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Leben des Joab

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Der Widerstreit im Mensch Leben des Joab

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Prosa

Hier werde ich sterben, und ganz Israel wird jubeln. Der Wind steht gegen die Stadt. Ich höre das Geröll, das Gemurmel der Steine.

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Datum 15. November 2016
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Ich schliesse die Augen und sehe, was ich gern sah, wenn ich heimkehrte: Distelsträucher rollen dem Wind voran. Sie hüpfen den Hang hinab, vorbei an den weissen Knochen von Katzen, Hunden, Eseln und Vögeln.

Ich fürchte mich nicht. Ich bin müde und heiter. Ich bin heiter und müde. Ich warte und hoffe, dass Benaja das Töten nicht verlernt hat. Niemand ist mir mehr zuwider als ein Soldat, der ungeschickt tötet. Wer sterben muss, darf nicht leiden.

Ich höre das Geschrei und Getümmel der Stadt. Die Menge feiert. Die Klage um den toten König David wird zum trunkenen Heil dem nächsten König. Salomo. Davids Sohn. Dieser klägliche Mensch.

In seinem Sterben soll David dem Salomo gesagt haben: „Du weisst sehr wohl, was mir getan hat Joab, der Sohn der Zeruja, was er tat den zwei Feldhauptleuten Israels, Abner, dem Sohn Ners, und Amasa, dem Sohn Jethers, wie er sie ermordet hat und so im Krieg vergossenes Blut im Frieden gerächt und unschuldiges Blut an den Gürtel seiner Lenden und an die Schuhe seiner Füsse gebracht hat. Tu nach deiner Weisheit, dass du seine grauen Haare nicht in Frieden hinunter zu den Toten bringst.“

Wie muss mich der Alte gehasst haben.

So viel Atem hatte David noch? Für so viele Worte und für dieses letzte Lied, das mein Todesurteil ist? So rachsüchtig und kleinlich konntest du, mein Freund David, mein König, mein Feind, sein? Die Wahrheit schmeckt bitter: So rachsüchtig und kleinlich konntest du schon immer sein. Aber was ertrugst du nicht? Dass du vor mir sterben musstest? Ist es eine letzte Lust, vom Tod des anderen alten Mannes zu hören? Oder ist es die letzte Wollust, den Tod des anderen alten Mannes zu befehlen, der dich um Tage überleben darf? Wer in den Tod muss, der ergötzt sich am Tod eines Gefährten, auch wenn er dessen Tod nicht erleben wird? Das, David, nenne ich – geschmacklos.

Schritte. Scharrend. Schlurfend. Es sind nicht die Schritte eines Mannes, der einen Auftrag hat. Es ist die vielfüssige Menge, die gierig sich sammelt und losläuft. Je näher sie dem Zelt kommt, je näher dem HERRn, desto unsicherer wird sie. Der das Wort auf dem Markt führte, ist verstummt und hat sich zur Seite gedrückt. Die am wildesten fluchten und drohten, schweigen nun und sind Lämmchen geworden.

Ein grimmiges Wissen, noch eine folgenlose Erkenntnis: Ich könnte hinaustreten und sagen: Tötet mich! Und sie würden die Köpfe senken, Steine und Schwerter fallen lassen, und sich zerstreuen. Sie haben den Mut nicht, ihrem Geschrei den Mord folgen zu lassen. Vermutlich nicht. Einer müsste es tun. Den ersten Stein werfen. Den ersten Streich mit dem Schwert führen. Die Menge, die Meute, das Volk … Nimm einen aus der Herde, und er wird zum Schaf, das er ist. Am besten den, dem die Herde folgt.

*

Worauf wartest du, Benaja?

Seit vier Tagen ist David tot. Sterbend soll er mich verflucht haben? Es ist zum Lachen. Ich gewann seine Feldzüge, ich mordete für ihn, und er verflucht mich?

Meine Schuld werde ich nicht leugnen, HERR. Ich weiss, was ich getan habe. Ich weiss, was ich unterlassen habe. Ich werde anerkennen: das eine und das andere; ich freue mich darauf. Ich werde vor den HERRn treten und ihn fragen: Worin besteht meine Schuld? Entweder weiss er es, oder wir werden zusammen Wein trinken. Oder er weiss es auch nicht. Und wir werden trotzdem zusammen Wein trinken.

„Du“, werde ich mit schwerer Zunge sagen, „du hast nicht gewollt, dass ich Fischer auf dem See Kinnereth werde. Du hast nicht gewollt, dass ich Töpfe auf dem Markt von Bethlehem verkaufe. Du, HERR, hast nicht gewollt, dass ich Oliven pflücke. Oder?

Sollte ich, statt Menschen zu töten, Fische töten?
Sollte ich, statt Menschen in den Staub zu ducken, Lehm kneten?
Sollte ich, statt David zu dienen, Oliven sammeln?“
Und der HERR wird schweigen und den Wein trinken.

Das andere wäre grausam: Ich trete vor dich hin und du sagst mir, dass ich ein geschickter Fischer, Töpfer oder Bauer gewesen wäre. Ich werde mich wehren. Ich werde sagen: „Ich habe Kriege gewonnen. Ich habe von dir, HERR, kein Zeichen bekommen. Ich habe nicht gehört, nicht gerochen, nicht gesehen, nicht geschmeckt, dass ich ein Fischer, Töpfer oder Bauer sein sollte.“

Und ich werde mir nicht einreden lassen, dass ich eher Fischer, Töpfer oder Bauer sein sollte. „Das, HERR“, werde ich sagen, „hättest du mir vor vierzig Jahren sagen müssen. Du liessest mich Soldat werden. Du liessest mich Soldat sein. Ich war glücklich als Soldat. Du liessest mich glücklich sein als Soldat. Und auch als ich der Herr über alle Soldaten Israels war - war ich glücklich. Und du willst mir im Tod sagen, dass ich geirrt habe?“ Dass mein Glück ein Irrtum war?

Das wage nicht, HERR!
Werde ich so mit dem HERRn im Tod sprechen; da ich so nicht sprach im Leben zu meinem König?

*

Benaja ist unterwegs. Der mich mordet. Mein Nachfolger. Die Kette hat ihr nächstes Glied. Sie verlängert sich, sie darf nicht reissen.

Ich tötete Abner und Amasa, Benaja tötet mich, jemand wird Benaja töten. Er weiss das. Jeder von uns weiss, dass er ausgelöscht wird. Jeder von uns hat gedient und geglaubt und wird vernichtet. Es war meine Pflicht zu töten; es ist Benajas Pflicht, mich zu töten. Es wird die Pflicht der Folgenden sein, die vorher zu töten. Alles andere ist Geschwätz in den Gassen, auf dem Markt und an den Brunnen. Der Menge kann man erzählen, dass im Himmel Jahrmarkt ist, solange auf dem Jahrmarkt ein bisschen Himmel ist.

Benaja kann sich Zeit lassen. Er weiss mich an sicherer Stelle. Ich fliehe nicht. Aus dem Zelt des HERRN entkomme ich nur als Toter. So soll es sein. Wie David sprach: „Tu nach deiner Weisheit.“

Es ist nicht die Weisheit des einen Schlauen; es ist das Wissen um die Erhaltung der Macht.
Tu nach deiner Weisheit. So sollte es sein. Aber so ist es nie. Es ist immer nur - das Wissen um die Erhaltung der Macht.

Es gibt Sätze, die entkräften und mutlos machen. Es sind die gleichen Sätze, die bestärken und tapfer machen. Tu nach deiner Weisheit. Niemand darf über dich richten, wenn du nach deiner Weisheit tust. Jeder darf dich verurteilen, wenn du nach deiner Weisheit tust. Salomo wird nicht nach seiner Weisheit, sondern nach der Weisheit des Vaters handeln.

Habe ich, Joab, nach meiner Weisheit getan? * Warum bin ich in Jerusalem geblieben und habe auf Davids Tod gewartet? Wie konnte mir geschehen, was allen geschah: dass wir wie erstarrt, ohnmächtig und matt, auf die Nachricht von seinem Tod warteten? Warum habe ich nicht mein Haus hinter mir gelassen und bin davon geritten? Nach Norden zum Meer mit seinen offenen Ufern, nach Osten in die fruchtbaren Berge, nach Süden in die Wüste, nach Ägypten. Ich weiss, warum ich blieb: Ich bin treu, dankbar und vergesslich. Bis in den Tod. Ich bin ein Esel. Wie Hanna, meine Liebe, sagte: „Du bist ein Esel, Joab.“ Und sie rieb mich mit Öl ein und sie sagte leise und heiser: „Du bist ein Esel, Joab.“ Und sie zog mich auf sich oder drückte meine Schultern zu Boden: „Du bist ein Esel, Joab.“ Und als sie in Liebe schrie: „Du bist ein Esel, Joab“, schrie ich in Liebe: „Ich bin der Esel Joab.“ Esel haben ein schönes Leben; haben sie einen schönen Tod?

*

Niemand besuchte mich in den letzten Tagen und Stunden. Es gab keinen Befehl für mich. Ich hatte keine Befehle zu geben. Es geht lautlos zu Ende. Die Krether und Plether standen wie seit je vor dem Tor. Es war verschlossen, wie es sich gehörte. Sie glotzten mich aus jungen, dummen Augen an. Jeder von ihnen kannte mich. Ich kannte nicht einen von ihnen. Die meisten Menschen, die ich kannte, sind sowieso tot. Sie liessen mich nicht in den Palast.

Ich war stolz auf die Wächter. Ich selber habe meine Männer gelehrt, jedem den Zutritt zu verweigern, der das Losungswort nicht kennt. Nun: Die Krether und Plether sind nicht meine Männer. Sie waren immer die Männer Benajas und schützten den Palast und Jerusalem. Sie zogen nicht in den Krieg. Sie waren erwählt zu leben und zu schützen. Sie waren die Haut auf der Haut des Königs. Sie waren sein Leder.

Trotzdem. Sie trugen die Rüstung, und ich roch sie wie ich meine Soldaten roch: Schweiss und Leder und saure Milch.

Es war eine Prüfung, als ich fragte: „Wisst ihr nicht, wer ich bin?“
Sie glotzten wie die Kälber, schlugen dann die Augen nieder und fragten: „Losungswort?“
Ich kannte es, es hiess Tod. Es hiess auch Gott. Ich sagte es nicht.
„Bringt mich zu Benaja“, befahl ich. „Oder bringt Benaja zu mir!“
„David stirbt“, sagte einer. Er wagte es, mir in die Augen zu schauen.
„Habe ich nach David gefragt?“
„Jede Antwort“, sagte der Krether oder Plether, „kann jetzt nur heissen: David stirbt.“
So spricht die Torheit, die nur glaubt und nichts weiss. Ein guter Soldat, ohne Zweifel.


Ich sah ihn grimmig an. Ich zwang mich zur Strenge. Er hielt meinem Blick stand, und ich lächelte. Ich sagte, was ich dachte: „Willst du mein Begleiter sein?“ So törichte Burschen, wusste ich, sind treu und gehorchen aufs Wort. Und sie sind so dumm, ehrlich zu sein. Er schüttelte den Kopf.

Ich wusste ohnehin: Niemand will mein Begleiter sein. Jetzt nicht mehr. Ein guter Soldat: der weiss, dass er nicht mein Begleiter sein sollte. Nie mehr. Ein Soldat riecht im Frieden den Tod und entkommt ihm. Das ist nicht dumm, das ist schlau.

Ich stand eine Weile vor der Wache. Ich war nach David der zweite Mann Israels; ich war ein Fleisch, das in der Hitze schmorte.

Ich stand in der Sonne auf dem Platz und hätte Tod oder Gott sagen sollen. Sie hätten mich in den Palast gelassen. Nur: wozu? Weil es zu meinen Gewohnheiten gehörte, jeden Tag, den ich in Jerusalem verbrachte, David zu besuchen? Ich war ein Fleisch, das in der Hitze schmorte. Ich bin noch immer der Mann, der David am nächsten sass, hätte ich Benajas Männern sagen können. Sollte ich, wie Kinder es tun, mit den Füssen aufstampfen und gekränkt tun, weil mir ein Wunsch nicht erfüllt wird?

Jeder der Krether und Plether, die träge miteinander schwätzten und verstummten, als sie mich kommen sahen, und verstohlene Blicke warfen, wusste von mir. Ich bin der Mann, der ausführte, was David ersann. Ich bin der Mann, der den Mord nicht scheute, wenn er nützte. Und ich bin der Mann, der seine Soldaten liebte und zu schonen versuchte. Davon wussten sie alle. Auch sie taten, was sie nicht durften: Sie liebten mich. Und hielten sich an die Befehle. Gute Soldaten. Auch wenn sie nicht in die Schlacht mussten als Männer der Leibgarde.

Immer weniger leben noch, die dabei waren. Immer mehr werden die, denen die Geschichten in ein Ohr hinein und aus dem anderen Ohr herausgehen. Und niemand steht ihnen bei, die Fälschung von der Wahrheit zu unterscheiden, das Wirkliche vom Übertriebenen. Das Geschehene vom Berichteten. Aber wie soll ein Mensch, der nicht dabei war, das Geschehene vom Berichteten trennen können? Und wenn er dabei war – ist ihm geschehen, was geschah? Wird er den Bericht vom Geschehenen für seinen Bericht nehmen? Letztlich, wenn er heimgekehrt ist und müde und nichts mehr wissen möchte von dem – Geschehenen? Was begreift einer, der dabei ist, von dem, was geschieht? Die Beteiligten sind blind und spüren nichts? Nicht mal den eigenen Tod?

Für die Wachen war ich ein alter Mann. Der Geruch des Todes ist mein Mantel. Mein Gesicht, ich weiss es, ohne es zu sehen, sagt Tod. An den Morgen mancher Schlachten habe ich es beobachtet: Die lange genug Soldat waren, wichen einigen Kameraden aus; sie rochen die Todgeweihten. Die Wächter zögerten. Sie hatten Respekt, sie hatten Hochachtung, sie wussten, wer ich war. Trotzdem. Richtig, Soldaten! Befehl ist Befehl! Lasst mich nicht durch!

Hätte ich das Losungswort gesagt, ich wäre trotzdem nicht hineingelangt. Es sind Benajas Leute. Saul schuf sich die Truppe als Gefolgschaft und Leibgarde, David übernahm sie. Wir hätten damals den Abner auch nicht hineingelassen. Den ich tötete, wie Benaja mich töten wird. Noch immer stand ich in der Sonne. Die Krether und Plether hatten sich unter die Sonnentücher in den Schatten zurückgezogen. Sie würfelten und tranken Wein und warteten ab. Und sie wussten, wer ich bin.

Natürlich wissen sie, wer Joab ist. Aber wer ist Joab? Ein Mann, dessen Zeit abgelaufen ist. Ihr Feldhauptmann heisst Benaja, Benaja und nur Benaja. Dabei ist nichts, was geschehen war, länger als dreissig, zwanzig, zehn, fünf Jahre her. Für einen Soldaten eine lange Zeit. Ein Soldat stirbt, sonst ist er feige. Überlebt er, hat er ein schlechtes Gewissen. Er fühlt sich als Held und Feigling. Er wird gefeiert, und er fragt, warum. Er spürt die Blicke derjenigen auf sich, die fragen: Warum trinkst du Wein und mein Mann liegt mit Sand im Mund? Warum bist du schon fast dreissig Jahre alt, und mein Sohn hatte noch nicht mal ein Mädchen? Ein Soldat, der überlebt, wird närrisch oder nachdenklich. Oder ihm wächst ein Panzer. So stand ich in der Sonne auf dem Platz.

Aus der Gruppe der Wachleute löste sich einer und kam zu mir herüber.
„Es tut mir leid“, sagte er.
„Es darf dir nicht leid tun“, sagte ich, mein Groll steckte wie ein Apfel in meinem Hals. „Geh zurück und gehorche!“
Er sah mich an, straffte sich, drehte sich um und ging. Die anderen empfingen ihn johlend und schlugen ihm auf die Schultern. Worauf hatten sie gewettet?
Ich kenne sie. Ich habe an ihren Feuern gesessen, ich trank mit ihnen. Wir sassen zusammen und redeten über Waffen, Frauen und jenen Gott, für den wir in den Krieg zogen. Längst wohnte David in Jerusalem, lag dieser Frau, Bathseba, bei. Er trank nicht mehr mit uns aus einem Fass. Die Männer wussten, dass sie ehrlich sein durften und reden konnten, was ihre Mäuler hergaben.

Dass es nur den einen einzigen Gott geben sollte, war ihnen fremd. So fremd, wie David, der Gottessichere, ihnen geworden war. Ich liess sie reden, und mein Herz schmerzte. Oft genug zweifelte auch ich. Konnte es der HERR wollen, dass wir für ihn starben? Dass der Mann, mit dessen Messer ich am Abend das Lamm zerschnitt, am nächsten Tag von Lanzen gespickt zwischen Disteln verröchelte? Wie konnte David so sicher sein, mit dem Mund des einen und einzigen Gottes zu sprechen, mit den Ohren des einen und einzigen Gottes zu hören? Gab es ihn?

Ich kannte sie. Wem es einfiel, traurig zu sein, der verliess uns für Stunden oder für eine Nacht. Er würde wiederkommen, das wussten wir. Wen die Sehnsucht nach seiner Frau, seiner Familie, seinen Eltern überfiel, den munterten wir mit derben Scherzen auf. Oder liessen ihn gehen, für zwei, drei Tage.

Und jedes Mal, kurz vor Beginn der Schlacht, fanden wir zusammen, und es gab die Minuten, in denen jeder für sich blieb.
Mit wem die Männer dann sprachen, wusste ich nicht. Wollte ich nicht wissen. Fast jeder hatte jemanden, den er mit sich trug.
Und ich liess es durchgehen, wenn die Männer in den ersten Stunden nach dem Sieg die Stadt plünderten und die Frauen schändeten. Ich zog mich in mein Zelt zurück und betäubte mich mit Wein. Ich wollte die Schreie nicht hören, nicht das Brüllen der Männer, nicht das Jammern der Kinder. Nicht die Stille danach.

Sie sind hungrige Löwen. Sie berauschen sich am Blut. Sie spiessen Kinder auf und benutzen sie als Zielscheiben beim Bogenschiessen. Was der Soldat nicht kriegen kann im Frieden, nimmt er sich im Krieg. Wer ihn hindern will, der wird gebissen. Diese wunderbaren Männer sind rasende Hunde. Die Pflicht, in der Schlacht zu töten, wächst in die Sucht, nach der Schlacht zu morden. Sie sind wahnsinnig, wenn sie überlebt haben. Sie wissen nicht, was sie tun, obwohl sie es genau wissen. Und es gibt kein nächstes Mal, beim nächsten Mal wären sie tot und lägen nackt und geschändet zwischen den anderen Nackten und Geschändeten.

Habe ich eine Schuld daran, Herr?

Ich stank wie sie. Ich stank nach dem Leder, das nachts steif und kalt wurde. Nach dem Schweiss, der das Leder in der Sonne aufweichte, dass die Haut juckte überall. Ich roch das Blut noch dann, wenn es nur noch ein Wort im Bericht an den König war. Blut. Mehr Geruch als Farbe.

Die Männer achteten mich, weil ich mich nicht erhob. Ich liess mir keinen Palast bauen, ich hielt mir nicht dreissig Frauen. Ihren Spott ertrug ich lächelnd. Joab kann kein richtiger Mann sein. Wer gibt sich mit einer Blume zufrieden, wenn er einen Strauss haben kann? Wer isst nur eine Olive, wenn ein Hain ihm gehört? Der Spott welkte. Spott ist ein Tier, das fressen und saufen will, kriegt es nichts, verendet es. Und noch im trägsten Soldatenkopf wurzelt die Sehnsucht nach einer Frau und nach der einzigen Liebe. Und wenn Joab das hatte – war er nicht ein glücklicher Mensch? Ein glücklicher Mann? Jeder Soldat wusste, dass Joab ein Mann war.

Einmal fragte mich David: „Warum gibt es keine Witze über dich, Joab? Selbst über mich gibt es welche. Selbst über Gott.“ Er lachte und alle ringsum lachten mit.

Ich antwortete: „Es gibt Witze über mich, den kinderlosen Einefraumann. Zahllose sogar. Aber du kannst sie nicht hören, weil sie am Feuer entstehen und mit dem Feuer vergehen. Du sitzt zu weit weg von den Feuern und den Witzen. Der Spott hat nicht die Kraft für den langen Weg zu dir.“
Davids Augenbrauen stiessen über der Nasenwurzel zusammen. Er kniff die Augen zu, sie zielten auf mich. Unwillig verschüttete er Wein: „Du willst damit sagen, ich teile nicht mehr das Los der Soldaten?“
Ich sah ihm in die Augen, ich senkte meinen Blick nicht. Davids Blick hatte ich stets widerstanden.
„Gott ist überall. Aber bist du Gott, David?“, fragte ich.
Davids Hand zerdrückte eine Apfelsine, sein Gesicht rötete sich wie der Kamm eines Hahnes, bevor er loskräht. Er stützte sich auf den Lehnen des Stuhls ab, wollte sich erheben, fiel zurück.
„Bist du Gott, Joab?“, zischte er.
Ich unterdrückte mein Lächeln. Ich hatte niemals behauptet, Gott zu sein. Ich hatte niemals so getan, als sei ich ausserhalb des Menschenkreises geboren und aufgewachsen. Und war jemals irgendeine meiner Gesten hoffärtig, war jemals eines meiner Wörter – göttlich gewesen?

David und ich spürten, dass die Frauen und Männer den Atem anhielten und zurückwichen. Da sass David, da stand Joab. Wir waren der Mittelpunkt der Welt.

Plötzlich brach David in ein dröhnendes Lachen aus. Es ging in einen Husten über. Schliesslich ächzte er: „Mit einer Frau ist es wie mit keiner Frau!“
„Ich liebe meine Frau“, sagte ich ruhig. „Was hat ein Mann von vielen Frauen, das er nicht von einer haben kann?“
„Schau dich um!“ David konnte nicht aufgeben, ihm allein stand das letzte Wort zu. Sein Gesicht glänzte vom Schweiss und vom Wein, seine Rechte umfasste die Frauen im Raum. „Wie verschieden sie sind! Wie Blumen! Und sie sehen nicht nur verschieden aus, sie sind es auch! In der Liebe!“
Wieder lachte er los. Doch niemand lachte mit. Davids Lachen brach ab, und er murmelte etwas vor sich hin, das ich nicht verstehen konnte. Dann sagte er: „Mir wird erzählt, dass du deiner Hanna noch treu bist, wenn deine Soldaten dir Frauen zu Füssen legen.“
„Nicht einer deiner Soldaten, mein König“, erwiderte ich, „wagt es, auch nur eine der Frauen, deren Männer wir töten mussten, in mein Zelt zu bringen.“
„Ich verstehe“, brüllte David. „Du kannst nur noch mit dem Schwert aus Eisen umgehen!“ Wieder lachte er allein.
„Ich liebe Hanna“, sagte ich.
Davids Gesicht verwandelte sich blitzschnell. Weggewischt die Trunkenheit, getilgt das Weiche. Der Mund lächelte, während seine Augen böse glitzerten: „Ich werde sie dir wegnehmen, deine Hanna.“
Uns trennten fünf Armlängen. Ich trug mein Schwert. David lag matt in den Kissen, die den Stuhl polsterten. Weich. Alles weich. Wie der Mann. Seit wann war David so weich wie ein Kissen?
Plötzlich roch ich seine Angst. Er beugte sich nach vorn und flüsterte: „Joab, mein Freund. Ich weiss, du würdest mir die Kehle durchschneiden.“
Nicht einmal nicken musste ich.
Das war, als David Hof hielt in Hebron. Das war, als Hanna noch lebte. Das war, als es die Bathseba noch nicht gab.
Noch immer stand ich in der Sonne auf dem Platz.
Noch immer sassen die Krether und Plether im Sand.
Dann ging ich. Die Stille hinter mir schloss sich zu einer fugenlosen Mauer. Die Stille vor mir liess nur einen schmalen Pfad zu meinem Haus. Die Leute gingen mir aus dem Weg. Scheu duckten sie Köpfe, flink zogen sie sich in die Schatten der Häuser zurück. Noch lebte David. Noch ging in der Stadt sein Fluch nicht um. Noch lebte ich unbehelligt.

*

Warum kommt Benaja nicht?
Wird er es selber tun? Oder überträgt er den Mord einem der pflichtsicheren und gleichgültigen Männer, denen das Schlachten eines Lamms das Gleiche ist wie das Schlachten eines Mannes?

Warum zögert Benaja? Oder der, den er schicken wird? Nein, er wird es selber tun. Salomo wird es von ihm verlangen. Der sterbende Vater hat dem Sohn befohlen, mich töten zu lassen. Salomo ist nicht weniger listig als David. Warum soll ein König töten, wenn er einen Feldhauptmann hat, der für ihn tötet? Die Macht, töten zu lassen, ist zweifach wunderbar. Das Blut klebt nicht an den eigenen Händen. Und der mordet, ist gebunden an den, der den Mord befahl.

Aber es heisst nicht Mord. Es heisst Gerechtigkeit. Es heisst Nachfolge. Es heisst Gott. Und das ist der Beginn der Verschworenheit zwischen König und Hauptmann.

*

Ein letzter Blick zu den Krethern und Plethern, ein letzter Blick auf das Haupttor. Ich setzte meine Schritte erst langsam, dann schneller. Ich verliess den Hof durch den schattigen Bogen und stieg die Strasse den Hang ins Kidron-Tal hinunter.

Die Stille verwirrte mich. Niemand lachte, niemand schwatzte, niemand schrie. War Jerusalem eine andere Stadt geworden, seit David im Sterben lag? Das glaubte ich nicht. Sie hielt inne und überlegte, was nach David kommt. Er war die Stadt, die Stadt war David.

Aber sie wird zu sich kommen. Auch nach seinem Tod; erst recht nach meinem Tod. Ein paar Tage noch, und die Karawanen werden eintreffen wie eh und je. Der Markt wird öffnen, und über der Stadt bilden sich Wolken aus den Stimmen und Sprachen der Stämme, die David erobert hat. Mit meiner Hilfe. In meinem Haus liess ich mir Wein bringen. Ich fragte nach meinem Bruder Abisai und wusste die Antwort, ehe der Schreiber sie mir gab. Abisai war fort. Er war nicht bereit zu sterben. Ich roch den Pfeffer im Wein und mir war zum Lachen.

„Wohin ist Abisai gegangen?“, fragte ich.
„Nach Ägypten“, antwortete der Schreiber.
Ich dachte als Soldat. Ägypten ist weit. Aber Abisai ist ein Mann, der sich durchschlagen wird. Und ich verstand sofort:
Abisai wollte sich Hadad, dem Edomiter, anschliessen. Ein Feind Israels aus alter Zeit. Hadad lebte, seit David ihn schlug, beim ägyptischen Pharao und nährte seinen Hass.
Seitdem David ihn schlug?
Wie lange ist das her. Ich erinnere mich nicht an einzelne Jahre. Ich erinnere mich an Blöcke. Geröllfelder. Ebenen und Berge.

*

Wir waren nach Norden bis zum Euphrat gezogen. Weisse Sonne. Glitzernde Salztäler am Tag, Wüsten-Eis in der Nacht. Steine, die in der Hitze zersprangen. Durst und Blut. Viel Blut, jeden Tag Blut.

Der HERR half, wann David Hilfe brauchte. Wir schlugen die Moabiter, wir machten uns die Aramäer von Damaskus untertan. Wir gingen schlafen und erwachten mit dem Gedanken an ein einiges Israel.

Wir siegten, und jeder Sieg war ein Zeichen des HERRn. Alles Blut floss ihm zu. Alles Kupfer, alles Gold, alles Silber und alle Mädchen gingen nach Jerusalem. Wir zweifelten nicht an uns.

David schrieb nach dem Feldzug ein Lied. Als er mit den Aramäern von Mesopotamien und mit den Aramäern von Zoba Krieg führte. Als Joab umkehrte und die Edomiter im Salztal schlug, zwölftausend Mann. Gott, der du uns verstossen und zerstreut hast und zornig warst, tröste uns wieder. Der du die Erde erschüttert und zerrissen hast, heile ihre Risse, denn sie wankt. Ich will frohlocken. Ich will Sichem verteidigen und das Tal Sukkoth ausmessen. Gilead ist mein, mein ist Manasse. Ephraim ist der Schutz meines Hauptes, Juda ist mein Zepter. Moab ist mein Waschbecken, meine Schuhe werfe ich auf Edom. Philisterland, jauchze mir zu!

David liebte seine Lieder. Er sang sie immer wieder, bis sie jeder kannte. Er liess sie sich vorsingen. Immer und immer wieder. Und nie vergass er den Namen Joab. Joab, der die zwölftausend erschlug. Joab, der sechs Monate in Edom blieb und alles erschlug, was männlich war. Ich allein? Hatte ich tausend Arme, von denen ich nichts wusste?

Töricht war ich. Ich fühlte mich geschmeichelt, bis ich hinter dem Loben die Tücke bemerkte. Der Sieg trug den Namen David, der Mord den Namen Joab. Die Gnade war bei David, die Unbarmherzigkeit war bei Joab. Er hob mich heraus, er hob mich auf das Schild, dass ein jeder meine blutigen Hände sehen konnte. Meine blutigen Hände.

Wusste ich das schon, als wir gegen Hadad kämpften? Sicher nicht. Auch wäre es gleich gewesen. Hätte ich es gewusst, nichts wäre anders gekommen. David war überzeugend. David war unvergleichbar. David war Israel. Seine Glieder waren die Stämme, sein Kopf und sein Wille war Jerusalem. Jedes Dorf hatte seinen Opferplatz und seine Priester. Jeder Stamm sang seinen Gott an. Unübersehbar war die Schar derer, die durch die Täler und über die Berge zogen und sich als Seher ausgaben. Wo es leicht ist, mit Lügen Brot zu verdienen, da wird nicht mehr gesät und nicht mehr geerntet. Wo Geschwätz das Rechnen und Prüfen ersetzt, da wird nicht mehr gefischt und nicht mehr gewebt. Jemand musste kommen und aufräumen. Jemand musste gesandt sein von dem einen und einzigen Gott. Dieser Jemand war David. Und ich war es, den er brauchte; ich war es, der ihn brauchte; der HERR war es, der uns brauchte.

Hadad also. Dass mir der Name in meinem Haus einfiel, da ich in der Abendkühle zu schlottern begann, und der Wein nicht wärmte. Ich sah Hadad von weitem vor jener Schlacht im Salztal. Höher gewachsen als die Edomiter gewöhnlich, trug er langes, helles Haar. Ein Riese, wie Goliath einer gewesen sein soll. Er entkam uns.

Dass mir zu dem Namen die Gestalt einfiel, freute mich.

Mir ist die Fähigkeit geblieben, Namen und Gestalten zu erinnern. Auch habe ich bis heute, bis zuletzt, keine Mühe, ein Gelände mit den Augen zu messen und zu wägen, wohin ich meine Männer schicken muss. Ich habe das Warten gelernt. Ungeduld, heiss und treibend, bringt raschen Tod. Uria fiel mir ein. Ihn als Einzigen bitte ich seit Jahren Tag für Tag um Vergebung.

Ich könnte mir die vielen Namen vormurmeln, und ich sähe die Träger der Namen vor mir. Nur ihre Gesichter nicht. Ihre Gesichter sind leere Flächen auf breiten Schultern. Weiss wie das Salztal der Edomiter. Die Gesichter sterben als erstes.

Ich liess mir einen nächsten Becher heissen Wein bringen.

Mein Bruder Abisai hat die Tat gewählt, die Flucht nach Ägypten. Ich wähle das Ende. Ich bin müde. Ich will nicht mehr handeln. Und Abisais Wahl ist falsch. Er wird an Hadads Seite in das Land Israel einfallen und sterben. Hadads Hass ist nicht Abisais Hass. Hadad ist ein König ohne Volk, wie Israel nie mehr ein Volk ohne König sein wird. Hadad will zurückholen, was wir ihm im Namen Jahwes nahmen. Welche Rolle willst du dabei spielen, Bruder? Hadad wird deinen Verrat schätzen, aber nicht dich, Bruder.

„Abisai“, flüsterte ich. „Mein Bruder Abisai! Du bist einer der Tapfersten, einer der Gescheitesten bist du nicht. Du willst Hand an Israel legen, Hand an Salomo? Wie legt man Hand an ein Gesetz? Hadads Hass, der nicht deiner sein kann, wird nicht nur das Haus David zerstören, er wird das Haus Israel niederreissen. Wisse, Abisai, mein Bruder, lebte ich noch, ich zöge gegen euch. Und ich tötete dich!“

*

David musste die Vorstellung, ich könnte ihn um Jahre überleben, unerträglich gewesen sein. Er liebte sich selber, aber er war nie blind. Er sah, wie sein Leib, dem Brotteig im Ofen gleich, aufging. Seine Augen verschwanden im Fett des Gesichtes, und der Bauch hing über Schwanz und Sack. Die Schultern eingefallen, die Kraft aus Armen und Beinen entwichen. Dagegen ich, Joab.

Die Sonne hatte mich fast schwarz gebrannt. Je älter ich wurde, desto hagerer wurde ich. Mein Körper bestand aus Muskeln und Sehnen und Knochen, die jeder sehen konnte. Ich konnte es noch mit beinahe jedem jungen Soldaten aufnehmen. Ob im Bogenschiessen, ob im Hindernislaufen, ob im Reiten, wenn auch die Knochen schmerzten, ich ertrug das Alter beherrscht, die Schmerzen klaglos und wünschte mir nichts anderes als eine Matte für die Nacht, eine Decke gegen die Kälte und genug zum Essen und Trinken.

Plötzlich sah ich David. So könnte es sich zugetragen haben: Er lag in den Kissen und Decken, Schweiss überzog sein Gesicht, das eingefallen war; und der Priester Zadok und der Prophet Nathan standen dabei und rangen die Hände und wendeten die Augen zum Himmel. Benaja stand dabei, reglos, die Zähne zusammen gepresst, die Knöchel der Finger: weiss um den Griff des Schwertes. Und Salomo, der junge Mann, die elende Frucht der Bathseba. Davids Gesicht, verzerrt in Wut, da er meinen Namen ausspricht. Tu nach deiner Weisheit, dass du seine grauen Haare nicht in Frieden hinunter zu den Toten bringst. Der Befehl geht an Salomo, den Nachfolger, aber Benaja weiss, dass sein Schwert Arbeit bekommt.

Mit David stirbt das Volk Israel. Aber er kann sie nicht alle mitnehmen auf die Reise zum HERRn. David muss auswählen; im Wählen war er immer geschickt und listig. Also entschied er sich, den Joab folgen zu lassen. Mich, der ich ihm lange am Nächsten war, am Vertrautesten. Bis er Bathseba an sich zog, die Einflüsterin, die neben ihm Platz nahm, als gehörte es sich so.

*

Jetzt höre ich die Schritte eines Mannes.
Der Lärm in der Stadt verstummt. Kein Esel brüllt, kein Vogel singt. Das Tuch vor dem Eingang wird zur Seite geschlagen. Die Sonne schiesst herein und blendet mich. Gegen das Licht erkenne ich ihn nicht. Aber es kann nur Benaja sein, mein Mörder.
Er macht zwei Schritte in das Zelt, die Sonne hinter ihm verlischt. Ich rühre mich nicht. Der Altar drückt in meinem Rücken. Wir sind zu dritt im Zelt: Benaja, der Mann mit dem Schwert, Joab, der Mann ohne Waffen und ergeben, und der HERR.
„Gehen wir!“, sagt Benaja.
„Nein“, sage ich. „Ich will hier sterben.“
Benaja ist verwirrt. Er ist kein Mann verschlungener Überlegungen. Seine Augen huschen hin und her. Im Zelt des HERRn soll er Joab töten? „Hier will ich sterben“, wiederhole ich. „Wovor fürchtest du dich?“
Er antwortet nicht. Ich weiss, wovor er sich dreifach fürchtet. Es ist der Mord im Angesicht des HERRn. Es ist der Zweifel am Auftrag. Und dass er, Benaja, fortan meine Stelle vertreten muss. Es fiele ihm leichter, flössen mit meinem Blut auch meine Erfahrungen aus mir und ihm zu. „Wenn es David so wollte, will der HERR es auch“, sage ich und füge hinzu: „Falls es ihn gibt, wird er beide Augen zudrücken und nachher eine Sklavin zum Aufwischen schicken.“

Benaja erstarrt. „Du spottest Gott“, sagt er tonlos. Er senkt die Rechte mit dem Schwert und lässt seine Schultern fallen. Die ledernen Platten seiner Brust-Rüstung knarren.

„Würdest du sterben wollen unter den Augen der gierigen Menge?“, frage ich. „Dein letzter Blick trifft das Maul eines Krämers, von dessen Lippen das Fett eines Bratens trieft. Das Letzte, was du riechst, ist der Schweiss eines Maurers, der sich zwischen den Beinen kratzt. Das Letzte, was du hörst, ist die Prügel, die ein Mann seiner Frau erteilt.
Joab ist kein Schaf, dem auf dem Markt die Kehle durchgeschnitten wird.“

Armer Benaja. Er zittert, Schweiss rinnt über das Gesicht. Es ist sehr stickig und warm im Zelt des HERRn.

„So schäbig will ich nicht sterben“, sage ich fest. Es ist ein letzter Sieg. Ich werde sterben, ich will sterben. Ich will von Benajas Hand sterben. Aber nicht vor den Augen derer, die sich seit Jahrzehnten in Jerusalem versammeln. Nicht vor den Augen derer, die ich für David besiegte und die ich ihm als Kriegs-Beute schenkte. Nicht unter der fiebrigen Sonne.

Im Übrigen denke ich als Soldat. Ich suche den günstigsten Weg. Der kürzeste Weg zu Gott beginnt in seinem Zelt. Hier ist er zuhause. Schade, dass er sich nicht zeigt und zuschaut. Beinahe muss ich lachen.

„Das kann ich nicht, hier nicht.“, sagt Benaja. Er steckt das Schwert in den Gürtel. Er zögert, seufzt und wendet sich zum Gehen.
„Bleib!“
„Ich habe hier nichts zu tun“, sagt Benaja. „Und ich will nicht mit dir reden.“
„Sag mir nur, was hat er gesagt.“
„Wer?“
„Wer schon!“
„Ich war nicht dabei, als er starb.“

Also nur Zadok, Nathan, Salomo? Und die Bathseba? Die umstanden David zuletzt. Die hörten Davids Wörter als einzige. Die waren es, die des Königs letzten Wörter verwalteten. Ich denke als Soldat: Sie haben einen Vorteil in der Schlacht um die Nachwelt. „Aber du weisst es“, sage ich. „Also sag es.“

Ich gebe meiner Stimme die Kraft, die meine Befehle weit trug. Noch der letzte Mann, der in der hintersten Reihe stand, konnte meine Befehle klar und deutlich hören. Meine Stimme, meinten die Männer, liesse, wenn ich es wollte, Töpfe in Scherben zerspringen,.

„Sag, was du weisst!“, wiederhole ich. Das ist ein Befehl. Seit vier Tagen mein erster Befehl, der mein letzter Befehl ist.

Benaja strafft sich. Ich beherrsche mich, um nicht zu lachen. Benaja ist mir seit langem gleich gestellt. Benaja wird Joab sein, es bedarf nur eines Schwertstreichs. Aber Benaja stand lange Zeit unter meinem Befehl. Auch als er über die Krether und Plether gesetzt wurde und seine Tage in Davids Nähe verbrachte, blieb ich für ihn der erste Mann nach dem König. Benaja war mutig, ehrgeizig und geschickt. Aber ich war sein Lehrer.

Ich weiss, dass David ein Hetzer war. Ich weiss, dass David lästerte. Er zog Lust aus der Kabale, die er spann. Ich weiss nicht, welche Sätze Benaja über mich gehört hat. Aber ich weiss, dass der König in Benajas Anwesenheit Sätze über mich gesagt hat, die er nie zu sagen gewagt hätte in meiner Anwesenheit. Ich weiss auch, dass üble Rede tröpfchenweise aufs Giftigste wirkt. Und ich weiss, dass David vorsichtig sein musste. Er konnte nicht sicher sein, dass Benaja nicht mein Mann war. Jeder witzigen, abfälligen Bemerkung über mich - wird Davids wacher Blick ins Gesicht des Benaja gefolgt sein; David konnte in Gesichtern lesen, das war eine seiner Stärken.

Ab wann war sich David sicher, dass Benaja sein Mann war?
Ab wann begann das Spiel: Benaja in seiner Nähe, Joab im Felde?

So werden Zweifel geweckt. Zog ich in Jerusalem ein, nach Wochen und Monaten, sah ich Benaja in Davids Nähe. Ich sah ihre Blicke, und wenn ich auch sah, dass Benaja sich hilflos wand unter der auffälligen und absichtsvollen Zuwendung des Königs - ich fühlte mich unbehaglich und verunsichert. Was ging vor im Hause Davids, während ich in den Lagern lebte?

Längst misstraute ich Davids Lobgesängen; wohl war mir erst wieder, wenn ich Jerusalem wieder verlassen konnte. Und nach Hannas Tod hielt mich nichts in der Stadt, die mich mit ihrem prahlerischen Lärm anzuekeln begann. Sie war voll von denen, die ich nach den Kriegen David schenkte. Sie war voll von Sprachen, die ich nicht verstand. Sie war voll von Lachen und Schreien und voll von Göttern, die David getilgt glaubte. Für den einen und einzigen Gott, dich, den HERRn, dessen Angesicht niemand kennt.

Ab wann zog David die unsichtbare Mauer zwischen Benaja und mir hoch: dass der eine dem anderen fremd wurde? Dass Benaja und ich nicht mehr miteinander sprachen, wie wir an den Lagerfeuern gesprochen hatten?

„Sag, was du weisst!“, wiederhole ich.
„Er sprach mit seinem Sohn“, sagt er langsam. Mit Salomo.
Er sprach mit Bathsebas Liebling. Unter vier Augen. Wie er es liebte, je älter er wurde. Er holte den einen und anderen zu sich, besprach dieses und jenes mit ihnen und hiess sie schweigen. Und durch den Palast zogen Gerüchte. Wie David auf den Saiten des Kinnors spielte, so spielte er mit den Menschen. Gezwirbelte Kameldärme auf Zedernholz - das waren zuletzt Menschen für David!

Waren das wir Menschen nicht schon immer für ihn?

Und je älter David wurde, desto verschlagener wurde er. Und umso höriger der Bathseba.
„Warum sagst du nicht, dass Salomo nicht an Davids Statt gehört?“, frage ich.
„Wer weiss, wer an Davids Statt gehört?“, erwidert Benaja. „Nur David selber wusste es. Wenn er sagt, es ist Salomo, dann ist es Salomo. Bist du nicht Soldat genug, den Beschluss anzuerkennen?“
Mir gefällt der plötzliche Ärger, der Trotz in Benajas Stimme. Ich will, dass er widerspricht. Ich will, dass er in Wut gerät und mit dem Schwert einen kurzen Stoss von unten macht. Ich will, dass ich tot bin, ehe ich auf die Bretter aus Zedernholz schlage.

„Was soll das?“, fragt Benaja. „Jeder weiss, dass du Abner getötet hast. Gegen den Willen Davids.“
„Weiss auch jeder, dass mein Bruder Asahel starb?“, frage ich.
Jetzt lächelt Benaja. Er fühlt sich sicher. Er kennt die Geschichten und meint, sie sind wahr.
„Ich weiss es“, sagt er. Er weiss, was durch alle Zeit erzählt wird:
Ich tötete Abner, weil ich den Tod meines Bruders Asahel rächen wollte. Ich verfolgte Abner, an meiner Seite mein Bruder Abisai, um am Abend vor dem Hügel Amma innezuhalten. Bei Abner standen viele. Wir waren zu wenige.
Und Abner rief zu Joab hinunter: „Soll denn das Schwert ohne Ende fressen? Weisst du nicht, dass daraus am Ende nur Jammer kommen wird? Wie lange willst du dem Volk nicht sagen, dass es ablassen soll von seinen Brüdern?“
Und ich rief: „Wenn du das eher gesagt hättest, so hätte schon heute Morgen jeder im Volk von seinem Bruder abgelassen.“ „Meinst du diese Geschichte?“, frage ich Benaja jetzt im Zelt des HERRn.
Es ist wahr, dass ich Abner ziehen liess. Wäre ich ihm allein begegnet, ich hätte mich auf einen Kampf auf Leben und Tod eingelassen. Für Asahel, meinen Bruder, den Abners Männer geschlachtet hatten. Aber Abner und seine Männer behaupteten den Hügel Amma, und wie ich auch nach einem Weg sah, sie zu überraschen - sie waren im Vorteil.
Abner verdiente den Tod, Abner musste sterben. Wie Abisai, bleich wie ein Tal unterm Vollmond, sagte: „Ich verliere den Verstand, wenn Abner nicht stirbt.“

Und ich sagte ihm: „Ich schwöre, dass er unserem Bruder Asahel folgen wird.“

Abisai, Bruder. Zu ungestüm, zu wild, zu dumm. Du wirst in Ägypten nicht glücklicher sein als in Israel. Mir würde ich nie erlauben zu fliehen. In den Häusern Israels wird man von David, dem grossen König, sprechen, und von Joab, dem armseligen Knecht. Sie werden schnell vergessen, dass ich die Kriege führte, die Israel zu dem einen und einigen Land machte. Joab, wird es heissen, führte die Schlachten, in denen unsere Väter, Brüder und Söhne starben. Schändlicher Joab, wird es heissen! In dem Krieg, den einer gewinnt, ohne zu töten, wäre ich gern Soldat. Vielleicht, HERR, kennst du solche Kriege? Ich kenne so friedvolle Kriege nicht.

Flucht ist mir fremd. Gegen den Hass Davids und Israels bin ich gewappnet. Wehrlos und ehrlos fühlte ich mich, nährte ich den Hass durch eine Flucht, mit einem Verrat. So geht alles seinen Gang. Wie ich es kenne.

Jetzt zieht Benaja sein Schwert.
Es macht Mut, sich an die Entschlossenheit toter Helden zu erinnern. Benaja sagt: „Du hast Abner getötet, als du zurückkamst nach Hebron, und er war ein Verbündeter Davids.“
Diese Geschichten. Sie beginnen und enden mit David. Beginnt und endet die Wahrheit auch mit David?
Es ist zum Lachen. Benaja und ich stehen im Zelt des HERRn und schwitzen. Er mit einem Schwert, ich nur mit meinem Schweiss. Ich habe nie einen Menschen gesehen, der lachend stirbt. Ich könnte der erste sein.
„Abner war ein Verräter“, sage ich. “Und David war einer, der Verräter brauchte.“
Benaja sackt zusammen und denkt nach. Die Geschichte, die er kennt, endet mit dem Tod Abners und mit der Totenklage Davids.
Eines dieser Lieder.
David habe am Grabe Abners gweint.
Ich war nicht dabei.
David hat gesungen: „Musste Abner sterben wie ein Gottloser stirbt. Seine Hände waren nicht gebunden, seine Füsse waren nicht in Ketten gelegt. Und doch ist er gefallen, wie man vor Ruchlosen fällt.“
„Hältst du mich für ruchlos?“, frage ich Benaja. Er zuckt mit den Schultern und weiss nicht ein noch aus.
„Soll ich die Geschichte weiter erzählen?“

Sein Schwert wechselt von einer zur anderen Hand und wieder zurück und wieder zurück: als wäre es ein heisses Brot. Als sässen wir am Feuer, matt vom Wein, ringsum die Zikaden der Nacht, und süchtig nach einer letzten Geschichte, bevor wir unter die Decken kröchen, fahre ich fort:

„Ich war weit weg von Hebron, als ich erfuhr: Abner ist zu David übergelaufen. Angeblich hatte sich Abner mit den Ältesten Israels beraten, die schon lange forderten, David zum König über Israel zu machen. Angeblich hatte Abner von den eigenen Gelüsten, König zu sein, abgelassen. Und Abner zog mit zwanzig seiner Männer nach Hebron und beugte sein Haupt vor David.“

„Du sagst sehr oft ,angeblich'“, flüstert Benaja. “Ich mag weder ein ,angeblich' noch ein ,vielleicht' und kein ,ungefähr'.“ Ich nicke, auch das macht einen guten Soldaten aus. Dass er die Höhe eines Berges und die Beschaffenheit eines Weges genau erkennt. Dass er die Kraft der eigenen Waffen gegen die Kraft des Feindes einzuschätzen weiss. Es ist unnütz, von einem Sieg in der Sonne zu träumen, wenn Wolken aufziehen und es regnen wird.

„Du hast recht“, sage ich. „Auch ich mag das Ungefähre nicht. Mochte es nie. Deshalb ging ich nach Hebron, um von David zu hören, ob der Mörder meines Bruders in unseren Diensten steht. Was ging vor in Hebron, was in Davids Kopf? Was, wollte ich David fragen, hat dich bewogen, Abner in deine Dienste zu nehmen? War Abner auf einmal nicht mehr ein Gefolgsmann Sauls? Wieso gehört er auf einmal nicht mehr zu denen, die dir, David, nach dem Leben trachten?“

Ich halte inne, strenge mich an. Das Vergangene rückt näher: Es ist nie viel mehr als ein paar Minuten und wenige Schritte entfernt. „Denn so war es“, rede ich weiter. „Abner hielt es nicht länger bei Saul. Abner war ein Mann, der seinen Vorteil suchte und spürte, wann der Boden unter seinen Füssen schwankte. Also schickte er Boten nach Hebron zu David und schlug ihm einen Bund vor: Abner versprach, fortan durchs Land zu ziehen und jedem zu sagen, dass David der König sei. Und wer den Bund mit David schliesst, schliesst einen Bund mit dem HERRn. David war damit einverstanden, wollte aber ausserdem ... “

Ich schrecke auf. Benaja hat das Schwert fallen lassen, weil er beide Hände braucht, um sich die Ohren zuzuhalten. „Ich will es nicht hören“, krächzt er. „Ich will davon nichts hören!“

Du musst, Benaja. Denn du bist wie ich. Das ,angeblich' und das ,vielleicht' und das Ungefähre ist die Stärke der Sänger, Geschichtenerzähler und Huren. Glaube mir, Salomo ist nicht weniger schlau als sein Vater David. Er braucht dich für die Ausführung einer Absicht, die du in einen genauen Befehl übersetzen wirst. Denn das ist die Stärke der Könige nicht: dass sie um die Einzelheiten wissen. Dafür haben sie ihre Propheten und Erzähler. „ ... Ausserdem“, ich muss nicht gnädig oder mitleidig sein, so kurz vor meinem Tod, „ausserdem verlangte David die Michal, Tochter des Sauls.“ Benaja fängt an, am ganzen Leib zu zittern. Ich fürchte, er fällt um. Ich mache einen Schritt auf ihn zu. Er weicht einen Schritt zurück. Er will nicht, dass ich ihm helfe. Wie könnte ich ihm helfen? Vermutlich nur, indem ich mich selber in das Schwert stürze. Dann, plötzlich, dreht sich Benaja um und rennt hinaus. Er hätte sich das Ende der Geschichte anhören sollen.

Eckhard Mieder

Auszug aus dem Roman «Leben des Joab» von Eckhard Mieder. Verlag am Park, Berlin. 160 Seiten. ca. 14.00 SFr. ISBN 978-3-945187-76-0