Slayer vs. Hardcore-Veganer Der Obermieter
Prosa
Mist, er ist schon wach! Das dezente Knarren der Balken, das Rascheln, es klingt, als würde da oben ein riesiger Marder hausen. Warum ist der schon auf, es ist doch erst halb neun?
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28. September 2015
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Korrektur
Ich hab dem Idioten gesagt, er kann das Klo ruhig benutzen, aber er weigerte sich, jedenfalls ging er nicht, wenn ich da war. Was war denn das für eine Logik? Aber mit Logik braucht man ihm ja nicht zu kommen. Wie oft er in den Eimer wohl schon reingeschifft hat? Ich will es gar nicht wissen, und vor allem will ich nicht dabei sein, wenn er ihn ausleert. Was habe ich nur getan? Ich hätte ihn einfach rausschmeissen sollen, schliesslich sind wir keine Freunde. Okay, wohl schon etwas mehr als bloss Mitbewohner, aber deshalb ist man ja nicht gleich befreundet. Wie definiert man Freundschaft überhaupt, sieht ja sowieso jeder anders, gerade heutzutage.
Freundschaft wird ohnehin überbewertet. Egal, das da oben ist jedenfalls kein Zustand. Mist, schon gleich neun! Ich muss bald los, und nachher hab ich noch eine Klausur. Warum studierst du eigentlich nicht mehr weiter, hatte ich ihn gefragt. Wozu, um danach keinen Job zu kriegen, war seine knappe Antwort. Heute Abend rede ich nochmal mit ihm. Wie konnte ich bloss mit ihm zusammen ziehen? Grosse Reden konnte er schwingen, das ja, aber sonst kam da nicht viel hinterher. Obwohl, er hat ja doch so manches zu sagen, einiges ist auch gar nicht so uninteressant. Auf die seine ihm ganz eigene Art hat er vielleicht sogar den Durchblick. Aber trotzdem ist das kein Grund auf dem verdammten Dachboden zu vegetieren, weil er keine Miete mehr bezahlen kann. Wie hatte ich nur darauf eingehen können?
Jeder andere hätte ihn sofort rausgeschmissen, aber ich Idiot bin ja zu weich, hat Miriam auch gesagt, warum schmeisst du ihn nicht raus hat sie gesagt, diesen Schnorrer, diesen Penner, wirf ihn raus, dieses Nichts! Sie hasste ihn, nur weil er sie einmal beleidigt hatte, konnte er ja nicht wissen, dass sie es gehört hatte. Ich hatte ihn gefragt, wie ihm Miriam gefällt; ihr Wesen und so weiter, und er hatte in aller Seelenruhe geantwortet: „Sie sieht aus, als wenn sie Schwänze lutscht für Geld.“ Ich konnte nicht mehr, hatte mich bepisst vor Lachen. Miriam hatte es gehört, den Spruch, mein Lachen, sie hatte aus der versifften Küche gelauscht – die sie gerade versuchte einigermassen in Ordnung zu bringen.
Drei Wochen brauchte ich um das wieder gerade zu biegen, um zu verhindern, dass sie mit mir Schluss machte, und Sex gab's in der Zeit natürlich auch keinen, schon gar nicht in der WG, da durfte ich sie ja ohnehin kaum anfassen, nicht mal in meinem Zimmer. Sie meinte, sie ertrage keine Berührung, schon gar nicht, wenn dieses TIER da im Nebenzimmer hockt und wer weiss was ausheckt. Viel heckte er meist nicht aus.
Oft schlief er bis in den späten Nachmittag, hörte dann entweder Slayer, Bach oder Bruce Springsteen, machte sich irgendwann was zu essen, meistens gebratenes Hackfleisch mit irgendwas. Das war auch so eine Sache. Miriam konnte als Hardcore-Veganer den Geruch von angebratenem Fleisch nicht ertragen. Einmal übergab sie sich sogar deshalb in meinem Zimmer. Auf die Frage, warum sie nicht zum Klo gerannt sei, entgegnete sie bloss, es könne ja sein das ER sich dort aufhielte. Also kotzte sie einen Teil auf meinen Laptop und den bescheidenen Rest in den Papierkorb.
Anfangs wirkte er so normal, so ausgeglichen und bedacht, ja fast schon seriös. Aber seine Ruhe war trügerisch. Als ihm zwei Wochen nach meinem Einzug sein Kumpel ein Mädchen vor der Nase weggeschnappt hatte, kehrte er äusserlich gefasst in die Wohnung zurück, ging in die Küche und warf stumpf alles was er in die Hände bekam aus dem Fenster in den Hinterhof. Erst als er dabei war den massiven Eichentisch hochzustemmen hielt ich ihn auf. Er blickte mich einen Moment irritiert an und sagte dann tonlos: „Na gut, für heute reicht's wahrscheinlich.“ und ging dann seelenruhig in sein Zimmer. Aber er konnte zuhören, das musste man ihm lassen. Als die Sache mit Miriam dann endgültig vorbei war - sie lebte jetzt, unglaublich aber wahr, mit einem Bodybuilding-Studiobesitzer, zusammen – war er für mich da gewesen. Welch ein Paradoxon, klagte ich, kein Fleisch essen wollen, sich dafür aber nach dem Aufgepumpten verzehren. Ich war ihr immer zu dünn und zu behaart gewesen, meine kleine Spinne hatte sie mich immer gehässig genannt. Schlampe!
„Vergiss sie, gibt Bessere, viel Bessere! Und lass uns mal lieber einen ansaufen, das lenkt ab“, kommentierte er abschliessend. Natürlich musste ich ihm das Geld für den Wein leihen, aber darauf kam es jetzt auch schon nicht mehr an. Es musste eine Lösung her. Seit drei Monaten hatte er keinen Cent mehr zur Miete beigesteuert, geschweige denn, sich an den übrigen Kosten beteiligt. Ernähren tat er sich vom Pfandgeld. Er wartete bis ich zur Uni gefahren war, dann löste er die Pfandflaschen – meine - ein und kaufte sich Brötchen mit Mett, die er auch sofort auf dem Dachboden vertilgte.
Schon wieder das Knarren. Er ist wach, soviel ist mal sicher! Er wartet darauf, dass ich verschwinde. Ich muss ja ohnehin gleich los. Ein Zelt hatte er sich da oben aufgestellt. Ein Zelt auf dem Dachboden! Das glaubt auch keiner, der es nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Ich musste die aufgelöste Miriam damals fast mit Gewalt zurückhalten, damit sie nicht die Bullen rief, als sie es entdeckt hatte. Wobei es strenggenommen gar nicht das Zelt war, das sie so aufgebracht hatte, sondern die Art, wie er sie vom Dachboden verscheucht hatte. „Verpiss dich Fotze, das ist Hausfriedensbruch! Hier ist Privatbesitz!“ Darauf drohte er noch, ihr den halbvollen Urineimer hinterher zu werfen. Dazu sein irres vollherziges Lachen. Spätestens an diesem Tag wurde mir klar, dass er Miriam nicht besonders gut leiden konnte, und sie vielleicht auch schon lange durchschaut hatte. Als sie sich dann von mir getrennt hatte, wunderte es ihn jedenfalls keine Sekunde lang, und doch erlaubte er es mir, mich stundenlang bei ihm auszuheulen.
Was ist das für ein Geruch? Oh nein, jetzt raucht er auch noch, der Wahnsinnige! Keine Zigaretten oder sonstiges da oben, das war abgesprochen. Irgendwann wird er noch das ganze Haus abfackeln. Heute Abend werde ich nochmal mit ihm reden, soviel ist mal sicher. Ihm ein für alle Mal klar machen, dass er gehen muss, das ist doch keine Zustand. Letzte Woche hatte ich schon einmal versucht mit ihm zu sprechen, doch er grinste nur ironisch und entgegnete:
„Ich kann auch nachts wenn du schläfst runterkommen und dir die Arme und Beine abschneiden, wenn du willst.“ Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, obwohl ich ernst und sachlich bleiben wollte.
Scheisse, schon kurz vor neun, jetzt muss ich aber wirklich los. Und zur Bank, Geld abheben muss ich auch noch. Verdammtes Geld! Mal grob über den Daumen gepeilt, schuldet er mir mittlerweile mindestens zweitausend Euro. Die Kohle werde ich niemals wiedersehen, soviel steht mal fest. Aber ich konnte nicht noch mehr in ihn reinpumpen, und da er sich weigerte zu gehen, fiel mir in mein Verzweiflung nichts weiter ein, als ihn – wie Napoleon auf Elba – auf den Dachboden zu verbannen, bis wir eine Lösung finden würden.
Ohne zu Zögern hatte er eingewilligt. Warum ist er nicht einfach gegangen? Aber wo sollte er auch hin? Seine Eltern hatten ihn schon vor Jahren rausgeworfen, selbiges gilt für Mia, was für ein tolles Mädchen; hübsch, klug und unglaublich nett, nur deshalb hatte sie es solange mit ihm ausgehalten. Aber irgendwann ging's einfach nicht mehr. Man kann es ihr wirklich nicht verübeln. Was sie wohl heute macht? Naja geht mich nichts an. Miriam mochte sie nicht, hielt sie für dumm und naiv, doch genau das Gegenteil war der Fall. Aber das verstand Miriam natürlich nicht. Sie verstand überhaupt sehr wenig, ausser einem tierisch auf die Nerven zu gehen. Und trotzdem, als sie letztens Schluss gemacht hatte, haute es mich um - das soll mal einer verstehen.
Was macht er jetzt? Kommt er runter? Bloss nicht! Nein, er scheint nur irgendwelche Sachen umzuräumen. Was gibt's da oben denn gross umzuräumen? Naja, seine Sache. Ich muss los, hilft nichts. Heute Abend ist er fällig. Ich spreche ein Machtwort, ja ich spreche ein Machtwort, wird ja auch Zeit. Immerhin bezahle ich die komplette Miete, auch wenn wir ein bisschen befreundet sind, und ich auch sonst im Grunde kaum Freunde habe, jedenfalls keine mit denen ich über alles, und zu jeder Zeit sprechen kann – und mit ihm kann ich das, werde ich es wahrscheinlich auch weiterhin können, auch wenn ich ihn hier rauswerfe. Wenn er eins nicht ist, er ist nicht nachtragend, war er nie.
Neun Uhr! In sechs Minuten kommt der Bus. Ich muss los. Wenn ich zügig gehe, brauche ich bloss vier Minuten bis zur Haltestelle. Heute Abend werfe ich ihn raus, soviel ist mal sicher, oder auf jeden Fall morgen, spätestens Ende der Woche. Irgendwann muss Schluss sein. Ich muss los! Es wird etwas einsam werden, ohne ihn, das kann schon sein, aber egal. So ist es doch kein Zustand. Spätestens nächsten Monat ist er hier raus, soviel ist mal sicher.