wie wird Russland reagieren, dass seine eigenen imperialen Interessen durchsetzen muss? Option zwei: Janukowitsch tritt zurück, es gibt Neuwahlen, allerdings keine Fraktion, die wirklich gewinnt, der Konflikt bleibt schwelend über lange Zeit bestehen. Option drei: Janukowitsch entschliesst sich doch noch zu einer härteren Gangart, der Staat beseitigt mit Repression die Protestbewegung. Option vier: Eine wie auch immer geartete Koalition aus prowestlichen und faschistischen Kräften setzt sich durch. Auch in diesem Fall muss man nicht lange auf Repression und Säuberungen gegen politische Gegner warten. Keine dieser Möglichkeiten eröffnet die Aussicht auf ein besseres Leben in der Ukraine. Soviel, wenn nichts anderes, ist offensichtlich.
Was aber für uns, die wir nicht in der Ukraine sondern in Deutschland leben, klar sein muss: Wir erleben einen grundsätzlichen Wandel der deutschen Aussenpolitik. Bundespräsident Joachim Gauck und die neue Verteidigungsministerin Ursula Von der Leyen haben klar gemacht: Von deutschem Boden soll keine Zurückhaltung mehr ausgehen. Es darf wieder zurückgeschossen werden, ob in Afrika oder der Ukraine.
Und was macht die parlamentarische Linke in dieser Situation? Genau, Gregor Gysi schlägt „Gerhard Schröder als Vermittler vor“. Allerdings nicht weiter verwunderlich, denn so Gysi weiter: „Der Westen hat sich schneller bewegt als Moskau, aber anfangs hatten auch wir unseren Anteil“ – Das „Wir“, zu dem er sich hier zurechnet, sind jedenfalls nicht wir.