Felbermayr war Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und übernahm 2021 in seiner Heimat die Leitung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Laut Wikipedia wurde diese Einrichtung 1927 von Friedrich von Hayek und Ludwig von Mises gegründet. Diese beiden Herren legten zusammen mit anderen die Grundlagen für das, was man heute unter Neoliberalismus versteht. Mit der Geschichte seines Arbeitgebers dürfte Felbermayrs wirtschaftspolitischer Standort gut beschrieben sein.
Daneben ist er auch noch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Mit seinen ehemaligen und aktuellen Funktionen ist er ein einflussreicher Intellektueller der Bourgeoisie. Man sollte immer darauf achten, was die zu sagen haben. Schliesslich können sich in ihren Aussagen die zukünftigen Schritte des ideellen Gesamtkapitalisten, der Regierung, ankündigen.
Das gilt auch für dieses Interview. Es beginnt mit der Coronapandemie und den dadurch bedingten Lockdowns. Sie haben die starke Abhängigkeit von anderen Ländern sichtbar gemacht. Er wendet sich aber gegen einen Rückzug auf das Nationale und plädiert stattdessen für eine stärkere Regionalisierung des Handels.
“Wenn wir weniger Handel treiben mit Russland, perspektivisch vielleicht auch weniger Handel mit China, dann werden wir dafür mehr Handel treiben innerhalb der Europäischen Union, mit unseren unmittelbaren Nachbarn. Vielleicht auch mehr Handel treiben mit den Ländern, mit denen wir sicherheitspolitisch aufs engste verschraubt sind, wie z.B. mit den USA, vielleicht auch mit dem Vereinigten Königreich wieder, trotz des Brexits.”
Weiter spricht er sich für Strukturen aus, die so organisiert sind, „dass wir Länder einbinden in unsere Wertschöpfungsnetzwerke, wo das Vertrauen sehr hoch ist, dass diese Länder sich an die völkerrechtlichen Abmachungen halten, dass sie Schwächen, die wir vielleicht mal haben, nicht sofort ausnutzen, um daraus ganz opportunistisch Vorteile zu ziehen. Und dieses Grundvertrauen muss da sein, um gegenseitige Abhängigkeiten zuzulassen. Dieses Grundvertrauen mit Russland ist weg, …, und dieses Grundvertrauen ist auch in den letzten Jahren gegenüber China deutlich kleiner geworden, auch das Grundvertrauen gegenüber den USA hat gelitten in den vier Jahren Trump.”
Auf den Einwand, dass manche Rohstoffe aus relativ unsicheren Ländern kommen, lässt er die Katze aus dem Sack. Sofort kommt er auf Lithium zu sprechen und dessen Bedeutung für die Energiewende. Die Energiewende ist positiv besetzt. Damit ist der Hörer empfänglich für die folgenden Inhalte. “Lithium zum Beispiel, …, da wird man, für all diese Beschaffungsstrategie, wird man sich genau überlegen müssen, auch staatlicherseits, wie man das absichert.” Dem folgt die Klage, dass Deutschland dies in den letzten Jahren nicht gemacht hätte.
Nun geht er einen Schritt weiter: “Vielleicht braucht es auch an der einen oder anderen Stelle mehr als nur Handelspolitik, vielleicht muss da auch die Diplomatie sehr viel robuster werden bis hin zur Frage, ob man nicht auch die einen oder anderen Versorgungskorridore militärisch absichern muss.”
Diese Aussage weckt das Interesse der Interviewerin: “Wie muss ich mir das vorstellen, dass sowas militärisch abgesichert wird?”
Hier verweist er auf die Situation von vor 120 Jahren, „wo man mit militärischen Mitteln versucht hat sich Kolonien anzueignen, um diese Kolonien dann wirtschaftlich auszubeuten.“ Natürlich ist das kein Modell, das er sich zurückwünsche, aber es bleiben Fragen:
“Aber man wird schon fragen müssen, wie können wir, z.B. eine Regierung in einem Land wie, sagen wir mal, Bolivien, wo sehr viel Lithium da ist, wie können wir diese Regierung stabil halten. Wie können wir unterstützen, dass dort auch die sicherheitspolitischen Bedingungen so sind, dass die Ressource abgebaut werden kann, damit sie für den Weltmarkt zur Verfügung steht. Da gehört eben mehr dazu als nur Handelspolitik. Da wird man manche Länder möglicherweise unterstützen müssen mit Entwicklungshilfe ganz anderer Art, vielleicht auch mal mit Militärhilfe sicherheitspolitisch unterstützen müssen. Und dort, wo das nicht gelingt, wird man sehen müssen, wie man Alternativen aufbaut. Oder auch wie man vielleicht das eine oder andere Regime, das dann auf wichtigen Ressourcen sitzt, wie man da daran arbeitet, hier einen politischen Wandel hinzukriegen. Und da gehört eben, wie gesagt, mehr dazu als nur Zölle oder Handelsabkommen. Da wird man Druck aufbauen müssen über sehr viel mehr Kanäle. Immer gemeinsam, das können keine deutschen Alleingänge sein, das muss europäisch laufen, am besten aber die ganze Staatengemeinschaft.” Das Ziel ist, “dass dort, wo diese Rohstoffe sind, Regierungen aktiv sind, die mit uns kooperieren.”
Dieses lange und verklausulierte Zitat muss man in seine Einzelteile zerlegen, um seinen Inhalt richtig zu erfassen.
- Die Feststellung: In Bolivien gibt es viel Lithium.
- Die Aufgabenstellung: Wie können wir die bolivianische Regierung stabil halten?
- Das Ziel: Es braucht dort eine Regierung, die mit uns kooperiert und das Lithium dem Weltmarkt zur Verfügung stellt.
Zu 2: Das provoziert eine interessante Frage: Wen meint Felbermayr, wenn er von der bolivianischen Regierung spricht? Die gegenwärtige Regierung der MAS (Bewegung zum Sozialismus)? Oder eine Regierung der Rechten? So etwas wie die Regierung Áñez, die nach dem weisen Putsch gegen Evo Morales die Macht inne hatte? Wir erinnern uns, dieser Putsch wurde von Teilen der “Staatengemeinschaft” orchestriert. Auch die Bundesregierung hat dieses Vorgehen gebilligt.
Zu 3: In welcher Form soll das Lithium dem Weltmarkt zur Verfügung stehen? Hier findet sich die Antwort auf Punkt 2. Keine der entscheidenden gesellschaftlichen Kräfte Boliviens will ein Ausfuhrverbot für Lithium. Die Unterschiede liegen in der Art und Weise, wie der Rohstoff exportiert werden soll.
Die Bourgeoisie, der die Entwicklung des Landes mehr oder weniger egal ist, dürfte mit dem Verkauf des Metalls zufrieden sein. So wie sie es in der Vergangenheit mit dem Zinn gemacht hat.
Die MAS möchte das Lithium vor Ort verarbeiten. Damit kommt die Wertschöpfung dem Land zugute und es entstehen Arbeitsplätze. Das trägt zur Entwicklung ganz Boliviens bei.
Der Export findet dann in Form von Fertigprodukten, z.B. Akkus, statt.
Die zahlreichen europäischen Projekte zur Batterieherstellung benötigen das reine Metall. Woher sollte der Rohstoff für die europäischen Fabriken kommen, wenn Bolivien nicht das Rohmaterial exportiert? Daher kann man davon ausgehen, dass Felbermayr keine Regierung der MAS stabilisieren wird.
Die “Entwicklungshilfe ganz anderer Art” ist mit dem Wahlsieg von Luis Arce (MAS) vorerst gescheitert. Wegen der wirtschaftspolitischen Linie seiner Regierung kann Felbermayr gegenwärtig kein Vertrauen in das Land haben. So wie Bolivien gegenwärtig aufgestellt ist, ist es nicht “in unsere Wertschöpfungsnetzwerke” integrierbar.
Im folgenden Teil des Interviews meint man einen Bezug zum Scheitern (“nicht gelingt”) der Regierung Áñez zu hören: “Und dort, wo das nicht gelingt, wird man sehen müssen, wie man Alternativen aufbaut.” Interessant, wie man den Kampf gegen eine demokratisch gewählte Regierung umschreiben kann. Wie soll der ablaufen? “Oder auch, wie man vielleicht das eine oder andere Regime, das dann auf wichtigen Ressourcen sitzt, wie man da daran arbeitet, hier einen politischen Wandel hinzukriegen. Und da gehört eben, wie gesagt, mehr dazu als nur Zölle oder Handelsabkommen. Da wird man Druck aufbauen müssen über sehr viel mehr Kanäle.”
Er ist vorsichtig, er formuliert in der Möglichkeitsform. Doch was versteht er unter einem “politischen Wandel”? Da er Druck aufbauen möchte, mehr als nur Zölle und Handelsabkommen, kommt hier die von ihm weiter vorne eingeführte robuste Diplomatie ins Spiel. Da ging es darum, Versorgungskorridore militärisch abzusichern. Der politische Wandel ist also die Zusammenarbeit befreundeter Staaten – ein deutscher Alleingang soll es ja nicht werden -, um die Versorgung mit einem Rohstoff militärisch abzusichern. Das nannte man vor 120 Jahren, er hat selbst darauf hingewiesen, Kolonialismus.
Damit formuliert Felbermayr – sie offen zu fordern, traut er sich nicht – die Notwendigkeit der Schaffung einer zeitgemässen Kolonie. Wie könnte sie aussehen? Erinnern wir uns an den Putsch gegen Morales. Ein rechter Mob protestierte auf der Strasse gegen einen angeblichen Wahlbetrug. Dieser Vorwurf wurde vom Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) unterstützt. Am Ende forderten die Streitkräfte Morales ultimativ zum Rücktritt auf. Um Blutvergiessen zu vermeiden, trat er zurück und ging ins Exil. Trotzdem forderte die Repression gegen seine Unterstützer viele Todesopfer. Kurz danach belegte das MIT in Cambridge (USA), dass es sich beim Vorwurf des Wahlbetrugs um eine Lüge gehandelt hat.
Die neue Regierung begann sofort mit einer Rückabwicklung der Errungenschaften der vergangenen 15 Jahre. Das erinnerte die Bevölkerung daran, was ein rechter Präsident für sie bedeutet. Das erzeugte den gesellschaftlichen Druck, Áñez hatte ja Neuwahlen versprochen, diese endlich anzusetzen.
Stellen wir uns vor, die Interimspräsidentin hätte den Westen um „Entwicklungshilfe ganz anderer Art“ gebeten? Um Hilfe gegen die „gewalttätige“ Opposition der MAS. Um Hilfe beim Kampf gegen die Droge Coca. Ein Grund, den man der Bevölkerung der Länder des Westens vermitteln kann, lässt sich immer finden.
Aufgrund der Bitte um Beistand hätten die NATO-Staaten eine Unterstützungsmission in Marsch gesetzt. Damit wäre der von Felbermayr erträumte „Versorgungskorridor“ Wirklichkeit geworden. Die Repression gegen bolivianische Patrioten hätten nun die Kräfte der NATO übernommen. Die MAS wird als terroristische Organisation verboten und allen ihren Mitgliedern für die Zukunft die politische Betätigung verboten. Damit können auf absehbare Zeit keine unliebsamen Wahlergebnisse den westlichen Frieden stören. All das findet formal demokratisch unter dem „Wandel“ einer lokalen Regierung statt.
Aus Sicht von Felbermayr ist dieser Neokolonialismus notwendig, damit die Energiewende gelingt. Das trifft aber nur dann zu, wenn man als Herr auftreten will und alle anderen zu Knechten degradiert. Alternativ gäbe es eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, die ist von ihm offensichtlich nicht gewünscht.