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Rohstoffbranche im Visier der Forschung

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Die andere Seite des Rohstoffhandels Rohstoffbranche im Visier der Forschung

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Wirtschaft

Die Rohstoffbranche agiert diskret. Nun interessiert sich die Forschung vermehrt für das Thema. Auch die Politik kommt in Fahrt.

Nickelwerk von Glencore in Kristiansand, Norwegen.
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Nickelwerk von Glencore in Kristiansand, Norwegen. Foto: Havstad112 (CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 13. September 2016
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Über Zahlen zu «erlegtem Haarwild» (Hirsche, Gämsen, Hasen, Füchse etc.) sind wir dank dem Bundesamt für Statistik gut informiert. Umfassende offizielle Statistiken zu den Handelsdaten der Rohstoffbranche sucht der interessierte Laie dagegen vergebens. Angaben zu Steuern, welche dieser Sektor in der Schweiz bezahlt? Gibt es nicht. Dabei ist die Schweiz einer der weltweit führenden Handelsplätze für Rohstoffe. Glencore mit Sitz in Baar (Zug) ist die grösste im Rohstoffhandel tätige Unternehmensgruppe der Welt und umsatzmässig das zweitgrösste Unternehmen der Schweiz.

Verschwiegene Branche

Die Rohstoffbranche ist ein verschwiegener Wirtschaftszweig. Selbst der Bundesrat musste in seinem «Grundlagenbericht Rohstoffe» von 2013 zugeben, dass er bei manchen Aspekten der Branche im Dunkeln tappt. Passen musste die Regierung etwa bei der Anzahl Unternehmen und Beschäftigten und, eben, bei den Steuern. Diese seien aber wahrscheinlich «bedeutend», mutmasste der Bundesrat damals. Für die schlechte Datenlage hat Elisabeth Bürgi Bonanomi eine Erklärung: «Wenn man etwas nicht unbedingt wissen will, erhebt man keine Daten ... ». Die Antwort der Wirtschaftsethikerin und Rechtsanwältin ist in einem Interview in der jüngsten Ausgabe des Schweizer Forschungsmagazin «Horizonte» nachzulesen. Bürgi Bonanomi forscht am Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern. Sie koordinierte eine Literaturstudie des CDE, des World Trade Institute der Universität Bern und des Instituts für Wirtschaftsethik der Hochschule St. Gallen.

Mangel an Forschung

Nun ist es nicht so, dass man über die Rohstoffbranche gar nichts weiss. Spätestens seit der Publikation des Buches «Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Schweiz» (Zürich 2011) der Organisation «Erklärung von Bern» ist man auf die negativen Folgen des Rohstoffgeschäfts aufmerksam geworden. Jetzt wird vermehrt auch die Wissenschaft aktiv. Denn es bestehe «ein ausgeprägter Mangel an wissenschaftlicher Forschung zur Rolle von grossen Rohstoffhandelsplätzen wie der Schweiz, wo wichtige Rohstoffe wie Erdöl, Metalle und Getreide gehandelt werden und Rohstoffunternehmen ihre Hauptsitze haben», heisst es in einem Bericht der Akademien der Wissenschaft Schweiz unter dem Titel: «Die Schweiz und der Rohstoffhandel: Was wissen wir? Bilanz und Ausblick» (Swiss Academies Factsheet 1/2016). Und weiter: «Es mehren sich Beweise, dass Rohstoffhandel und -gewinnung auf exportierende arme Länder nicht nur positive, sondern auch nachteilige Auswirkungen haben. Dazu gehören die Risiken einer wenig diversifizierten Entwicklung, politische Korruption, Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen.»

Von unedlen Metallen bis Kaffee

Der Bericht stellt nicht nur die wichtigsten Fakten zusammen, sondern benennt auch den Forschungsbedarf. Im Folgenden einige wenige Auszüge:

«Die Schweiz ist unter anderem dank ihrer Stabilität, ihrer Stellung als Finanzzentrum und sogar dank ihrer Zeitzone zu einem führenden globalen Rohstoffhandelsplatz geworden. Das wenige erhältliche Zahlenmaterial belegt ihren raschen Aufstieg und ihre bedeutende Position. Als kleines Binnenland abseits der meisten physischen Handelsrouten bestreitet sie heute mindestens einen Drittel des weltweiten Transithandels mit wichtigen Rohstoffen wie Erdöl, Metallen und Agrargütern. Dabei kaufen hiesige Unternehmen Rohstoffe von ausländischen Lieferanten und verkaufen sie an ausländische Kunden weiter, ohne dass die Güter je Schweizer Boden berühren. Die Nettoerträge aus dem Schweizer Transithandel haben sich zwischen 2003 und 2011 von 2 Mrd. auf 20 Mrd. Schweizer Franken verzehnfacht.

2010 löste der Transithandel mit Rohstoffen die Finanzdienstleistungen der Schweizer Banken als wichtigster Dienstleistungsexport ab, und sein Anteil am BIP (über 3 Prozent) übertraf denjenigen des Tourismus. Laut der Swiss Trading and Shipping Association sind über 500 Unternehmen und mehr als 10 000 Beschäftigte im Rohstoffhandel tätig, die meisten von ihnen in Genf, Zug und Lugano.

Ein Blick auf einzelne Rohstoffe unterstreicht die Bedeutung des Schweizer Handelsplatzes. Ein Drittel des weltweit gehandelten Erdöls wird in Genf gekauft und verkauft, bis zu 25 Prozent davon von staatlichen Unternehmen in Afrika. Zwei Drittel des internationalen Handels mit unedlen Metallen (z.B. Zink, Kupfer, Aluminium) geschieht in der Schweiz, wobei sich Firmen mit Sitz in Zug und Genf auch stark an deren Gewinnung beteiligen. Der Handel mit Edelmetallen ist ebenfalls prominent vertreten, doch im Unterschied zu anderen Rohstoffen werden diese oft physisch in die Schweiz eingeführt und somit vom Schweizer Zoll erfasst. Laut einer Schätzung werden 70 Prozent des weltweiten Goldes in der Schweiz raffiniert, insbesondere im Tessin. Ähnlich bedeutend ist der Handel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen: Zwei Drittel des international gehandelten Getreides, über die Hälfte des Kaffees, die Hälfte des Zuckers und ein Grossteil der Baumwolle werden von Unternehmen mit Sitz in der Schweiz gehandelt. Wenig überraschend importiert die Schweiz für die Herstellung ihrer bekannten Schokoladen bedeutende Mengen an Kakao. Daten zum Transithandel mit diesem Gut sind dagegen schwer zu finden.

Die andere Seite des Rohstoffhandels

Diese Zahlen zeichnen das Bild einer grossen Schweizer Erfolgsgeschichte. Forschende haben allerdings gezeigt, dass der Rohstoffhandel auch Risiken birgt. Dazu gehören unlautere und illegale Finanzflüsse, Umweltschäden, Menschenrechtsverletzungen und verpasste Chancen für arme Länder, in denen die (oft endlichen) Rohstoffe abgebaut werden. Die schwierige Aufgabe, solche Risiken einzudämmen, stellt sich nicht nur der Schweiz. Doch ihre führende Rolle als Handelsplatz und Hauptstandort von Rohstoffunternehmen erfordert in den Augen vieler ein besonderes Verantwortungsbewusstsein. Forschung ist dabei unabdingbar für ein besseres Verständnis der Rolle der Schweiz, der damit verbundenen Risiken sowie angemessener politischer Reaktionen. Werden die Risiken nicht angegangen, kann sich dies nachteilig auf den Ruf der Schweiz im internationalen Handel, in der Aussenpolitik (insbesondere der Entwicklungspolitik und der globalen Umweltpolitik) und in Teilen der eigenen Bevölkerung auswirken.»

Steuerflucht, Korruption, Geldwäscherei

Der Bericht definiert auch die drängendsten Fragen und Wissenslücken. An erster Stelle genannt werden unlautere und illegale Finanzflüsse im Zusammenhang mit Rohstoffhandel. Dann natürlich Steuerflucht und Steuervermeidung. Die Tendenz internationaler Konzerne, den Ort ihrer Geschäftstätigkeit vom Ort der Besteuerung der erwirtschafteten Gewinne abzukoppeln, ist gerade beim Rohstoffabbau häufig; auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat darauf hingewiesen. Zudem treten Korruption, Konflikte und Geldwäscherei oft im Zusammenhang mit hochwertigen Energierohstoffen und Mineralien aus Entwicklungsländern auf – mit gravierenden Auswirkungen für die Menschenrechte: «Eine der wenigen bisherigen Studien kommt sogar zum Schluss, dass gewisse Rohstoffunternehmen systematisch auf Korruption zurückgreifen, um Zugang zu Rohstoffen zu erhalten», heisst es im Bericht der Akademien der Wissenschaften Schweiz.

Das Geschäftsgebaren der Rohstoffindustrie birgt für die Schweiz ein grosses Reputationsrisiko: «Die Intransparenz des Schweizer Rohstoffsektors mag für Händler attraktiv sein, doch für den Ruf der Schweiz ist sie wenig förderlich», schreiben die Autoren des Berichts. Seit 2011 führt die Schweiz die Rangliste des «Schattenfinanzindex'» (Financial Secrecy Index) an, mit dem das internationale Tax Justice Network Länder gemäss ihrem «Beitrag zur Intransparenz globaler Finanzflüsse» bewertet.

Im Oktober folgt Volksinitiative

Das Thema wird uns in den kommenden Wochen und Monaten nicht mehr loslassen. Am 20. September führen die Akademien der Wissenschaften Schweiz eine Tagung in Bern durch mit dem Titel «Transparenz im Rohstoffhandel: Internationale und nationale Lösungsansätze». Mit von der Partie sind Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Politik. Definitiv auf die politische Traktandenliste kommt die Frage ab dem 10. Oktober 2016: Dann wird die Konzernverantwortungsinitiative eingereicht werden, für die bereits vor einem halben Jahr nach Angaben der Initianten über 140 000 Unterschriften gesammelt worden sind. Die Initiative will Unternehmen mit Sitz in der Schweiz verpflichten, auf den Schutz von Menschenrechten und Umwelt zu achten. Die Volksinitiative wird von gegen 80 Organisationen getragen.

Jürg Müller-Muralt / Infosperber