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Einer muss es ja tun

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Vom Sinn des Scheiterns Einer muss es ja tun

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Prosa

Der mittelamerikanische Peyote-Kaktus enthält, geschnitten und getrocknet, genug Meskalin, um einen mexikanischen Indianer auf einen halluzinogenen Trip zu schicken.

Street Art in Rosario, Argentinien.
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Street Art in Rosario, Argentinien. Foto: Pablo-flores (CC BY-SA 2.5)

Datum 10. August 2014
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Mit Hilfe der bewusstseinsverändernden Wunderpflanzen versuchten sie Kontakt mit den Göttern aufzunehmen und erlebten in ihren Rauschzuständen die wildesten Visionen. Bis heute gibt es Pilzzirkel, Anhänger der Shroomkultur, gemeinsam auf dem Weg ins Wunderland der neonbunten Erleuchtung. Auf der Suche nach dem Selbst, dem Ich, dem grossen Ganzen und der Wahrheit. Aber das ist eine kleine Minderheit.

Die meisten Menschen brauchen ihr Feierabendbier (oder auch Feierabendjoint), um sich nach den Kämpfen und Enttäuschungen in Lohnarbeit, Schule oder Studium zu betäuben. Es markiert den Tageszeitpunkt, in dem sie sich entspannt zurücklehnen und ganz für sich, ganz privat sein können. Wir trinken Kaffee, bis unsere Magenschleimhäute schmerzen und sniefen Speed, trotz des Fettfilms, der sich um unsere Haut legt, trotz des miefigen Mundgeruchs. Um endlich mal wach zu sein. Damit wir unsere Gedanken konzentrieren können. Um unsere Gefühle ausdrücken zu können, brauchen wir fünf Longdrinks oder zwei Teile. Der Witz an dieser Stelle ist doch eigentlich, dass wir uns dabei befreit fühlen.

Frei, endlich einmal zu tun, was wir wollen. Wir müssen keine mexikanischen Indianer sein, um unseren Drogenkult aufrecht zu erhalten. Wir klammern uns nicht an die Hoffnung, mit den Geistern unserer Ahnen in Kontakt zu treten. Wir sind glücklich, solange wir wenigstens für einen Abend aus der Knochenmühle des Alltags aussteigen können. Das sagt nichts über Drogen aus, sondern mehr über eine Gesellschaft, die jeden halbwegs vernünftigen Menschen in den Drogenkonsum treibt. Wie soll man die Scheisse denn sonst aushalten?

„Ich hör auf.“
„Was? Nein! Nein, Cris, das kannst du uns nicht antun! Das kannst du MIR nicht antun! Das ist quasi … eine Verpflichtung auf Lebenszeit. Das ist dein Schicksal, man!“

„Einen Scheiss“, sagt Cristiano, hält das Feuerzeug an den Bongkopf, verbrennt Tabak und Kiffe, bis sich die Vase mit hellem Rauch füllt und durch den Mund in seine Lunge gesaugt wird. Luc sitzt fassungslos da und beobachtet stumm das Schauspiel. Finn sieht nur den warmen Augusthimmel über ihnen und wartet auf eine Sternschnuppe.

„Ich war lang genug euer Dealer. Ich bin einundzwanzig, Alter! Langsam wird's Zeit, dass ich mein Abi packe!“ Er reicht die Bong an Finn weiter, der sie nur unbeteiligt hält und weiter nach oben guckt. Dieser Stadthimmel. Tausend Leuchtreklamen, aber nicht ein Stern.
„Ich dachte wir sind Freunde!“, versucht Luc es auf die Tour.
„Lass ihn in Ruhe“, klinkt Finn sich ein.
„Finn! Hallo, Erde an Finn! Hast du gerade mitbekommen, worum es geht? Wie willst du das denn durchstehen? Seit ich dich kenne, rauchst du deinen Gute-Nacht-Kopf!“
„Ja und?“
„Du musst dir einen neuen Dealer suchen“, sagt Cris nochmal langsam. Finn lässt jedes Wort einzeln auf sich einregnen.
Dann: „Hä? Warum?“
„Weil ich aufhöre!“

Finn setzt sich auf, füllt den Kopf mit Gras, als ob es morgen keins mehr gäbe und inhaliert einen tiefen Zug, der ihn ein bisschen Husten lässt.

„Aber das Geld! Brauchst du nicht das Geld?“, fragt er dann.
„Was für Geld? Meine Kundschaft besteht nur aus Pappnasen, die nicht zahlen, die ich kenne und ihnen deshalb Rabatt geben muss. Und ich mag den Scheiss ja auch nicht strecken. Als wandelnde Werbetafel würde ich mehr verdienen und bräuchte keine Angst vor den Bullen haben!“
„Ich zahl dir das doppelte für einen Baggy. Geld spielt keine Rolle“, fängt Luc an zu betteln.
„Ja, ich auch!“
„Vergesst es, Jungs. Ihr könnt mich nicht umstimmen. Aber ich hab gehört, dass es einen guten in Schorndorf geben soll. Ich kann mich mal umhören.“
„In Schorndorf?!“, echoen Finn und Luc zeitgleich.
„Das sind …“, Finn versucht irgendwas an seinen Fingern abzuzählen und gibt auf. „Das sind richtig viele Stationen mit der Bahn!“
„Vielleicht eine halbe Stunde.“
„Eine halbe Stunde? Ich hab in den letzten drei Monaten Stuttgart Mitte nicht verlassen. Ich fahr doch nicht zu einem Dealer nach Schorndorf!“, jammert Luc und nimmt Finn die Bong aus der Hand.
„Und wenn ihr mit dem Kiffen aufhört?“, fragt Cris vorsichtig.
„Niemals!“
„Dann müsst ihr mein Geschäft übernehmen“, er legt sich in den vertrockneten Rasen. „Ich habe noch dreissig Gramm Gras, zehn Teile, zwölf Gramm Pepp, ein bisschen Koks …“.
„Finn“, Luc nimmt seine Hände, hält sie fest und sieht ihm in die Augen. „Du musst das machen!“
„Wieso soll ich das machen?“, faucht Finn und zieht seine Hände weg. „Mach du doch!“
„Ich hab schon genug Hobbies. Ich schaff das zeitlich nicht!“
„Na und? Ich chill einfach gerne! Was kann ich dafür, dass du Basketball spielst, Schlagzeug lernst und diese peinliche Rapcrew mit Tobias von der Realschule gegründet hast?“
„Alter, bitte, ich flehe dich an, wir sind doch so was wie Brüder. Wenn meine Eltern das rauskriegen, stecken sie mich ins Internat!“
„Und meine nicht?“
„Nee. Deine Mam ist viel zu cool.“
Finn seufzt, fischt sich eine Kippe aus dem halbleeren Päckchen, lässt sein Zippo aufschnappen, raucht.
„Einer muss es ja tun, oder?“

Lena Hofhansl

Diese Kurzgeschichte ist entnommen aus dem Roman "Der Sinn des Scheiterns" von Lena Hofhansl.