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Arbeit 4.0

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Ein Hype Arbeit 4.0

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Wirtschaft

Alles wird neu. Sogar der Kapitalismus im Kapitalozän. So alt kann die Megamaschine der kapitalistischen Landnahme gar nicht aussehen mit „Abstieg, Arbeitslosigkeit, Armut, Ausbildungsabbruch oder Auswanderung“ (um nur bei „A“ zu bleiben).

Industrie  definiert die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine neu.
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Industrie definiert die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine neu. Foto: Dickdavid (CC BY-SA 3.0 cropped)

Datum 1. Februar 2018
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Wenn wir schon bei „A“ im Kapitalverhältnis sind: „Automation“. Das ist das neue „Catchword“. Dazu werden assoziiert: Automatik, Big Data, Crowdsourcing, Crowdwork, Internet der Dinge, Open Innovation, Prosument, Robotik oder Social Forecasting. Zusammengerührt ergibt das das Schlagwort „Arbeit 4.0“.

Depression und Aggression

Die Situation ist nicht lustig. Niedrige Wachstumsraten und sinkende Kaufkraft, Stagnations- und Stagflationsperioden, die Vernichtung gesellschaftlicher Lebensgrundlagen, Massenarbeitslosigkeit, der Rückgang gesunder Lebensjahre, die Explosion sozialer Ungleichheit – all das trägt zu Depressionen, einem allgemeinen Sinnlosigkeitsempfinden, kollektiver Autoaggression und einem „erschöpften Selbst“ (Alain Ehrenberg) bei.

Und so erfindet die politische Dienstklasse und mit ihr der ideelle Gesamtkapitalist als Coach der stagnierenden Arbeitsgesellschaft, die weder formelle Arbeit noch Wachstum generieren kann, ein neues neues Narrativ: Kapitalismus macht Neustart als Nummer 4. Das setzt freilich einen neuen „Frame“ des Fortschrittsdenkens, ein neues, ästhetisiertes Wiederaufbau-Märchen nach der Weltwirtschaftskrise 2008 voraus. Adressaten dieser neuen grossen Erzählung sind sowohl Kapital als auch Arbeit.

Entrepreneurs sollen nach Mechanisierung, Industrialisierung und Automatisierung im „Kapitalismus 4.0“ die Digitalisierung nutzen, um im kommenden Internet der Dinge Wachstumschancen zu lukrieren und gesteigerte Profite zu realisieren.

Lohnarbeitskräfte sollen als radikal flexibilisierte ArbeitskraftunternehmerInnen, resilient gegenüber sämtlichen Zumutungen der Prekarität, ort- und bindungslos in „atmenden Unternehmen“ subsumierter Teil der Maschinerie werden. Denn die neue Maschinerie bedient sich des Menschen.

Ausgangspunkt dieses Narrativs ist die neue Qualität der Automation, die auf einer Miniaturisierung der Sensortechnik, Big Data, gesteigerten Datenverarbeitungskapazitäten, lernenden Algorithmen, Nanotechnologie sowie Mensch-Maschine-Kopplungen beruht.

Im Mittelpunkt dieser „normativen Phantasie“ steht einerseits die vollautomatisierte, menschenleere Fabrik, die noch unverstandene, nicht-intendierte quasi-kapitalistische Produktion ohne Mehrwert. Andererseits findet sich dort die Vorstellung einer Kulmination des Digitalisierungsprozesses in künstlicher Intelligenz, die nicht mehr bloss die partielle Übertragung von Kopfarbeit auf Maschinen, sondern die vollständige Verdrängung der menschlichen Kognition durch eine quantitativ und qualitativ weitaus überlegene digitale Maschine ist. In der Tat sind Spracherkennung, Dialogfähigkeit sowie ihre Möglichkeit, enorme Mengen strukturierter und unstrukturierter Daten, wie Bilder oder handschriftliche Aufzeichnungen, zu verarbeiten, in künstlichen Gehirnen weitaus besser entwickelt als im menschlichen. IBMs „Watson“ kann nicht nur binnen Sekundenbruchteilen auf das gesamte digital archivierte Wissen zugreifen, sondern auch kontextbasiert „weiterdenken“, mit Meta-Bedeutungen „spielen“ und adäquat auf Emotionen reagieren.

Maschinen, Anlagen und Vorprodukte kommunizieren in der Arbeitswelt 4.0 digital mittels Algorithmen, Transpondern und Sensoren. Sie bilden einen Teil des „Internet der Dinge“. Lernende, autonome Systeme steuern in den Werkshallen die Produkte, Roboter, Maschinen und Antriebe. Das Produkt teilt qua Transponder mit, wie es bearbeitet werden muss; der Roboter, dass er befristet belegt ist; der Maschinenmotor, dass er eine Wartung benötigt. So steuern „intelligente“ Werkstoffe mittels Algorithmen ihren Bearbeitungprozess selbst. Die Arbeitskraft kommt nur noch zu Wartungsarbeiten und zur Maschinenbedienung ins Spiel.

Unternehmen selbst werden im Kapitalismus 4.0-Konzept virtuell. An ihre Stelle treten Plattformen, deren steuernde Algorithmen Produktionsschritte in globalen Wertschöpfungsketten koordinieren. Damit verändern sich nicht nur die globale Arbeitsteilung, die interne Unternehmens- und Arbeitsorganisation. Die abhängige Lohnarbeit selbst wird hybridisiert: sie verwandelt sich tendenziell in fraktale, selbstständige Auftragsarbeit eines Werkunternehmers/einer Werkunternehmerin. „Uber“ (Personenverkehr), „Foodora“ (Speisenzustellung) oder „AirBnB“ (Kurzzeitzimmervermietung) markieren, dass diese Virtualisierung auch in den Dienstleistungssektor eingedrungen ist. Auch hier fungieren Unternehmen als Betreiber einer Markt-Plattform, auf der formell selbstständige (oder auf Abruf beschäftigte) AnbieterInnen (WohnungseigentümerInnen, Mietwagenunternehmen, BotInnen) Leistungen anbieten. Auch hier ermöglicht die Digitalisierung Transaktionen in Echtzeit über grosse Distanzen zu niedrigeren Grenzkosten.

1.0, 2.0, 3.0, 4.0

Wie jede Ideologie basiert auch dieses Revolutions-Märchen auf einer normativen Setzung, nämlich der Vorstellung einer unentrinnbaren Gesetzmässigkeit. Demnach meinte „Arbeit 1.0“ die erste industrielle Revolution und die Entstehung mechanisierter Fabrikarbeit. „Arbeit 2.0“ der Industriegesellschaft war durch serielle, standardisierte Industriearbeit, Automatisierung, Command & Control-Techniken sowie erratische Arbeitszeiten geprägt. „Arbeit 3.0“ meinte die Computerisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt, die Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeit, die Auflösung des Normalarbeitsverhältnisses. „Arbeit 4.0“ schliesslich wird als Arbeit im Plattform-Kapitalismus beschrieben, in der Automaten und Roboter Arbeitsprozesse unmittelbar steuern. Der Mensch bedient sich nicht mehr der Maschine, sondern umgekehrt. Nicht mehr Menschen erteilen Anweisungen, sondern Werkstücke, Automaten und Roboter tun dies.

Dieser Modernisierungsschritt wird als unausweichlich verhandelt, geboren aus der Singularitäts-Debatte, wonach die Fortschritte der Digitalisierung kognitive, sensorische und motorische Fähigkeiten der menschlichen Arbeitskraft längst in den Schatten stellen. Lokführerinnen, Verkäufer, Altenpflegerinnen, Rechtsanwälte, Radiologinnen, Taxifahrer, Psychotherapeutinnen, Kassierer, Lagerarbeiterinnen, Mähdrescherfahrer, Büro- und kaufmännische Fachkräfte, so die Prognose, werden sukzessive durch Automaten ersetzt. Roboter melken Kühe, betreuen Burn-Out-PatientInnen, füttern Demente, misten Ställe aus, reinigen Glasfassaden, sortieren Produkte. Dazwischen entstehen Mensch-Maschine-Kopplungen als Vorgriff auf den „Cyborg“ sowie Techniken des „Neuro-Boosting“, um die Aufmerksamkeitsspanne menschlicher Arbeitskräfte zu steigern. So weit ist die Erscheinung der kapitalistischen Arbeitsorganisation 4.0 in der Tat neu.

Ihr Wesen aber erweist sich als alter Hut. Denn das ist nichts weiter als die altbekannte Rationalisierung des Produktionsprozessen mittels einer reellen Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapitalverhältnis. Dieses ist getrieben vom inneren Widerspruch des Kapitalverhältnisses, jede Konkurrenzsituation und jede Verwertungskrise jeweils durch die Reduktion des Einsatzes der Ware Arbeitskraft im je einzelnen Produktionsprozess zu bestehen.

Unverändert bleibt das eherne Ziel der kapitalistischen Veranstaltung die Vergrösserung der Mehrwertrate mittels Steigerung des relativen Mehrwerts. Ansatzpunkt dafür ist die Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch eine Rationalisierung der Produktion. Hierzu werden Tätigkeiten der menschlichen ArbeiterInnen auf Maschinen übertragen. Sohin nimmt der Maschineneinsatz je Arbeitskraft zu. Damit steigt die organische bzw. technischen Zusammensetzung des Kapitals. Dies setzt nicht nur eine reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital und eine stete Höherqualifizierung der durchschnittlichen Arbeit, sondern auch die fortlaufende Umwälzung der Arbeitsorganisation voraus.

Allerdings schafft nur die menschliche Arbeitskraft Mehrwert. Eben dieser schrumpft mit jeder Rationalisierung der Produktion, welche die Produktivität steigert. Manufaktur, Fliessband, Gruppenarbeit, Fertigungsinsel, Automatisationsarbeit, „Crowdwork“ oder digitale Mensch-Maschine-Kopplungen sind nichts weiter als Stationen dieser Entwicklung. An jeder Station gewinnen neue Antriebskräfte, Materialien, Mechaniken sowie Methoden der Informationsverarbeitung, der Planung, Überwachung und Steuerung, an Gewicht, während der Einsatz menschlicher Arbeitskraft rückläufig ist.

Überhaupt wird der in Arbeitskraft investierte Kapitalanteil damit tendenziell geringer und mit ihm die Profitrate. Dieser innere Widerspruch lässt sich nur durch eine folgenreiche reelle Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapitalverhältnis vorübergehend auflösen. Insgesamt sinkt das Volumen der eingesetzten Arbeit. Arbeitsmarkt und Belegschaften werden segmentiert. Hochqualifizierten Stammbelegschaften stehen geringqualifizierte Randbelegschaften gegenüber.

Vorübergehend verschaffen Investitionen in Maschinerien und damit Produktivitätssteigerungen Extraprofite im Konkurrenzkampf. Surplus-Profit entsteht freilich auch durch Monopol- und Kartellpreise, die Verlängerung der Arbeitszeit und Verbilligung der Arbeitskraft. Derlei Produktivitätsvorsprünge aber sind schnell egalisiert, gerade wenn die Konkurrenz vernichtet oder durch Mergers & Acquisitions übernommen wird. Wellenartig pendelt sich die Profitrate neuerlich wieder ein, sobald es zur Dissemination neuer Technologien und Techniken der Arbeitsorganisation kommt.

Revolutionen ohne Revolution

„Arbeit 4.0“ und „Industrie 4.0“ suggerieren in diesem Kontext einen substantiellen Qualitätssprung bzw. eine Revolution der Arbeit, die vom mechanisierten Handwerk über die Industriearbeit bis zur Automationsarbeit verlief und nunmehr in digitalisierten Mensch-Maschine-Netzwerken auf Plattformunternehmen stattfindet. Freilich ist dieser vorgeblich revolutionäre „Paradigmenwechsel“ keiner:

Zum ersten indizieren die vier „industriellen Revolutionen“ bloss einen Strukturwandel der Sektoren und damit eine Vernichtung, Verlagerung und Kreation von Arbeitsplätzen seit der Protoindustrialisierung. 1810 arbeiteten 92 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft, heute sind es weniger als 2 Prozent. Das bedeutet, dass beinahe sämtliche zu Beginn des 19. Jahrhunderts existierenden Arbeitsplätze vernichtet wurden.

Zum zweiten ereignet sich inmitten der vierten industriellen Revolution eine Rückkehr der Fliessbandarbeit bei einer hohen Persistenz der Nachfrage nach geringqualifizierter Arbeitskraft in personenbezogenen Dienstleistungen.

Zum dritten lassen sich dystopische Phantasien, dass zwischen 2015 und 2040 47 Prozent der Jobs in den OECD-Staaten verschwinden nicht empirisch unterlegen. Viele Berufe bestehen aus unterschiedlichen Tätigkeiten, die nur teilweise von Automaten/Robotern übernommen werden können. So geht das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung davon aus, dass bis 2035 12 Prozent der Arbeitsplätze automatisiert bzw. „wegrationalisiert“ werden. Das betrifft Handelsgeschäfte an der Börse, statistisch optimierte medizinische Therapievorschläge, die Anfertigung juristischer Gutachten oder von Pressetexten im Dienstleistungsbereich. Es betrifft stofflich vor allem die Produktion von Glas, Keramik, Kunststoff oder Papier.

Zum vierten indizieren das fortlaufende Sinken der bereinigten Nettolohnquote verknüpft mit der intensivierten Ausbeutung mittels der Flexibilisierung der Arbeitszeiten, dass die lebendige Arbeit zwischenzeitig so billig geworden ist, dass sie neuerlich mit der Investition in Industrieroboter konkurriert. So ersetzten in den 2010er Jahren in den Niederlanden neuerlich Gleisbauarbeiter Gleisbaumaschinen.

Zum fünften bleibt eine ganze Reihe von Berufen/Jobs unersetzbar menschlich besetzt: IT-ExpertInnen, ErzieherInnen, LehrerInnen, TrainerInnen, SchauspielerInnen, Sicherheitsberufe, Reinigungsjobs, Gesundheitsberufe, Gastronomie oder die Arbeit am Bau lassen sich absehbar nicht robotisieren.

Insofern erweist sich der Arbeit 4.0-Hype letztlich bloss als Strategie der Verunsicherung, als ideologische Peitsche, um jene Gouvernementalität zu sichern, die Voraussetzung der neoliberalen Umwälzung der Produktionsweise ist.

Nikolaus Dimmel
streifzuege.org