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Freihandelsabkommen TTIP: Die Diktatur des Kapitals

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Freihandelsabkommen TTIP Die Diktatur des Kapitals

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Wirtschaft

Am 11. Oktober 2014 soll ein europaweiter Aktionstag gegen die Banken und gegen das geplante Freihandelsdabkommen der EU mit Kanada stattfinden. Dieses CETA-Abkommen ist in wesentlichen Teilen Anfang August von der ARD geleakt worden.

Demonstration in London am 12. Juli 2014 gegen das TTIP-Freihandelsabkommen zwischen der USA und der EU.
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Demonstration in London am 12. Juli 2014 gegen das TTIP-Freihandelsabkommen zwischen der USA und der EU. Foto: World Developement Movment (CC BY 2.0 cropped)

Datum 4. September 2014
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Allgemein wird CETA als der Probelauf der EU für das umfassendere TTIP-Abkommen der EU mit den USA eingestuft. Es wird also im Oktober auch um das TTIP-Abkommen gehen. Mit dem nachfolgenden Artikel sollen einerseits die wesentlichsten Punkte des TTIP benannt und andererseits eine Anregung zur Positionieriung der Linken und Linksradikalen gegeben werden.

Ein globales Recht auf Profit? Die Vollendung der Diktatur des Kapitals

Globales Recht des Investors ist sein Privileg, „zu investieren, was er will, wo er will, wie er will, und den Profit daraus zu ziehen, den er daraus ziehen will“ (so der Chef der US-Bank American Express, in Le Monde Diplomatique (LMD), Juni 2014).

Vorgeschichte

Ende des 2. Weltkrieges waren die USA die weltweit dominierende Wirtschaftsmacht Nr. 1. Ihre Regierung setzte sich massiv für eine hegemoniale Absicherung der von ihr propagierten Freihandelsordnung ein: Von der Inthronisierung des Dollars als Weltleitwährung in Bretton Woods (1944) über das erste grosse Abkommen zum Abbau von Handelshemmnissen und Schutzzöllen GATT (1948) bis zur Gründung der WTO (1995) war ihr Anliegen ein einzigartiger Siegeszug. Etappen auf diesem Weg waren die Aufhebung der Dollar-Goldbindung (1971) und der sogenannte „Big Bang“ in London (1985), d.h. die vollständige Computerisierung des Finanzhandels, der eine anhaltende Deregulierung des Weltfinanzmarktes in die Wege leitete. Mit dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen NAFTA (1994) wurde ein Vorläufer des TTIP gegründet, der Transatlantic Trade and Investment Partnership, ein Freihandelsabkommen, das von der US-Regierung und der EU-Kommission seit 2013 verhandelt wird.

Durch massive Auslandsdirektinvestitionen formierten die Transnationalen Konzerne (kurz: TNU) ein neues Weltproletariat: China war lange Zeit eine globale Werkbank der TNU, doch sorgten u.a. die sklavenhaltermässig ausgebeuteten chinesischen WanderarbeiterInnen für ein wirtschaftlichen Aufschwung Chinas seit den 1990ern. Auch nicht zuletzt durch die Finanzkrise von 2008 ist in jüngster Zeit das weltweite Machtgefüge von einer Verschiebung bedroht: Ein wirtschafts- und machtpolitischer Abstieg der USA, Japan und der EU ist absehbar, der zugunsten von China und anderer BRIC-Staaten ausfallen könnte. Gerade die Blockade in der WTO seit der Doharunde, die u.a. durch die BRIC-Staaten getragen wurde und sich gegen einen weiteren Ausbau des Freihandels richtete, führte zur Einleitung der Geheimverhandlungen um das TTIP-Abkommen.

Wer sind die Akteure und treibenden Kräfte von TTIP?

Formal gesehen wird das TTIP-Abkommen von der Regierung der USA und der EU-Kommission gepusht, die seit dem Lissabonvertrag die Länder der EU nach aussen völkerrechtlich vertreten kann.

Darüber hinaus beteiligen sich ca. 600 Lobbyvertreter aller namhaften TNU aus den relevanten Bereichen Energie, Finanzen, Auto, Flugzeug, Pharma, Chemie, Agrarindustrie, Dienstleistung, Computer und die Datenkraaken. Auch sind zwei Lobbydachorganisationen involviert: das europäische „Business Europe“ und das „US Chamber of Commerce“ sowie nahezu alle Multis aus der „Fortune-Liste“ der 500 grössten Konzerne der Welt - mit Ausnahme der 95 chinesischen und der 8 russischen Konzerne.

Was ist das Ziel von TTIP?

Nach aussen vertreten die Politiker den Standpunkt „Förderung von Wachstum und Wohlstand“ durch mehr Freihandel und noch umfangreichere Freiheiten für das Kapital, als dies bereits durch die Vorschriften der WTO möglich wurde. Im Kern geht es um den weiteren Abbau der letzten Schutzzölle und nationalen Schutzregeln für die genannten Branchen (Energie, Finanzen usw). Vor allem aber geht es um die Inthronisierung der Kapitalkonzerne als gleichberechtigte Akteure neben den Staaten – sprich das Klagerecht der privaten Konzerne gegen einzelne Staaten bei Vertragsverletzungen gegen die obersten zwei Gebote: Freihandel und Recht auf Profit.

Das ist aber nur die eine Seite der Wahrheit, daneben geht es um zwei verdeckt gehaltene Ziele: Es geht um die Vollendung der Diktatur des Kapitals durch die Aushebelung jeglicher demokratischen Kontrolle und Gesetzgebung und es geht darum, die Expansion China als zukünftige Wirtschaftsmacht Nr. 1 durch Normen und Standards zu begrenzen und einen Gegenblock aufzubauen.

Der Verhandlungsführer von TTIP, der EU-Handelskommissar De Gucht brachte kürzlich den globalen Führungsanspruch durch folgende Worte auf den Punkt: „Wir werden TTIP nutzen, um Regeln und Standards voranzutreiben, die die Grundlage für zukünftige internationale Abkommen bilden können“, denn es geht um „die Sicherung der gemeinsamen transatlantischen Führungsposition bei der Entwicklung globaler Normen und Standards“.

Worüber wird verhandelt?

Bevor wir uns genauer mit dem Inhalt des lancierten Investitionsschutzabkommen, das ein zentraler Bestandteil von TTIP ist, beschäftigen, seien die wichtigsten Felder der weiteren Deregulierung genannt. Vorrangig dabei ist der Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen (das sind alle den Freihandel einschränkenden Handelsschranken; nur die vereinbarten Zolltarife gelten weiter). Dies sind bspw. die mengenmässige Importkontingente sowie die nationalen Klauseln zum Schutz von Kulturgütern (wie die deutsche Buchpreisbindung), betroffen sind aber auch die Landwirtschaft und einzelne Regelungen wie die Förderung von erneuerbarer Energie und die dadurch erfolgende Einschränkung der Öl- und Atomkonzerne in ihrem Recht auf Profit. Des weiteren soll eine volle Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit gelten, das Patentrecht gestärkt werden und die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen vorangetrieben werden.

Was ist die Folge von TTIP?

Eine Beseitigung von Schutzrechten, wie bspw. den bisherigen Verboten des Handels mit bestimmten Gütern wie Pflanzen, öffentliche Kulturgütern und mit Tierarten, aber auch die Beseitigung nationaler Schutzrechte wie das deutsche Reinheitsgebot für Bier; ein Beihilfe- bzw. Subventionsverbot, dies betrifft insbesondere in den Trikontländern die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln und die Kleinindustrie, es bezieht sich aber auch auf das Verbot der Ansiedlung von grossen Supermarktketten zugunsten der lokalen Kleinhändlerstrukturen, wie es noch in Indien gilt. Eine weitere Folge von TTIP wäre die Beseitigung des Vorsorgeprinzips wie bspw. die Beseitigung des Reach in der EU (die Beweislastumkehr, d.h. es muss nachgewiesen werden, dass eine Substanz unschädlich ist, um sie zu vermarkten).

Das Reach soll ersetzt werden durch den US-Toxic Substances Control Act, der auf dem wissenschaftlichen Nachweis aufbaut, dass eine Substanz schädlich ist (eine Folge davon ist, dass es 50 Jahre Untersuchungen gebraucht hat, bis bewiesen war, dass Asbest gesundheitsschädlich ist). Das Abkupfern dieser US-Regelung würde den Konzernen (nicht nur aus der Chemie- und Pharmabranche) erhebliche Kosten ersparen, insbesondere bei Entschädigungszahlungen für Umwelt- und Gesundheitsskandale; und durch eine Meistbegünstigungsklausel sollen zukünftig immer die niedrigsten Standards im Gesundheits- und Umweltschutz sowie in den Arbeitnehmerrechten gelten.

Eine direkte Folge von TTIP auf den Weltagrarhandel ist die Unterwerfung der nicht-industriellen Landwirtschaft unter das Diktat des Agrobusiness der Konzerne Monsanto, Cargill, Nestlé, Bayer und Konsorten - dann nämlich, wenn durch das Abkommen die derzeit auf bestimmte Agrarprodukte geltenden hohen Zölle wegfallen sowie die unterschiedlichen Lebensmittelstandards und daraus herleitende Importverbote (Hormonfleisch, Gentechnik, Sortenschutz u.a.).

Der Datenschutz in der EU wird durch TTIP minimiert (das EU-Abkommen ACTA war 2012 aufgrund der grossen Proteste gescheitert und wird nun durch die Hintertür TTIP eingeführt). Vorgesehen ist eine Internetüberwachung und eine Kommerzialisierung der geistigen Eigentumsrechte (Patentrecht und Urheberrecht). Sprich, Daten werden endgültig zur Handelsware.

Die angestrebte Harmonisierung in nahezu allen bisher „nicht handelspolitischen“ Bereichen wird von Lori Wallach, Rechtsanwältin und Spezialistin auf Handelsrecht, als ein „Staatsstreich in Zeitlupe“ bezeichnet. Denn „werden [die] Standards [der Industrie] nicht erfüllt, können zeitlich unbegrenzte Handelssanktionen verhängt werden. Oder es werden gigantische Entschädigungen für die Unternehmen fällig. … [Die] Vorteile, die eine solche "Wirtschafts-Nato" den Unternehmen bieten würde, wären bindend, dauerhaft und praktisch irreversibel, weil jede einzelne Bestimmung nur mit Zustimmung sämtlicher Unterzeichnerstaaten geändert werden kann“ (LMD, November 2013).

Die materiellen Schutzstandards für die Investitionen

Wie erwähnt, ist der zentrale Bestandteil von TTIP ein Investitionsschutzabkommen. Der Begriff „Investition“ wird ausgedehnt, so dass nun alle möglichen Vermögenswerte, die im Ausland angelegt werden, darin einbezogen werden (als Folge auch spekulatives Kapital an Rohstoffbörsen und mittels Geldwäsche erlangte Immobilien etc.). Es zählt auch das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen dazu, Anteilsrechte an Firmen sowie sogenannte „Rechte des geistigen Eigentums“, öffentlich-rechtliche Konzessionen wie im Bergbau und andere Ansprüche auf Geld oder Leistungen, die einen eventuellen wirtschaftlichen Wert haben könnten.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich in den Investitionsverträgen, die Investitionen und die Investoren des Vertragspartners entsprechend der Schutzstandards gleich wie inländische Investoren zu behandeln. „So wird den Investoren ein Anspruch auf Entschädigung im Falle von direkter oder so genannter „indirekter Enteignung“ gewährt (siehe Nr. 22 der geleakten Leitlinien der EU). Ferner verpflichten sich die Vertragsstaaten zur „gerechten und billigen Behandlung“ (fair and equitable treatment) von Investoren (siehe ebd., Nr. 23), zur Gewährung von Nichtdiskriminierung (im Vergleich zu inländischen oder anderen ausländischen Investoren), zu freiem Kapitalverkehr sowie zum vollem Schutz und voller Sicherheit der Investitionen (vgl. Klimenta & Fishan 2014: Die Freihandelsfalle, p. 65). All diese vagen Rechtsbegriffe – was ist eine ‚indirekte Enteignung'? Was bedeutet ‚gerechte und billige Behandlung'? – können als scharfe Waffen für eine verschärfte Privatisierung öffentlicher Güter eingesetzt werden. Bei der „indirekten Enteignung“ geht es auch um zukünftigen Gewinne und Gewinnerwartungen (!) der Konzerne. Ihre möglichen Profite könnten sie vor den Schiedsgerichten gegen die Staaten einklagen. Das derzeitige Paradebeispiel für eine solche „indirekte Enteignung“ ist die Klage von Vattenfall gegen die BRD vor einem bei der Weltbank angedockten Schiedsgericht. Der Streitwert liegt bei 3.7 Mrd. Euro wegen entgangener Profite infolge des Atomausstiegsbeschlusses von 2011.

Was haben Chevon, Philip Morris, Veolia und Lone Pine gemeinsam?

Die 3-köpfigen Schiedsgerichte bei der Weltbank oder der WTO, gegen deren Urteil keine Revision möglich ist, werden von Juristen aus namhaften Anwaltsbüros gestellt. Schon heute garantieren weltweit über 3.000 internationale Investitionsabkommen Konzernen solche Klagerechte: So geht in Australien und Uruguay Philip Morris gegen die Warnhinweise vor den gesundheitlichen Folgen des Rauchens auf Zigarettenpackungen vor, nachdem sie damit in den USA gescheitert sind. So verklagt der kanadische Öl- und Gaskonzern Lone Pine über eine US-Tochtergesellschaft die eigene Regierung, weil die Provinz Quebec aufgrund von Umweltrisiken bei der Gasförderung ein Moratorium für das Fracking erlassen hat, voran gegangen war ein Volksabstimmung, die sich für ein Verbot ausgesprochen hatte. So greift der Ölmulti Chevron auf Basis eines Investitionsabkommens ein ecuadorianisches Gerichtsurteil an, das ihn zur Zahlung von 18 Milliarden US-Dollar Schadenersatz wegen massiver Umweltzerstörung im ecuadorianischen Amazon-Gebiet verdonnert hat. So verklagt der französische Konzern Veolia die Regierung Ägyptens, weil sie den Mindestlohn heraufgesetzt hat und dadurch die Rendite (Profite) der Investitionen von Veolia (in der Sprache der Schiedsgerichte nennt man diese „Investorenprivilegien“) geschmälert wurden. Durch TTIP werden diese Schiedsgerichte in ihrem Handeln bestärkt.

Von der bürgerlichen zur „marktgerechten“ Demokratie (Kanzlerin Merkel)

Häufig reicht schon jetzt bereits die Androhung einer Klage der Konzerne vor dem WTO-Schiedsgericht, um geplante Gesetze abzuwürgen oder zu verwässern. Fünf Jahre nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens zwischen Mexiko, Kanada und den USA (NAFTA) beschrieb ein kanadischer Regierungsbeamter dessen Auswirkungen wie folgt: „Bei beinahe jeder neuen umweltpolitischen Massnahme gab es von Kanzleien aus New York und Washington Briefe an die kanadische Regierung. Da ging es um chemische Reinigung, Medikamente, Pestizide, Patentrecht. Nahezu jede neue Initiative wurde ins Visier genommen, und die meisten haben nie das Licht der Welt erblickt.” (zitiert nach Pia Eberhard, EU -USA- Freihandelsabkommen TTIP in Soz 9/2013).

Auf EU-Ebene gibt es ähnliche Überlegungen des vorauseilenden Gehorsams gegenüber den Konzernen. Das geleakte Papier der EU-Kommission vom Oktober 2013 behandelt das Thema „regulatorische Kooperation“. Dahinter verbirgt sich die Idee, die Erarbeitung von Gesetzen und Regulierungen in der EU im Sinne der Konzerne zu ändern. Demnach hätten Unternehmen in Zukunft umfassende Möglichkeiten, auf Gesetzgebungsverfahren Einfluss zu nehmen – lange bevor Parlamente entsprechende Dokumente und Gesetzesentwürfe überhaupt zu Gesicht bekämen. Als Folge verkommt das ohnehin bürgerliche Parlament endgültig zur Schwatzbude ohne jegliche Entscheidungsbefugnis und die Gewaltenteilung wird ausgehebelt. Die Gesetze werden zukünftig von den Konzernen diktiert; sie sitzen zumindest als Co-Autoren am Verhandlungstisch, wenn geprüft wird, ob neue Gesetze gegen die Bestimmungen des Investitionsschutz-Abkommens verstossen.

Die Konzerne nutzen die schon bestehenden internationalen Investitionsabkommen immer häufiger als Waffe in politischen Auseinandersetzungen, um strengere Regulierungen zu verhindern. Dass sie dabei Aussicht auf Erfolg haben, liegt auch an den schwammig formulierten aber weitreichenden Schutzstandards der Abkommen. Der Standard der „fairen und gerechten Behandlung“ wurde beispielsweise von Schiedsgerichten so interpretiert, dass Staaten immer völlig transparent und ohne Widersprüche zu handeln hätten und die „legitimen Erwartungen“ eines Investors bezüglich des regulatorischen Umfelds seiner Investition „nicht enttäuschen“ dürfen.

Der Boom der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit wurde zu einer vom Steuerzahler finanzierten Goldgrube für Fachanwälte des Investitionsrechts. Anwalts- und Schiedsgerichtskosten liegen in manchen Fällen bei über 30 Millionen US-Dollar. Schiedsrichter bekommen ebenfalls saftige Honorare, an einem Fall verdiente ein Schiedsrichter fast eine Million US-Dollar. Dabei wird die Branche von einer kleinen, eng miteinander verflochtenen Gruppe von Anwaltskanzleien und SchiedsrichterInnen aus dem globalen Norden dominiert: Drei Kanzleien – Freshfields (GB), White & Case (US) und King & Spalding (US) – haben 2011 nach eigenen Angaben 130 Investitionsstreitigkeiten bearbeitet. Teilweise ködern die Kanzleien regelrecht die Konzerne, indem sie die Klagen auf eigene Kosten vorbereiten und dann im Falle des Erfolges die erzielten Entschädigungszahlungen mit den Konzernen teilen (vgl. „Die Zeit“ vom 27.2.14)

Gerade einmal 15 SchiedsrichterInnen, fast alle aus Europa, den USA oder Kanada, haben 55 Prozent aller bekannten Investitionsschutz-Klagen entschieden. Diese kleine Gruppe von Juristen, von manchen die „innere Mafia“ genannt, sitzt gemeinsam in Schiedsgerichten, fungiert nicht nur als Schiedsrichter, sondern vertritt die Streitparteien nebenher als Anwalt und ruft sich in Verfahren gegenseitig als Experten auf. Die Schiedsrichter neigen überwiegend dazu, die Rechte von Investoren und nicht das öffentliche Interesse zu verteidigen (vgl. Eberhard & Fuchs in Klimenta & Fishan 2014: Die Freihandelsfalle).

Die Zukunft wird ausgelöscht

In den Vereinbarungen der OECD gibt es seit 10 Jahren eine Stillhalteklausel. Im Wesentlichen besagt sie, dass eine Aufhebung einer Beschränkung (z. B. des Kapitalverkehrs) nicht mehr rückgängig gemacht werden kann (vgl. Klimenta & Fishan 2014: Die Freihandelsfalle, p. 29). Diese Stillhalteklausel soll jetzt als Generalklausel in das TTIP-Abkommen aufgenommen werden und dient der Festschreibung des vereinbarten Niveaus der Deregulierung in allen Bereichen und einer Liberalisierung des Handels in alle Ewigkeiten. Die Stillhalteklausel ist der wirkungsvollste Hammer zur Aushebelung der demokratischen Willensbildung zukünftiger Gesellschaften. TTIP ist als Gesamtpaket durch einzelne EU-Staaten nicht kündbar, da ja die EU Vertragspartner ist. Auch einzelne Bestimmungen sind nur mit Zustimmung aller Vertragspartner änderbar. Faktisch heisst das: Die Massnahmen von TTIP sind unkündbar und unveränderbar.

Auch ohne das geplante Investitionsschutzabkommen wäre TTIP das Ende der bürgerlichen Demokratie und die Vollendung der von Frau Merkel hoch gelobten „marktkonformen Demokratie“. Schon heute diktiert die EU in ihren bilateralen Abkommen mit einzelnen Ländern diese Stillhalteklausel in die Verträge. So kann Ghana die Importzölle auf Geflügelfleisch nicht erhöhen, um die einheimische bäuerlichen Landwirtschaft vor den runtersubventionierten EU-Exporten zu schützen, sondern muss die angehobenen Zölle aufgrund des Abkommens mit der EU wieder senken, die mit der EU geltenden Zolltarife gelten. Letztendlich sind diese Handelsdiktate der EU und der USA nicht anderes als eine Form des Neokolonialismus. Die BRD hat allein mit 150 Staaten vergleichbare bilaterale Investitionsschutzabkommen. Auch ohne TTIP sind die neokoloniale Abhängigkeiten durch die bilateralen Abkommen der Trikontländer mit der EU zementiert worden (u.a. keine Schutzzölle für die einheimische Industrie und Landwirtschaft - die EU hingegen hält die Subventionierung ihrer Industrie und Agrarexporte aufrecht).

Im Frühjahr 2014 wurde durch die Presse bekannt, dass in Genf eine weitere illustre Runde von 50 Industriestaaten (jedoch ohne China und die anderen BRIC-Staaten) seit Monaten in geheimen Gesprächen über ein neues weltweites Dienstleistungsabkommen (TISA) verhandelt. Nachdem das Dienstleistungsabkommen ACTA in Europa 2012 gescheitert war, wird jetzt ein neuer Versuch gestartet, alle öffentlichen Dienstleistungen (Wasser-, Energie- Gesundheitsversorgung, Bildung) den Konzernen zum Frass vorzuwerfen. Das 1994 im Rahmen der WTO abgeschlossenen GATS-Abkommen enthält im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge noch einige Ausnahme- und Sonderrechte besonders für die Trikontstaaten. Diese sollen nun abgeschafft werden.

Eine ganz entscheidende Neuerung wird zudem das geplante Verbot der Rücknahme einer Privatisierung. Die aus dem TTIP-Abkommen bekannte Stillhalteklausel „würde jeden weiteren Liberalisierungsschritt zu einer vollendeten Tatsache machen, die auch in Zukunft nicht mehr rückgängig gemacht werden kann“, warnt ein Bericht der internationalen Gewerkschaftsdach-organisation Public Services International (PSI). Dadurch würde es nahezu unmöglich, bereits getätigte Privatisierungen - wenn sie etwa zu teuer sind oder nicht funktionieren - wieder rückgängig zu machen.

Zukünftig ist eine Rekommunalisierung der öffentlichen Wasserversorgung - nachdem die privaten Konzerne nur abgezockt und nicht investiert haben wie in London, Berlin oder Cochabamba - nicht mehr möglich. Die einmal beschlossene Privatisierung gilt dann für immer und ewig. Egal, ob neue demokratische Willensbildungsprozesse und gesellschaftspolitische Kämpfe diese Klauseln in der Zukunft ablehnen: Gegen die Interessen der Konzerne zu opponieren ist ausgeschlossen und wird unter Strafe der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit gestellt.

Vergleichbare Abkommen der USA und der EU

Die USA verhandeln parallel mit den Pazifik-Anreinerstaaten (allerdings ohne Russland und China!) über ein mit TTIP nahezu identisches Abkommen, die Trans Pacific Partnership (TPP). Darin ist u.a. vorgesehen, Unternehmen zu erlauben, den gesamten Onlineverkehr zu überwachen, den Zugang zum Internet zu beschneiden und gewisse Inhalte zu löschen. TPP ist noch in der Schwebe, hingegen ist das CETA der EU mit Kanada durch verhandelt (u.a sind darin ganze Absätze aus dem gescheiterten ACTA enthalten und natürlich ein Investitionsschutzabkommen).

Inzwischen sind wesentliche Bestandteile des CETA - Abkommens durch das deutsche Fernsehen ARD Anfang August 2014 geleakt worden und es bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen: Den Konzernen wird im „Article X.9, Seite 158: Treatment of Investors and of Covered Investments“, eine "faire und angemessene Behandlung und vollen Schutz und Sicherheit" zugesichert. Es wird eine Paralleljustiz von Schiedsgerichten ohne Berufungsinstanz eingerichtet. Die Konzerne können die Staaten verklagen, wenn diese nach Investitionsbeginn der Konzerne durch gesetzliche Bestimmungen z. B. im Umweltschutz oder den Arbeitnehmerinnenrechten die erwarteten Profite geschmälert haben - die Konzerne also nicht „fair und angemessen“ mit ihren Profiterwartungen behandelt haben. Das ist genau die im TTIP vorgesehene Klagemöglichkeit wegen „indirekter Enteignung“. Nebenbei: auch im CETA-Abkommen geht es beim Investitionsschutz vorrangig um die faire und angemessene Behandlung der Investoren, der „faire“ Umgang mit den Rechten der Arbeitnehmerinnen fällt hinten runter.

Kurz zusammengefasst: Welche Konsequenzen hat TTIP?
  • Die Gewaltenteilung des bürgerlichen Staates wird aufgehoben und die formale Gleichheit vor dem Gesetz und die unabhängige Justiz wird abgeschafft zugunsten einer vom Grosskapital kontrollierten Rechtsprechung
  • Demokratie und Volksherrschaft ist nachrangig und nur dort möglich wo die Profitinteressen nicht berührt werden
  • eine politische Hegemonie des Volkes über die vom Kapital bestimmte globale Gesetzlichkeit ist ausgeschlossen – das (Gross-) Kapital ist nicht mehr einengbar / embedded (im Sinne von Polnayi) – die Diktatur der den Weltmarkt beherrschenden Konzerne ist vollendet
  • die erkämpften soziale Rechte der Arbeiterinnenklasse inklusive der Vereinigungsfreiheit werden global geschliffen
  • die durchgesetzten Standards zum Natur- und Umweltschutz in den verschiedenen Staaten werden so lange minimiert, bis das Recht auf Profit des Kapitals nicht mehr gefährdet ist
  • Freihandel ohne Grenzen und ohne Schutzzölle ist der Tod der lokalen, nicht-industriellen Landwirtschaft
  • eine staatliche oder gesellschaftliche Kontrolle der Produktionsbedingungen und der Produkte findet dort ihre Grenzen, wo die Eigentumsinteressen (das Recht auf Profit) gefährdet sind – und diese Grenzen setzt die vom Kapital inthronisierte Rechtssprechung fest
  • gemeinwohl orientierte Bereiche wie kommunale Dienstleistungen oder Gesundheitsversorgung werden weiter privatisiert
  • eine vom Kapital unabhängige Wissenschaft als beratende Instanz der politischen Entscheidungsfindung ist nur noch möglich, wo keine Verwertungsinteressen tangiert werden
  • antikapitalistischer Widerstand hat global innerhalb der Systemgrenzen (also der herrschenden gesetzlichen Ordnung) keine Legalität mehr und erscheint deshalb als illegitim
  • Ergo: es geht nicht um die Frage, ob Reform oder Revolution sondern um die Abschaffung des kapitalistischen Systems – so hochtrabend und angesichts der europäischen Verhältnisse geradezu übergeschnappt sich das anhört.
...Eine letzte Frage: Warum geben die US- und EU-Regierungen freiwillig erhebliche politische Einwirkungsmöglichkeiten auf die Lenkung und Gestaltung des Weltmarkts an die Konzerne ab?

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Die Weltfinanzkrise von 2008 hat selbst so mächtige Staaten wie die USA und Deutschland an den Rand des Staatsbankrotts geführt, die neoliberalen PolitikerInnen in Washington und Brüssel forderten eine Re-Regulierung des Bankensektors. Alle wollten plötzlich in den Tagen „des Stocherns im Nebel“ (so Merkel) nach dem Bankencrash von der Deregulierung und dem Abbau staatlicher Kontrolle und Aufsicht nichts mehr wissen. „Systemrelevant“ waren nicht die Interessen breiter Bevölkerungsschichten sondern nur noch die der Banken und Vermögen der Reichen. Jedoch: Systemrelevant ist das bevorstehende Abkommen nicht für das System des Weltkapitalismus!

Und doch soll nun durch TTIP ein weiterer Riesenschritt im Abbau staatlicher Kontrolle und Gestaltungshoheit über die globale Marktordnung vollzogen werden. Lässt sich das nur durch den Druck und politischen Einfluss der Lobbygruppen erklären? Oder ist die Angst vor einer neuen Wirtschaftsweltmacht China so gross, das die letzten demokratischen Rechte auf dem Altar des Freihandels geopfert werden? Haben sich die politischen Entscheidungsträger in den Metropolen so meilenweit von einer Interessensvertretung breiter Bevölkerungskreise entfernt? Wie der breite und lang anhaltende Widerstand der Bevölkerung in Griechenland, in Portugal und Spanien gegen die Ausplünderungspolitik der Troika zeigt, können sich die Eliten in Europa derzeit nahezu alles leisten, ohne ihre Macht zu gefährden. Das sind düstere Aussichten für den Widerstand.

Und wie setzt sich der bisherige Widerstand zusammen?

Bereits gegen das NAFTA formierte sich in den 1990ern, wie der Ya Basta-Aufstand und eine breite internationale Solidarität deutlich machte, eine neue globalisierungskritische weltweite Widerstandsbewegung. 1998 scheiterte der erste Versuch, ein internationales Investitionsschutzabkommen, das MAI, auf globaler Ebene zu installieren. Seit den Demonstrationen 1999 in Seattle ist der weltweite Widerstand gegen Globalisierung und Freihandel in aller Munde und wir rufen euch dazu auf, gegen das TTIP Widerstand zu leisten.

Bisher ist der Widerstand gegen das TTIP-Abkommen sehr NGO-lastig, auch der deutsche Gewerkschaftsbund DGB und die Gewerkschaft Verdi machen auf dem Papier mit. Neuerdings wacht auch die deutsche IG-Metall auf (so fordert deren Chef Wetzel in der BZ vom 4.3.14 ein „Stopp der Verhandlungen“, geht also weiter als manche NGO). Auf der diesjährigen „Wir haben es satt“- Demo in Berlin waren viele Transparente gegen das TTIP zu sehen, besonders bäuerliche und Verbraucherschutzorganisationen machen mobil und in Frankreich gab es im November 2013 eine erste Grossdemo gegen TTIP. Klar ist: wir wollen eine 'Welt von unten' und nicht eine Welt der Konzerne! Wir sollten also den Konzernen und Lobbygruppen auf den Pelz rücken.

Salvatore