Viele Initiativen, wenig Ergebnisse
Wie bereits Teil 1 dieser Recherche belegt, steht der Einsturz der Rana Plaza-Fabrik in Bangladesch in einer langen Reihe von Fabrikeinstürzen, Bränden und Praktiken ausbeuterischer Kinderarbeit in vielen grossen textilproduzierenden Ländern Asiens. Nach dem bisher grössten Unglück mit über 1.100 Toten wurden drei Initiativen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie Bangladeschs gestartet:- eine Allianz hauptsächlich amerikanischer Textilproduzenten
- ein Zusammenschluss („Accord“) europäischer Kleidungshersteller und globaler sowie nationaler Gewerkschaften und
- ein Verbund zwischen der Regierung Bangladeschs und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Interessenkonflikte innerhalb der Politik Bangladeschs
Die gemeinsamen Bemühungen zwischen der ILO und der Regierung Bangladeschs werden dadurch torpediert, dass Parlamentsabgeordnete selbst Fabrikbesitzer sind. Dadurch entsteht ein Interessenkonflikt. Ein Politiker, der gleichzeitig Fabrikeigentümer oder -mitbesitzer ist, wird kaum für stärkere Regulierung und eine Verbesserung der Menschenrechtssituation stimmen, wenn seiner Fabrik dadurch Kosten entstehen und seine Profite sinken. Ebenso verfügen viele Fabrikbesitzer über beste Verbindungen in die Politik, was einer Problemlösung ebenso im Wege steht.Darüber hinaus wird die Regierung Bangladeschs keine Massnahmen umsetzen, die zu einer Verlagerung der Textilproduktion in Nachbarländer und somit einem Verlust an Wirtschaftsleistung führt.
Die Allianz und der Accord – das Scheitern freiwilliger Selbstverpflichtungen von Unternehmen
Die amerikanische Allianz und der europäische Accord drohen ihre Ziele zu verfehlen, da es kaum unabhängige Kontrollmechanismen und wirksame Rechtsmittel gibt, die Ziele auch einzufordern. Die Allianz ist ein zahnloser Tiger, da sich die Firmen nur gegenseitig kontrollieren und ihre Verpflichtungen nicht rechtlich verbindlich sind. Während die europäische Accord-Initiative einen rechtlich verbindlichen Rahmen darstellt, ist zu kritisieren, dass sie nur eine Laufzeit von fünf Jahren hat. Theoretisch könnten die gewerkschaftlichen Teilnehmer bei Unstimmigkeiten über die Implementierung des Accords einen Schiedsspruch vor einem nationalen Gericht erwirken. Konkret müsste sich beispielsweise ein deutsches Unternehmen vor einem deutschen Gericht verantworten, wenn es den Accord nur unzureichend umsetzt. Beklagte Unternehmen könnten sich jedoch auf den Standpunkt zurückziehen, dass in den bisher verstrichenen drei Jahren kaum grössere Fortschritte zu erzielen waren. Wenn der Accord in zwei Jahren ausläuft, stehen die Unternehmen nicht mehr in der Verantwortung. Insgesamt bleibt der Accord hinter seinem Zeitplan zurück.Müllers Textilbündnis – ein zahnloser Tiger
Die Unzulänglichkeit freiwilliger Standards zeigt sich auch in der Politik von Minister Müller. Zusammen mit deutschen Textilunternehmen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen startete Müller Ende 2014 unter grosser Medienaufmerksamkeit das deutsche Textilbündnis. Zunächst sollen die „drängendsten Herausforderungen der Textilbranche wie eine verbesserte Transparenz der Lieferkette, der sachgemässe Gebrauch von Chemikalien, existenzsichernde Löhne und Vereinigungsfreiheit“, d.h. das Recht zur Gründung von Gewerkschaften, angegangen werden.Allerdings wird Minister Müller dafür kritisiert, dass er das Textilbündnis als freiwillige Initiative angelegt hat. Sein Bündnis baut keinen gesetzgeberischen Druck auf, sondern beruht weiter auf der freiwilligen Mitarbeit von Unternehmen. So kam Minister Müller bei den Verhandlungen des Bündnisses der Wirtschaft bei Formulierungen entgegen, die Haftungsrisiken bedeutet hätten. Im Klartext: Bevor es für die Wirtschaft rechtlich verbindlich werden konnte, hat Minister Müller die Standards des Bündnisses aufgeweicht.
Weitere aktuelle Initiativen: Ecuadors Vorschlag zur Schaffung eines internationalen Vertrags – zu ambitioniert und zu sehr gegen die Marktkräfte?
Ein Ansatz, der diese unverbindliche Freiwilligkeit beenden würde, ist ein international gültiger Vertrag zur Wahrung der Menschenrechte bei wirtschaftlichem Handeln. Im September 2013 beantragte Ecuador die Verhandlung eines solchen Vertrags im UN Menschenrechtsrat. Trotz der Gegenstimmen wichtiger Industrienationen wie der USA, der EU, Japans und Südkoreas wurde der Antrag im Juni 2014 angenommen. Seitdem verhandelt eine UN Expertengruppe über einen solchen Vertrag.
ExpertenInnen bezweifeln jedoch, ob Ecuadors Initiative erfolgreich sein wird. Um Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen in allen Ländern abzudecken, müssten alle Staaten einen solchen Vertrag unterzeichnen. Lehnt ein Land mit günstigen Arbeitskräften die Unterzeichnung eines solchen Vertrags ab, dann besteht die Gefahr, dass die Unternehmen aus den Unterzeichner-Staaten abziehen und sich in den nicht teilnehmenden Staaten ansiedeln. Denn in den Unterzeichner-Staaten würden die Sozial- und Umweltstandards steigen, was zu höheren Kosten führt. Nicht teilnehmende Staaten hätten somit einen Wettbewerbsvorteil, während die Unterzeichner-Staaten Arbeitsplätze verlören und Politiker Gefahr liefen, die nächste Wahl zu verlieren. Ähnliche Wanderungsbewegungen globaler Modeunternehmen lassen sich schon heute am Beispiel Myanmars und einiger afrikanischer Staaten ablesen. Investoren wandern in diese Staaten ab, da die Sozial- und Umweltstandards dort noch geringer sind bzw. noch weniger kontrolliert werden. Es mag argumentiert werden, dass sie damit ihre Reputation riskieren und auch neue Arbeitskräfte ausbilden müssen. Allerdings scheinen die höheren Profite diese Kosten auszugleichen.
Ein weiteres Indiz, dass die Marktgesetze die Menschenrechte noch immer übertrumpfen, ist die Tatsache, dass selbst viele Staaten, die den Vorschlag Ecuadors unterstützen, wenig dafür tun, die schon bestehenden UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen. Dieser Mangel an Reformbereitschaft ist ein Indiz dafür, dass Staaten Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen „Billiglohn-Ländern“ fürchten. Es ist kritisch zu hinterfragen, wie ernst es Ecuador und andere Staaten mit einem internationalen Vertrag zum Schutz der Menschenrechte meinen, wenn sie schon so wenig tun, um die UN Leitprinzipien zu implementieren.
Das Fair Trade Siegel – ein Tropfen auf den heissen Stein?
Wenn Unternehmen auch kein Interesse an Reformen haben und die Gesetze des globalen Marktes den Spielraum für staatliches Handeln einschränken, so bleibt uns KonsumentInnen doch wenigstens noch die Macht unserer Kaufentscheidung – oder nicht? Viele als fair zertifizierte Kleidungsstücke sind heute nicht mehr viel teurer als die Kleidung der grossen Modemarken. Allerdings garantieren nicht alle Siegel (hier ein Überblick), dass die Kleidung auch schon fair produziert wurde. Bei einigen Siegeln, beispielsweise dem der Fair Wear Foundation, verpflichten sich Unternehmen dazu, ihre Produktionsbedingungen zu verbessern. Somit müssen sich die KonsumentInnen auf den Internetseiten der Fair Wear Foundation noch immer informieren, ob die jeweilige Marke schon Fortschritte bei den Produktionsbedingungen gemacht hat. Die Fair Wear Foundation kontrolliert die Unternehmensverpflichtungen jedoch mit jährlichen Berichten, die öffentlich zugänglich sind und drängt somit auf Fortschritte. Produkte mit Fair Trade Siegel werden in den allermeisten Fällen also unter besseren Bedingungen produziert, als die Waren der grossen Handelsketten.Allerdings beteiligt sich nur ein Bruchteil aller KonsumentInnen am fairen Konsum. Dies liegt zum einen am fehlenden Bewusstsein über die problematischen Herstellungsbedingungen. Zum anderen verfügen Fair Trade-Hersteller nicht über die notwendige Laden-Infrastruktur, um KundInnen das „Konsumerlebnis“ bieten zu können, welches sie in grossen Modegeschäften erfahren. Und so wird der Konsum fairer Textilien sehr wahrscheinlich nur ein Tropfen auf den heissen Stein bleiben und nicht zur umfassenden Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie beitragen.