Bei der folgenden Analyse geht es nicht um Schuldzuweisungen für »imperialistische Untaten«, auch nicht um eine Sortierung der Welt in gute oder böse Staaten, sondern es soll am Beispiel dieser beiden Nationen und ihrer Konkurrenz zu erklären versucht werden, was Imperialismus (soll heissen: das Nach-Aussen-Treten kapitalistischer Staaten) ist, warum er notwendig zur kapitalistischen Staatsraison dazugehört und welche Form er heute hat.
Nicht mehr gegen, sondern mit Amerika
Zu Beginn der 1970er Jahre entschloss sich die Volksrepublik zu einer radikalen Änderung ihrer Aussenpolitik: Sie nahm Verbindung zu den USA auf, der Führungsmacht des bis dahin nach Kräften attackierten imperialistischen Lagers. In der Folge konnten die USA die Sowjetunion welt- wie rüstungspolitisch mehr unter Druck setzen. Es war ihnen damit auch gelungen, China, das dem Weltkapitalismus mit seiner Doktrin von der »Unvermeidbarkeit des Krieges« zwischen Imperialismus und Sozialismus bis dahin trotzig und unberechenbar gegenüberstand und seit 1964 selbst über die Atombombe verfügte, ein Stück weit einzubinden in ihre Ordnung der Welt. Mit der (Wieder-)Aufnahme bilateraler Beziehungen zu Washington mitten im laufenden Vietnamkrieg und trotz der militärischen Ausbreitung der USA in Südkorea, Japan, den Philippinen etc. signalisierte Beijing seine Bereitschaft, sich mit einer führenden Rolle der USA in der Welt und im Pazifik zu arrangieren. Umgekehrt akzeptierten die Amerikaner dafür eine atomar bewaffnete Volksrepublik als Regionalmacht und nahmen kurz darauf hin, dass »Rotchina« den (vorher dem US-Verbündeten Taiwan zugesprochenen) Sitz im Sicherheitsrat der UN besetzte.Die USA haben dem kommunistischen China also das Angebot auf einen Platz in »ihrer« Welt gemacht – unter der Bedingung, dass seine Parteiführung sich damit abfand, wie es in dieser Welt zuging: 1. freier Handel zwischen den Staaten der »freien Welt« 2. unversöhnliche Feindschaft zwischen dem westlichen und dem sowjetischen Lager, aus dem die Volksrepublik endgültig ausscherte. Selbstverständlich war das Angebot des damaligen Nixon-Kissinger-Gespanns mit dem Wunsch verbunden, dass dies im Idealfall zur Unterordnung des unhandlichen Landes führen sollte. Amerika hat deshalb die neu eröffneten Beziehungen mit ein paar ökonomischen Angeboten flankiert – in der klaren Hoffnung, dass sich das wirtschaftlich nicht gerade gefestigte Land alsbald in ausnutzbare Abhängigkeiten hineinreiten würde.
China seinerseits hat die strategisch richtungweisende Entscheidung getroffen, dass es seine nationalen Interessen in Kooperation mit dieser kapitalistischen Welt und all ihren – bis dahin vorwurfsvoll angeklagten – Gemeinheiten besser zur Geltung bringen kann als im Kampf gegen sie. Die berechnende Anerkennung, die ihm die USA angeboten haben, hat es als Gelegenheit betrachtet, sich neu aufzubauen und einen anerkannten Platz in der Hierarchie der grossen Nationen zu ergattern, sich also in der Konkurrenz der imperialistischen Staaten zu behaupten.
Mit Chinas Entscheidung, aus dem kommunistischen Block auszuscheren und sich auf Beziehungen mit den USA einzulassen, begann die Selbstauflösung des Ostblocks; sie läutete das Ende der Zweiteilung der Welt in einen kapitalistischen und einen kommunistischen Block ein. Ein »Weltsystem« ist die in der Folge entstandene Welt allerdings lediglich in einer Hinsicht: Die paradoxe Gemeinsamkeit moderner Staaten besteht darin, dass alle miteinander konkurrieren. Sie respektieren sich als frei und souverän, um auf der Basis wechselseitiger Benutzung den jeweils grössten Nutzen aus freiem Handel und Kapitalverkehr auf dem gesamten Planeten gegeneinander zu sichern. Das führt natürlich zu entsprechenden Gegensätzen zwischen ihnen. Darum wissen alle Beteiligten, bewaffnen sich nach Kräften, erpressen sich und gestalten damit bereits den Frieden genannten Zustand ziemlich ungemütlich.
Diese kapitalistische Ordnung der Welt gilt als riesiger menschheitsgeschichtlicher Fortschritt – auch wenn sie für die meisten Nationen eher zu Verschuldung und failing states (Staaten, in denen alle Arten von Staatsfunktionen zunehmend ruiniert sind) führt. Nutzniesser sind eine Handvoll potenter kapitalistischer Nationen, zu denen neben den USA auch Deutschland, Japan und die meisten EU-Staaten gehören. Die Menschen auf dem Globus sind mehrheitlich das Mittel in diesem Konkurrenzkampf, in den sich Staaten begeben. In den Dritte-Welt-Ländern stürzt das die Bewohner in einen ständigen Kampf ums unmittelbare Überleben, aber auch die Bevölkerungen der etablierten oder aufsteigenden Staaten sind in ihrer grossen Masse Verliererinnen der Konkurrenzerfolge ihrer Nationen und nicht Nutzniesser der Weltwirtschaft – das kriegen sie tagtäglich an ihren Arbeitsplätzen zu spüren, wenn sie denn einen haben.
Chinas ökonomischer Aufstieg
Das ist, in groben Zügen, die kapitalistisch geordnete Welt, in die China mit seinem wirtschaftlichen Aufstieg hineingeplatzt ist. Seine Kommunistische Partei (KP) hatte das Land zuvor vom westlichen Ausland abgeschottet und eine sozialistische Planwirtschaft aufgebaut, (Stichworte: Volkskommunen, Staatsbetriebe, sowjetische Unterstützung, »grosser Sprung nach vorn«).[1] Aus Unzufriedenheit über deren Resultate – gemessen am Massstab eines schnellen Wiederaufstiegs der chinesischen Nation nach den Jahren ihrer imperialistischen Ausplünderung – hat der Mao-Nachfolger Deng Xiaoping China ökonomisch geöffnet und Land und Leute mehr und mehr für kapitalistische Benutzung zur Verfügung gestellt.Das mit einem ziemlich bemerkenswerten Resultat: Das alte »Reich der Mitte« hat es in den vergangenen dreissig Jahren seines staatlich initiierten und gelenkten Kapitalismus geschafft, sich zu einer der wenigen wichtigen Wirtschaftsnationen auf der Welt hochzuarbeiten. Das ist ein interessanter Sonderfall gegenüber dem »normalen Schicksal« eines Entwicklungslandes, bei dem nach der Logik von Geschäft und Gewalt die Aufnahme von Beziehungen mit den in jeder Hinsicht überlegenen kapitalistischen Erfolgsnationen regelmässig zu einseitiger ökonomischer Abhängigkeit und prinzipieller Beschränkung des politischen Handlungsspielraums führt.
Dieser Sonderfall ist erklärungsbedürftig, ohne dass das hier geleistet werden kann. Deshalb lediglich einige Andeutungen: Bei der Zulassung westlicher Investitionen hat die KP zunächst Sonderwirtschaftszonen abgetrennt; der Rest des Landes blieb in seiner Funktionsweise unberührt. Ausländische Unternehmen hat sie auf chinesische Partner verpflichtet (die dadurch soviel Kapital anhäufen konnten, dass sie weltmarktfähig wurden), ebenso auf lokale Zulieferer und Technologietransfer; sie hat lediglich produktive, keine spekulativen, Investitionen erlaubt und Auslandsverschuldung vermieden. Die chinesische Währung darf bis heute nur eingeschränkt gehandelt werden, wobei die Regierung entscheidet, was an Kapital- bzw. Warenimport zugelassen wird. Auf Basis der Handlungsfreiheit, die sie mit diesen Massnahmen stets gewahrt hat, hat sie allmählich eine eigene chinesische Akkumulation herbeiregiert, die sich schnell über die ersten Sonderwirtschaftszonen hinaus ausgeweitet hat.
Umgekehrt haben sich die ausländischen Investoren (wie die westlichen Staaten) auf die für sie eigentlich unannehmbar restriktiven Bedingungen einer kommunistischen Staatspartei aus einem einzigen Grund verpflichten lassen: Der Zutritt zu diesem letzten grossen weissen Fleck auf der Weltkarte des Kapitals mit seinen 1,3 Mrd. Bewohnern war und ist für sie schlicht unwiderstehlich – als Billiglohnland, vor allem aber auch als Markt.[2]
Einmal erfolgreich »angestossen« fand eine »ursprüngliche Akkumulation« – die durch viel staatliche Gewalt flankierte Schaffung einer allgemeinen Basis kapitalistischer Gewinnproduktion, deren Ergebnisse den Ausgangspunkt für die beständige Ausweitung und Ausbreitung rentabler Geschäfte bilden – in einem bisher unbekannten Ausmass statt. Deren vorläufiges Resultat: China wird selbst zum Nutzniesser der ausländischen Investitionen und zu einer Wirtschaftsmacht, die den etablierten Nationen heute auf gleicher Augenhöhe gegenübertritt.
Erfolgreicher Kapitalismus braucht eine entsprechende Aussenpolitik
Von Anfang an beruht das erfolgreiche Auftreten Chinas auf dem Weltmarkt darauf, dass das Geschäft an allen Ecken und Enden durch die chinesische Staatsgewalt betreut und gefördert wird. Sie setzt nicht nur im Inneren die Bedingungen dafür, dass Lohnarbeit bei privaten Unternehmen nach und nach die normale Erwerbsform für immer mehr chinesische Menschen wird. Sie sorgt auch dafür, dass das chinesische Wachstum – gleichgültig, ob durch ausländische oder einheimische Firmen in Gang gesetzt – im Verkehr nach aussen nachhaltig alles vorfindet, was es braucht.• Die immer grösseren Warenexporte benötigen entsprechende Absatzmärkte – und die funktionieren keineswegs nach dem Motto »schön, dass ein Neueinsteiger auch etwas zu verkaufen hat«. Deshalb trat China der WTO bei und kämpft dort zusammen mit Brasilien und Indien für bessere Exportbedingungen. Mit den ASEAN-Staaten will es eine Freihandelszone errichten. In ganz Asien baut es neue Verkehrswege, die chinesische Währung Yuan wird immer mehr bei der Abrechnung der Exportgeschäfte als Alternative zum Dollar verwandt.
• Den nötigen Nachschub von Rohstoffen sichert sich China inzwischen überall auf der Welt. Auch auf diesem Feld haben seine Führer gelernt, dass es nicht reicht, das nötige Geld auf den Tisch zu legen und damit alles zu ordern, was ein frischgebackenes kapitalistisches Land so braucht. Besonders in Sachen Energie beanspruchen die etablierten kapitalistischen Nationen die Welt als ihr Terrain und diktieren vielen der ressourcenreichen Länder die Bedingungen. Auf der Suche nach verlässlichen Lieferländern, die sich im Falle eines Falles nicht einfach gegen China erpressen lassen, werden die Chinesen deshalb mit Vorliebe fündig bei Ländern, die in einer gewissen Distanz zum Westen stehen, wie etwa Sudan, Iran, Russland. Mit dem, was sie sonst noch brauchen, bieten sie einer ganzen Reihe von Staaten in Südamerika und Afrika einen Ausweg aus ihrer bisherigen ökonomisch trostlosen Lage – zudem sie für den Abtransport der Waren gleich noch die entsprechenden Verkehrswege bauen und mit ihren Krediten günstig finanzieren. Nichts anderes war und ist übrigens der politökonomische Witz von Entwicklungshilfe! Mit dieser Politik bauen sie sich inzwischen als regelrechte Alternative zu den Mächten in Nordamerika und Europa auf. • Auf Basis der erfolgreichen Akkumulation von Kapital im Inneren hat die chinesische Regierung eine geballte Offensive chinesischer Kapitale »angeordnet«. Sie weiss offenbar darum, dass die Grösse des Kapitals die Kernbedingung kapitalistischen Konkurrenzerfolgs ist und hat mit staatlich initiierten Firmenfusionen und unterstützt durch staatliche Kreditzusagen ausgewählte chinesische Unternehmen geformt, die als global player agieren sollen (Firmen, die imstande sind, im Weltgeschäft mitzumischen). Per Kapitalexport verschaffen sich diese Unternehmen im westlichen Ausland Technologie, Markennamen und Vertriebswege.
• Wie auch immer Chinas Politiker über Aussenpolitik gedacht haben mögen – heute beherzigen sie den Lehrsatz, dass erfolgreiches Geschäftemachen mit dem Ausland von dem »politischen Einfluss«, letztlich also der Gewalt abhängt... die ein Staat gegen andere aufbieten kann. Und dessen Umdrehung! Das Geschäft, dem sie den Weg in alle Erdenwinkel bahnen, soll sich für sie ummünzen in einen Zuwachs an strategischer Machtentfaltung. Das Programm einer modernen imperialistischen Grossmacht – das haben die USA vorgemacht – sieht eben nicht mehr so aus, andere Staaten zu überfallen, auszuplündern oder zu Kolonien zu machen. Stattdessen respektiert sie deren Eigeninteresse, um aus den ökonomischen Beziehungen entstehende Abhängigkeiten als Einfallstor zu benutzen: Die eigenen, in diesem Fall chinesischen, Interessen werden damit im Idealfall zu einem festen Bestandteil in den nationalen Abwägungen und Entscheidungen anderer Staaten, ja ihrer Staatsraison.
Die Weltmacht USA sieht sich herausgefordert
Mit den Erfolgen und seinem Aufstiegsprogramm macht sich China nicht eben beliebt bei denen, die in der Staatenwelt bisher das Sagen und die Wirtschaftserfolge auf ihrer Seite hatten. Die etablierten Hüter der internationalen Konkurrenzordnung bemerken, dass sich der Neueinsteiger ökonomisch und politisch unangenehm breitmacht. Vor allen anderen sieht sich natürlich Amerika herausgefordert. Dass chinesische Waren die amerikanischen Märkte »überschwemmen«, und dass von chinesischen Devisengewinnen massenhaft US-Schatzbriefe gekauft werden und damit der amerikanische Haushalt vom Goodwill der chinesischen KP abhängt, wird in den USA als Bedrohung wahrgenommen.Gerade das kapitalistisch gewendete China, das sich an die Regeln der globalen Marktwirtschaft hält und »nur« von ihnen profitiert, bestreitet ihnen den ökonomischen Nutzen und untergräbt damit auch ihre Weltmachtstellung. Andererseits will man eben dieses Land aber unbedingt weiterhin und sogar verstärkt als Produktionsort und Absatzmarkt nutzen; die damit verknüpften Wirkungen, ein stetig andauernder chinesischer Zuwachs an ökonomischen und militärischen Macht-Mitteln, sollen allerdings auf jeden Fall unter Kontrolle gehalten werden. Eine rivalisierende Weltmacht wird erklärtermassen nicht geduldet.
Also bringen die USA sämtliche Mittel, über die sie verfügen, in Anschlag. China wird innerhalb der WTO mit allerhand Klagen überzogen, Beschwerden über den »künstlich niedrigen« Yuan und die deshalb ungerechten Handelsvorteile reissen nicht ab. Und Obama eröffnet – neben der sowieso schon laufenden Stützpunktpolitik der USA gegenüber China (Taiwan, Japan, Afghanistan, Pakistan) – eine pazifische Offensive mit Japan, Australien, den Philippinen.[3]
Gleichzeitig enthält die amerikanische Stellung zu China immer auch ein – ausgesprochen zwiespältiges – Angebot: Beijing möge sich, gerade angesichts der »drohenden Verschlechterung« der doch so nützlichen Beziehungen, lieber fügen, Rücksicht nehmen auf die Vorhaltungen der Weltmacht, sich einordnen in die pax americana und eine darin für Amerika nützliche, dann aber auch anerkannte Rolle spielen. China wird vor die Gretchenfrage gestellt, ob es – gegen eine gewisse Anerkennung – bereit ist, konstruktiv zur amerikanischen Weltordnung beizutragen oder diese sabotieren will.
China will sich nicht unterordnen
Es ist also nicht verwunderlich, dass China den ziemlich »unilateralen« Weltordnungswillen der USA nicht nur allgemein als Einengung seiner Handlungsfreiheit zur Kenntnis nimmt, sondern ihn eindeutig als Angriff auf sein Aufstiegsinteresse bezieht. Und es lässt keine Zweifel daran, dass es das keineswegs hinnehmen will. Früher haben die chinesischen Kommunisten die Welt einmal dafür angeklagt, dass in ihr der »US-« und später der »Sozialimperialismus« der Sowjetunion zu Unrecht die Interessen der »fortschrittlichen Völker« »dominierten«. Heutzutage stören sich ihre Nachfolger daran, dass China in seinem Recht auf »friedliche Entwicklung« – so nennen sie das Vorhaben ihres Landes, zu einer kapitalistischen Grossmacht aufzusteigen – behindert wird.In ihren »Weissbüchern« bedauern sie, dass die ansonsten auf der Welt bereits vorbildlich herrschenden »Haupttendenzen Frieden und Entwicklung« durch das Treiben »einer Macht« empfindlich gestört werden: Amerika »masst sich an«, die Welt »hegemonial«, »unipolar« zu beherrschen und jede Veränderung seiner Weltordnung strikt zu unterbinden. Dagegen setzt China sein Konzept einer »multipolaren Welt« – und kündigt mit dieser Formel, die harmlos und beschwichtigend klingen soll, nicht weniger als seinen Kampf gegen Amerikas Vormachtstellung an. Die heutigen chinesischen Machthaber sind nicht gewillt, das »Kräfteverhältnis« auf der Welt als unveränderlich hinzunehmen.
Um Amerikas »Dominanz« in der Welt zu begegnen, versucht China, den Antiamerikanismus anderer Staaten zu schüren und für sich auszunutzen. Mit seinem ehemaligen Hauptfeind Russland etwa hat China sich politisch ausgesöhnt und vor zehn Jahren eine »strategische Freundschaft« begonnen, die laut Auskunft beider Seiten einen »unvergleichlich zufriedenstellenden Stand in den Beziehungen beider Länder« erreicht hat. Beijing ist Russlands grösster Kunde in Sachen Waffenlieferungen, will Russland zu einem wichtigen Energielieferanten machen. Beide Seiten demonstrieren Übereinstimmung in weltpolitischen Fragen, in der Iran-Diplomatie ebenso wie durch gemeinsame Militärmanöver.
Die Partnerschaften, die China knüpft, und damit der politische Einfluss, den es in den supranationalen Organisationen geltend machen kann, leiden allerdings darunter, dass sie immer genau dann zu versagen drohen, wenn sie die Probe aufs Exempel zu bestehen haben. Immer dann, wenn der Antiamerikanismus, auf den China setzt, praktisch gefragt ist, stellen sich die meisten Nationen, etwa die EU-Länder, Indien oder Japan, auf den Standpunkt, dass an ihren Beziehungen zu Amerika doch so viel existierendes oder erhofftes Geschäft, politischer Einfluss und »Besitzstand« in der Welt, militärische Sicherheit bzw. drohende Feindseligkeit hängen, dass sie eine dauerhafte Verärgerung der USA nicht riskieren wollen.
Dieser Widerspruch gilt natürlich auch und gerade für China selbst, das sich auf gedeihliche Beziehungen mit den USA angewiesen sieht, um seinen gerade so prächtig funktionierenden Erfolgsweg fortführen zu können. Schliesslich will die Volksrepublik Amerika weiterhin für ihren Aufstieg benutzen: Amerikanisches Kapital soll auch in Zukunft und noch viel massenhafter in China angelegt werden, der US-amerikanische Markt ist längst wichtigster Exportmarkt für chinesische Waren und soll perspektivisch auch mittels Kapitalexport erobert werden. Mit diesem Widerspruch geht China so um, dass es der amerikanischen »Dominanz« entgegenzutreten versucht, ohne es sich allzu schnell mit der Weltmacht zu verderben. In diesem Sinne meinen es seine Führer also durchaus ernst, wenn sie stets lautstark für »Frieden« eintreten – das ist für sie schliesslich die Bedingung ihres weiteren Aufstiegs. Gegen die Eindämmungsbemühungen der USA mobilisiert Beijing alles, was es inzwischen an Beziehungen rund um den Globus unterhält und was es an Respekt gegenüber seiner gewachsenen Macht errungen hat – allerdings, ohne dass die damit programmierte Auseinandersetzung momentan zur Feindschaft eskalieren soll.
In der UNO enthält sich China als mitentscheidendes Subjekt des Sicherheitsrats in vielen entscheidenden Fällen der Stimme: Es verweigert der Weltmacht also die geforderte moralische Zustimmung, ohne ihr ein regelrechtes Veto entgegenzusetzen, ausser im Fall der Ablehnung eines UN-Einsatzes im Sudan und bislang im Fall Syrien.
Dem Antiterror-Krieg der USA hatte China prinzipiell seine Unterstützung zugesagt und zugleich überall, wo es ging, probiert, Amerikas Politik zu konterkarieren. In diesem Sinne wird in Zentralasien die »Shanghai Cooperation«, die seit 9/11 bedingt Amerikas Anerkennung geniesst, ziemlich umfunktioniert. Russland und China nutzen diesen asiatischen Sicherheitsverbund, dem sich inzwischen Iran, Pakistan, die Mongolei und auch Indien »als Beobachter« annähern, heute vor allem dazu, die USA wieder aus dieser Region herauszudrängen, in der sie sich im Zuge des Anti-Terrorkriegs Stützpunkte verschafft haben und dauerhaft militärisch festzusetzen drohen.
Insgesamt will China die USA dazu bringen, sich mit dem ökonomischen und politischen Aufstieg des »Reichs der Mitte« abzufinden. Und zwar nicht nur mit dem, was bisher passiert ist, sondern damit, dass dieser Aufstieg, einmal in Gang gekommen, wie eine Art Naturgesetz weiter gehen wird. Zwar sei den Beteiligten in Washington und Beijing klar, dass es Gegensätze gibt und weiter geben müsse; gleichzeitig aber könnten doch auch beide Staaten voneinander profitieren und mit ein wenig gutem Willen eine »Win-win-Situation« schaffen – so etwa argumentieren Chinas Politiker. Mit dieser Ideologie vom beiderseitigen Nutzen tragen sie ihren Anspruch wie ein Angebot an Amerika vor. Praktisch setzen sie dabei darauf, dass auch Amerikas Ökonomie inzwischen existentiell vom Geschäft mit China abhängt, so dass die USA vor eine harte Schadensabwägung gestellt werden, wenn sie die Ebene des »friedlichen« Konkurrierens verlassen – nicht nur die in chinesischem Besitz befindlichen Dollars bzw. Staatspapiere lassen grüssen.
Keine Hoffnungsträger
Das heutige China ist geradezu ein Lehrstück über den notwendigen Zusammenhang von Geschäft und Gewalt in der Weltordnung. Seine Führer haben ihre frühere sozialistische Planwirtschaft Stück für Stück und mit viel staatlicher Betreuung transformiert in eine kapitalistische Ökonomie. Die immanenten Notwendigkeiten des kapitalistischen Geschäfts bescheren ihnen inzwischen eine ganze Agenda an aussenpolitischen Tätigkeiten. Ein bedauernswerter »Sachzwang« der Globalisierung ist das allerdings nicht. Erst einmal hat der »freie Westen« mit dem Kalten Krieg die Existenz eines kommunistischen Staatenblocks nicht hingenommen.Dann hat gerade China aus seinen nationalen Erwägungen heraus freiwillig die Seiten gewechselt, sich in die kapitalistische Konkurrenz gestellt und mit diesem Entschluss entscheidend dazu beigetragen, dass die Welt heute tatsächlich »globalisiert« ist, sprich: dass überall die Freiheit des Kapitals herrscht. Seitdem ist China damit befasst, die Eigengesetzlichkeiten eines erfolgreichen Kapitalismus machtvoll durchzusetzen. Dabei reichen seine Aktivitäten von der Förderung des Warenexports bis zur militärischen Sicherung seiner Handelswege und der Verteidigung seiner – mit dem Erfolg enorm gewachsenen – »vitalen Interessen« gegen Eindämmungsbestrebungen, die die herausgeforderte Weltmacht Amerika China selbstverständlich entgegensetzt. So geht es eben zu, wenn eine neue Macht in der Konkurrenz kapitalistischer Staaten aufsteigt – eine friedliche Angelegenheit ist das nicht.
Mit diesen Überlegungen sollten zugleich einige gängige Vorstellungen widerlegt sein:
• Es ist sachlich falsch, Chinas aussenwirtschaftliche oder -politische Konkurrenzpraktiken als besonders bösartig zu charakterisieren. Sie haben ihren Grund in den (übrigens: im Westen entwickelten und allen sozialistischen Ländern immerzu gepredigten!) marktwirtschaftlichen Prinzipien des Umgangs mit Land und Leuten, die das asiatische Land nun eben auch bei sich installiert hat. Die Rede von der neuen »gelben Gefahr« drückt insofern zuallererst den westlichen Anspruch auf diese Welt, ihre Ressourcen und den Nutzen aus dem globalen Handel aus.
• Es ist ein unangebrachter Idealismus, zu glauben, man könne den Kapitalismus einsetzen zur Entwicklung von Technik und Produktion zum Segen für Land und Leute und seine hässlichen Seiten irgendwie aussen vorhalten. Die Analyse von Chinas Ökonomie und seiner Aussenpolitik (die zu dieser Ökonomie gehört und sich keineswegs jenseits, auf irgendwelchen luftleeren Feldern politologischer Kategorien von »Macht und Interesse« abspielt) macht deutlich, dass der Kapitalismus »System« hat bzw. eines ist.
• Wer fragt, ob Amerika als eher »unbeliebter Weltmacht« in China endlich ein Gegenpart erwächst, dem man Erfolg wünschen kann, sagt mehr über sich und seine ohnmächtige Lage aus als über China. Denn diese Frage, zumindest wenn sie von links gestellt wird, verwechselt Chinas Zwecke als aufsteigende Grossmacht mit den eigenen Hoffnungen auf ein Ende des globalen Kapitalismus. Ähnliches geschieht bereits mit lateinamerikanischen Ländern, auf die revolutionäre Fantasien projiziert werden. Dass es zwei verschiedene Paar Schuhe sind, ob sich die Geschädigten dieser Welt die Interessen nicht mehr gefallen lassen, unter denen sie zu leiden haben, oder ob eine konkurrierende Macht einer anderen ein paar Striche durch ihre Rechnungen macht – auf diesen Unterschied sollte man schon Wert legen.
Die wenigen linken Stimmen wiederholen darin am China von heute vor allem ihre Fehler von gestern. Mitten in einer Welt kapitalistischer Konkurrenten wollen sie doch Gute und Böse, Soziale und Unsoziale kennen und trennen. Eine andere Welt ist aber nicht zu haben, ohne die Gesetzmässigkeiten ihrer politökonomischen Ordnung zu begreifen und diese dann endlich auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern.